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beA I: Revisionseinlegung über das beA eines anderen Rechtsanwalts, oder: Das reicht nicht, aber: Wiedereinsetzung

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Und dann heute zum Wochenstart mal wieder etwas zum beA/zur elektronischen Übermittlung.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 5 StR 164/23. Nichts wesentlich Neues, aber es ist ja auch mal wichtig, wenn man sieht, dass der BGH frühere Rechtsprechung bestätigt.

Folgender Sachverhalt:

„1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Das Urteil wurde am 12. Dezember 2022 in Anwesenheit des Angeklagten und des für diesen Sitzungstag – anstelle des Pflichtverteidigers Rechtsanwalts A. – beigeordneten Rechtsanwalts W. verkündet. Mit Telefaxschreiben vom 14. Dezember 2022 legte Rechtsanwalt A. Revision gegen das Urteil ein. Diese von ihm unterzeichnete Rechtsmittelschrift wurde zudem am 19. Dezember 2022 über das besondere elektronische Anwaltspostfach der Rechtsanwältin I. als einfach signiertes PDF-Dokument dem Landgericht übermittelt. Beigefügt war eine von der Rechtsanwältin I. unterzeichnete Erklärung, wonach die Übermittlung des Schriftstücks „im Rahmen der Urlaubsvertretung […] für den Kollegen Rechtsanwalt A. “ vorgenommen werde. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift vom 24. April 2023 einen Antrag auf Verwerfung der Revision (§ 349 Abs. 1 StPO) gestellt, weil diese nicht formgerecht gemäß § 341 Abs. 1 Alt. 2 iVm § 32a Abs. 4 Nr. 2, § 32d StPO eingelegt worden sei.

Mit dem über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) am 25. Mai 2023 übermittelten Schriftsatz hat Rechtsanwalt A. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich Revision gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 12. Dezember 2022 eingelegt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages trägt er unter anderem vor, aufgrund einer Infektion mit dem Coronavirus nach Urlaubsrückkehr nicht in der Lage gewesen zu sein, innerhalb der Einlegungsfrist die Revisionsschrift von seiner Kanzlei aus per beA zu übermitteln. Deshalb habe ein Familienmitglied das Originalschriftstück seiner Vertreterin Rechtsanwältin I. übergeben, die es für ihn übermittelt habe. Der Mangelhaftigkeit dieser Art der Revisionseinlegung sei er sich nicht bewusst gewesen. Dies sei erst am 20. Mai 2023 durch Übersendung einer Abschrift des Antrags des Generalbundesanwalts zur Kenntnis gebracht worden. Dem Angeklagten seien die Fehler bei Einlegung der Revision nicht zuzurechnen.“

Der BGH hat Wiedereinsetzung gewährt:

„2. Dem Angeklagten ist auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 12. Dezember 2022 zu gewähren (§ 45 StPO).

a) Der Angeklagte hat die Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) versäumt. Nach § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 2 StR 110/22 mwN). Diesen Anforderungen entspricht weder die am 14. Dezember 2022 per Telefax eingereichte Revisionsschrift (BGH aaO) noch die Übermittlung der einfach signierten (unterschriebenen) Rechtsmittelschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach der Rechtsanwältin I. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei dieser um die gegenüber der Rechtsanwaltskammer benannte allgemeine Vertreterin des Rechtsanwalts A. gehandelt hat. Eine eigene Erklärung hat die Rechtsanwältin ausweislich des von ihr verfassten Begleitschreibens nicht abgegeben, sondern lediglich die Rechtsmittelschrift des Rechtsanwalts A. übermittelt. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass die Rechtsanwältin für die Revisionsschrift (Mit-)Verantwortung (§ 54 Abs. 1 Satz 2 BRAO) übernehmen wollte (z.B. durch eigene Unterschrift, vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 3 StR 89/22 Rn. 10). Die bloße Übermittlung der von Rechtsanwalt A. einfach signierten Schrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach eines anderen Rechtsanwalts konnte die erforderliche Form dagegen nicht wahren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2023 – 6 StR 466/22 Rn. 4; vom 18. Oktober 2022 – 3 StR 262/22; vom 3. Mai 2022 – 3 StR 89/22 Rn. 11 mwN).

b) An dieser Fristsäumnis traf den Angeklagten, wie sein Verteidiger fristgerecht vorgetragen und glaubhaft gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO), allerdings kein Verschulden. Es ist allein auf Anwaltsverschulden zurückzuführen, dass die Revision nicht formgerecht und mithin nicht wirksam eingelegt wurde.

c) Die versäumte Handlung hat der Verteidiger frist- und formwirksam nachgeholt (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die innerhalb der Wochenfrist nach § 45 Abs. 1 StPO eingelegte Revision erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse der § 32a, § 32d Satz 2 StPO.“

beA I: Fristverlängerungsbitte rechtzeitig bei der Akte?, oder: Ausreichende Glaubhaftmachung?

