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StGB II: Nothilfe als Notwehr zu Gunsten eines Dritten, oder: Maßgeblichkeit der konkreten Kampflage

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v.  12.03.2024 – 203 StRR 73/24 – zu den Voraussetzungen der Nothilfe. Leider ohne Sachverhalt, so dass ich nicht mehr als die Leitsätze einstellen kann:

    1. Nothilfe ist nichts anderes als Notwehr zu Gunsten eines Dritten. Besteht eine zur Nothilfe berechtigende Sachlage, so ist die Nothilfehandlung eines Dritten gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das in der konkreten Situation zur Verfügung steht.

    2. Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer.

    3. Maßgeblich ist die konkrete Kampflage. Der Rahmen erforderlicher Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielten, insbesondere durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen.

Ablehung von PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht, oder: Ablehnungsbeschluss ist nicht anfechtbar

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Und dann die Gebührenentscheidungen am Freitag.

Ich starte zum Warmwerden mit dem BayObLG, Beschl. v. 30.04.2024 – 203 StObWs 150/24. Nicht direkt Gebühren, aber der Beschluss hat damit zu tun. Es geht um die Anfechtbarkeit der PKH-Entscheidung im Strafvollzugsverfahren. Da sagt das BayObLG: Nicht anfechtbar:

„Der Senat hat das Rechtsmittel aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung durch die Rechtsanwältin als Rechtsbeschwerde und hilfsweise als sofortige Beschwerde geprüft. Das Rechtsmittel gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer erweist sich als unzulässig.

1. Eine Rechtsbeschwerde nach § 116 Abs. 1 StVollzG wäre gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht eröffnet, da sich das Tatgericht – insoweit auch rechtsfehlerfrei – isoliert mit dem ihm zur Entscheidung unterbreiteten Begehren des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe befasst hat.

2. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls unzulässig. Nach überwiegender obergerichtlicher Auffassung, der sich der Senat anschließt und die auch im Schrifttum Zustimmung erlangt hat, ist im Strafvollzugsverfahren ein die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht ablehnender Beschluss der Strafvollstreckungskammer ungeachtet des Verfahrenswerts nicht anfechtbar (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 1 Ws 129/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2020 – 2 Ws 38/20 –, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. November 2019 – 2 Ws 627/19 Vollz –, juris Rn. 10; KG, Beschluss vom 16. Februar 2018 – 5 Ws 20/18 Vollz -, juris Rn. 2 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 1 Ws 294/13-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – III-1 Vollz (Ws) 672/12-, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. November 2008 – 3 Vollz (Ws) 64/08 –, juris Rn. 8; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. September 2003 – 1 Ws 275/03, juris; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil IV § 120 StVollzG Rn. 21; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 12. Kapitel § 120 Rn. 12; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, §120 StVollzG, 25. Ed., § 120 Rn. 11; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., P § 120 StVollzG Rn. 140; diff. nach Beschwerdewert wohl Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 120 Rn. 7; diff. nach zulässig eingelegter Rechtsbeschwerde OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2012 – I Vollz [Ws] 3/12 – BeckRS 2012, 04285). Denn im Strafvollzugsverfahren ist gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keine weitere Tatsacheninstanz eröffnet (vgl. KG a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.).“

StPO III: Verfahrensrüge nach Berufungsverwerfung, oder: Corona-Selbsttest genügt ggf. nicht

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Und zum Schluss des Tages dann noch etwas aus Bayern, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 04.06.2024 – 203 StRR 212/24.

