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Corona: Wieder Beleidigung von Polizeibeamten, oder: „Wir haben so’n paar Nervzwerge an der Backe ….“

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Und dann der Wochenstart heute mit zwei StGB-Entscheidungen, und zwar einmal etwas, das noch aus Coronazeiten stammt und dann etwas zu Klimaklebern.

Zunächst hier der – schon etwas ältere – BayObLG, Beschl. v. 18.03.2024 – 206 StRR 63/24 – noch einmal zu den Anforderungen an die Auslegung einer Äußerung beim Verdacht der Beleidigung von Polizeibeamten.

Der Angeklagte ist vom AG/LG wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Hiergegen die Revision, die Erfolg hatte.

Das LG hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am 13. Februar 2022 fand in Ingolstadt eine angemeldete Versammlung mit dem Thema „Impfzwang, Corona“ mit etwa 1.500 Teilnehmern statt. Als Auflage war behördlich die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmern bestimmt worden, anderenfalls müsse eine Maskenpflicht angeordnet werden. Der Angeklagte fungierte während der gesamten Veranstaltung als Moderator auf der Bühne, auf der verschiedene Redner auftraten. Aufgrund zahlreicher Verstöße gegen das Abstandsgebot wurde der Veranstaltungsleiter, bei dem es sich nicht um den Angeklagten handelte, durch anwesende Polizeikräfte wiederholt ohne Erfolg aufgefordert, über das Mikrofon zur Einhaltung der Auflagen anzuhalten. Schließlich traten der polizeiliche Einsatzleiter und sein Stellvertreter an den Versammlungsleiter heran und forderten eindringlich eine unverzügliche Durchsage. Letzterer informierte den Angeklagten über die Notwendigkeit einer Unterbrechung, woraufhin dieser über das Mikrofon folgende Ansage machte: „Wir haben so’n paar Nervzwerge an der Backe, und der Z. [Anm. des Senats: der Veranstaltungsleiter] muss eine Durchsage machen“; die Ansage selbst wurde anschließend vom Versammlungsleiter durchgegeben. Der Angeklagte wusste bei seiner Äußerung nicht, welche konkreten Beamten dem Versammlungsleiter die Anweisung gegeben hatten. Er fühlte sich davon „genervt“, dass die anwesende Polizei schon den ganzen Nachmittag über die Reden hatte unterbrechen wollen. Die beiden Polizeibeamten und ihr Dienstvorgesetzter haben Strafantrag gestellt.“

Das LG hat diese Äußerung als Beleidigung gemäß § 185 StGB zum Nachteil der beiden Polizeibeamten, die den Versammlungsleiter zur Durchsage aufgefordert hatten, gewertet. Mit der Äußerung habe der Angeklagte gerade diese konkreten Personen öffentlich verunglimpfen wollen. Es handle sich, da kein sachlicher Bezug zu einer beanstandungswürdigen Diensthandlung oder sonstigen Verfehlung der Beamten erkennbar sei, um eine bloße Schmähkritik. Eine vorsorglich vorgenommene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht der Beamten ergebe zudem keine überwiegende Schutzwürdigkeit der Meinungsäußerungsfreiheit.

Das hat das BayObLG „im konkreten Einzelfall“ anders gesehen:

„b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, die Durchsage stelle eine persönliche Verunglimpfung der beiden Polizeibeamten dar, als zumindest unvollständig. Es handelt sich vielmehr um eine mehrdeutige Äußerung, bei der ein anderer – strafloser – Aussagegehalt, nämlich die Äußerung einer Kritik an polizeilichen Anordnungen und Maßnahmen ohne Herabwürdigung der handelnden Personen, zumindest nicht aus-geschlossen werden kann.

aa) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (BVerfG, Beschluss vom 24. November 2023, 1 BvR 1962/23, NJW 2024, 745 Rn. 4; NJW 1995, 3303, 3305, juris Rn. 124; Beschluss vom 9. Februar 2022, 1 BvR 2588/20, NJW 2022, 1523 Rn. 21). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG a.a.O.). Demgemäß sind weder die Aussage der Beamten, sie hätten sich direkt angesprochen und beleidigt gefühlt (UA S. 6), noch die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht die konkreten Beamten, sondern die polizeilichen Maßnahmen insgesamt kritisieren wollen (UA S. 5), jeweils allein ausschlaggebend.

Bei der Auslegung ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der aber den Sinn nicht abschließend festlegt. Vielmehr sind alle sprachlichen und sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3305, juris Rn. 126; Beschluss vom 23. September 1993, 1 BvR 584/93, juris Rn. 17; st. Rspr.).

Die Auslegung einer Äußerung ist Sache des Tatgerichts und unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht, gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder lückenhaft ist MünchKomm-StPO/Bartel, 2. Aufl. 2024, § 261 Rn. 355; OLG Hamm, Beschluss vom 10.Oktober 2005, 3 Ss 231/05, NStZ-RR 2007, 140).

bb) Das Landgericht hat die verfassungsrechtlichen Maßgaben zwar im Grundsatz bedacht, jedoch nicht ohne Rechtsfehler angewandt. Seine Auffassung, die Äußerung des Angeklagten könne, was „unzweifelhaft klar“ sei, „nur“ dahin verstanden werden, dass sie sich auf die beiden Polizeibeamten bezogen habe (S. 10), hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

(i) Die Deutung als herabsetzende Äußerung gegenüber den konkreten Beamten erscheint zwar möglich. Die Bezeichnung einer Person als „Nervzwerg“ ist nicht nur grob ungehörig und distanzlos, sondern kann im konkreten Kontext auch als deren Herabwürdigung verstanden werden.

(ii) Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten ist aber stets zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gilt (vgl. BeckOK StGB/Valerius, 60. Ed., Stand 01.02.2024, § 185 Rn. 25.4 m.w.N.).

Dies hat das Gericht zwar erwogen (vgl. UA S. 11), es hat aber die konkreten Umstände nicht erschöpfend gewürdigt. Es hat die Abgrenzung zu Unrecht darauf reduziert, dass der Ausdruck entweder auf die beiden konkreten Beamten oder aber auf die Polizei im Allgemeinen „irgendwo im Staat“ bezogen gewesen sein kann (UA S. 10). Dabei hat es übersehen, dass auch dann, wenn ein Vorwurf sich auf vor Ort anwesende Beamte oder selbst dann, wenn er sich auf bestimmte Beamte bezieht, er gleichwohl, je nach den Begleitumständen, als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei verstanden werden und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. September 1993, 1 BvR 584/93, juris Rn. 18: Bezeichnung von Polizeibeamten als „kassierende Bullen“; BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2004, 1 St RR 153/04, NJW 2005, 1291: Polizeibeamte als „Wegelagerer“; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. März 2003, III 2b Ss 224/02-2/03, NStZ-RR 2003, 295; „Wegelagerei“; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Oktober 2005, 3 Ss 231/05, NStZ-RR 2007, 140: Beamte des Bundesgrenzschutzes als „Menschenjäger“).

(iii) Der Senat vermag die ergänzende Auslegung der inkriminierten Äußerung auf der Grundlage der vom Landgericht sorgfältig und umfassend getroffenen Feststellungen, die sich nicht nur aus dem Urteilsabschnitt Ziff. III (Sachverhalt), sondern aus der Gesamtheit der Urteilsgründe erschöpfend ergeben, selbst vorzunehmen. Er kann unter Berücksichtigung der erkennbaren Gesamtumstände sowie des konkreten Kontextes nicht ausschließen, dass ein unvoreingenommener und verständiger Zuhörer die Durchsage nicht als Geringschätzung konkreter Personen, sondern als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei vor Ort während der Versammlung, nämlich in Form von wiederholten Aufforderungen an die Versammlungsleitung zum Zweck der Beachtung der infektionsschutz-rechtlichen Auflagen verstehen musste.