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Im Kessel Buntes heute dann mal wieder zwei „beA-Entscheidungen“ des BGH.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 30.03.2023 – III ZB 13/22 – zur Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Eingangs eines nicht zu den Gerichtsakten gelangten Fristverlängerungsantrags betreffend die Berufungsbegründungsfrist bei Nutzung des beA.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat eine Zahlungsklage der Klägerin, die einen Online-Zahlungsdienst betreibt, abgewiesen. Das klageabweisende Urteil des AG wurde dem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigen der Klägerin am 15.12.2020 zugestellt. Dieser legte am 14.01.2021 Berufung ein, die er mit am 15.03.2021 beim LG eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage begründete.

Das LG wies dann darauf hin, dass die Berufung nach Aktenlage nicht fristgerecht begründet worden sei. Mit Stellungnahme vom 13.12.2021 legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen – allerdings einen anderen Rechtsstreit gegen den Beklagten betreffenden – Fristverlängerungsantrag vom 15.022021 vor und beantragte, der Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dazu versicherte er anwaltlich, er habe die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bereits mit Schriftsatz vom 15.02.2021 beantragt. Diesen habe er eigenhändig am Computer geschrieben, noch am selben Tage über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versandt und „wie stets … den Zugang bei Gericht laut dem beA-System als ‚erfolgreich‘ zur Kenntnis genommen“. „Anderenfalls wäre das Schreiben … wiederholt an das Gericht per beA … gesandt worden, bis der erfolgreiche Zugang bestätigt wird, was im vorliegenden Fall nicht notwendig war“. Alle das vorliegende Berufungsverfahren betreffenden Fristen seien „wie stets“ ordnungsgemäß in der Kanzleisoftware beziehungsweise im elektronisch geführten Fristenkalender erfasst und von ihm persönlich geprüft worden. Allerdings sei infolge des Zeitablaufs von etwa elf Monaten nunmehr durch die automatische Löschung der Zugangsbestätigung nach § 27 der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV) eine Beweisnot für den erfolgreichen Zugang des am 15.02.2021 per beA versandten Fristverlängerungsantrags entstanden. Er, der Prozessbevollmächtigte, sei von einer stillschweigenden Verlängerung der Begründungsfrist ausgegangen.

Das LG hat die Berufung der Klägerin unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte beim BGH keinen Erfolg:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nach § 577 Abs. 3 ZPO unbegründet, da sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Berufung der Klägerin unter gleichzeitiger Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.

a) Die Berufung der Klägerin ist mit dem am 15. März 2021 eingegangenen Schriftsatz – der keine Bezugnahme auf eine gewährte Fristverlängerung enthält – verspätet begründet worden. Denn die mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils beginnende zweimonatige Begründungsfrist ist bereits zuvor am 15. Februar 2021 abgelaufen (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und ausweislich des Akteninhalts nicht verlängert worden. Allein aus dem Umstand, dass der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 16. April 2021 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hat, kann nicht geschlossen werden, dass er damit auch die Berufungsbegründungsfrist stillschweigend verlängert hat, zumal ein (rechtzeitiger) Fristverlängerungsantrag der Klägerin überhaupt nicht zur Akte gelangt ist.

b) Der Klägerin ist wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO zu gewähren. Denn sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass der behauptete Fristverlängerungsantrag am 15. Februar 2021 tatsächlich bei Gericht eingegangen ist oder ihr Prozessbevollmächtigter davon zumindest mit Recht überzeugt sein durfte. Es fehlt somit an der Voraussetzung, dass die Klägerin ohne Verschulden (ihres Prozessbevollmächtigten, § 85 Abs. 2 ZPO) verhindert war, die Frist einzuhalten.

aa) Nach § 130a Abs. 5 Satz 1 und 2 ZPO ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist, wobei dem Absender eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen ist. Danach ist ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument bei Gericht eingegangen, sobald es auf dem für dieses eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert ist, wobei unerheblich ist, ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – VI ZB 25/20, juris Rn. 8; vom 29. September 2021 – VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 9 und vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20, juris Rn. 18). Die Eingangsbestätigung, die der Justizserver bei ordnungsgemäßem Zugang der Nachricht automatisch generiert, soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Zutun von Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2022 – XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715 Rn. 7 und vom 24. Mai 2022 – XI ZB 18/21, juris Rn. 11). Sie wird durch das beA-System in die gesendete Nachricht eingebettet und kann nach deren Öffnen vom Absender in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung auf dem Computerbildschirm anhand des Meldetextes „Request executed“, dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus „Erfolgreich“ optisch wahrgenommen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Mai 2022, aaO Rn. 12; vom 8. März 2022, aaO Rn. 13 und vom 11. Mai 2021, aaO Rn. 33; BRAK, beA-Newsletter 31/2019, „Wo findet man Eingangsbestätigung, Prüf- und Übermittlungsprotokoll?“, abrufbar über das beA-Newsletter Archiv unter https://www.brak.de/bea-newsletter/).

