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„Für den heutigen Hauptverhandlungstermin“, oder: Keine Einzeltätigkeit, sondern volle Bestellung

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Und im zweiten Posting habe ich dann noch einmal etwas zu den Gebühren des „Vertreters“. Und zwar hat das AG Gummersbach dazu im AG Gummersbach, Beschl. v. 22.10.2024 – 82 Ls-250 Js 367/18-10/20 – Stellung genommen. Dabei ging es vornehmlich um die Auslegung des der Formulierung „für den heutigen Hauptverhandlungstermin“ in einem Bestellungsbeschluss. Das AG meint: Keine Einzeltätigkeit, was zur Folge hat, dass alle Gebühren, die nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG entstanden sind, erstattet werden:

„Das Gericht folgt insoweit im vollen Umfang den Ausführungen des Nebenklägervertreter, dass es sich bei vorliegender Tätigkeit, auch wenn es sich um eine Abwesenheitsvertretung der beigeordneten Nebenklägervertreterin handelt, nicht um eine Einzeltätigkeit handelt.

Die Formulierung der Strafkammer „Rechtsanwalt pp. wurde für den heutigen Hauptverhandlungstermin in Vertretung für Rechtsanwältin pp. als
Nebenklägervertreterin der Nebenklägerin pp. beigeordnet“ wurde im Rahmen der Festsetzung insoweit fehlerhaft ausgelegt.

Die zu vertretene Nebenklägerverterterin Rechtsanwältin Frau pp. wurde vollumfänglich der Nebenklägerin beigeordnet. Die Formulierung “ für den heutigen Hauptverhandlungstermin“ stellt im vorliegenden Fall lediglich klar, dass die bisherige Nebenklägerinvertreterin weiterhin vollumfänglich weiterhin beigeordnet ist und die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. nicht zu einer Entpflichtung der ursprünglichen Nebenklägervertreterin führt. Dies wurde von Seiten des Gerichts im Rahmen der Festsetzung als Einzeltätigkeit gewertet.

Hier revidiert das Gericht seine Auffassung und folgt den Ausführungen des Beschwerdeführers.

Dass im Rahmen der Beiordnung von Seiten der Strafkammer nicht auf einen Verzicht bzgl. der Mehrkosten für die Staatskasse hingewirkt wurde, kann nicht zu Lasten des Rechtsanwaltes pp. gehen.“

 

Corona: Wieder Beleidigung von Polizeibeamten, oder: „Wir haben so’n paar Nervzwerge an der Backe ….“

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Und dann der Wochenstart heute mit zwei StGB-Entscheidungen, und zwar einmal etwas, das noch aus Coronazeiten stammt und dann etwas zu Klimaklebern.

Zunächst hier der – schon etwas ältere – BayObLG, Beschl. v. 18.03.2024 – 206 StRR 63/24 – noch einmal zu den Anforderungen an die Auslegung einer Äußerung beim Verdacht der Beleidigung von Polizeibeamten.

Der Angeklagte ist vom AG/LG wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Hiergegen die Revision, die Erfolg hatte.

Das LG hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am 13. Februar 2022 fand in Ingolstadt eine angemeldete Versammlung mit dem Thema „Impfzwang, Corona“ mit etwa 1.500 Teilnehmern statt. Als Auflage war behördlich die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmern bestimmt worden, anderenfalls müsse eine Maskenpflicht angeordnet werden. Der Angeklagte fungierte während der gesamten Veranstaltung als Moderator auf der Bühne, auf der verschiedene Redner auftraten. Aufgrund zahlreicher Verstöße gegen das Abstandsgebot wurde der Veranstaltungsleiter, bei dem es sich nicht um den Angeklagten handelte, durch anwesende Polizeikräfte wiederholt ohne Erfolg aufgefordert, über das Mikrofon zur Einhaltung der Auflagen anzuhalten. Schließlich traten der polizeiliche Einsatzleiter und sein Stellvertreter an den Versammlungsleiter heran und forderten eindringlich eine unverzügliche Durchsage. Letzterer informierte den Angeklagten über die Notwendigkeit einer Unterbrechung, woraufhin dieser über das Mikrofon folgende Ansage machte: „Wir haben so’n paar Nervzwerge an der Backe, und der Z. [Anm. des Senats: der Veranstaltungsleiter] muss eine Durchsage machen“; die Ansage selbst wurde anschließend vom Versammlungsleiter durchgegeben. Der Angeklagte wusste bei seiner Äußerung nicht, welche konkreten Beamten dem Versammlungsleiter die Anweisung gegeben hatten. Er fühlte sich davon „genervt“, dass die anwesende Polizei schon den ganzen Nachmittag über die Reden hatte unterbrechen wollen. Die beiden Polizeibeamten und ihr Dienstvorgesetzter haben Strafantrag gestellt.“