Allein der vom Landgericht hervorgehobene enge Zusammenhang zwischen der Aufforderung durch die beiden Beamten an den Versammlungsleiter und der Durchsage des Angeklagten vermag die Auslegung, die Kritik habe allein diesen beiden Personen gegolten, nicht zu tragen. Auch der verwendete Ausdruck „Zwerge“ impliziert dies nicht zwingend, denn die Beamten waren nicht von auffällig kleiner Körpergröße (UA S. 12). Der Angeklagte hat nach den Feststellungen (UA S. 4) zudem weder gewusst, welche Beamten die Anweisung zu einer Durchsage gegeben hatten, noch hatte er nachweislich das Gespräch mit dem Versammlungsleiter gesehen (UA S. 6). Zuvor war bereits wiederholt (durch andere Beamte) die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Auflagen und entsprechende Durchsagen gefordert worden (UA S. 3, 6), wovon der Angeklagte „genervt“ war (UA S. 4). Es ist nach diesen konkreten Umständen eine Deutung möglich und nicht fernliegend, dass er, für unvoreingenommene Zuhörer erkennbar, seinen allgemeinen Unmut über das polizeiliche Vorgehen als solches zum Ausdruck bringen, nicht aber konkrete Beamte verächtlich machen wollte.

(iv) Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass, wie das Landgericht im Rahmen der Abwägung, ob eine sog. Schmähkritik vorliegt, ausführt, „keine beanstandungswürdige Diensthandlung oder sonstige Verfehlung der Beamten erkennbar“ war (UA S. 12). Der Angeklagte kann sich auch von rechtmäßigen Diensthandlungen „genervt“, also belästigt gefühlt und diese (abfällig) kommentiert haben.

cc) In der Deutungsvariante, dass der Angeklagte die polizeilichen Maßnahmen während der Veranstaltung kritisiert hat, führt die Äußerung nicht zu einer Bestrafung, denn es fehlt bereits tatbestandsmäßig an einer Beleidigung (vgl. BayObLG NJW 2005, 1291, 1292).

Auch ein wenigstens mittelbar in der Äußerung liegender ehrverletzender Vorwurf an die Handelnden lässt sich nicht zwingend erschließen, insbesondere lässt sich dies nicht aus der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen herleiten. Insoweit ist auch zu bedenken, dass es mit der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht vereinbar ist, die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung danach zu beurteilen, ob die kritisierte Maßnahme des Beamten rechtmäßig oder rechtswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, 1 BvR 1770/91, NJW 1992, 2815, 2816). Das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (BVerfG a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2004, 1 StRR, 153/04, NJW 2005, 1291; st. Rspr.). Dass sich die Kritik gegen rechtmäßige Maßnahmen richtet, kann deswegen nicht die Schlussfolgerung begründen, sie sei zwangsläufig auf die handelnden Personen bezogen.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte, diese Auslegungsvariante zugrunde gelegt, jedenfalls gleichzeitig auch eine ehrverletzende Missachtung gegenüber den beiden zuletzt handelnden Beamten zum Ausdruck gebracht hat, lassen sich nicht sicher feststellen.

dd) Da es in einer der möglichen Auslegungsvarianten der mehrdeutigen Äußerung damit bereits an deiner tatbestandsmäßigen Tathandlung gemäß § 185 StGB fehlt, ist nicht mehr zu entscheiden, zu welchem Ergebnis eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz (vgl. UA S. 13-19), die bei einer beleidigenden Äußerung aus verfassungsrechtlichen Gründen stets vorzunehmen ist, im konkreten Fall führen würde. Der Senat weist lediglich darauf hin, dass entgegen der Annahme des Landgerichts (UA S. 12 f.) nicht von einer Schmähkritik ausgegangen werden kann. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn eine Äußerung keinen irgendwie gearteten Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (BVerfG NJW 2020, 2622 Rn. 19). Ein sachlicher Bezug der gegenständlichen Äußerung zum vorangegangenen dienstlichen Einschreiten der Beamten liegt aber auf der Hand.“

StGB III: Richterbeleidigung durch Freislervergleich?, oder: LG Köln eröffnet – nicht nur Meinungsfreiheit?

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Ich hatte im April des Jahres den AG Brühl, Beschl. v. 27.02.2024 – 51 Ds-74 Js 273/23-280/23 – vorgestellt (vgl. hier StGB II: Richterbeleidigung durch Freislervergleich?, oder: Meinungsfreiheit?). Mit dem Beschluss hatte das AG Brühl die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen Rechtsanwalt abgelehnt, der wegen Beleidigung eines Richters (§ 185 StGB) angeklagt war. Der Rechtsanwalt hatt in einem zivilrechtlichen Verfahren bei einem Streit um die Höhe des Streitwertes einen sog. Freisler-Vergleich betreffend den Richter angestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf das o.a. Posting

Die Staatsanwaltschaft ist gegen die Nichteröffnung in die Beschwerde gegangen. Dazu liegt jetzt die Entscheidung des LG Köln vor. Das hat im LG Köln, Beschl. v. 12.07.2024 – 120 Qs 31/24 – das Hauptverfahren vor dem AG eröffnet. Begründung:

„Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist gemäß § 311 Abs. 2 StPO zulässig und begründet. Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss zu Unrecht die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt.

Nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens hat sich der Angeschuldigte wegen Beleidigung gem. § 185 StGB hinreichend verdächtig gemacht, indem er den vorbezeichneten Schriftsatz vom 28.03.2023 samt Bildabfolge zur Gerichtsakte einreichte. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Brühl lässt die sachliche Bezugnahme der in diesem Schriftsatz enthaltenen Bildfolge zu einer (vorläufigen) Streitwertentscheidung im laufenden Zivilverfahren eine Strafbarkeit der diesem Schriftsatz in seiner Gesamtheit zu entnehmenden beleidigenden Äußerung über die Person des (mit-)erkennenden Vorsitzenden Richters am Landgericht – bei vorläufiger Würdigung – nicht nach § 193 StGB entfallen.

1. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Amtsgerichts insoweit an, als die gegenständliche Äußerung bei Anlegung der auch im angefochtenen Beschluss zutreffend dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit fällt, so dass eine Strafbarkeit nur nach Gewichtung der Beeinträchtigung, die einerseits der Meinungsfreiheit des sich Äußernden und andererseits der persönlichen Ehre des von der Äußerungen Betroffenen droht, in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 93, 266 (319)). Eine dem Schutzbereich entzogene Schmähkritik, bei der die in einer Äußerung liegende persönliche Kränkung ein etwaiges sachliches Anliegen von vorneherein völlig in den Hintergrund drängt, ist hier nicht ersichtlich. Vielmehr wird ein sachlicher Bezug der Äußerung zu einer konkreten Streitwertentscheidung im laufenden Verfahren nicht nur aus dem Anlass ihrer Tätigung – hier der Antwort auf die Rückfrage einer Rechtspflegerin, ob angesichts der Kritik an der (vorläufigen) Streitwertentscheidung an dem gestellten PKH-Festsetzungsantrag festgehalten werde –, sondern auch an zahlreichen Stellen der bildhaften Darstellung ersichtlich. Dies von der ersten Sprechblase, welche sinngemäß auf einen PKH-Festsetzungsantrag verweist, über die in weiteren Sprechblasen erörterte Sinnhaftigkeit der Anwaltsvergütung und – rolle bis hin zum abschließenden Schriftzug, welcher nicht nur den Wert der im laufende Verfahren erfolgten Streitwertfestsetzung von 6.000,- EUR, sondern auch deren Begründung aufgreift. Zutreffend führt das Amtsgericht vor diesem Hintergrund aus, dass eine Auseinandersetzung mit der Sache erfolge, welche von dem ehrbeeinträchtigenden Gehalt der Darstellungen nicht von vornherein völlig in den Hintergrund verdrängt werde.