Abgesehen von der Möglichkeit, diese Bildschirmansicht durch einen sogenannten Screenshot festzuhalten, ist die Eingangsbestätigung ebenfalls in der Druckansicht der Nachricht dargestellt, so dass sie zusammen mit dieser ausgedruckt und zu einer papiergeführten Handakte des Rechtsanwalts genommen werden kann. Schließlich kann die Nachricht mit der Eingangsbestätigung auch elektronisch aus dem beA-System exportiert werden, wodurch die Informationen über Absender, Empfänger, übermitteltes Dokument sowie Versand- und Zugangszeitpunkt dauerhaft gespeichert werden können. Mit der Export-Datei lässt sich der vollständige und rechtzeitige Zugang von Nachrichten auf der Empfangseinrichtung des Gerichts auch dann noch sicher nachweisen, wenn – wie mittlerweile hier – die Nachricht im beA des Rechtsanwalts bereits gelöscht sein sollte. Sie repräsentiert die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO und kann im Bedarfsfall dem Gericht vorgelegt werden (vgl. dazu https://portal.beasupport.de/neuigkeiten/nachweis-ueber-den-zugang-von-nachrichten-bei-gerichten-stellungnahme-der-brak und BRAK, beA-Newsletter 31/2019, aaO).

bb) Die anwaltliche Sorgfalt erfordert es, beim Versand von fristgebundenen Schriftsätzen per beA im Rahmen der Überprüfung ihrer ordnungsgemäßen Übermittlung zu kontrollieren, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist, was der Pflicht des Rechtsanwalts zur Kontrolle des Telefax-Sendeprotokolls beim Versand von Schriftsätzen per Telefax entspricht. Hat der Rechtsanwalt eine automatisierte Eingangsbestätigung erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich gewesen ist. Bleibt sie aus, muss ihn dies zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2022, aaO Rn. 7; vom 29. September 2021, aaO Rn. 12; vom 11. Mai 2021, aaO Rn. 21 ff, BAGE 167, 221 Rn. 19 f).

cc) Aus der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergibt sich nicht, dass in der Eingangsbestätigung in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung als Meldetext „Request executed“ und als Übermittlungsstatus „Erfolgreich“ angezeigt wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2022, aaO Rn. 8).

Seine Erklärung, er habe „wie stets … den Zugang bei Gericht laut dem beA-System als ‚erfolgreich‘ zur Kenntnis genommen“, ist in Bezug auf das, was er auf dem Computerbildschirm wahrgenommen haben will, inhaltlich vage und unsubstantiiert. Denn er hat weder konkret behauptet, dass sich das angeblich angezeigte „Erfolgreich“ auf den Übermittlungsstatus bezogen habe, noch geltend gemacht, darüber hinaus den Meldetext „Request executed“ und ein bestimmtes Eingangsdatum in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung gesehen zu haben. Nach dem Inhalt seiner anwaltlichen Versicherung ist daher bereits unklar, ob er die gesendete Nachricht überhaupt geöffnet und sodann die in diese eingebettete Eingangsbestätigung optisch auf dem Computerbildschirm wahrgenommen hat. Auch das übrige Wiedereinsetzungsvorbringen enthält keinen hinreichend detaillierten Tatsachenvortrag, der aber im Hinblick auf die dargestellte komplexe Funktionsweise des beA-Systems geboten gewesen wäre. Die vage Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, er habe „den Zugang bei Gericht laut dem beA-System als ‚erfolgreich‘ zur Kenntnis genommen“, ist daher zur Glaubhaftmachung des Eingangs des Fristverlängerungsantrags ungenügend.

dd) Da das Wiedereinsetzungsgesuch schon aus diesem Grund zurückzuweisen ist, kann dahinstehen, ob ein der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO darin zu sehen wäre, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach seinem eigenen Vorbringen nicht durch Nutzung der ihm insoweit zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten (elektronischer Export, Ausdrucken oder Screenshot) dafür gesorgt hat, dass die angeblich von ihm optisch wahrgenommene Eingangsbestätigung dauerhaft auch für Dritte lesbar erhalten bleibt.“

beA I: Fristversäumung wegen Computerausfall, oder: Anforderungen an die Glaubhaftmachung

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Heute ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. Und an dem stelle ich zwei weitere Entscheidungen zumbeA bzw. zum elektronischen Dokument vor.

Zunächst kommt hier der BGH, Beschl. v. 01.03.2023 – XII ZB 228/22 – zur Frage der Wiedereinsetzung in den Fällen eines unverschuldeten Computerausfalls. Folgender Sachevrhalt:

Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren, in dem vom Antragsgegner Zahlung von Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht wegen geleisteter Unterhaltsvorschusszahlungen gefordert  worden ist. Das AG hat den Antragsgegner zur Zahlung verpflichtet. Gegen den ihm am 25.10.2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner form- und fristgemäß Beschwerde eingelegt.