Das LG hat die Berufung des vom AG wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilten Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO nach der Einholung einer ärztlichen Stellungnahme verworfen, weil er unentschuldigt trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem Termin zur Hauptverhandlung am 12.12.2023 ausgeblieben war. Eine vom Verteidiger am Vormittag des Terminstages vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 11.12.2023, die auf fernmündlichen Angaben des Angeklagten beruhe und eine Mandelentzündung bescheinige, die schriftliche Mitteilung des Angeklagten vom 11.12.2023, wonach er an „39.8 Fieber Husten Gliederschmerzen Kopfschmerzen“ leide und corona positiv im Bett läge und ein vom Angeklagten stammendes Lichtbild, das zwei Covid-19-Testbehälter sowie Teststreifen mit jeweils zwei Strichen, den handschriftlich aufgebrachten Namen des Angeklagten und das Datum „11.12.2023“ zeigen würde, könnten den Angeklagten nicht entschuldigen, nachdem ein Telefonat des Vorsitzenden mit dem ausstellenden Arzt ergeben hätte, dass sich der Angeklagte lediglich telefonisch krank gemeldet und gegenüber dem Arzt von einer Coronaerkrankung nichts erwähnt hätte. Nach der Beurteilung des Arztes wäre es dem Angeklagten ausgehend von den geschilderten Symptomen aus medizinischer Sicht möglich gewesen, zum Termin anzureisen und an der Verhandlung teilzunehmen.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte. Da wir mit den Fragen immer wieder zu tun haben, stelle ich nur die Leitsätte vor; die Einzelheiten dann bitte in dem wie immer umfangreich begründeten Beschluss selbst nachlesen:

1. Will die Revision mit ihrer Rüge einer Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO im Falle einer Erkrankung des Angeklagten eine unrichtige Beurteilung der Entschuldigung geltend machen, hat sie die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass dem Angeklagten das Erscheinen unmöglich oder unzumutbar war und das Berufungsgericht von diesem Entschuldigungsgrund Kenntnis hatte. In der Revision genügt allein die Mitteilung einer ärztlichen Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit ohne belastbare Aussagen zum Krankheitszustand diesen Anforderungen nicht.

2. Der Vortrag der Revision, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Ergebnisse von Corona-Selbsttests vom Angeklagten herrührten, genügt nicht, um eine Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO hinreichend bestimmt zu behaupten. Die Revision muss Verfahrensverstöße als Tatsachen, nicht als bloße Möglichkeiten darstellen.

Na ja, hätte man m.E. auch anders sehen können. Mit Corona in die HV? Ich weiß nicht.

„Richtige“ Kostenentscheidung in der Berufung?, oder: Kostenteilung nach Teilerfolg?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BayObLG, Beschl. v. 03.07.2024 – 204 StRR 201/24 – aus Bayern. Sie befasst sich mit der Frage der „richtigen“ Kostenentscheidung im Berufungsverfahren. Die Frage, ob im strafverfahrensrechtlichen Berufungsverfahren ggf. zugunsten des Angeklagten die „richtige“ Kostenentscheidung ergangen ist, spielt ja für eine sich daran anschließende mögliche Teilerstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten aus der Staatskasse eine erhebliche Rolle.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil vom 11.07.2023 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 EUR verurteilt. Das LG hat mit Urteil vom 11.10.2023 auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des AG insoweit abgeändert, als der Angeklagte wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR – unter Bewilligung einer Ratenzahlung – verurteilt wurde. Die weitergehenden Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat es als unbegründet verworfen. In Ziffer 4 des Tenors hat das LG entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen habe. Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen ausscheidbaren Kosten und ausscheidbaren Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.

Am 11.10.2023 haben der Angeklagte und sein Verteidiger gegen die Kostenentscheidung des Berufungsurteils sofortige Beschwerde und gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt. Der Verteidiger hat mit Schreiben vom 17.10.2023 die Revision und mit Schreiben vom 02.01.2024 die Kostenbeschwerde begründet. Mit Beschluss vom 06.05.2024 hat das BayObLG gemäß Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 12.05.2024 rügt der Angeklagte eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, weil sich der Senat in seinem Beschluss vom 06.05.2024 nicht mit der gegen die Kostenentscheidung des LG eingelegten sofortigen Beschwerde auseinandergesetzt habe. Die Anhörungsrüge hatte beim BayObLG Erfolg, die Kostenbeschwerde des Angeklagten war aber nur teilweise erfolgreich.