Dem steht der hier in dem historischen Vergleich zum nationalsozialistischen Unrechtsregime begründete übersteigert polemische Charakter der Darstellung nicht entgegen. Dabei besteht durchaus Anlass in Frage zu ziehen, ob es sich noch um eine bloß überspitzte Darstellungsform handelt, wenn die (vermeintliche) Fehlerhaftigkeit bzw. Willkür einer Einzelfallentscheidung ohne Not in die Nähe des Unwertes des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gerückt wird, oder hierdurch nicht entweder das nationalsozialistische Unrecht geschmälert oder aber der von der Darstellung betroffenen Person eine nationalsozialistische Gesinnung unterstellt werden soll. Zumal einem Rechtsanwalt angesichts langjähriger Studien- und Ausbildungszeiten andere sprachliche Mittel zur Verfügung stehen sollten, um seine Rechtsansichten und Anliegen zu unterstreichen (zur Relevanz der Ausdrucksfähigkeit des jeweiligen sich Äußernden s. BVerfG, Beschluss v. 19.05.2020, 1 BvR 2397/19, Rn. 28). Wegen seines bereits den Anwendungsbereich der Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen jedoch eng zu verstehen. Die Grenze zulässiger Meinungsäußerung liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, Beschluss v. 8.02.2017, 1 BvR 2973/14, juris Rn. 14). Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis können für sich besehen daher nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik begründen (BVerfG, Beschluss v. 14.06.2019, 1 BvR 2433/17, juris Rn. 19;).

2. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann die Äußerung in ihrer Gesamtheit indes nicht – aufgrund des aufgezeigten Sachbezugs – dahingehend gedeutet werden, dass dem Vorsitzenden Richter keine nationalsozialistische Gesinnung unterstellt wird, sondern sich die Äußerung in dem Vorwurf der vermeintlichen Fehlerhaftigkeit und Willkür einer konkreten gerichtlichen Entscheidung erschöpft. Das Amtsgericht verkennt insoweit, dass die der bildhaften Darstellung einleitend vorweggestellte Textpassage das dem Schriftsatz in seiner Gesamtheit zu entnehmende Werturteil von einer konkreten gerichtlichen Entscheidung hin zu der Person des Vorsitzenden Richters lenkt und damit aus dem Kontext eines Sachbezugs weitgehend herauslöst.

Demnach ist unerheblich, dass die bildhafte Darstellung für sich genommen – wie das Amtsgericht im Ergebnis wohl zutreffend ausführt – angesichts des vielschichtigen Sachbezugs zu dem (vorläufigen) Streitwertbeschluss in einem laufenden Verfahren als eine lediglich überpointierte Kritik im „Kampf um das Recht“ erscheint, die der Vorsitzende Richter von Berufs wegen (vgl. BVerfGE 76, 171) unter Berücksichtigung der zum gegenwärtigen Verfahrenszeitpunkt bekannten Gesamtumstände gem. § 193 StGB auszuhalten haben dürfte. Denn die einleitend vorangestellte Textpassage enthält eine konkrete Bezugnahme auf die Person des Vorsitzenden Richters, welche den nach der bildhaften Darstellung auf einen Einzelfall bezogenen Willkürvorwurf zu einem allgemeinen Charakterzug erhebt. So handelt es sich bei den in Bezug genommenen „dunkle(n) Momente(n)“, die in dem Vorsitzenden Richter „hier und da“ durchbrächen, ausweislich der Gegenüberstellung zu dessen „nette(n) Seiten“ um einen ebenfalls vorhandenen Wesenszug. Die sodann gewählte Interpunktion – hier des Doppelpunktes – verdeutlicht, dass es sich bei der nachfolgenden bildhaften Darstellung lediglich um einen plakativen Beispielsfall für diesen allgemeinen Wesenszug handele. Dies wird durch die der Schule der Analytischen Psychologie von C.G. Jung entlehnte Wortwahl des „Schattens“ wie auch des „kollektiven Unbewusstseins“ nur noch verdeutlicht. Zwar zielt die genannte Schule auf einen Prozess des Erkennens, Akzeptierens und Integrierens von verdrängten Aspekten der Persönlichkeit (sog „Schatten“) ab, um den Einzelnen zu einer größeren humanitären Reife und sozialen Verantwortlichkeit zu führen. Die Begrifflichkeit dient indes erkennbar dazu, dem Vorsitzenden Richter eine besondere Ausprägung des genannten Wesenszuges bzw. jedenfalls eine besondere Anfälligkeit für das Durschlagen dieses – möglicherweise auch der gesamten „deutschen Richterschaft“ eigenen – Wesenszuges auf seine Handlungen zu unterstellen. Damit handelt es sich nicht lediglich um eine überpointierte Kritik an einer konkreten richterlichen Entscheidung, sondern um eine Diffamierung eben der Person des Richters selbst, die lediglich anlässlich der – als solche möglicherweise überpointiert kritisierten richterlichen Entscheidung vorgetragen wurde.

3. Angesichts des erheblichen Gewichts der Ehrkränkung, welche den Vorsitzenden Richters in die Nähe einer Ideologie vergleichbar mit derjenigen der Unterstützter des nationalsozialistischen Unrechtsregimes rückt (vgl. OLG Köln, Urt. v. 10.12.2019 – III- 1 RVs 180/19, juris), und des – wie aufgezeigt – nur mittelbaren sachlichen Bezugs der getätigten Meinungsäußerung fällt die die erforderliche Gesamtwürdigung – bei vorläufiger Bewertung nach derzeitigem Verfahrensstand – zulasten des Beschwerdeführers aus, weswegen ein hinreichender Tatverdacht bezüglich des Vorliegens einer Beleidigung gem. § 185 StGB vorliegt. Dabei hat die Kammer auch die vom Amtsgericht zutreffend zugunsten des Beschwerdeführers herangezogenen weiteren Umstände – soweit bekannt – berücksichtigt, namentlich die Parteiöffentlichkeit der Äußerung und die persönliche Betroffenheit des Beschwerdeführers in Vergütungsfragen in einem langjährigen Verfahren, in welchem es mehrfach zu Konflikten zwischen dem Beschwerdeführer und dem Vorsitzenden Richter gekommen war. Hingegen war auch zu beachten, dass die gegenständliche Äußerung nicht ad hoc in einem (hitzigen) Gespräch gefallen war, sondern schriftsätzlich auf Anfrage nicht etwa des Vorsitzenden Richters selbst, sondern einer Rechtspflegerin vorgetragen wurde, so dass die Spontanität der freien Rede hier nicht zugunsten des Beschwerdeführers sprechen kann (vgl. BVerfGE 7, 198 (112)).“

Ich wage – na ja, dazu gehört nicht viel „Mut“ – die Behauptung, dass ich über die Sache sicherlich nicht das letzte Mal berichtet habe.