Der Familiensenat beim OLG Rostock hat dann die Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum 27.01.2022 verlängert. Die Begründung ist dann allerdings erst am 28.01.2022 um 0.03 Uhr per beA eingegangen. Nachdem das OLG auf die mögliche Fristversäumung hingewiesen hatte, wird ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Der wird damit begründet, dass der Prozeßbevollmächtigte des Antragsgegners den Schriftsatz zunächst auf einem älteren PC der Kanzlei erstellt habe. Um 23.50 Uhr habe er die Begründung dann auf seinem Laptop signieren und über das beA an das Gericht übermitteln wollen. Dabei sei es zwischen 23.54 Uhr und 23.58 Uhr zu einem Ausfall des Notebooks gekommen, der durch einen Neustart behoben werden konnte. Der IT-Fachmann der Kanzlei habe später ermittelt, dass das Gerät bereits ab 23.20 Uhr Fehlermeldungen aufgezeichnet habe, die mit dem Neustart um 23.54 Uhr geendet hätten. Den Hintergrund hierfür habe man nicht klären können.

Das OLG Rostock hat Wiedereinsetzung abgelehnt. Der BGH hat das bestätigt:

„“a) Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zu Recht gemäß §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Antragsgegner diese nicht innerhalb der bis zum 27. Januar 2022 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet hat.

b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde abgelehnt.

aa) Nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten ist dem Beteiligten zuzurechnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO). Der Verfahrensbeteiligte muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 ZPO). Dabei verlangt ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt” oder „Computer-Absturz” gestützter Wiedereinsetzungsantrag nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (vgl. BGH Beschluss vom 17. Mai 2004 – II ZB 22/03NJW 2004, 2525, 2526). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war (vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2011 – XII ZB 701/10NJW 2011, 1972 Rn. 8 mwN).

bb) Gemessen hieran ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Antragsgegner habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sein Verfahrensbevollmächtigter die Fristversäumung nicht verschuldet hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Zwar stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare Störungen einer EDV-Anlage einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn sie das rechtzeitige Erstellen oder Absenden eines Schriftsatzes verhindern (BGH Beschlüsse vom 22. November 2017 – VII ZB 67/15FamRZ 2018, 281 Rn. 23 und vom 12. Februar 2015 – V ZB 75/13NJW-RR 2015, 1196 Rn. 10 mwN). Nach dem vom Antragsgegner zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags gehaltenen Vortrag besteht jedoch im vorliegenden Fall nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21FamRZ 2022, 647 Rn. 11 mwN) dafür, dass der Computerdefekt auf einem unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software beruhte.

Der Antragsgegner räumt in seinem Wiedereinsetzungsantrag selbst ein, dass der Grund für die Funktionsstörung des verwendeten Laptops letztlich nicht aufgeklärt werden konnte. Auch dem von seinem Verfahrensbevollmächtigten beauftragten IT-Berater war es nach Auswertung der im Ereignisprotokoll aufgezeichneten Fehler nicht möglich, eine Ursache für den Computerabsturz zu benennen. Aus dem Vortrag des Antragsgegners ergibt sich weiter, dass der Laptop offensichtlich vor dem hier maßgeblichen Zeitraum fehlerfrei funktionierte, es nach dem Neustart des Computers auch zu keinen weiteren Funktionsstörungen mehr kam und eine Reparatur oder Wartung des Laptops nicht erforderlich war.

Für die Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax hat der Bundesgerichtshof jedoch bereits entschieden, dass ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts nicht hinreichend glaubhaft gemacht wird, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden haben, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt ist (BGH Beschluss vom 10. Oktober 2006 – XI ZB 27/05NJW 2007, 601 Rn. 12). Unter diesen Umständen begegnet die Annahme des Beschwerdegerichts, dass ein von dem Verfahrensbevollmächtigten verschuldeter Bedienfehler mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein unerwartet aufgetretener Hard- oder Softwarefehler, der sich nach 30 Minuten ohne weitere Maßnahmen von selbst behoben hat, keinen rechtlichen Bedenken.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde spricht gegen einen vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners verschuldeten Bedienfehler auch nicht, dass dieser mit dem elektronischen Versand und der Signierung von Schriftstücken über den hier eingesetzten Laptop vertraut war. Im vorliegenden Fall nutzte der Verfahrensbevollmächtigte zur Fertigung und Übermittlung der Beschwerdebegründungsschrift einen aufwendigen Weg, obwohl ihm bis zum Ablauf der Begründungsfrist nur noch wenig Zeit zur Verfügung stand. Nach dem Vortrag des Antragsgegners hatte sein Verfahrensbevollmächtigter den Schriftsatz zunächst unter Verwendung einer Spracherkennungssoftware auf einem älteren Desktop-PC erstellt. Gegen 23:26 Uhr begann er mit den erforderlichen Korrekturen des Schriftsatzes. Anschließend wechselte er zu seinem Laptop, um gegen 23:50 Uhr den Schriftsatz zu signieren und ihn an das Beschwerdegericht per beA zu übermitteln. Unter diesen Umständen ist es nicht auszuschließen, dass es auch bei jemandem, der mit der Bedienung eines Computers und den Arbeitsabläufen vertraut ist, aufgrund des Zeitdrucks zu einer Fehlbedienung des Computers kommt.