Das LG hat diese Äußerung als Beleidigung gemäß § 185 StGB zum Nachteil der beiden Polizeibeamten, die den Versammlungsleiter zur Durchsage aufgefordert hatten, gewertet. Mit der Äußerung habe der Angeklagte gerade diese konkreten Personen öffentlich verunglimpfen wollen. Es handle sich, da kein sachlicher Bezug zu einer beanstandungswürdigen Diensthandlung oder sonstigen Verfehlung der Beamten erkennbar sei, um eine bloße Schmähkritik. Eine vorsorglich vorgenommene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht der Beamten ergebe zudem keine überwiegende Schutzwürdigkeit der Meinungsäußerungsfreiheit.

Das hat das BayObLG „im konkreten Einzelfall“ anders gesehen:

„b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, die Durchsage stelle eine persönliche Verunglimpfung der beiden Polizeibeamten dar, als zumindest unvollständig. Es handelt sich vielmehr um eine mehrdeutige Äußerung, bei der ein anderer – strafloser – Aussagegehalt, nämlich die Äußerung einer Kritik an polizeilichen Anordnungen und Maßnahmen ohne Herabwürdigung der handelnden Personen, zumindest nicht aus-geschlossen werden kann.

aa) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (BVerfG, Beschluss vom 24. November 2023, 1 BvR 1962/23, NJW 2024, 745 Rn. 4; NJW 1995, 3303, 3305, juris Rn. 124; Beschluss vom 9. Februar 2022, 1 BvR 2588/20, NJW 2022, 1523 Rn. 21). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG a.a.O.). Demgemäß sind weder die Aussage der Beamten, sie hätten sich direkt angesprochen und beleidigt gefühlt (UA S. 6), noch die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht die konkreten Beamten, sondern die polizeilichen Maßnahmen insgesamt kritisieren wollen (UA S. 5), jeweils allein ausschlaggebend.

Bei der Auslegung ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der aber den Sinn nicht abschließend festlegt. Vielmehr sind alle sprachlichen und sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3305, juris Rn. 126; Beschluss vom 23. September 1993, 1 BvR 584/93, juris Rn. 17; st. Rspr.).

Die Auslegung einer Äußerung ist Sache des Tatgerichts und unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht, gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder lückenhaft ist MünchKomm-StPO/Bartel, 2. Aufl. 2024, § 261 Rn. 355; OLG Hamm, Beschluss vom 10.Oktober 2005, 3 Ss 231/05, NStZ-RR 2007, 140).

bb) Das Landgericht hat die verfassungsrechtlichen Maßgaben zwar im Grundsatz bedacht, jedoch nicht ohne Rechtsfehler angewandt. Seine Auffassung, die Äußerung des Angeklagten könne, was „unzweifelhaft klar“ sei, „nur“ dahin verstanden werden, dass sie sich auf die beiden Polizeibeamten bezogen habe (S. 10), hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

(i) Die Deutung als herabsetzende Äußerung gegenüber den konkreten Beamten erscheint zwar möglich. Die Bezeichnung einer Person als „Nervzwerg“ ist nicht nur grob ungehörig und distanzlos, sondern kann im konkreten Kontext auch als deren Herabwürdigung verstanden werden.

(ii) Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten ist aber stets zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gilt (vgl. BeckOK StGB/Valerius, 60. Ed., Stand 01.02.2024, § 185 Rn. 25.4 m.w.N.).

Dies hat das Gericht zwar erwogen (vgl. UA S. 11), es hat aber die konkreten Umstände nicht erschöpfend gewürdigt. Es hat die Abgrenzung zu Unrecht darauf reduziert, dass der Ausdruck entweder auf die beiden konkreten Beamten oder aber auf die Polizei im Allgemeinen „irgendwo im Staat“ bezogen gewesen sein kann (UA S. 10). Dabei hat es übersehen, dass auch dann, wenn ein Vorwurf sich auf vor Ort anwesende Beamte oder selbst dann, wenn er sich auf bestimmte Beamte bezieht, er gleichwohl, je nach den Begleitumständen, als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei verstanden werden und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. September 1993, 1 BvR 584/93, juris Rn. 18: Bezeichnung von Polizeibeamten als „kassierende Bullen“; BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2004, 1 St RR 153/04, NJW 2005, 1291: Polizeibeamte als „Wegelagerer“; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. März 2003, III 2b Ss 224/02-2/03, NStZ-RR 2003, 295; „Wegelagerei“; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Oktober 2005, 3 Ss 231/05, NStZ-RR 2007, 140: Beamte des Bundesgrenzschutzes als „Menschenjäger“).