StGB II: Bezeichnung einer BT-Abgeordneten als „es“, oder: Beleidigung, Schmähkritik, Menschenwürde

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Und als zweites Posting dann die erste „Beleidigungsentscheidung“, und zwar das KG, Urt. v. 29.01.2024 – 2 ORs 38/23 – zum Begriff der Schmähkritik und den Voraussetzungen eines Angriffs auf die Menschenwürde bei der Bezeichnung einer Bundestagsabgeordneten als „es“

Das KG geht von folgenden Feststellungen des Berufungsgerichts aus:

„Am 7. April 2022 fand im Bundestag die Abstimmung zur Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 statt. Der Angeklagte hielt sich im Rahmen seiner Tätigkeit als „Go“-Journalist – gemeinsam mit dem gesondert verfolgten R B – auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude auf und führte mehrere Interviews mit Bundestagsabgeordneten, unter anderem mit Ar La (CDU) und C Li (FDP), die er jeweils auf Video aufzeichnete und später auf seinem Telegramkanal veröffentlichte. Ebenso filmte er mit seiner Kamera, wie die Bundestagsabgeordnete T Ga auf dem Weg zur parlamentarischen Abstimmung das Reichstagsgebäude betrat. Während die Abgeordnete sich dem Eingang des Gebäudes näherte, äußerte der Angeklagte in deren Richtung: „Haben Sie sich umoperieren lassen? Mann ist Mann und Frau ist Frau, vergessen Sie das nicht! Menschenskinder, ich find das oberpeinlich, was Sie abziehen. Und das von meinen Steuergeldern, was soll der Scheiß? Hörn Sie mal auf damit, Mann ist Mann und Frau ist Frau. […] Wir beobachten Sie ganz genau, Schritt für Schritt.“ In dem folgenden Gespräch mit dem gesondert verfolgten B äußerte der Angeklagte sodann in Bezug auf T Ga: „Ja, das ist dieser umoperierte Typ da. […] Das ist ’n Bundestagsabgeordneter, der hat sich zur Frau umoperieren lassen.“ Daraufhin bekundete der gesondert verfolgte B: „Der hat seinen Dödel noch“, woraufhin der An-geklagte antwortete: „Ach der hat den noch, ja, ok. Ja es ist ’n Mann. Mann ist Mann und Frau ist Frau.“ Dies kommentierte der gesondert verfolgte B mit den Worten: „Es fühlt sich als Frau“, die der Angeklagte anschließend zustimmend – und in die Kamera lächelnd – wiederholte.

Das Video mit den vorgenannten Worten des Angeklagten in Richtung der Abgeordneten Ga und dem anschließenden Dialog zwischen ihm und dem gesondert verfolgten B veröffentlichte der Angeklagte am selben Tag gegen 18.00 Uhr auf seinem für jedermann frei abrufbaren Telegramkanal „Ak Man“. Am Folgetag löschte er das Vi-deo. Es konnte nicht näher festgestellt werden, wie viele Personen das Video in der Zeit der Veröffentlichung sahen.“

Das AG hatte verurteilt, das LG dann frei gesprochen. Und das KG verwirft die gegen den Freispruch gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft. Es führt u.a. aus:

„2. Der Angeklagte hat mit der Äußerung „Es fühlt sich als Frau“ nach der revisions-rechtlich nicht zu beanstandenden Wertung der Berufungskammer eine als Ehrkränkung der Betroffenen anzusehende Meinung geäußert.

Das Landgericht hat die Äußerung des Angeklagten ausgehend von deren objektivem Sinngehalt ausgelegt. Es hat sich damit auseinandergesetzt, inwieweit die Äußerung – insbesondere der Teil „fühlt sich als Frau“ – einen Bezug zur Person, zu Bekundungen und zu politischen Aktivitäten der betroffenen Bundestagsabgeordneten hat. Des Weiteren hat es in der Verwendung des Wortes „es“ einen Bezug zu aktuellen Debatten um die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen gesehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung hat das Landgericht dann den Schluss gezogen, dass der Angeklagte aus Sicht des alle maßgeblichen tatprägenden Umstände kennenden unbefangenen verständigen Dritten der Betroffenen mit seinen Worten ab-gesprochen hat, Mann oder Frau zu sein. Zurecht, ohne dass ein Verstoß gegen Auslegungsregeln oder eine Außerachtlassung weiterer Deutungsmöglichkeiten zu erkennen wäre, hat die Berufungskammer in der Äußerung daher ein ehrverletzen-des Werturteil gesehen.

3. Die Berufungskammer hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die verfahrensgegenständliche Äußerung keine Schmähkritik, keine Formalbeleidigung und keinen Angriff auf die Menschenwürde darstellt. Sie hat erkannt, dass eine Verurteilung auf der Grundlage des § 185 StGB daher eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits erfordert (vgl. BVerfG NJW 2016, 2870 mwN; Burkhardt/Pfeier, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 5 Rn. 192; Mann, Die Strafbarkeit wegen Beleidigung im „Kampf ums Recht“, in: FS für Alexander Ignor, S. 191ff).

a) Soweit die Revision vorträgt, dass in der Äußerung des Angeklagten eine Schmähung zu sehen sei, hinter der die Meinungsfreiheit ohne eine Einzelfallabwägung zurücktritt (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622 mwN; BVerfGE 82, 43), hat das Landgericht eine solche zutreffend verneint.

aa) Die Rechtsprechung hat den Begriff der Schmähkritik eng definiert (vgl. BVerfG EuGRZ 2013, 637; BVerfGE 93, 266). Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622; BVerfG NJW 2020, 2631). Denn gerade Kritik darf auch grundlos, pointiert, pole-misch und überspitzt geäußert werden, und die Grenze zulässiger Meinungsäußerung liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist oder wo Gründe für die geäußerte kritische Bewertung nicht gegeben werden (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622 mwN).

Im verfassungsrechtlichen Sinn ist Schmähung danach anzunehmen, wenn eine Äußerung unter Berücksichtigung ihres Anlasses und Kontextes (vgl. BVerfG NJW 2009, 749 mwN) keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, letztlich als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient. Dann geht es dem Äußernden nicht allein darum, den Betroffenen als solchen zu diffamieren, sondern stellt sich die Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung dar (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622; NJW 2020, 2636 mwN).

b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat das Landgericht zurecht angenommen, dass die Äußerung des Angeklagten in ihrem Kontext keine Schmähung dar-stellt. Der Revision ist dabei zuzugeben, dass die Worte des Angeklagten (auch) auf den persönlichen Geltungsanspruch der Betroffenen abzielen. Dem steht jedoch – entgegen der Revisionsbegründung – ein vom Landgericht unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Urteilsgründe knapp, aber zutreffend beschriebener Sachbezug gegenüber.