Das BayObLG hat das umfassend begründet. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier gibt es nur die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Der Strafsenat bleibt für die Entscheidung über die Kostenbeschwerde auch nach Abschluss des Revisionsverfahrens jedenfalls dann zuständig, wenn er die Kostenbeschwerde bei der Revisionsentscheidung übersehen hat und der Angeklagte die Anhörungsrüge gem. § 33a Satz 1 StPO innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO erhoben hat.

  2. Der Angeklagte hat nicht die vollen im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten und notwendigen Auslagen zu tragen, wenn das Berufungsgericht unter Verwerfung der weitergehenden Berufung des Angeklagten den erstinstanzlichen Schuldspruch von Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen auf fahrlässigen Vollrausch geändert und die erstinstanzlich verhängte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 € auf 60 Tagessätze zu je 40 € ermäßigt sowie eine Ratenzahlung bewilligt hat.

  3. Im Rahmen des § 473 Abs. 4 StPO, einer Regelung mit Ausnahmecharakter, ist nicht allein entscheidend, ob der Angeklagte die angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie entsprechend der neuen Entscheidung gelautet hätte, sondern wesentlich auch das Maß des erreichten Teilerfolges.

Verkehrsrecht II: Gefährdung des Straßenverkehrs, oder: Fehlverhalten nach Abschluss des Überholens

Überholen Verkehrs

Im zweiten Beitrag dann noch einmal etwas zur Straßenverkehrsgefährdung, und zwar zum sog. falschen Überholen, also § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB.

Das AG hatte den Angeklagten am 13. März 2023 wegen Nötigung und Beleidigung verurteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG das Urteil abgeändert und den Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und Beleidigung verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die mit dem BayObLG, Beschl. v. 22.07.2024 – 203 StRR 287/24 – teilweise Erfolg hatte:

„1. Die Berufungskammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Am 16. Dezember 2021 gegen 15.00 Uhr fuhr der Angeklagte, ein mittlerweile pensionierter Polizeibeamter, als Führer eines PKWs auf der Bundesstraße B 8 zwischen Diebach und Neustadt a.d.Aisch. Vor dem Angeklagten war der Geschädigte mit einem etwa 16,5 m langen LKW mit Auflieger in gleicher Fahrtrichtung mit einer Geschwindigkeit von etwa 68 km/h unterwegs. Die zulässige Geschwindigkeit betrug für den Geschädigten 60 km/h. Der Angeklagte überholte den Geschädigten im Bereich einer langgezogenen Rechtskurve, scherte mit einem Abstand von etwa 16 Metern vor dem Geschädigten ein und bremste anschließend sein Fahrzeug ohne verkehrsbedingten Grund von zunächst 100 km/h bis fast zum Stillstand ab, um den Geschädigten ebenfalls zu einem abrupten Abbremsen zu zwingen und ihn dadurch zu maßregeln. Infolge des Bremsvorgangs aktivierte sich im LKW des Geschädigten noch vor dessen Reaktion das Notbremssystem und brachte den LKW zum Stillstand. Als der Geschädigte den Angeklagten kurz darauf an einer Ampel zur Rede stellte, bezeichnete ihn der Angeklagte mit den Worten „Du Wichser“, um ihn in seiner Ehre zu verletzen.“

Rechtlich führt das BayObLG:

„4. Die Feststellungen tragen nicht eine Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB.

a) In Betracht kommt alleine die Alternative des falschen Überholens. Nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB wird bestraft, wer im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Überholen im Sinne der Strafvorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB meint das Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen auf derselben Fahrbahn oder unter Benutzung von Flächen, die mit der Fahrbahn nach den örtlichen Gegebenheiten einen einheitlichen Straßenraum bilden (BGH, Beschluss vom 15. März 2018 – 4 StR 469/17 –, juris Rn. 8; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 5 StVO Rn. 16 m.w.N.; Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 5 StVO Rn. 19 m.w.N; Kudlich in BeckOK StGB, 61. Ed. 1.5.2024, StGB § 315c Rn. 42; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315c Rn. 6).