(iii) Der Senat vermag die ergänzende Auslegung der inkriminierten Äußerung auf der Grundlage der vom Landgericht sorgfältig und umfassend getroffenen Feststellungen, die sich nicht nur aus dem Urteilsabschnitt Ziff. III (Sachverhalt), sondern aus der Gesamtheit der Urteilsgründe erschöpfend ergeben, selbst vorzunehmen. Er kann unter Berücksichtigung der erkennbaren Gesamtumstände sowie des konkreten Kontextes nicht ausschließen, dass ein unvoreingenommener und verständiger Zuhörer die Durchsage nicht als Geringschätzung konkreter Personen, sondern als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei vor Ort während der Versammlung, nämlich in Form von wiederholten Aufforderungen an die Versammlungsleitung zum Zweck der Beachtung der infektionsschutz-rechtlichen Auflagen verstehen musste.

Allein der vom Landgericht hervorgehobene enge Zusammenhang zwischen der Aufforderung durch die beiden Beamten an den Versammlungsleiter und der Durchsage des Angeklagten vermag die Auslegung, die Kritik habe allein diesen beiden Personen gegolten, nicht zu tragen. Auch der verwendete Ausdruck „Zwerge“ impliziert dies nicht zwingend, denn die Beamten waren nicht von auffällig kleiner Körpergröße (UA S. 12). Der Angeklagte hat nach den Feststellungen (UA S. 4) zudem weder gewusst, welche Beamten die Anweisung zu einer Durchsage gegeben hatten, noch hatte er nachweislich das Gespräch mit dem Versammlungsleiter gesehen (UA S. 6). Zuvor war bereits wiederholt (durch andere Beamte) die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Auflagen und entsprechende Durchsagen gefordert worden (UA S. 3, 6), wovon der Angeklagte „genervt“ war (UA S. 4). Es ist nach diesen konkreten Umständen eine Deutung möglich und nicht fernliegend, dass er, für unvoreingenommene Zuhörer erkennbar, seinen allgemeinen Unmut über das polizeiliche Vorgehen als solches zum Ausdruck bringen, nicht aber konkrete Beamte verächtlich machen wollte.

(iv) Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass, wie das Landgericht im Rahmen der Abwägung, ob eine sog. Schmähkritik vorliegt, ausführt, „keine beanstandungswürdige Diensthandlung oder sonstige Verfehlung der Beamten erkennbar“ war (UA S. 12). Der Angeklagte kann sich auch von rechtmäßigen Diensthandlungen „genervt“, also belästigt gefühlt und diese (abfällig) kommentiert haben.

cc) In der Deutungsvariante, dass der Angeklagte die polizeilichen Maßnahmen während der Veranstaltung kritisiert hat, führt die Äußerung nicht zu einer Bestrafung, denn es fehlt bereits tatbestandsmäßig an einer Beleidigung (vgl. BayObLG NJW 2005, 1291, 1292).

Auch ein wenigstens mittelbar in der Äußerung liegender ehrverletzender Vorwurf an die Handelnden lässt sich nicht zwingend erschließen, insbesondere lässt sich dies nicht aus der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen herleiten. Insoweit ist auch zu bedenken, dass es mit der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht vereinbar ist, die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung danach zu beurteilen, ob die kritisierte Maßnahme des Beamten rechtmäßig oder rechtswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, 1 BvR 1770/91, NJW 1992, 2815, 2816). Das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (BVerfG a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2004, 1 StRR, 153/04, NJW 2005, 1291; st. Rspr.). Dass sich die Kritik gegen rechtmäßige Maßnahmen richtet, kann deswegen nicht die Schlussfolgerung begründen, sie sei zwangsläufig auf die handelnden Personen bezogen.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte, diese Auslegungsvariante zugrunde gelegt, jedenfalls gleichzeitig auch eine ehrverletzende Missachtung gegenüber den beiden zuletzt handelnden Beamten zum Ausdruck gebracht hat, lassen sich nicht sicher feststellen.

dd) Da es in einer der möglichen Auslegungsvarianten der mehrdeutigen Äußerung damit bereits an deiner tatbestandsmäßigen Tathandlung gemäß § 185 StGB fehlt, ist nicht mehr zu entscheiden, zu welchem Ergebnis eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz (vgl. UA S. 13-19), die bei einer beleidigenden Äußerung aus verfassungsrechtlichen Gründen stets vorzunehmen ist, im konkreten Fall führen würde. Der Senat weist lediglich darauf hin, dass entgegen der Annahme des Landgerichts (UA S. 12 f.) nicht von einer Schmähkritik ausgegangen werden kann. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn eine Äußerung keinen irgendwie gearteten Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (BVerfG NJW 2020, 2622 Rn. 19). Ein sachlicher Bezug der gegenständlichen Äußerung zum vorangegangenen dienstlichen Einschreiten der Beamten liegt aber auf der Hand.“

Rechtsmittel II: Falsche Bezeichnung des Rechtsmittels, oder: Rechtsmittelauslegung

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Im zweiten Posting stelle ich dann zwei Entscheidungen des KG zur Auslegung von Rechtsmittel vor, allerdings nur mit den Leitsätzen, und zwar:

1. Insbesondere die Rechtsmittelerklärung eines rechtsunkundigen Angeklagten ist anhand ihres Gesamtinhalts und unter Berücksichtigung des erstrebten Erfolges auszulegen.

