„Die nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt.
1. Der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats hat seine Zuständigkeit zutreffend gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO angenommen. Da es sich hierbei um eine allgemeine Regelung über die Zuständigkeit handelt, gilt sie auch für Entscheidungen über den Pflichtverteidigerwechsel. Hierfür spricht zudem, dass die Norm inhaltlich an § 141 Abs. 4 StPO aF angeknüpft und insofern die Zuständigkeit des Vorsitzenden auch für Entpflichtungsanträge anerkannt war (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 – 1 StR 481/03, NStZ 2004, 632 Rn. 5; BT-Drucks. 19/13829 S. 41).
2. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt Dr. E. liegen nicht vor.
Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen bestehen keine Gründe zur Aufhebung der Verteidigerbestellung.
a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift, die am 13. Dezember 2019 in Kraft getreten ist (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134), das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren. Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 48).
Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, Urteile vom 26. August 1993 – 4 StR 364/93, BGHSt 39, 310, 314 f.; vom 24. Februar 2016 – 2 StR 319/15, NStZ 2017, 59, 61; KG, Beschluss vom 9. August 2017 – 4 Ws 101/17, juris Rn. 10 mwN; s. auch BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001 – 2 BvR 1152/01, NJW 2001, 3695, 3697 mwN).
Unabhängig davon kann ein konkret manifestierter Interessenkonflikt einen Grund dafür bieten, die bestehende Bestellung aufzuheben, wenn ansonsten die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist (s. BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 11 Rn. 33 mwN; Beschluss vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173). Mit Blick auf die Ausgestaltung des Verbots der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO hat der Gesetzgeber in der sukzessiven Verteidigung von mehreren derselben Tat beschuldigten Personen keine die Verteidigung im Allgemeinen hindernde Interessenkollision gesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173 f.; BT-Drucks. 10/1313 S. 22). Indes steht eine Mandatsbeendigung einem etwaigen Interessenkonflikt nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, NStZ 2014, 660 Rn. 38; Beschluss vom 15. November 2005 – 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10). Ob ein solcher vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und objektiv zu bestimmen (BGH, Urteile vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 11 Rn. 35; vom 23. April 2012 – AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039, 3040).
b) Daran gemessen ist ein Verteidigerwechsel auf der Grundlage des derzeitigen Sachstandes nicht erforderlich.
aa) Ein konkreter Interessenkonflikt in Bezug auf die bereits beendete Verteidigung des Zeugen W. und die Verteidigung des Angeklagten be- steht nicht.
(1) Die Verteidigung des Zeugen einerseits und des Angeklagten andererseits hatte nicht denselben Sachverhalt als maßgeblichen Verfahrensgegenstand (vgl. – zu § 356 StGB – BGH, Urteil vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307 Rn. 20).
Dem Angeklagten wird die mitgliedschaftliche Beteiligung am „Islamischen Staat [im Irak und Syrien]“ seit November 2013 in zwei Fällen in Tateinheit mit weiteren Delikten zur Last gelegt. Im Anklagesatz sind insoweit eine Ausreise des Angeklagten nach Syrien am 21. November 2013, seine anschließende Ausbildung als Kämpfer in Syrien sowie eine Vermittlung im April 2014 bei der Ausreise von M. aufgeführt. Demgegenüber wurde der Zeu- ge am 15. Februar 2018, rechtskräftig seit dem 7. Juni 2018, wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Das Urteil hatte – entsprechend der zugrundeliegenden Anklage – Widerstandshandlungen am 3. März 2017 und eine Ausreise auf dem Landweg Richtung Syrien am 7. April 2017 zum Gegenstand. Der Angeklagte findet weder in der den Zeugen betreffenden Anklageschrift noch im schriftlichen Urteil Erwähnung.
(2) Das frühere Verteidigerverhältnis überschneidet sich auch nicht in anderer Weise mit der Zeugenaussage.
Der Zeuge wurde im gegen den jetzigen Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren am 8. Mai 2019 vernommen, mithin zu einem Zeitpunkt, als das gegen ihn geführte Strafverfahren seit beinahe einem Jahr rechtskräftig abgeschlossen war. Die Vernehmung befasste sich unter anderem mit der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer islamistischen („Daula-„)Gruppe in den Jahren 2016 und 2017. Die Angaben des Zeugen werden im wesentlichen Ergebnis der gegen den Angeklagten erhobenen Anklageschrift als ein Beleg neben anderen Beweismitteln für das Bestehen der Gruppe und die Bezeichnung des Angeklagten als “ “ angeführt.