Betroffen von der verfahrensgegenständlichen Äußerung des Angeklagten ist eine Bundestagsabgeordnete, die sich nach den Urteilsfeststellungen in der Vergangen-heit unter anderem öffentlich zu ihrem Personenstand und ihrer persönlichen Haltung zu Verfahren für Namens- und Personenstandsänderungen erklärt hat. Sie hat sich zudem zum geltenden Transsexuellengesetz geäußert. Sie betrat das Reichstagsge-bäude zur Abstimmung, als der Angeklagte, der sich vor Ort befand und verschiede-ne andere Politiker interviewte, sie filmte, sich in ihre Richtung äußerte und schließlich das Gespräch mit der verfahrensgegenständlichen Bemerkung aufnahm. Es liegt daher ersichtlich kein Fall vor, in dem eine vorherige Auseinandersetzung nur äußerlich zum Anlass für eine diffamierende Bemerkung dient oder in dem aus dem Schutz der Anonymität des Internets heraus Verunglimpfungen getätigt worden sind (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622). Auch die Revisionsbegründung weist auf keinen der-artigen Sachverhalt hin.

Das Landgericht hat anhand des Videos zudem festgestellt, dass sich der Redebeitrag des Angeklagten nicht in den inkriminierten Worten erschöpfte. Vielmehr äußerte er sich mehrfach – in Richtung der Betroffenen sowie im Gespräch mit dem gesondert verfolgten B – und brachte dabei insgesamt polemisch, überspitzt und unsachlich zum Ausdruck, dass er die von ihrem rechtlichen Personenstand differieren-de geschlechtliche Identität der Betroffenen nicht anerkennt. Dass die Betroffene ihm gerade aufgrund ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete bekannt war und er dieser Tätigkeit Bedeutung zumaß, ergibt sich ebenfalls aus seinem Redebeitrag. Die für strafwürdig befundene Äußerung dient damit entgegen der Revisionsbegründung nicht allein der abschätzigen Bewertung des äußeren Erscheinungsbildes und der gelebten Geschlechtsidentität der Betroffenen. Vielmehr steht sie auch (noch) im Zusammenhang mit deren Wirken in der öffentlichen Meinungsbildung zu einer Neu-regelung von Rechten für transgeschlechtliche Menschen.

Dem steht nicht entgegen, dass der vom Landgericht festgestellte Anlass für den Angeklagten, sich vor dem Bundestag aufzuhalten, die anstehende Abstimmung zur Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 gewesen ist. Denn eines Grundes für eine geäußerte Kritik bedarf es gerade nicht. Die abfällige Äußerung des Angeklagten ist daher nicht schon deshalb als Schmähung zu qualifizieren, weil sich kein inhaltlicher Zusammen-hang zu dem Thema der anstehenden Abstimmung herstellen lässt.

b) Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht zudem verneint, dass die Äußerung des Angeklagten die Menschenwürde angreift, die als Fundament aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist (vgl. BVerfG 93, 266; BVerfGE 107, 275; KG, Beschluss vom 26. November 2019 – [5] 161 Ss 165/19 [34/19] – mwN).

……

bb) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt ein Angriff auf die Menschenwürde nicht vor, obwohl der Angeklagte die Betroffene herabwürdigt, wenn er das Pronomens „es“ verwendet, um über sie zu sprechen.

Zum einen gehört die geschlechtliche Identität einer Person nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur engeren persönlichen Lebenssphäre, die nicht primär durch Art. 1 Abs. 1 GG, sondern durch das Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung als allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt wird (vgl. BVerfGE 115, 1 [14] mwN; BVerfGE 96, 56 [61]). Art. 2 Abs. 1 iVm Art 1 Abs. 1 GG garantiert insoweit als Teil dieser Lebenssphäre den intimen Sexualbereich, der die sexuelle Selbstbestimmung de Menschen und damit das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst (BVerfGE 128, 109 [124]; BVerfGE 115, 1 [14]). Zwar nimmt die Zuordnung zu einem Geschlecht typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Ihr kommt für die individuelle Identität unter den gegebenen Bedingungen herausragende Bedeutung zu und auch in alltäglichen Lebensvorgängen spielt sie eine wichtige Rolle (vgl. BVerfGE 147, 1 [19]). Dennoch wird die geschlechtliche Identität in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung regelmäßig als „ein“ konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit (vgl. BVerfGE 147, 1 [19]; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. November 2023 – 1 BvR 1915/23 –, juris), nicht als der die menschliche Würde ausmachende Kern bezeichnet. Durch die Bezeichnung einer Person als „gleichsam geschlechtsloses Wesen“ (UA S. 5) wird daher nicht per se die Menschenwürde angegriffen.

Zum anderen ergibt auch die erforderliche Gesamtschau der Umstände (vgl. KG, Beschluss vom 27. Dezember 2001 – [4] 1 Ss 297/01 [166/01] –, juris mwN), dass kein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt. Einzubeziehen ist, dass der Angeklagte der Betroffenen zunächst vorwirft, sich „oberpeinlich“ zu verhalten, und unter anderem – unsachlich und mit diskriminierender Konnotation – ausdrückt, dass er einen Wechsel der Geschlechtsidentität ablehnt. Die insoweit von ihm verwendete Ansprache „Sie“ mag überspitzte Höflichkeit und ebenfalls herabwürdigend gemeint gewesen sein. Der Redebeitrag in seiner Gesamtheit adressiert die Betroffene aber als Person. Unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs ist die Äußerung da-mit nicht dahingehend zu verstehen, dass der Angeklagte der Betroffenen mit dem Wort „es“ das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abspricht.

4. Die von der Strafkammer vor dem Hintergrund der Verneinung der Fallkonstellationen der Schmähung, der Formalbeleidigung und des Menschenwürdeangriffs vorgenommene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der betroffenen Bundestagsabgeordneten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

a) Liegt keine Schmähkritik, keine Formalbeleidigung oder kein Angriff auf die Menschenwürde vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen eine Person in ihrer Ehre herabgesetzt wird, kein Indiz für den Vorrang der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfG NJW 2022, 1523).  Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist dann allerdings – wie es der Normalfall für den Ausgleich von Meinungsfreiheit und Persönlichkeits-recht ist – eine grundrechtlich angeleitete Abwägung, die an die wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, ins-besondere die Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ anknüpft. Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falls und der Situation, in der die Äußerung erfolgte (vgl. BVerfG aaO; NJW 2020, 2622 jeweils mwN).

Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören. Das bei der Abwägung an-zusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung da-rauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622; BayObLG, Beschluss vom 15. August 2023 – 204 StRR 292/23 –, juris).

Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden. In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr öffentliches Wirken mit seinen – unter Umständen weitreichenden – gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG aaO mwN; KG, Beschluss vom 1. Juni 2023 – 4 ORs 37/23 –).

b) Entsprechend diesen Grundsätzen hat die Berufungskammer eine Abwägung vor-genommen, in die sie die maßgeblichen Tatumstände, insbesondere Inhalt und Form der betreffenden Äußerung sowie die Person des Äußernden, der Betroffenen und die Anzahl der Rezipienten, eingestellt hat.

aa) Das Landgericht hat zutreffend berücksichtigt, dass der Angeklagte die Äußerung des gesondert verfolgten B wiederholte. Die Äußerung sei einerseits spontan und mündlich erfolgt, durch die Veröffentlichung auf dem Telegramkanal des Ange-klagten jedoch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Das Landgericht hat diesbezüglich zudem festgestellt, dass der Angeklagte das Video nach einem Tag löschte. Die sich daraus ergebende Würdigung des Landgerichts, dass die Zugänglichkeit des Videos nur für einen begrenzten Zeitraum und für einen begrenzten Personenkreis bestand, ist möglich und weder lückenhaft noch unklar oder widersprüchlich.

bb) Das Landgericht hat zudem in seine Abwägung einbezogen, dass der Angeklagte vor dem Bundestag zu der damals unmittelbar bevorstehenden Abstimmung zur Corona-Impfpflicht mehrere Politiker interviewte und die verfahrensgegenständliche Äußerung im Rahmen dieser Beschäftigung tätigte. Er habe sich dort „zur kritischen Auseinandersetzung mit dem parlamentarischen Handeln aufgehalten“ (UA S. 9). Insoweit hat das Landgericht angenommen, dass der Angeklagte auch auf das öffentliche Wirken der Betroffenen als Bundestagsabgeordnete abzielte. Es hat daraus unter erschöpfender Würdigung der dazu getätigten Feststellungen den nachvoll-ziehbaren Schluss gezogen, dass es sich bei der Äußerung um zulässige Machtkritik handelt; zumal der Angeklagte die Betroffene nach den Urteilsgründen auch als mit (seinen) Steuergeldern finanzierte Abgeordnete ansprach.

