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Der BGH und die „Selbstanzeige“ des RiBGH M.

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Die Vorschrift des § 30 StPO dürfte bekannt sein – eine besondere Form der „Selbstanzeige“ 🙂 . Ob sie in der Praxis eine große Rolle spielt, weiß ich nicht. Mir ist sie im Laufe meiner richterlichen Tätigkeit nur zwei- oder dreimal begegnet. Sie hat aber jetzt in einem beim BGh anhängigen Revisionsverfahren eine Rolle gespielt. Da hatte der RiBGH M. in einem Verfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat u.a. eine Erklärung nach § 30 StPO abgegeben. Er hat „Umstände angezeigt, die aus seiner Sicht geeignet seien, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit – zu Gunsten des Angeklagten – zu rechtfertigen. Zur Begründung hat er auf sein Interesse an chemischen und physikalischen Fragen sowie dem Islam einschließlich theologischer Erklärungen eines früheren führenden Mitglieds der Al Qaida hingewiesen und dies jeweils näher ausgeführt.“

Mit der „Selbstanzeige“ setzt sich dann der BGH im BGH, Beschl. v. 04.02.2014 – 3 StR 243/13 – auseinander und lässt sich durchgreifen:

2. Die Selbstanzeige wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 2 StPO) ist begründet. Richter am Bundesgerichtshof M. ist aufgrund der von ihm angezeigten Umstände gehindert, das Richteramt im vorliegenden Verfahren auszuüben.

a) Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein am Verfahren Be-teiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvor-eingenommenheit eines Richters zu zweifeln. Die Äußerung von Rechtsansichten durch einen Richter – etwa in einem Fachkommentar, einem wissenschaftli-chen Vortrag oder einer gutachterlichen Äußerung – vermag regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen; denn von einem Richter wird von jeher zu Recht erwartet, dass er auch dann unvoreingenommen an die Be-urteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über eine entschei-dungserhebliche Rechtsfrage ein Urteil gebildet hat (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Be-schlüsse vom 21. Juni 1988 – 2 BvR 602, 974/83, BVerfGE 78, 331, 337 f.; vom 5. April 1990 – 2 BvR 413/88, BVerfGE 82, 30, 38; BSG, Beschluss vom 1. März 1993 – 12 RK 45/92, NJW 1993, 2261, 2262). Anderes gilt aber u.a. dann, wenn die Äußerung des Richters bei verständiger Würdigung die Annahme nahe legt, der Richter sei in dieser Frage bereits endgültig festgelegt (allg. Auffassung; vgl. etwa KK-Scheuten, 7. Aufl., § 24 Rn. 17), ohne dass es darauf ankommt, ob die Rechtsansicht des Richters sich im Ergebnis zu Guns-ten oder zu Lasten des Angeklagten auswirkt. Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung von Inhalt, Form und Rahmen (Ort, Adressatenkreis) der jeweiligen Äu-ßerung sowie dem sachlichen und zeitlichen Bezug zu einem anhängigen Ver-fahren (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 2011 – 2 BvR 1010/10, 1219/10, NJW 2011, 3637, 3639).

b) Nach diesen Maßstäben gibt zwar der von Richter am Bundesge-richtshof M. mitgeteilte tatsächliche Sachverhalt bei objektiver Betrachtung ersichtlich keinen Anlass für Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit. Für die Besorgnis seiner Befangenheit entscheidend ist jedoch, dass er ausgeführt hat, er könne die Vorschrift des § 89a StGB „auch aus persönlichen Gründen“ nur unter bestimmten, von ihm näher dargelegten Voraussetzungen für verfassungsmäßig halten. Er hat damit in einer möglicherweise entscheidungserheblichen, zwischen den Verfahrensbeteiligten und im Schrifttum streitigen, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärten Rechtsfrage in ein-deutiger Weise Stellung bezogen. Der unmissverständliche Inhalt sowie die sonstigen näheren Umstände der in dem konkreten, beim Senat zur Entschei-dung anstehenden Verfahren abgegebenen Stellungnahme – insbesondere der zur Begründung seiner Rechtsansicht mitherangezogene persönliche Hinter-grund – lassen es aus der Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten als naheliegend erscheinen, dass Richter am Bundesgerichtshof M. sich sein Urteil in dieser Sache unabhängig vom weiteren Verfahrensgang, etwa von den Argumenten, die in der Hauptverhandlung von den Verfahrensbeteiligten vorgebracht werden, oder von Inhalt und Ergebnis der Senatsberatung, bereits endgültig gebildet hat. Damit ist aus der Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ein Grund gegeben, der Zweifel an der Unvoreingenommenheit von Richter am Bundesgerichtshof M. begründet.