Ein falsches Fahren beim Überholen ist gegeben, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2018 – 4 StR 469/17 –, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 22. November 2016 – 4 StR 501/16-, juris Rn. 6; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juli 1981 – 2 Ss 433/81 – 204/81 II –, juris; Fischer a.a.O. § 315c Rn. 6; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StGB § 315c Rn. 11; Kudlich a.a.O. § 315c Rn. 43; König in Leipziger Kommentar (LK) zum StGB, 13. Aufl., § 315c StGB Rn. 96, 99; Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 315c Rn. 14; Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315c Rn. 18).

Der Überholvorgang beginnt in der Regel mit dem Ausscheren (Pegel in MüKoStGB, 4. Aufl., § 315c Rn. 53; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StVO § 5 Rn. 22). Der Überholvorgang ist beendet, wenn das überholende Fahrzeug wieder mit ausreichendem Abstand in den Verkehrsfluss eingegliedert ist (KG, Beschluss vom 28. Juni 2005 – 12 U 62/05 BeckRS 2007, 946; OLG Hamm, Urteil vom 13. Dezember 1999 – 13 U 111/99 BeckRS 2007, 1124; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 5 StVO Rn. 23 m.w.N., Rn. 51; Schäfer in BeckOK StVR, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 5 Rn. 67; Jahnke a.a.O. § 5 StVO Rn. 34, 122; Bender in MüKoStVR, 1. Aufl. 2016, StVO § 5 Rn. 10; Gutt/Krenberger, ZfSch 2016, 664 zitiert nach juris; Helle in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 5 StVO (Stand: 09.06.2023) Rn. 83; ähnlich (wenn der Überholte seine Fahrt ungehindert und ungefährdet fortsetzen kann) OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 – III-4 RVs 111/14 –, juris Rn. 13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 1988 – 5 Ss 101/88 – 99/88 I –, juris Rn. 21; Hecker a.a.O. § 315c Rn. 17; König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95; Bollacher in BeckOK StVR, 23. Ed. 15.4.2024, StGB § 315c Rn. 49; nur auf das Eingliedern abstellend BGH, Beschluss vom 28. September 2011 – 4 StR 420/11 –, juris; Pegel a.a.O. § 315c Rn. 54).  Das Gebot zur Einhaltung eines ausreichenden Abstandes beim Wiedereinordnen zum überholten Fahrzeug ergibt sich aus § 5 Abs. 4 Satz 6 StVO. Der Überholte darf beim Einscheren in die Spur des Überholten nicht behindert und nicht gefährdet werden. Daher fallen Pflichtverstöße beim Einordnen etwa durch Schneiden, Kreuzen oder Abbremsen beim Einscheren unter § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB, da der innere Zusammenhang mit der besonderen Gefährlichkeit des Überholvorgangs in diesen Fällen bejaht werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 – III-4 RVs 111/14 –, juris Rn. 13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 1988 – 5 Ss 101/88 – 99/88 I –, juris Rn. 21; König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95, 97a; Hecker a.a.O. § 315c Rn. 17, 18; Zieschang in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB § 315c Rn. 43; Fischer a.a.O. § 315c Rn. 6, 6a; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StGB § 315c Rn. 12; Niehaus in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke a.a.O. StGB § 315c Rn. 14 f.; Kudlich a.a.O. § 315c Rn. 44.1; zum Schneiden beim Wiedereinscheren BayObLG, Urteil vom 22. August 1986 BeckRS 1986, 112570; Jahnke a.a.O. § 5 StVO Rn. 123).