In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Kammer zutreffend, dass unter dem Gesichtspunkt der Machtkritik nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern erlaubt ist (vgl. BVerfG NJW 2022, 680; BVerfG NJW 2022, 1523). Gerichte haben unter dem Aspekt der Machtkritik aber Auslegung und An-wendung des Art. 10 Abs. 2 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu berücksichtigen, der in ständiger Rechtsprechung betont, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikerinnen und Politikern, die bewusst in die Öffentlichkeit treten, weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (vgl. BVerfG NJW 2022, 680 mwN). Dies gilt mithin auch für die Betroffene, deren persönliche Herabwürdigung das Landgericht ebenso gewürdigt hat wie die Tatsache, dass sie als Bundestagsabgeordnete weithin bekannt ist und erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit beansprucht.

cc) Revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Berufungskammer in einer Gesamtbetrachtung die herabwürdigende Äußerung des Angeklagten als einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung betrachtet hat, hinter den der Ehr-schutz der Betroffenen im Ergebnis zurücktritt. Denn die Berufungskammer hat ins-besondere die maßgeblichen tatprägenden Begleitumstände rechtsfehlerfrei festgestellt und in ihrer Abwägung berücksichtigt. Soweit das Landgericht zuletzt darauf verweist, dass die Benutzung des Wortes „es“ auch einen „Bezug zur aktuellen Debatte um die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen“ aufweist (UA S. 11), ist auch diese Wertung ohne Verstoß gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze und allgemeine Auslegungsregeln. Zwar wäre dagegen einzuwenden, dass es die aktuellen Debatten nicht gäbe, wenn das Pronomen „es“ geschlechtliche Identitäten hinreichend abbilden würde, und erkennt auch die Berufungskammer an, dass der Angeklagte mit „es“ gerade kein (gängigeres) geschlechtsneutrales Pronomen verwendet hat. Allerdings ist die sprachliche Entwicklung hinsichtlich verschiedener geschlechtlicher Identitäten weder in Bezug auf die Selbstbezeichnung noch in Bezug auf die Fremdbezeichnung bisher abgeschlossen. Die Würdigung des Landgerichts hält daher revisionsrechtlicher Prüfung stand.“

Ich weiß, war viel Text. Ist aber ja meist so bei diesen Verfahren.

StGB II: Richterbeleidigung durch Freislervergleich?, oder: Meinungsfreiheit?

entnommen wikidmedia.org
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Im zweiten Beitrag geht es um einen Beschluss des AG Brühl. Das hat die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen Rechtsanwalt abgelehnt, Der war wegen Beleidigung eines Richters (§ 185 StGB) angeklagt. Es hat in einem zivilrechtlichen Verfahren Streit um die Höhe des Streitwertes gegeben.

Der Richter hatte den Streitwert heruntergesetzt. Darauf hatte der Rechtsanwalt mit einem Schriftsatz reagiert, in dem es hieß – so die Anklage:

„Der Angeschuldigte übersandte am 28.04.2023 per beA einen Schriftsatz an das Landgericht pp., Az: pp..

In diesem Schriftsatz führte er auf der ersten Seite aus:

„Wahrscheinlich hat Herr pp. auch seine netten Seiten, und nur Schwierigkeiten damit, sie zu zeigen, da aus dem kollektiven Unbewusstsein der deutschen Richterschaft hier und da „dunkle Momente“ in ihm durchbrechen, eine Art „Schatten“:

Auf der Folgeseite platzierte der Angeschuldigte zwei Schwarz-Weiß-Photos des Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler, sitzend, in Richterrobe, neben denen er zwei Textfelder wie Sprechblasen positionierte.

lm ersten Textfeld schrieb er

„Es gibt hier immer wieder sog. Anwälte, die meinen, sich mit dem RVG wegen PKH an der deutschen Staatskasse bereichern zu können.“

lm zweiten Textfeld schrieb er

„Die Schlange des Bolschewismus lauert überall.

Meine Ermittlungen haben ergeben, was sich hinter RVG und PKH tatsächlich verbirgt:

RechtsVerhinderungsGesinnung und

ProzessKommunismusHeuchelei.

Das internationale Finanzanwaltstum sabotiert darüber lediglich die Rechtsfindung.“

Auf der dritten und letzten Seite seines Schriftsatzes warum wiederum zwei Lichtbilder platziert.

Bei dem ersten Lichtbild ist der vorgenannte Freisler in Uniform stehen offensichtlich bei einer Tischrede zu sehen. ln dem neben seinem Kopf befindlichen Textfeld schrieb der Angeschuldigte

„Daher frage ich euch:

Wollt ihr den totalen Rechtsstaat? Wollt ihr ihn, wenn notwendig, totaler und radikaler, als ihr ihn euch heute auch nur vorstellen könnt? Seid ihr für die Abschaffung von RVG und PKH?“

Neben die Köpfe der weiteren auf dem Bild sichtbaren Personen platzierte der An geschuldigte als Denkblasen erkenntliche Textfelder.

ln dem einen schrieb er

„Nehmt ihnen alles. Lasst den Anwälten nur noch hineinweinen können.“

ln einem weiteren schrieb er:

„Anwälte… Volksschädlinge“

und direkt daneben in einem weiteren ein Taschentuch, in das sie

„Ja.Ja.“

Auf dem zweiten Lichtbild ist wiederum der vorgenannte Freisler in Richterrobe sitzend zu sehen.

Über seinem Kopf befindet sich eine Denkblase mit dem Text

„Wenn man ihnen nicht mehr als 800kcal/d gibt, verschwindet das Anwaltsproblem von alleine.“

Rechts vom Kopf des Freisler befindet sich ein weiteres Textfeld mit dem lnhalt

„Streitwert?

Nicht mehr als 6.000 €. Alles andere erschiene völlig willkürlich.“

Die letzte Seite des Schriftsatzes ist rechts unten mit Name und Berufsbezeichnung des Angeschuldigten versehen.“

Der Angeschuldigte beabsichtigte mit diesem Schriftsatz, den Zeugen pp., der als Vorsitzender Richter am Landgericht pp. mit dem unter dem o.g. Aktenzeichen geführten Rechtsstreit befasst war, durch den Vergleich mit dem als lnbegriff des nationalsozialistischen „Blutrichters“ geltenden Freisler in dem ihm zustehenden Ehranspruch herabzusetzen.