Das ist der GBA wohl etwas weit gegangen…

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Manchmal sind BGH-Entscheidungen allein deshalb interessant, weil der BGH zu Vorbringen des Verteidgers/Angeklagten in der Revisionsbegründung aber auch des GBA in der Gegenerklärung „kurz und zackig“ Stellung nimmt. So der BGH, Beschl. v. 30.07.2013 – 4 StR 190/13, in dem der BGH „ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts“ „anmerkt“ (eine Formulierung, die einen „aufmerken“ lässt :-)):

„Hinsichtlich der Befangenheitsrüge gegen die Vorsitzende Richterin erscheint fraglich, ob – wie der Generalbundesanwalt meint – ein Angeklagter durch eine Äußerung des Gerichts zum Inhalt einer Beweiserhebung regelmäßig nicht beschwert, sondern begünstigt wird (Antragsschrift des Generalbundesanwalts S. 3 oben). Denn Anlass zur Besorgnis der Befangenheit besteht jedenfalls dann, wenn der Vorsitzende seine Ansicht in Formulierungen kleidet, die den Eindruck erwecken, er habe sich bereits ein für alle Mal festgelegt und verschließe sich endgültig etwaigen Einwendungen gegen die von ihm vorgenommene, nach seiner Meinung allein mögliche Wertung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1984 – 2 StR 525/83, bei Holtz MDR 1984, 797). Davon kann jedoch im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil sich die Vorsitzende – worauf der Generalbundesanwalt des Weiteren zu Recht abstellt  hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin nicht zu Lasten des Angeklagten vorfestgelegt hatte.“

Das war der GBA dem BGH grundsätzlich/im Allgemeinen ein wenig zu weit gegangen.

 

Der Klassiker zu Karneval: Terminierung auf den 11.11. um 11.11 – auf die Minute kommt es nicht an

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Einer der Klassiker aus der Reihe der Entscheidungen, die sich mit Karneval befassen bzw. einen Bezug zu Karneval haben, ist der OLG München, Beschl. v. 10.12.1999 – 26 AR 107/99 (lang, lang ist es her), der auch schon in anderen Blos gelaufen ist (vgl. z.B. hier). Da hatte der Amtsrichter in einer Unterhaltssache auf den 11.11. um 11:11 Uhr terminiert. Das passte der Ehefrau nun gar nicht – wohl nicht aus Termingründen :-). Sie hielt jedenfalls den Amtsrichter für befangen und hat ihn wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Das OLG München hat mit dem OLG München, Beschl. v. 10.12.1999 -26 AR 107/99 – den Befangenheitsantrag zurückgewiesen.Die OLG-Richter sehen die Terminierung als „kleinen Scherz“ – nun wir wollen dem sonst häufig eher strengen OLG nicht widersprechen. Zur Begründung:

„Eine Terminierung auf den 11.11. 11.10 Uhr wäre sicher auch von der Beklagten nicht beanstandet worden. Wenn sich der Richter dann einen kleinen Scherz erlaubt – auch wenn die Beklagte dies nicht so empfindet – und auf 11.11 Uhr terminiert, so ist das für eine vernünftig denkende, gelassene Partei kein Grund, an der Unvoreingenommenheit des Richters in der Sache selbst zu zweifeln. Die Annahme, dass der Richter mit der Terminierung auf 11.11 Uhr die Beklagte veräppeln wollte, ihre Menschenwürde mit Füßen getreten hat und den Streit als närrisch empfindet – wie die Beklagte meint – ist abwegig. Derartige Überempfindlichkeiten können im Ablehnungsverfahren nicht berücksichtigt werden. Etwas Humor, zumindest aber Gelassenheit, kann auch von den Streitparteien einer Familiensache erwartet werden.“