2. Eine irrtümliche Falschbezeichnung wirkt nicht zu Lasten des Rechtsmittelführers. Im Zweifel gilt unter zur Wahrung des Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) das Rechtsmittel als eingelegt, das die umfassendere Nachprüfung erlaubt und mit geringeren Begründungsanforderungen verbunden ist.

3. Auslegung einer gegen ein Urteil (§ 412 StPO) gerichteten „Revision“ als Berufung

1. Ist der Angeklagte der irrigen Auffassung, gegen ein durch das Rechtsmittel der Berufung oder der Sprungrevision überprüfbares Urteil sei die Rechtsbeschwerde gegeben, so wird sich der Rechtsmittelführer der Wahlmöglichkeit zwischen Berufung und Sprungrevision regelmäßig gerade nicht bewusst gewesen sein. Das Rechtsmittel ist dann regelmäßig als Berufung zu behandeln.

2. Dies gilt aber dann nicht, wenn sich aus der Rechtsbeschwerdebegründung oder aus sonstigen Umständen zweifelsfrei ergibt, dass der Rechtsmittelführer auf eine Nachprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht verzichten wollte.

3. Unzuständigkeitserklärung und Abgabe der Sache an das Berufungsgericht.

4. Fahren ohne Fahrerlaubnis deutet als „typisches Verkehrsdelikt“ und „verkehrsspezifische Anlasstat“ auf eine fehlende charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin.

StGB III: Beleidigung durch Bezeichnung „Botoxfresse“?, oder: Es kommt darauf an

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Galdbeck, Beschl. v. 16.1.2021 – 6 Ds 304 Js 56_19-91/21 – betreffend ein Beleidigungsverfahren.

Der Anzeigeerstatter hat sich mit einer Strafanzeige gegen Äußerungen des Angeschuldigten gewendet, der unter einem Alias als Rapper auftritt. Dem Angeschuldigten wird in der dann erhobenen Anklage vorgeworfen, er habe den Anzeigeerstatter in einem Facebook-Post vom 13.02.2019 als „Botoxfresse‘ beleidigt; ferner habe der aa Angeschuldigte ein Video mit einem Disstrack über den Anzeigeerstatter veröffentlicht, wobei weitere Angeschuldigte als Komparsen oder Produzenten mitgewirkt haben sollen.

Das AG hat die Eröffnung des Hauaptverfahrens abgelehnt und das recht umfangreich begründet. Um zu verstehen, worum es geht – vor allem wegen der Hintergründe – muss man die Beschlussgründe ziemlich umfassen einestellen:

„… Bei dem Anzeigeerstatter handelt es sich um eine freiwillig in der Öffentlichkeit stehende Person. Als Person der Zeitgeschichte ist er Hauptdarsteller in einer Reality-Show, in der er sich und seine Familie als sehr reiche Personen vorstellt, die dem internationalen Jetset angehören und ein Leben im Luxus führen. In diesem Rahmen stellt sich der Anzeigeerstatter in die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Dabei äußert er selbst mitunter polarisierende Meinungen, die von Teilen der Zuschauer als polemisch oder unangemessen aufgefasst werden und teilweise heftige Reaktionen hervorrufen.

In diesem Zusammenhang hat der Anzeigeerstatter als Person des öffentlichen Lebens ein Video von sich veröffentlichen lassen, in dem er sich vor der Scheich-Zayid- Moschee in Abu Dhabi befindet. Diese Moschee stellt eine der größten und bedeutsamsten Moscheen weltweit und eine wichtige religiöse Örtlichkeit für Muslime dar. In diesem Video äußert der Anzeigeerstatter, dass er nun schon seit langer Zeit auf der Suche nach einer Immobilie in Dubai für seine Familie und nunmehr fündig geworden sei, wobei er auf die Moschee deutet. Weiter heißt es in dem Video, dass auch für Livemusik gesorgt sei. Insoweit spielt der Anzeigeerstatter in dem Videobeitrag auf den Ruf des Muezzins an.

Insoweit hat der Anzeigeerstatter einen von vielen Zuschauern als provozierend aufgenommenen Beitrag in Bezug auf die Ausübung und den Stellenwert der islamischen Religion in die sozialen Medien eingestellt, als er das Video verbreitete.