Vergehen der Beleidigung nach §§ 185, 194 StGB

Das AG hat im AG Brühl, Beschl. v. 27.02.2024 – 51 Ds-74 Js 273/23-280/23 – die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt:

„Nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens erscheint der Angeschuldigte einer Straftat nicht hinreichend verdächtig. Hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung wahrscheinlich ist.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die sich aus der Anklageschrift vom 20.10.2023 ergebenen Äußerungen des Angeschuldigten, die er auch nach eigener Einlassung im Rahmen eines zivilgerichtlichen Verfahrens schriftsätzlich vor dem pp. getätigt hat, erfüllen nicht den Straftatbestand des § 185 StGB, da diese nach § 193 StGB noch gerechtfertigt sind.

Die gegenständlichen Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Sie sind durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt und deshalb als Werturteil anzusehen. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Äußerung entzieht diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 — 1 BvR 1476/91 —, BVerfGE 93, 266-319).

Art. 5 Abs. 2 GG gewährt das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Vorschrift des § 185 StGB gehört. Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so ist daher grundsätzlich eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht, vorzunehmen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juni 2019 —1 BvR 2433/17 —, Rn. 17, juris). Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 — 1 BvR 1476/91. —, BVerfGE 93, 266-319). Dies gilt insbesondere auch für die Kritik an richterlichen Entscheidungen. Im Rahmen einer Gesamtabwägung muss berücksichtigt werden, dass ein Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten ist, überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim „Kampf um das Recht“ auszuhalten (so auch OLG München, Beschluss vom 31. Mai 2017 — 5 OLG 13 Ss 81/17 —, Rn. 12, juris).

Eine Abwägung findet nur dann nicht statt, wenn die herabsetzende Äußerung eine Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Merkmal der Schmähung ist die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Von ihr ist lediglich dann auszugehen, wenn sich der ehrbeeinträchtigende Gehalt der Äußerung von vorneherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes bewegt (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juni 2019 —1 BvR 2433/17 —, Rn. 18, juris).

Von einer reinen Schmähkritik ist bei Anlegung dieser Maßstäbe für den Streitfall nicht auszugehen. Die gegenüber dem Vorsitzenden Richter am Landgericht pp. getätigten Äußerungen stehen thematisch in Zusammenhang mit einem (vorläufigen) Streitwertbeschluss der Kammer vom 27.01.2023, der wiederum im zeitlichen Zusammenhang mit einer Kostenfestsetzung für die PKH-Vergütung stand. Die bildliche Darstellung samt textlicher Begleitung setzt sich thematisch in polemischer und überspitzter Weise mit der rechtsanwaltlichen Vergütung im Rahmen von gerichtlichen Prozessen, insbesondere in Zusammenhang mit Prozesskostenhilfe auseinander, wobei Bezug zu nationalsozialistischem Gedankengut hergestellt wird.

Sodann nimmt der Angeschuldigte auf Seite 3 des streitgegenständlichen Schriftsatzes Bezug auf die konkrete Streitwertentscheidung. Es erfolgt also eine Auseinandersetzung mit der Sache, sodass die Diffamierung der Person nicht im Vordergrund steht. Die Äußerungen und bildlichen Darstellungen entbehren insofern nicht jedwedem sachlichen Bezug.

Im Rahmen der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und der persönlichen Ehre sind die Äußerungen und bildlichen Darstellungen noch gemäß § 193 StGB gerechtfertigt.

Der Angeschuldigte vergleicht die Streitwertentscheidung der Kammer, wobei er seine „Kritik“ an der nach seiner Meinung niedrigem Streitwertfestsetzung hauptsächlich gegenüber dem Vorsitzenden äußert, mit dem Vorgehen von Roland Freisler während der NS-Zeit. Dabei lässt die gesamte Darstellung jedoch nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Angeschuldigte unterstelle dem Richter eine nationalsozialistische Gesinnung.. Im Vordergrund steht der Vorwurf der vermeintlichen Fehlerhaftigkeit und Willkür der gerichtlichen Entscheidung, dem durch den Vergleich mit der Person Freislers in seiner Funktion als Richter während der nationalsozialistischen Willkürherrschaft, Ausdruck verliehen werden sollte.

Die Darstellung als Comic lässt den Schluss zu, dass wie es der Angeschuldigte behauptet, eine satirische Auseinandersetzung mit der gerichtlichen Streitwertentwicklung im gesamten Verfahren, erfolgen sollte.

Die Äußerungen des Angeschuldigten erfolgten im Rahmen eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens, dem ein selbstständiges Beweisverfahren vorausging, bereits einige Jahre andauerte und das Thema Streitwert und die Vergütungsfestsetzung schon mehrfach Streitpunkt war. Die Entscheidung über den Streitwert betrifft den Rechtsanwalt außerdem jedenfalls mittelbar persönlich im Rahmen der Vergütung, was für diesen gerade in langjährigen Verfahren von Bedeutung ist.

Die streitgegenständlichen Darstellungen erfolgten außerdem ausschließlich schriftlich im Rahmen des zivilgerichtlichen Verfahrens, ohne dass sie anderen, nicht am Verfahren beteiligten Personen zur Kenntnis gelangen konnten.

Der Schutz der persönlichen Ehre tritt daher in diesem Fall aufgrund der Umstände nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen noch hinter der Meinungsfreiheit zurück.“

Mal unabhängig von der Frage, ob das nun wirklich noch von der Rechtsprechung des BVerfG und der OLG gedeckt ist: Ich habe den Kollegen, der mir den Beschluss geschickt hat, gefragt, was man eigentlich mit solchen Schriftsätzen erreicht? M.E. nichts. Und bei allem Verständnis über die Verärgerung über das richterliche Vorgehen, ich würde es lassen. Es bringt nichts – schon gar nicht für den Mandanten und für einen selbst nur Ärger und kostet Nerven. Der Kollege hat es anders gesehen. Nun ja, das ist sein gutes Recht.

Ich bin gespannt, ob die Angelegenheit mit der Nichteröffnung erledigt ist. Wahrscheinlich nicht.

StGB II: „Ich mache Euch fertig, Ihr Schlampen“, oder: Keine Meinungsäußerung, sondern Formalbeleidigung,

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt auch aus dem Komplex „Äußerungsdelikte“. Und zwar hat das BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 06.11.2023 – 202 StRR 80/23 – zur Strafbarkeit der Bezeichnung einer Frau als „Schlampe“ als Beleidigung Stellung genommen.

Der Angeklagte ist vom AG/LG wegen Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Berufungskammer hatte dazu  im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„Der vielfach vorbestrafte Angeklagte war bis Ende März 2022 mit der Mutter der Verletzten liiert. Weil die Mutter dem Angeklagten nach der Trennung für einen Antrag beim Arbeitsamt benötigte Unterlagen nicht zur Verfügung stellte, wollte der Angeklagte diese unter Druck setzen und zur Herausgabe der Unterlagen bewegen. Zu diesem Zweck veröffentlichte er auf Facebook eine Fotocollage verschiedener von der Verletzten gefertigter Torten und bewarb den Verkauf von Torten, wobei er deren Namen nannte. Nachdem die Verletzte am 04.04.2022 gegen 9.00 Uhr in einem Telefonat von dem Angeklagten verlangt hatte, den Beitrag bei Facebook zu löschen, äußerte der Angeklagte ihr gegenüber: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen!“.