Und nochmal Befangenheit: Die zu frühe Entscheidung

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Nach dem Posting zum KG, Beschl. v. 28.09.2012 – 3 Ws (B) 524/12 – dann sofort noch ein Posting zu einer Ablehnungsfrage. Dieses Mal geht es um die „zu frühe Entscheidung“. Die abgelehnten Richtern hatten über ein früheres, gegen andere Richter gerichtetes Ablehnungsgesuch bereits am 04. 07.2012 entschieden , obgleich dem Angeklagten eine Frist zur Stellungnahme zu dienstlichen Erklärungen bis zum 06. 07. 2012 eingeräumt war. Darauf hat der Angeklagte (s)einen erneuten Ablehnungsantrag gestützt.

Dazu der BGH im BGH, Beschl. v. 18.12.2012 –  2 StR 122/12:

„Das zulässige Ablehnungsgesuch ist unbegründet. Die abgelehnten Richter haben dienstlich erklärt, dass sie versehentlich und in Unkenntnis der noch laufenden Äußerungsfrist entschieden haben. Anhaltspunkte, dass dies nicht zutreffen könnte, sind nicht ersichtlich. Aus der bloßen versehentlichen vorzeitigen Entscheidung ergibt sich für einen vernünftigen Angeklagten kein – Anhaltspunkt dafür, dass die Richter ihm nicht unvoreingenommen gegenüberstehen.“

Bei manchen Landgerichten wird eben zügig entschieden :-).

Frage nie einen Richter, denn es könnte beim BGH Arbeit machen :-)

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Mit der Frage nach einem „wirtschaftsrechtlich erfahrenen Strafverteidiger“, die man an einen richterlichen Kollegen richtet, kann man viel Arbeit machen, zumindest dann, wenn der richterliche Kollege später Richter am BGH wird. Das lässt sich aus insgesamt vier Beschlüssen des 1. Strafsenats des BGH entnehmen, die seit gestern auf der Hompeage des BGH stehen. Hintergrund ist eine an die inzwischen beim BGH tätige Richter Cirener gerichtete Frage mit diesem Inhalt. Die führt dann, was m.E. auch zutreffend ist zur „Selbstanzeige“ nach § 30 StPO und zu den BGH-Beschlüssen (vgl. z.B. hier den BGH, Beschl. v. 24.10.2012 – 1 StR 232/12).

„Richterin am Bundesgerichtshof Cirener hat gemäß § 30 StPO angezeigt, dass sie in der ersten Hälfte des Jahres 2010 von einer Berliner Richterkollegin aus dem zivilrechtlichen Bereich um die Benennung eines auch wirtschaftsrechtlich erfahrenen Strafverteidigers gebeten worden sei. Der Schwiegervater ihrer Freundin sei inhaftierter Beschuldigter in einem großen Wirtschaftsstrafverfahren im Augsburger Gerichtsbezirk. Sie habe daraufhin mehrere ihr bekannte Strafverteidiger genannt, darunter auch Rechtsanwalt Dr. L. , der dann – wie sie im März des Jahres 2012 bei einer Feier von der Schwiegertochter des Angeklagten H. erfahren habe – das Mandat übernommen und die Revisionsbegründungsschrift verfasst habe. Gespräche über die verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe habe sie zu keinem Zeitpunkt geführt; der Angeklagte H. sei ihr nicht bekannt.

Das Verfahren betreffend den Angeklagten H. (1 StR 234/12) steht mit vorliegendem Revisionsverfahren in sachlichem Zusammenhang. Auch die Verfahrensbeteiligten in diesem Verfahren erhielten deshalb rechtliches Gehör. Sowohl der Generalbundesanwalt als auch der Verteidiger Rechtsanwalt J. haben hierauf mitgeteilt, dass aus ihrer Sicht keine Bedenken gegen die Mitwirkung von Richterin am Bundesgerichtshof Cirener bestehen.

Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Der angezeigte Sachverhalt, an dessen Richtigkeit keine Zweifel bestehen, ist nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegen Richterin am Bundesgerichtshof Cirener zu begründen.“

M.E. passt der Beschluss. Allein aus der Frage und der Empfehlung folgt die Besorgnis der Befangenheit nicht. Aber Selbstanzeige ist sicherlich auf der richtige Weg.