cc) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es im vorliegenden Fall auch an der Darlegung fehlt, weshalb der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners nicht von der in § 130 d Satz 2 ZPO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufungsbegründungsschrift vor Ablauf der Begründungsfrist in herkömmlicher Weise – etwa per Telefax – einzureichen. Denn die in dieser Vorschrift vorgesehene Möglichkeit, bei einer technischen Störung ein Dokument nach den allgemeinen Vorschriften zu übermitteln, besteht unabhängig davon, ob die Störung auf einem Defekt des Übertragungsgeräts beruht oder in der Sphäre des Einreichenden liegt (vgl. Thomas/Putzo/Seiler ZPO 43. Aufl. § 130 d Rn. 2).“

beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit, oder: Warum hatte der Anwalt keine aktive Chip-Karte?

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Und als zweite Entscheidung zum beA dann der OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.02.2023 – 12 ME 6/23 – zur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Übermittlung. Dort war eine Beschwerde nur per Fax eingereicht worden. Das hat dem OVG nicht gereicht:

„….. Aus der Zusammenschau dieser Regelungen ergibt sich, dass anwaltliche Besc/hwerdeschriften gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – wie hier gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – grundsätzlich als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen.

Diesem Erfordernis genügte die am 6. Januar 2023 bei dem Verwaltungsgericht Lüneburg eingegangene Beschwerdeschrift des anwaltlichen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nicht. Denn sie ist per Telefax übermittelt worden, und ein Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne des § 55a Abs. 3 und 4 VwGO (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschluss vom 13.6.2022 – 1 LA 1/22 -, BeckRS 2022, 15028, Rn. 6).

Zwar bleibt in Abweichung von § 55d Satz 1 VwGO die anwaltliche Übermittlung (hier der Beschwerdeschrift) nach den allgemeinen Vorschriften – und damit auch per Telefax – zulässig, wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich ist (§ 55d Satz 3 VwGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist dann aber bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) danach gemäß § 55d Satz 4 Halbs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 294 ZPO glaubhaft zu machen (vgl. Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 130d Rn. 8).

Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor.

Der Antragsteller hat in der Beschwerdeschrift lediglich mitgeteilt und durch seinen Prozessbevollmächtigten anwaltlich versichern lassen, dass diesem eine Übersendung der Beschwerdeschrift „via beA“ technisch nicht möglich sei, da dessen „beA-Karte“ noch nicht habe aktiviert werden können. Weiterer Vortrag dazu fehlte zunächst. Erst auf Nachfrage des Senatsvorsitzenden hat er unter dem 19. Januar 2023 ergänzend vorgetragen und nach einem weiteren gerichtlichen Hinweis unter dem 27. Januar 2023 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Wegen der Einzelheiten dieses weiteren Vortrags wird auf die genannten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Der Vortrag des Antragstellers läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass sein Prozessbevollmächtigter aus dem elektronischen Anwaltspostfach die Beschwerdeschrift nicht zeitgerecht habe übermitteln können, da er, der Anwalt, in der Zeit vom 19. bis zum 31. Dezember 2022 arbeitsunfähig erkrankt und deshalb an einer Vornahme der Aktivierung der neuen Chipkarte gehindert gewesen sei, deren es für solche Übermittlungen ab dem 1. Januar 2023 bedurft hätte. Diese Chipkarte sei dem Anwalt zwar bereits im September 2022 übersandt worden. Der Bestätigungslink (für den Karteneingang), über dessen Zugangszeitpunkt er keine  Angaben machen könne, habe aber nicht mehr funktioniert, als ihn der Anwalt habe verwenden wollen. Letzterer habe sich deswegen bereits am 3. Januar 2023 über die Hotline an die Bundesnotarkammer gewandt. Erst am 11. Januar und 13. Januar 2023 seien dem Anwalt daraufhin aber ein neuer Bestätigungslink für den Erhalt der Chipkarte bzw. die PIN für deren Verwendung zugegangen. Hätte die Bundenotarkammer – anstatt zuvor die anwaltliche E-Mail-Adresse zu überprüfen – schneller positiv auf den Anruf reagiert, wäre bereits am 6. Januar 2023 eine Übermittlung der Beschwerdeschrift aus dem besonderen Anwaltspostfach (wieder) möglich gewesen.

