Das Umgehen mit Beweisanträgen macht den Tatgerichten immer wieder Schwierigkeiten. Das zeigt sich auch in dem dem BGH, Beschl. v.27.03.2012 – 3 StR 31/12 – zugrunde liegenden Verfahren beim Oldenburg. Da hatte die Verteidigung drei Beweisanträge gestellt, die das LG mit einer sog. Wahrunterstellung zurückgewiesen hatte. Im Urteil hat die Strafkammer dann aber ausgeführt, sie halte die Beweisbehauptungen nach Urteilsberatung nunmehr für „unerheblich“. Aus den diesbezüglichen Darlegungen im Urteil ergab sich dann, dass das LG die Beweistatsachen als aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung gewertet hat.
Die Revision hatte Erfolg. Der BGH führt – zur insoweit ständigen Rechtsprechung – aus:
„a) Nach ständiger Rechtsprechung ist das Tatgericht zwar nicht gehalten, die als wahr unterstellte Tatsache noch im Urteil als bedeutsam anzusehen und sie als solche in die Beweiswürdigung einzustellen; es ist daher nicht gehindert, eine zunächst als wahr unterstellte Behauptung im Urteil als aus tat-sächlichen Gründen bedeutungslos zu behandeln (BGH, Urteile vom 15. Mai 1979 – 5 StR 746/78, NStZ 1981, 96; vom 2. November 1982 – 5 StR 308/82, NStZ 1983, 357; vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 37; Beschlüsse vom 23. Juli 2008 – 5 StR 285/08, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung; vom 24. Februar 9 – 5 StR 605/08, NStZ-RR 2009, 179). Danach soll auch eine Verpflichtung, die Verfahrensbeteiligten vor der Urteilsverkündung auf die geänderte Rechtsauffassung des Gerichts hinzuweisen, grundsätzlich nicht bestehen (aA mit beachtlichen Gründen etwa KK-Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 187; LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 310 jeweils mwN). Auf einen dahingehenden Hin-weis darf jedoch bereits nach der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls dann nicht verzichtet werden, wenn es naheliegt, dass der Angeklagte wegen der Wahrunterstellung davon absieht, Beweisanträge zu einem Thema zu stellen, das mit der als wahr unterstellten Tatsache im Zusammenhang steht und das – im Gegensatz zu dieser Tatsache – für die Entscheidung möglicherweise von Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 18. Februar 1982 – 2 StR 798/81, BGHSt 30, 383, 385).
b) Ein derartiger Fall liegt hier vor. Der die Beweisanträge im Wege der Wahrunterstellung zurückweisende Beschluss enthält – für sich rechtsfehlerfrei (LR/Becker aaO Rn. 305 mwN) – keine nähere Begründung. Hätte die Strafkammer die gestellten Beweisanträge in der Hauptverhandlung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der vorgebrachten Beweistatsachen zurückgewiesen, hätte sie dagegen deren Bedeutung für die Entscheidung in freier Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen gehabt und diese Würdigung im Ablehnungsbeschluss im Einzelnen darlegen müssen (LR/Becker aaO Rn. 225 mwN). Da sie die Änderung ihrer Beurteilung in der Hauptverhandlung nicht offengelegt hat, hat sie entsprechende Ausführungen erst in den schriftlichen Urteilsgründen nachgeschoben. Die Revision legt plausibel dar, dass sich im vorliegenden Fall aufgrund der bestehenden Beweislage und der in Betracht kommenden weiteren Beweisaufnahme bei Kenntnis der in den Urteilsgründen für die Bedeutungslosigkeit der Beweistatsachen angeführten Gründe weitere Verteidigungsmöglichkeiten ergeben hätten. Diese Möglichkeiten – insbesondere, auf zusätzliche, hier nicht fernliegende Beweiserhebungen anzutragen – war der Verteidigung aufgrund des Verfahrensablaufes genommen. Die Verfahrensbeteiligten haben auch aus dem weiteren Geschehen in der Hauptverhandlung nicht schließen können, dass sich die Ansicht der Strafkammer geändert hatte; denn eine weitere Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden und das Tat-gericht ist ausweislich der Urteilsbegründung erst in der Urteilsberatung zu sei-ner neuen Auffassung gelangt. Unter diesen Umständen war eine effektive, die berechtigten Interessen des Angeklagten wahrende Verteidigung nicht möglich.“
In meinen Augen auch ein (Anfänger)fehler, der einer Strafkammer nicht passieren dürfte.