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„2. Der Schuldspruch wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB hält im Ergebnis der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts weist keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere wird diese den gesteigerten Anforderungen bei einer hier gegebenen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation noch hinreichend gerecht (vgl. hierzu nur BayObLG, Beschl. v. 12.07.2021 – 202 StRR 76/21 = OLGSt StPO § 261 Nr 31 m.w.N.). Soweit der Beschwerdeführer auf eine Beweisaufnahme in der Revisionsinstanz drängt, verkennt er das Wesen der Revision, die darauf gerichtet ist, das angefochtene Urteil auf Rechtsfehler zu überprüfen (§ 337 Abs. 1 StPO), sodass eine Beweisaufnahme, die allein dem Tatrichter obliegt, durch das Revisionsgericht von vornherein nicht in Betracht kommt.

b) Im Ergebnis zu Recht ist die Berufungskammer von der Erfüllung des Beleidigungstatbestands nach § 185 Var. 1 StGB ausgegangen.

aa) Die Bezeichnung der Gesprächspartnerin durch den Angeklagten als „Schlampe“ stellt zweifelsfrei durch die darin zum Ausdruck gekommene Missachtung einen Angriff auf die persönliche Ehre der Verletzten dar.

bb) Zwar ist es rechtsfehlerhaft, soweit das Berufungsgericht lapidar ausführt, es seien „keinerlei“ Anhaltspunkte für das Vorliegen berechtigter Interessen des Angeklagten ersichtlich. Denn das Landgericht hat dabei außer Acht gelassen, dass die Äußerung selbstverständlich am Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen ist. Indessen beruht das Urteil nicht auf diesem Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 1 StGB, weil die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter das Recht der Verletzten auf Achtung ihrer persönlichen Ehre wegen der Besonderheiten des Tatgeschehens zurücktritt.

(1) Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB regelmäßig auf der Grundlage der konkreten Umstände einer Äußerung und ihrer Bedeutung eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur in Ausnahmefällen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. – jeweils – v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 = NJW 2020, 2622 = EuGRZ 2020, 589; 1 BvR 2459/19 = NJW 2020, 2629; 1 BvR 1094/19 = NJW 2020, 2631 = EuGRZ 2020, 595; 1 BvR 362/18 = NJW 2020, 2636 = DVBl 2020, 1279; vgl. hierzu auch BayObLG, Beschl. v. 04.07.2022 – 202 StRR 61/22 = NJW 2022, 3236 m.w.N.).

(2) Die inkriminierte Äußerung des Angeklagten ist nach den vom Tatgericht getroffenen Feststellungen sowohl als Schmähkritik als auch als Formalbeleidigung einzustufen, was eine Abwägung der gegenseitigen Rechte des Angeklagten einerseits und der Verletzten andererseits entbehrlich macht.

(a) Allerdings rechtfertigt nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts selbst eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik noch nicht die Einschätzung als Schmähung (BVerfG, Beschl. v. 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 = StV 2022, 380 = NJW 2022, 1523 = NVwZ-RR 2022, 441 = BeckRS 2022, 6210). Eine solche ist erst dann anzunehmen, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (BVerfG, Beschl. – jeweils – v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19; 1 BvR 1094/19; 1 BvR 362/18 [a.a.O.]; BayObLG a.a.O.). Dies war hier indes der Fall. Der Beschimpfung ging ein Anruf der Verletzten voraus, die den Angeklagten aufforderte, die Veröffentlichung ihres Namens im Internet zu löschen. Auf dieses Verlangen reagierte der Angeklagte mit den Worten: „Ich mach euch fertig, ihr Schlampen“, ohne dass auch nur im Ansatz der an ihn herangetragene Wunsch bei verständiger Würdigung einen Anlass bieten würde, mit einer derartigen Verunglimpfung zu reagieren. Ein Sachzusammenhang zwischen der Titulierung als „Schlampe“, die in gewissen Kreisen verwendet wird gegenüber einer Person, der in sexual-ethischer Hinsicht tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen nachgesagt werden oder deren Lebensführung nicht den von der Gesellschaft an Minimalanforderungen gestellten sozial-adäquaten Verhaltens gerecht wird, und deren vorher geäußerten Anliegen bestand nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht. Eine Auseinandersetzung in der Sache ist in der Verbalinjurie in Anbetracht des von der Verletzten vorher geäußerten Anliegens nicht zu finden. Es ging dem Angeklagten ersichtlich nur darum, seiner Gesprächspartnerin und deren Mutter, mit der er vorher liiert war, mit der Bezeichnung den persönlichen Achtungsanspruch, der jeder Person kraft ihres Menschseins zukommt, von vornherein abzusprechen. Ihm kam es ersichtlich allein darauf an, seine Gesprächspartnerin „niederzumachen“ (vgl. hierzu BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 = NJW 2019, 2600 = NStZ-RR 2019, 277 = K&R 2019, 582 = EuGRZ 2019, 431 = MMR 2019, 668 = BayVBl 2019, 742 = JR 2020, 28 = DVBl 2020, 43 = BeckRS 2019, 15126; 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20 = StV 2022, 380 = NJW 2022, 1523 = NVwZ-RR 2022, 441 = BeckRS 2022, 6210).

(b) Überdies ist die inkriminierte Äußerung auch als Formalbeleidigung zu werten. Hiervon ist bei der Verwendung besonders krasser, aus sich heraus herabwürdigender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – auszugehen, bei denen die gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit dazu führt, dass sie in aller Regel von vornherein nicht dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit unterliegt (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 [a.a.O.]; BVerfGE 82, 43, 51 = NJW 1990, 1980; BVerfGE 93, 266, 294 = NJW 1995, 3303; BVerfG, Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 [a.a.O.]; BayObLG a.a.O.). Die Bezeichnung einer Gesprächspartnerin als „Schlampe“ erfüllt diese Anforderungen, zumal – wie bereits dargelegt – nicht ansatzweise eine Konnexität zwischen dem vorangegangenen Verhalten der Verletzten und deren Verunglimpfung durch den Angeklagten bestand.

(3) Ungeachtet dessen tritt aber selbst bei Vornahme einer Abwägung der widerstreitenden Interessen die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles hinter den Schutz der persönlichen Ehre der Verletzten zurück. Zwar spricht einerseits zugunsten des Angeklagten, dass die Äußerung anlässlich eines Telefonats mit der Verletzten gefallen ist, sodass keine Wahrnehmung durch Dritte erfolgte und deshalb der Integritätsangriff keine erhebliche Wirkung entfalten konnte (vgl. hierzu BayObLG a.a.O.). Auch handelte es sich um eine spontane Entgleisung des Angeklagten, der aufgrund der vorangegangenen Trennung von der Mutter der Verletzten offensichtlich aufgebracht war. Dagegen ist andererseits auf Seiten der Verletzten aber zu berücksichtigen, dass es bei dem Gespräch nicht etwa um eine die Öffentlichkeit berührende Angelegenheit oder dergleichen ging, bei welcher der Meinungsäußerungsfreiheit ein besonderes Gewicht zukäme. Vielmehr handelt es sich um eine reine Privatfehde, bei der es dem Angeklagten darauf ankam, seine Gesprächspartnerin, deren Verhalten nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht im Geringsten einen Anlass für die Äußerung des Angeklagten geboten hat, ohne jeden Kontext zu der vorangegangenen Unterhaltung in übler Art zu beschimpfen. Bei einer wertenden Gegenüberstellung und Abwägung der genannten Gesichtspunkte hat aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter das Persönlichkeitsrecht des Verletzten zurückzutreten, sodass sein Verhalten nicht nach § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerechtfertigt ist…..“