Dieses Geschehen genügt aus den folgenden Gründen nicht den nach § 55d Satz 3 und Satz 4 Halbs. 1 VwGO zu stellenden Anforderungen:

Eine Unmöglichkeit der Einreichung als elektronisches Dokument kann sich zwar auch aus Ursachen ergeben, die in der Sphäre des einreichenden Rechtsanwalts liegen. Es muss sich dann aber um einen „Ausfall der technischen Einrichtungen“ des Anwalts (vgl. Gesetzentwurf der BReg. für ein Gesetz zur Förderung des elektr. Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27, zu Nr. 4 [§ 130d ZPO]) – also eine bei wertender Betrachtung „technische“ Ursache – handeln. Denn § 55d Satz 3 VwGO entbindet professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (vgl. Gesetzentwurf, a. a. O., S. 28). Eine Unmöglichkeit der Einreichung als elektronisches Dokument aus „technischen Gründen“ liegt folglich insbesondere dann nicht vor, wenn zwar die Technik einwandfrei funktioniert, sie aber dem Rechtsanwalt nicht zugänglich ist, weil dieser es versäumt hat, beizeiten die Zugangsvoraussetzungen zu ihr zu schaffen. Deshalb erfasst § 55d Satz 3 VwGO beispielsweise nicht die Fälle, dass ein Rechtsanwalt über keine Chipkarte verfügt, weil ihm bei seinem ersten Antrag auf Ausstellung derselben ein Fehler in der Schreibweise seines Vornamens unterlaufen war, sodass ihm die Karte nicht früh genug übersandt wurde (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.3.2022 – 19 E 147/22 -, juris), oder dass sein spät gestellter signaturrechtlicher Antrag von der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer nicht mehr früh genug bearbeitet werden konnte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 4.4.2022 – I-8 U 23/22 -, FamRZ 2022, 1219 f., hier zitiert nach juris). Anders als es in der Literatur teilweise vertreten wird (vgl. Gädeke, in: Ory/Weth, juris-PK-ERV, Bd. 3, 2. Aufl., § 55d VwGO, Rn. 31 [Stand: 15.12.2022]), dürfte die Lösung von Abgrenzungsfragen nicht in einer Großzügigkeit bei der Zuschreibung zu technischen Ursachen zu suchen sein. Denn den Prozessbeteiligten soll zwar erspart werden, die Ursachen technischer Störungen zu eruieren (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschluss vom 13.6.2022 – 1 LA 1/22 -, BeckRS 2022, 15028, Rn. 3). Tritt aber klar zutage, dass typisch menschliches Versagen des professionellen Einreichers (wie etwa Vergesslichkeit oder Säumigkeit) das entscheidende, durch die Technik gleichsam nur in seiner Wirkung weitergegebene Hindernis für die zeitgerechte Übermittlung eines elektronischen Dokuments ist, liegt keine technische Störung vor. Das gilt namentlich dann, wenn gerade das Funktionieren von technischen Sicherungen gegen die unbefugte Nutzung eines besonderen Anwaltspostfachs dazu geführt hat, dass dieses Postfach seinem Inhaber im entscheidenden Moment nicht für eine aktive Nutzung zur Verfügung stand. Wer also seine Chipkarte nicht zeitgerecht beantragt, vorwerfbar den Aktivierungsvorgang verzögert, die Chipkarte unerreichbar verschlossen, verlegt oder verloren hat, ist nicht anders zu behandeln, als hätte er die technischen Einrichtungen seiner Anwaltskanzlei zur maßgeblichen Zeit deshalb nicht nutzen können, weil er sich aus deren Räumen ausgesperrt, den Türschlüssel verloren und nicht rechtzeitig einen (anderen) Schlüsselträger oder den Schlüsseldienst erreicht hätte. Auch dann liegen keine „technischen Gründe“ vor.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ließ sich aus dem Vortrag in der Beschwerdeschrift allenfalls ableiten, dass eine Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung der  Beschwerdeschrift aus „technischen Gründen“ für den 6. Januar 2023 nicht ausgeschlossen werden konnte, nicht aber, dass sie damals tatsächlich vorgelegen hat. Denn für „technische Gründe“ im Sinne des § 55d Satz 3 VwGO reicht es keineswegs schon aus, dass ein Prozessbevollmächtigter – warum auch immer – über keine aktivierte Chipkarte verfügt, sondern kommt es maßgeblich darauf an, weshalb das nicht der Fall war. Darüber hat der Antragsteller jedoch weder am 6. Januar 2023 noch unverzüglich (vgl. dazu näher: BGH, Beschluss vom 21.9.2022 – XII ZB 264/22 -, FGPrax 2022, 287 f., Rn. 17) danach – und das hätte geheißen jedenfalls deutlich vor dem 19. Januar 2023 – im Sinne des § 55d Satz 4 Halbsatz 1 VwGO genügenden Aufschluss gegeben. Schon deshalb schied eine Anwendung des § 55d Satz 3 VwGO hier aus.