Demgegenüber wird Fehlverhalten nach Abschluss des Überholens nicht von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB erfasst (BGH, Beschluss vom 28. September 2011 – 4 StR 420/11 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 a.a.O. Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 1996 – 1 Ss 154/96 –, juris Rn. 3; im Erg. auch BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94 –, juris Rn. 20, 21; Heger a.a.O. § 315c  Rn. 14;  Pegel a.a.O. § 315c Rn. 54; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 315c Rn. 13; Niehaus a.a.O. § 315c Rn. 14; Bollacher a.a.O. § 315c Rn. 49; König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95; Hecker a.a.O.  Rn. 17). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm, da sie nur falsches Überholen, nicht aber sonstiges Behindern erfasst. Nutzt der Überholende nicht die spezifische Überholsituation aus, sondern nimmt den verkehrsfeindlichen Eingriff lediglich bei Gelegenheit des Überholvorgangs vor, indem er sein Fahrzeug nach dem Einscheren zur Disziplinierung oder zu „Strafzwecken“ scharf abbremst, fehlt es an der besonderen Gefährlichkeit des Überholens; ein solcher Vorgang ist an  § 315b StGB und an § 240 StGB zu messen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94 –, juris Rn. 20, 21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 1996 – 1 Ss 154/96 –, juris; so auch König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 315c Rn. 13).

Ob ein bewusst scharfes Abbremsen unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, das wie hier in einem engen zeitlichen und situativen Zusammenhang mit dem Wiedereinscheren in die Fahrspur des Überholten erfolgt, vom Begriff des falschen Überholens im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB noch oder nicht mehr erfasst ist, beurteilt sich danach, ob der Überholer vor dem zu betrachtenden Bremsmanöver zunächst auf die Fahrspur des Überholten mit so ausreichendem Abstand (vgl. dazu Jahnke a.a.O. § 5 StVO Rn. 122, 123) zum überholten Fahrzeug eingeschert ist, dass er den Überholten unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen gefahrenen Geschwindigkeiten (vgl. Jahnke a.a.O.) nicht behinderte (OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 a.a.O. Rn. 13; im Erg. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 1988 – 5 Ss 101/88 – 99/88 I –, juris Rn. 21).

b) Nach diesen Vorgaben ist der Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB hier nicht erfüllt. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Überholvorgang sei nach dem Einscheren des Angeklagten deshalb noch nicht abgeschlossen gewesen, weil der Überholte aufgrund des Bremsmanövers seine Fahrt nicht ungehindert und ungefährdet fortsetzen konnte, lässt einen Zirkelschluss besorgen. Nach den gutachterlich gestützten Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte mit einer im Vergleich zum Geschädigten deutlich höheren Geschwindigkeit von ca 100 km/h in einem zunächst ausreichenden Abstand (Urteil S. 9) von etwa einer LKW-Länge vor dem mit einer Geschwindigkeit von 68 km/h fahrenden LKW des Geschädigten eingeschert, bevor er sein Bremsmanöver einleitete. Der Überholvorgang war somit vor dem Ausbremsen abgeschlossen. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass nach obergerichtlicher Rechtsprechung Bedenken bestehen, eine Straßenverkehrsgefährdung zu bejahen, wenn die bestimmungsgemäße Funktion eines Fahrassistenzsystems dazu führt, dass sich eine in einem Kausalverlauf angelegte Gefahr gerade nicht in einem entsprechenden Schadenseintritt realisiert (OLG Koblenz, Beschluss vom 26. Juni 2023 – 2 ORs 4 Ss 88/23 –, juris).

5. Eine Strafbarkeit nach § 315b StGB scheidet ebenfalls aus. Bei einem verkehrsfeindlichen Inneneingriff verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung im Sinne einer einschränkenden Auslegung seit der Entscheidung vom 20. Februar 2003 (BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02 –, BGHSt 48, 233-23), dass der Täter das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz als Waffe oder Schadenswerkzeug einsetzt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. Juni 2023 – 4 StR 70/23 –, juris; Fischer a.a.O. § 315b Rn. 9a, 20, 21; Kudlich a.a.O. § 315b Rn. 18; Pegel a.a.O. § 315b Rn. 18; Hecker a.a.O. § 315b Rn. 10). Die Feststellungen des Landgerichts belegen keinen bedingten Schädigungsvorsatz des Angeklagten. Die Strafkammer hat bei dem die Umstände des Bremsvorgangs bestreitenden Angeklagten den Schluss auf das Vorliegen eines bedingten Schädigungsvorsatzes allein aus dem objektiven Hergang geschlossen, sich jedoch für die gebotene Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit und zum Gefährdungsvorsatz nicht mit der Frage beschäftigt, ob der Angeklagte mit dem Eingreifen eines Notbremsassistenten rechnete. Auch eine mögliche Eigengefährdung des Angeklagten im Falle eines Auffahrunfalls hätte es bei seinen Überlegungen zum bedingten Schädigungsvorsatz mit einstellen müssen (vgl. zum Aspekt der Schutzlosigkeit BGH, Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95 –, BGHSt 41, 231-242, zitiert nach juris Rn. 19; Fischer a.a.O. § 315b Rn. 20).