Es kam im weiteren zu verschiedenen Gegenäußerungen und Kritik an dem Anzeigeerstatter für die Darstellung in dem von ihm geposteten Video. Der Anzeigeerstatter reagierte darauf, in dem er das Video über die Moschee als -missglückten – Witz darstellte.

In diesem Zusammenhang sind die Äußerungen, die Gegenstand des Strafverfahrens sind, als Antwort auf das Video des Anzeigeerstatters einzuordnen. Der Angeschuldigte pp. erstellte dabei einen Disstrack, in dem er sich mit den Äußerungen des Anzeigerstatters über die Moschee befasst.

Nach dem Anklagevorwurf wurde das Disstrack-Video im März 2019 auf dem Internet-Videoportal YouTube auf Veranlassung des Angeschuldigten zu 1. (alias pp) veröffentlicht, jedoch nach ganz kurzer Zeit wieder von dem Youtube-Kanal des Angeschuldigten gelöscht. Zuvor ist es weiter verbreitet worden und lässt sich weiterhin auf Youtube, allerdings unter dem Kanal eines Anhängers des Anzeigerstatters („pp.9, abrufen.

Auf dem besagten Musikvideo ist im Wege der filmischen Darstellung zu sehen, wie zwei Laiendarsteller, die offensichtlich den Anzeigeerstatter nebst Gattin darstellen sollen, in einem Auto fahren. Die Darstellung erfolgt dabei in überspitzter und satirischer Form und macht sich über das in dem TV-Format des Anzeigerstatters gezeigte Verhalten („zum Friseur gehen, shoppen, eine Yacht kaufen…“) lustig. Im weiteren Verlauf des Musikvideos wird sodann durch Laiendarsteller eine Entführung des Anzeigeerstatters und seiner Frau dargestellt, wobei die Charaktere mit einem Auto in eine Werkstatt verbracht werden. Insgesamt wirkt die Sequenz satirisch überspitzt und comedyhaft bis lächerlich. Anschließend wird das Video des Anzeigeerstatters über die Moschee in Abu Dhabi eingespielt. Sodann startet der eigentliche Musikbeitrag/der Rap, den der Angeschuldigte zu 1. Vorträgt. Darin heißt es unter anderem:

„R. für eine Botoxfresse“

Sodann zielt eine Person mit einem Gegenstand, der wie ein Gewehr aussieht auf den Schauspieler, der den Anzeigeerstatter darstellt und dazu wird gerappt:

„ Geh in Deckung, Mann. Ich lade jetzt mein Eisen auf dich gezielt, pp.. Weiter heißt es, „ ein Hund wie du sei leise , sonst nehme ich dich als Geisel“ . Ferner wird der offenbar den Anzeigeerstatter darstellende Mann als „Schwein“ und „Hurensohn“ bezeichnet und es heißt dann:. „Ich gehöre zu den Miesen, wenn es sein muss, werde ich schießen“.

Tatsächliche Körperverletzungen sind filmisch nicht dargestellt.

Das Video endet damit, dass der Angeschuldigte zu 1. dem Darsteller, der offenbar den Anzeigeerstatter verkörpern soll, durchs Haar fährt und dabei- äußert: „du Spaßvogel, denk nächstes Mal nach, bevor du solche Witze machst.“

Die weiteren Angeschuldigten sollen Komparsen in dem Video mit dem Disstrack bzw. der Produzent des Videos sein.

Der Anzeigeerstatter hat über seine Rechtsanwälte Strafanzeige unter anderem wegen Bedrohung und Beleidigung gestellt.

II.

Bei rechtlicher Bewertung dieser Gesamtsituation kann eine Strafbarkeit der Angeschuldigten nicht mit der für die Eröffnung des Hauptverfahrens zu fordernden Wahrscheinlichkeit aus tatsächlichen sowie rechtlichen Gründen festgestellt werden.

…..

2. Auch in rechtlicher Hinsicht begegnet die Anklage durchgreifenden Bedenken:

a) Beleidigung durch den Disstrack seitens des Angeschuldigten zu 1.

In dem besagten Disstrack, also dem Rap des Angeschuldigten zu 1., wird der die Person des Anzeigerstatters darstellende Schauspieler unter anderem als „Hund“, „Schwein“ und „Hurensohn“ tituliert.

Dies sind eindeutig ehrverletzende Äußerungen.

Diese Äußerungen erfolgten nicht im persönlichen Kontakt oder direkter Ansprache über Kommunikationsmittel, sondern im Rahmen einer fiktiven Darstellung. Es wird eine filmische Episode erzählt, die den Anzeigeerstatter persifliert.

Hinzu kommt, dass die Äußerungen im Rahmen eines gereimten Raps aus dem Genre Gangsterrap erfolgten. In diesem Genre ist die Besonderheit der Darstellung darin begründet, dass kriminalitäts- und gewaltverherrlichende Darstellungen mit einer vulgären Wortwahl erfolgen.