Davon abgesehen ergibt sich weder aus dem bereits in der Beschwerdeschrift vorgetragenen Geschehen noch den späteren Ergänzungen eine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen im Sinne des § 55d Satz 3 VwGO.

Sie wäre vielmehr auch bei einem frühzeitig umfassenderen Vortrag nicht in Betracht gekommen. Wie auf der Website der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer recherchiert werden kann, sind nämlich im Zuge des sogenannten „beA-Kartentauschs 2022“ die mit dem 31. Dezember 2022 ablaufenden Chipkarten zahlreicher Rechtsanwälte im letzten Quartal 2022 ausgewechselt worden. Hierzu wurden den Anwälten – ohne Antragserfordernis – postalisch eine neue Chipkarte übersandt sowie (per E-Mail) ein Bestätigungslink. Dieser Link war allerdings lediglich für 48 Stunden nutzbar. Erfolgte keine umgehende Bestätigung des Erhalts der Chipkarte durch den betroffenen Anwalt wurden daher bis zu drei „Erinnerungs-E-Mails“ an diesen versandt. Ohne wirksame Bestätigung des Erhalts der neuen Karte versandte die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer indessen keine PIN an den Karteninhaber. Insbesondere die seitens des Antragstellers mit Schriftsatz vom 27. Januar 2023 vorgelegten E-Mails vom 29. Dezember 2022 und 11. Januar 2023 rechtfertigen die Annahme, dass der seinem Prozessbevollmächtigten übersandte Bestätigungslink deshalb nicht mehr funktioniert hat, weil die 48-Stunden-Frist für seine Nutzung (längst) abgelaufen war, als der Anwalt erstmals versuchte, den Link zu verwenden. Da dem Rechtsanwalt die neue Chipkarte bereits im September 2022 zugegangen war, kann das auch nicht verwundern. Vielmehr hat er sich offenbar um die Aktivierung der neuen Chipkarte deshalb nicht beizeiten gekümmert, weil seine bisherige Chipkarte noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2022 funktionierte. Diese Ursache für den zeitlichen Verzug, mit dem er erst im Jahr 2023 seine PIN erhielt und daraufhin die neue Chipkarte aktivieren konnte, hat aber keine „technischen Gründe“…….“

beA I: Anforderungen an eine „beA-Ersatzeinreichung“, oder: Nicht nur eine Geschichte erzählen….

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Und am Ostermontag dann ein wenig „beA“. Dazu zunächst der schon etwas ältere KG, Beschl. v. 17.10.2022 – (3) 121 Ss 105/22 (42/22) – zu Anforderungen an eine „beA-Ersatzeinreichung“

Das AG hatte den Angeklagten am 11.08.2021 wegen des Einschleusens von Ausländern zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG mit Urteil v. 12.05.2022 verworfen. Am 18.05.2022 hat der Verteidiger per beA gegen das Urteil des LG Revision eingelegt.

Nachdem dem Verteidiger am 31.05.2022 die schriftlichen Urteilsgründe zugestellt worden sind, hat er mit Schriftsatz vom 30.06.2022, beim LG eingegangen per Fax am 30.6.2022 um 21:45 Uhr „wegen beA-Problem“, die Revision begründet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Der Verteidiger hat mit weiterem Schriftsatz vom 12.07.2022 über das beA „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zum 30. Juni 2022“ beantragt und den Schriftsatz mit der Revisionsbegründung vom 30.06.2022 mitübersandt. Zur – anwaltlich versicherten – Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führt er u.a. aus, am 30.06.2022 habe er keine Versendung per besonderem elektronischen Anwaltspostfach vornehmen können. Morgens sei der PC „heißgefahren“ und habe „Geräusche von sich“ gegeben. Der PC sei dann vom Strom getrennt worden. Vormittags sei ein PC-Notdienst eingeschaltet worden, der das Gerät abgeholt habe. Ein Ersatzteil habe bestellt werden müssen, das angeblich noch am selben Tag hätte kommen sollen, jedoch erst am 01.07.2022 eingetroffen sei. Der PC-Notdienst habe lediglich die Kurzdiagnose abgegeben, dass die Festplatte beschädigt sei, so habe er – der Verteidiger – das Gerät am frühen Nachmittag des 01.07.2022 wieder abgeholt und einen Bekannten, der Programmierer ist, gebeten, „sich der Sache anzunehmen“. Er habe sich noch am 01.07.2022 abends mit diesem getroffen und bei Amazon ein sog. „M2 Gehäuse“ bestellt, um die Festplatte gesondert prüfen zu können. Dieses sei am 02.07.2022 angekommen und er habe noch am selben Tag eine „MAC-Ausstattung“ gekauft. Gegen 3:30 Uhr in der Nacht hätten sie dann „die Festplatte auf eine Windows-Ebene innerhalb des Macs installieren und auch die Neuinstallation des [besonderen elektronischen Anwaltspostfachs] abschließen“ können. Das beA habe er jedoch nicht verwenden können, da der Windows-Scanner Samsung C1860SW mit dem Mac-Programm nicht kompatibel gewesen sei und ein neuer Scanner „am gleichen Freitag den 08.07.2022“ habe installiert werden müssen. Erst dann sei ihm eine Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach wieder möglich gewesen.