Bei der etwaigen gemeinsamen Gruppenzugehörigkeit handelte es sich für den Zeugen um einen vor oder nach dem eigentlichen Tatgeschehen liegenden Aspekt, nicht aber um den Kern der damals unterbreiteten Lebensverhältnisse. Diese sind, wie dargelegt, ihrerseits nicht Gegenstand der hiesigen Anklagevorwürfe.
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass in der Hauptverhandlung ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen (§ 55 Abs. 1 StPO) angenommen worden ist; denn ein solches setzt allgemein die Gefahr der Strafverfolgung voraus. Grundsätzlich kann es nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet, die im Verhältnis zu den abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn darstellen würden (s. im Einzelnen BGH, Urteile vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 326/06, NStZ 2007, 278 Rn. 6; vom 6. April 2017 – 3 StR 5/17, NStZ 2017, 546, 547). Mithin beinhaltet die Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts gerade keinen Hinweis darauf, dass die abgeurteilten Taten des Zeugen mit den nunmehr angeklagten in verfahrensrechtlichem Zusammenhang stehen.
(3) Im Übrigen ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die frühere Verteidigung des Zeugen und die nunmehrige Verteidigung des Angeklagten gegenläufige Interessen berühren. Im Verfahren gegen den jetzigen Zeugen bestand kein Tatvorwurf gegen den hiesigen Angeklagten; dieser war für die vor allem auf geständigen Einlassungen beruhende Verurteilung des Zeugen ohne Belang.
Das frühere Mandatsverhältnis hindert den Pflichtverteidiger nicht daran, sich unter Beachtung seiner Verschwiegenheitspflicht mit der den Angeklagten potentiell belastenden Aussage des Zeugen kritisch auseinanderzusetzen. Dies gilt sowohl dann, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung Angaben machen sollte, als auch für den Fall, dass seine frühere Aussage anderweitig in die Hauptverhandlung eingeführt wird. Besondere Umstände, nach denen sich konkret anderes ergibt (so etwa für das im Wesentlichen einzige Beweismittel, das für die Überführung des Angeklagten von ausschlaggebender Bedeutung ist, BGH, Beschlüsse vom 15. November 2005 – 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10; vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 176), sind nicht gegeben.
bb) Das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt Dr. E. und dem Angeklagten ist, wie bereits vom Oberlandesgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt, aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht endgültig zerstört.
Da die frühere Verteidigung des Zeugen aus den zuvor erörterten Gründen keinen konkreten Interessenkonflikt zur Folge hat, besteht für einen verständigen Angeklagten insofern kein Anlass, dem Pflichtverteidiger das Vertrauen zu entziehen.
Soweit der Angeklagte einen Vertrauensbruch darin sieht, dass ihm Rechtsanwalt Dr. E. den Ausgang des gegen den Zeugen geführten Ver- fahrens verschwiegen habe, reicht dies für eine Entpflichtung ebenfalls nicht aus. Die Verurteilung des Zeugen ist bereits aus der Anklageschrift zu entnehmen, die dem Angeklagten im September 2019 übersandt worden ist. Angesichts der eher nachrangigen Bedeutung des Zeugen für die gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe und der im angefochtenen Beschluss näher aufgezeigten Bezüge des Angeklagten zu dem gegen den Zeugen geführten Strafverfahren ergibt sich selbst dann keine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, wenn der Verteidiger den Angeklagten nicht von sich aus über Einzelheiten des damaligen Verfahrens, insbesondere die Hintergründe einer Verständigung (§ 257c StPO), sowie das vorangegangene Mandat in Kenntnis gesetzt hat.
cc) Da kein Grund für eine Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. E. besteht, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass der beantragten Bestellung von Rechtsanwalt G. gemäß § 143a Abs. 2 Satz 2, § 142 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO die von ihm mitgeteilten Terminkollisionen entgegenstehen könnten.“
Die Hürden für den Pflichtverteidigerwechsel liegen also nach wie vor hoch bzw. es muss schon einiges passieren bzw. passiert sein, bevor ausgewechselt wird. Hier reichte dann noch nicht einmal, dass der Verteidiger zuvor einen potentiellen Belastungszeugen vertreten hat.