Dabei ist anerkannt, dass der Gangsterrap eine eigene Kunstform darstellt, die ebenso wie Satire und Persiflage unter dem Schutzbereich der grundgesetzlichen Kunstfreiheit stehen, auch wenn darin – wie es dem Wesen dieser Rapform entspricht – gewaltverherrlichende oder beleidigende Äußerungen enthalten sind.

Die Kunstfreiheit findet ihre Grenzen dort, wo das schützwürdige Persönlichkeitsrecht des Einzelnen betroffen ist. Dabei ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen den Persönlichkeitsrechten des Adressaten und der Kunstfreiheit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.01.20, III- 4 RvS 193109 IV). Die Grenze der strafbaren Beleidigung ist in diesem Kontext erst dann erreicht, wenn die persönliche Kränkung den Schwerpunkt des Beitrags darstellt im Sinne einer Schmähkritik. Das ist in dem Kontext dann der Fall, wenn die Ehrverletzung die sachliche Auseinandersetzung vollends und beabsichtigt in den Hintergrund drängt (BVerfG, Beschluss vom 17.09.12, Az. 1 BvR 2979/10).

Hier verhält es sich so, dass eine in vertonter Reimform verfasste künstlerische Auseinandersetzung mit dem zuvor vom Anzeigeerstatter veröffentlichten Video über die Moschee als Wohnimmobilie dargestellt wird. Das wird deutlich an dem eingespielten Video des Anzeigerstatters und an den im Rap enthaltenen Äußerungen wie „ sag nicht zur Moschee Immobilie“ , „provozier nochmal den Islam“, „du Spaßvogel, denk nächstes Mal nach, bevor du solche Witze machst“.

Insoweit ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Anzeigeerstatter selbst anlasslos eine von der muslimischen Community als provozierend und als respektlos empfundene Äußerung über religiöse Inhalte gegenüber einem breiten Publikum abgab. Der Anzeigeerstatter hat diese Äußerung selbst in den sozialen Medien publik gemacht und hatte somit durchaus mit Gegenäußerungen, auch in unsachlicher Form, zu rechnen.

Der hier zu beurteilende Disstrack stellt eine solche Gegenäußerung mit künstlerischen Mitteln dar.

Die Grenze der Kunstfreiheit in diesem Kontext wäre erst erreicht, wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund steht, sondern die Herabsetzung einer Person im Sinne einer Schmähkritik.

Dies ist hier nicht der Fall. Denn es ging angesichts der Verlinkung mit dem Beitrag über die Moschee als Wohnimmobilie um eine Auseinandersetzung mit Sachbezug, die nicht schwerpunktmäßig auf das persönliche Diffamieren des Anzeigeerstatters ausgelegt ist. Vielmehr ist der Einsatz der typischen sprachlichen Stilmittel des Gangsterraps gerade erfolgt, um mit der Art der Darstellung eine besondere Aufmerksamkeit in der Auseinandersetzung um das Sachthema zu erregen.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeschuldigte vorrangig die persönliche Kränkung erreichen wollte oder dies der Schwerpunkt des Gesamtwerkes wäre.

Demzufolge geht die Interessenabwägung zugunsten der Kunstfreiheit aus, deren Grenzen mit den Äußerungen, die Gegenstand des Raps sind, noch nicht überschritten ist. Eine Strafbarkeit scheidet aus gern. § 193 StGB iVm Art. 5 GG.

b) Beleidigung durch die Bezeichnung „Botoxfresse“

Dem Angeschuldigten zu 1. wird zudem zur Last gelegt, den Anzeigestatter in einem Facebookpost vom 13.02.2019 als „Botoxfresse“ bezeichnet zu haben, wobei der Beitrag mit dem Hashtag #machdichnichtübermoscheenlustig verlinkt gewesen ist.

Grundsätzlich ist unter der Beleidigung eine Kundgabe eines herabsetzenden Werturteiles zu verstehen, wobei bei der Frage, was eine Nichtachtung oder Missachtung der Person darstellt, regionale und subkulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen sind und es auf die Frage ankommt, wie ein objektiver Dritter in der konkreten Situation den Erklärungsinhalt verstehen würde (Fischer, StGB, § 185, Rz. 8).

Reine Unhöflichkeiten, Distanzlosigkeit oder Äußerungen ohne einen allgemein abwertenden Charakter, auch wenn sie in derber Ausdrucksweise erfolgen, sind dabei nicht dem Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB entsprechend (Fischer, Strafgesetzbuch § 185 Anmerkung 8c).

Vorliegend fühlt sich der Anzeigerstatter offenbar durch die Äußerung „Botoxfresse“ beleidigt.