6. Der Angeklagte hat sich jedoch – neben der Beleidigung – wegen einer vollendeten Nötigung nach § 240 StGB strafbar gemacht.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung setzt Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB eine körperlich vermittelte Zwangswirkung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands voraus (vgl. Fischer a.a.O. § 240 Rn. 8). Dazu kann auch ein geringer körperlicher Aufwand genügen, wenn seine Auswirkungen sich physisch wirkend als körperlicher Zwang darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 ? 1 StR 126/95- juris Rn. 14; Fischer a.a.O. 240 Rn. 19). Strafbare Nötigung durch Gewalt kann demnach vorliegen, wenn der Einfluss auf das Opfer bei nur geringem körperlichen Aufwand dergestalt physischer Art ist, dass die beabsichtigte Fortbewegung durch tatsächlich nicht überwindbare Hindernisse unterbunden wird (vgl. BGH a.a.O. Rn. 16; Fischer a.a.O. Rn. 17). Der Verurteilung wegen Nötigung steht nicht entgegen, dass der Angeklagte ohne einen unmittelbaren Kontakt auf den geschädigten Kraftfahrer eingewirkt hat. Der angestrebte Erfolg kann auch dadurch erreicht werden, dass sich der Täter einer Sache bedient, um dem zu Nötigenden ein physisches Hindernis zu bereiten. Auf welche Weise er das tut, spielt im Verhältnis zu dem in der Fortbewegung gehemmten Adressaten keine Rolle. Ausschlaggebend ist allein die vom Täter bezweckte physische Wirkung auf den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer (BGH a.a.O. Rn. 17; Fischer a.a.O. Rn. 17).

b) Bremst ein Fahrzeugführer sein eigenes Fahrzeug bewusst aus verkehrsfremden Gründen stark ab, um den hinter ihm fahrenden Fahrer ohne Ausweichmöglichkeit zu einer Vollbremsung, insbesondere zum Stillstand, zu zwingen, ist der Tatbestand der Nötigung in der Gewaltalternative erfüllt (BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94 –, juris Rn. 20, 21; BayObLG, Urteil vom 6. Juli 2001 – 1St RR 57/01 –, juris; Fischer a.a.O. § 240 Rn. 27, 28 m.w.N.; Valerius in BeckOK StGB 61. Ed. § 240 Rn. 29.3; Sinn in MüKoStGB a.a.O. § 240 Rn. 148; Eisele in Schönke/Schröder a.a.O. § 240 Rn. 24 m.w.N.; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StGB § 240 Rn. 21). Dass das Fahrzeug des Geschädigten hier mit einem automatischen Bremssystem ausgestattet war und nicht der Fahrer, sondern das System eine elektronische Vollbremsung einleitete, schließt weder den objektiven Tatbestand noch den Vorsatz aus. Der Gewaltbegriff des § 240 StGB erfasst auch Einwirkungen auf die Umwelt des Opfers, wenn sie dessen Handlungsmöglichkeiten beschränken und gerade zu diesem Zweck vorgenommen werden (Altvater/Coen in LK a.a.O. § 240 Rn. 63; Fischer a.a.O. § 240 Rn. 27; Eisele a.a.O. § 240 Rn. 34).“