Das KG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Revision als unzulässig verworfen:

„Gemessen an diesem Maßstab ist die am 30. Juni 2022 per Fax und nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (nachfolgend beA) übermittelte Revisionsbegründung formunwirksam und die Monatsfrist, die aufgrund der Zustellung des Urteils am 31. Mai 2022 an den Verteidiger am 30. Juni 2022 endete (§ 43 Abs. 1 StPO), nicht gewahrt.

b) Eine Befreiung von dem Formerfordernis, den der Ausnahmefall nach § 32d Satz 2 StPO vorsieht, ist nicht durch die Ersatzeinreichung eingetreten, da weder der knappe Hinweis auf ein Problem mit dem beA bei der Ersatzeinreichung am 30. Juni 2022 noch der weitere anwaltliche Vortrag vom 12. Juli 2022 die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzeinreichung nach § 32d Satz 3 und 4 StPO erfüllen. Danach hat der Verteidiger:

aa) unter Hinweis auf eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur eine vorübergehende technische Störung, die eine elektronische Übermittlung mittels beA unmöglich gemacht hat, vorzutragen,

bb) die Tatsachen glaubhaft zu machen und

cc) diesen glaubhaft gemachten Sachverhalt zeitgleich mit der Ersatzeinreichung vorzubringen.

War der Verteidiger verhindert, die zeitliche Vorgabe zu erfüllen, etwa weil er erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, muss er unverzüglich danach den erforderlichen Vortrag (vgl. aa) und bb)) einschließlich der Umstände seiner Verhinderung, die ebenfalls glaubhaft zu machen sind, dem Gericht mitteilen (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 51). Unverzüglich bedeutet dabei ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. Bosbach in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht 5. Aufl., § 32d StPO Rn. 4; Radke a.a.O., § 32d Rn. 18; BT-Drucks. 18/9416, S. 51).

Nicht erforderlich ist – schon ausweislich des insoweit eindeutigen Wortlauts von § 32d StPO und insbesondere von Satz 2 und Satz 4 a.E. („auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen“) und vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Ausnahmeregelung –, dass dies selbst in der Form nach §§ 32d Satz 2, 32a StPO zu geschehen hat (vgl. zu den Anforderungen an einen entsprechenden Vortrag auch LG Arnsberg NStZ 2022, 639).

Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Übermittlung der in § 32d Satz 2 StPO genannten Prozesshandlungen in Papierform oder durch Telefax ausnahmsweise zulässig und form- und fristwahrend (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2022 – 4 StR 104/22 –, juris).

Diesen Anforderungen genügt das Verhalten des Verteidigers, der ersichtlich diese Ausnahmevorschrift zur Fristwahrung in Anspruch nehmen wollte, nicht.

Denn der per Fax am Tag des Fristablaufs übersandte Schriftsatz vom 30. Juni 2022 enthält weder einen Tatsachenvortrag zu der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung noch eine entsprechende Glaubhaftmachung.

Auch der Schriftsatz vom 12. Juli 2022 erfüllt nicht einmal ansatzweise die o.g. Voraussetzungen. Offen bleibt bereits, warum es dem Verteidiger, dessen Faxgerät nach seinem Vortrag nicht beeinträchtigt war, nicht möglich gewesen ist, zugleich mit der um 21:45 Uhr bei Gericht eingegangen Ersatzeinreichung entsprechend vorzutragen.

Der Vortrag im Schriftsatz vom 12. Juli 2022 befasst sich – bereits im Ansatz unzutreffend – lediglich mit der geschichtlichen Schilderung der Beseitigung der technischen Störung und deren Glaubhaftmachung. Es fehlt das Vorbringen, warum es ihm nicht möglich gewesen ist, noch vor dem 12. Juli 2022 zur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit vorzutragen. Offen bleibt auch, ob es in der Kanzlei neben dem defekten PC nicht noch – etwa im Sekretariat – ein oder mehrere funktionstüchtige weitere Geräte gab. Dass grundsätzlich überhaupt eine entsprechende technische Infrastruktur vorgehalten worden ist, ergibt sich aus den Ausführungen zudem nur ansatzweise und mittelbar.“