Dieser Begriff lässt sich einerseits in dem Sinne verstehen, dass damit ein durch übermäßige kosmetische Eingriffe entstelltes Gesicht umschrieben wird.

Zwingend ist diese Auslegung indes nicht.

Nach dem regionalen Sprachgebrauch steht der Begriff „Fresse“ als derbes Synonym für „Gesicht“, wobei dem Begriff für sich genommen noch kein negatives Werturteil beigemessen wird, solange keine weitere negative Konnotation hinzukommt.

Eine „Botoxfresse“ könnte danach jemand sein, der sich einem Eingriff mit Botox unterzogen hätte, beispielsweise, um ein jugendlicheres äußeres Erscheinungsbild hervorzurufen. Dies stellt als solches nach dem allgemeinen Verständnis kein herabsetzendes Werturteil oder eine das Persönlichkeitsrecht missachtende Äußerung dar. Es ist gesellschaftlich gerade im Hinblick auf Prominente oder Menschen mit regelmäßigem Auftreten in Fernsehsendungen weder ungewöhnlich noch sozial geächtet, sich kosmetischen Eingriffen zu unterziehen. Selbst wenn der Angeschuldigte zu 1. sich darüber lustig gemacht hätte, ist eine ehrverletzende Auslegung dieses Begriffes durchaus nicht zwingend, sondern kann auch einen — zwar distanzlosen — aber hinsichtlich der persönlichen Ehre wertneutralen Charakter haben.

Des weiteren ist die Äußerung „Botoxfresse“ verlinkt mit dem Hashtag #machdichnichtübermoscheenlustig und knüpft insoweit direkt an das Video des Anzeigerstatters über die Moschee in Abu Dhabi an.

Unter Berücksichtigung dieser Verbindung kann die Äußerung „Botoxfresse“ auch ausgelegt werden in dem Sinne wie „eine dicke Lippe riskiert haben / eine große Klappe gehabt haben“, mithin also als Bezeichnung eines als großspurig bewerteten Verhaltens. Auch diese Auslegungsweise stellt als solche keine ehrverletzende Aussage dar.

Zusammengefasst sind aus Sicht des objektiven Adressaten vor dem Hintergrund der Verknüpfung mit dem Hashtag hierbei mehrere Auslegungen möglich, die nicht sämtlich ein herabwürdigendes Werturteil darstellen. Vielmehr steht die Mehrdeutigkeit der Äußerung der Einordnung als Beleidigung entgegen.

Selbst bei einer Auslegung der Äußerung als objektiv beleidigend ist immer noch zu bedenken, dass die Äußerung aufgrund der Verbindung mit dem Hashtag auf eine provozierende Äußerung des Anzeigerstatters Bezug nimmt, die dieser im Nachhinein als (missglückten) Witz darstellte. Insoweit liegt ein Sachbezug im Sinne einer Antwort auf die öffentliche als provozierend empfundene Äußerung des Anzeigeerstatters vor, die letztlich zu der Gegenäußerung führte.

…..“

StPO III: Die nicht eindeutige (Rechtsmittel)Erklärung, oder: Dann muss das Gericht nachfragen

Smiley

Die dritte Entscheidung des Tages kommt dann auch vom LG Nürnberg-Fürth. Das hat im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.06.2021 – 12 Qs 39/21 – zur Auslegung einer Erklärung im Strafbefehlsverfahren Stellung genommen-

Das AG hatte gegen den Beschuldigten, der nicht verteidigt ist, einen Strafbefehl erlassen, der eine Sanktion von 60 Tagessätzen zu 25 € vorsah. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Strafbefehl dem Beschuldigten am 20.04.2021 durch Einlage in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt. Am 07. 05.2021 brachte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einen Rechtskraftvermerk auf dem Strafbefehl an. Erst mit Schreiben vom 11.05.2021, beim Amtsgericht eingegangen am 12.05.2021, legte der Beschuldigte Einspruch gegen den Strafbefehl ein und erklärte sich zum Anklagevorwurf. Im weiteren Schreiben vom 17.05.2021 begründete er die späte Einspruchseinlegung unter Vorlage von Kopien von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen damit, dass er krank gewesen sei.

Das AG legte das Schreiben des Beschuldigten vom 17.05.2021 dahin aus, dass es einen konkludenten Wiedereinsetzungsantrag enthalten habe und verwarf diesen als unzulässig, weil er verspätet eingelegt worden sei. Zugleich verwarf es den Einspruch des Beschuldigten gegen den Strafbefehl als unzulässig. Der Verwerfungsbeschluss vom 27.05.2021 wurde dem Beschuldigten am 29.05.2021 zugestellt.

Der Beschuldigte wandte sich mit Schreiben vom 31.05.2021 erneut an das Amtsgericht. Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut (Schreibweise im Original):

„…Ich habe alles beweise schon vorgelegt aber Ich glaube Sie will nicht hören oder wissen. Die Kosten konnen Sie etwas tun weil ich habe ein Früh geburt Kind und mein Frau auch Arbeitet nicht so tun was! oder schicken Sie mich die Kosten und Ich zahlen in Raten € 30 monatlich weil ich zahlen auch zurück die JobCenter…“

Das Amtsgericht legte dieses Schreiben ohne weitere Rückfrage beim Beschuldigten als sofortige Beschwerde aus, half ihr nicht ab und leitete die Akte der Kammer zu. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Das LG sieht das Schreiben vom 31.05.2021 nicht als sofortige Beschwerde an und auch nicht als ein sonstiges Rechtsmittel gegen den Strafbefehl. Demgemäß sei beim Beschwerdegericht nichts zur Entscheidung hierüber angefallen; vielmehr sei die Sache an das Amtsgericht zurückzugeben:

„1. Nicht eindeutige Prozesserklärungen sind auszulegen. Als ein Rechtsmittel kann eine Erklärung nur dann ausgelegt werden, wenn aus ihr der Anfechtungswille hervorgeht (Jesse in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 300 Rn. 5; Paul in KK-StPO, 8. Aufl., § 300 Rn. 2), also der Wille, gegen eine gerichtliche Entscheidung vorzugehen mit dem Ziel, sie vollständig oder teilweise zu beseitigen oder sonst zu eigenen Gunsten abzuändern. Das Rechtsmittel muss von einem unzweideutigen Anfechtungswillen getragen sein (OLG Bamberg, Beschluss vom 8. September 2016 – 3 OLG 7 Ss 78/16, juris Rn. 4). Das wird allerdings nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die sprachliche Form, in der dieser Wille seinen Ausdruck gefunden hat, ihrerseits unvollkommen, missverständlich oder sonst uneindeutig ist. Bleibt auch nach der durchzuführenden Auslegung der Erklärung der Anfechtungswille unklar, ist der verbleibende Zweifel durch eine Nachfrage zu klären (zutreffend Hoch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 300 Rn. 4 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1951 – 3 StR 691/51, BGHSt 2, 63, 67).

2. Hiervon ausgehend war der Kammer bei Anwendung der herkömmlichen Auslegungsgrundsätze nicht klar, ob sich der Beschuldigte mit dem zitierten Schreiben gegen die Verwerfung seines Einspruchs und Wiedereinsetzungsantrags wehren wollte – ob also ein Anfechtungswille vorlag –, wofür möglicherweise der erste Satz des Schreibens sprechen könnte. Dort wirft der Beschuldigte dem Amtsgericht vor, seinen Vortrag und die vorgelegten Beweismittel nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Ob darin auch ein Angriff im Sinne eines Anfechtungswillens liegt oder eher eine resignative Feststellung, bleibt allerdings unklar.

Näherliegend schien es der Kammer, dass es dem Beschuldigten vor allem um die Vereinbarung einer Ratenzahlung ging, worauf der Rest des Schreibens deutet. Jedenfalls wird in dem gesamten Schreiben das Wort „Beschwerde“ oder ein sinnverwandter Ausdruck, der als Bezeichnung eines Rechtsmittels verstanden werden könnte, nicht benutzt. Es findet sich in dem Schreiben noch nicht einmal eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Mai 2021. Die Kammer hat weiter bedacht, dass der Beschuldigte kein deutscher Muttersprachler ist und dass er als offensichtlich Nicht-Rechtskundiger und ohne anwaltlichen oder sonstigen Beistand die Voraussetzungen und Erfolgschancen einer sofortigen Beschwerde nicht abschätzen kann. Die Kammer hat schließlich erwogen, dass die vermeintliche Wohltat der Eröffnung einer weiteren Instanz durch eine großzügige Auslegung – die eher eine „Einlegung“ wäre – des Schreibens als sofortige Beschwerde, dem Beschuldigten außer weiteren Kosten (Nr. 3602 KV GKG) wegen handgreiflicher Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels in der Sache nichts gebracht hätte.

3. Vor dem Hintergrund der nach alldem verbleibenden Zweifel über das Vorliegen des Anfechtungswillens telefonierte der Kammervorsitzende am 23. Juni 2021 mit dem Beschuldigten. Ergebnis des Telefonats war, dass es dem Beschuldigten letztlich um eine Ratenzahlungsvereinbarung ging. Damit war zugleich der anfangs bestehende Zweifel dahingehend beseitigt, dass der Anfechtungswille – und damit auch eine sofortige Beschwerde – nicht vorlag. Mangels sofortiger Beschwerde im Ausgangspunkt konnte eine Sachentscheidung der Kammer als Beschwerdegericht danach nicht ergehen.“