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Rechtsanwalt wird auf der Fahrt zum Gericht krank, oder: Wann hat wer wo angerufen?

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zum Zivilverfahrensrecht. Einmal BGH, einmal OLG.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2024 – XII ZB 171/23 -, in dem der BGH noch einmal zu den Anfordeurngen an den Vortrag des Prozessbvollmächtigten für den Nachweis unverschuldeter Säumnis Stellung nimmt.

Ergangen ist der Beschluss in einem Zivilverfahren, in dem ein Ehemann macht gegen seine von ihm getrennt lebende Ehefrau einen Zahlungsanpsurch in Höhe von 44.000 EUR geltend macht. Am 27.04.2022 erging beim AG ein Versäumnisbeschluss gegen die Ehefrau, gegen den diese Einspruch eingelegt hat. Das AG hat dann Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 23.11.2022 um 10:00 Uhr bestimmt. In diesem Termin ist für die Ehefrau erneut niemand erschienen. Nachdem das AG bis 10:55 Uhr gewartet und die Sache wiederholt aufgerufen hatte, hat es antragsgemäß einen zweiten Versäumnisbeschluss erlassen, durch den der Einspruch der Ehefrau „zurückgewiesen“ worden ist.

Hiergegen hat die Ehefrau mit der Begründung Beschwerde eingelegt, dass eine schuldhafte Säumnis nicht vorgelegen habe. Ihre Verfahrensbevollmächtigte sei am 23.11.2022 rechtzeitig in Berlin losgefahren, um den Gerichtstermin in Frankfurt (Oder) um 10:00 Uhr wahrzunehmen. Während der Fahrt habe sie jedoch unvermittelt plötzlich „schubweise schwere krampfhafte Zustände“ verbunden mit Brechreiz und Durchfall bekommen. Sie habe ihre Fahrt deshalb für ca. zwei Stunden unterbrechen müssen. Mehrfache Versuche, das AG vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen, seien erfolglos geblieben. Erst gegen Mittag habe die Verfahrensbevollmächtigte ihre Fahrt fortsetzen können und sich direkt zu einem Arzt begeben. „In der Zwischenzeit“ habe auch die Kanzleimitarbeiterin der Verfahrensbevollmächtigten vergeblich versucht, die Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen. Schließlich habe die Kanzleimitarbeiterin die „Vermittlung“ des AG angerufen. Diese habe ihr mitgeteilt, dass die Verhandlung bereits vorbei sei, und sie mit der zuständigen Richterin verbunden. Die Richterin habe erklärt, dass sich der gegnerische Anwalt bei ihr gemeldet und angekündigt habe, staubedingt zu spät zu kommen. Da die Richterin „vom Büro der Ehefrau“ keine Benachrichtigung erhalten habe, sei ein Versäumnisbeschluss ergangen. Später hat die Ehefrau ihren Vortrag dahingehend ergänzt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte am 23.11.2022 mit dem PKW um 7:15 Uhr in Berlin losgefahren sei und diese Fahrt ca. gegen 9:00 Uhr auf dem Parkplatz B. unterbrechen müssen. Eine Weiterfahrt sei nicht möglich gewesen.

Das OLG hat die Beschwerde wegen nicht ausreichenden Vortrags der Ehefrau als unzulässig verworfen. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte beim BGH keinen Erfolg:

„Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie – ihre Richtigkeit unterstellt – den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Vortrag mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierten Ansprüche auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht überspannt werden (vgl. BGH Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZB 58/21 -FamRZ 2022, 1713Rn. 13 f. mwN).

2. Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht die Beschwerde der Antragsgegnerin zu Recht als unzulässig verworfen.

a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend von einem der Antragsgegnerin nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten ausgegangen, ohne dabei überhöhte Anforderungen an die Darlegung des fehlenden Verschuldens gestellt zu haben.

aa) Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin am 23. November 2022 erkrankungsbedingt nicht zum Einspruchstermin vor dem Amtsgericht erscheinen konnte. Dieser Umstand genügt aber nicht für die Annahme, die Verfahrensbevollmächtigte habe diesen Termin unverschuldet versäumt. Denn eine schuldhafte Säumnis liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig auch dann vor, wenn ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen (vgl. BGH Urteile vom 24. September 2015 – IX ZR 207/14 -FamRZ 2016, 42Rn. 6 mwN und vom 25. November 2008 – VI ZR 317/07 -FamRZ 2009, 498Rn. 11 mwN). Nur wenn diese Mitteilung aus unverschuldeten Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, steht ihre Unterlassung der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen (Stein/Jonas/Althammer ZPO 23. Aufl. § 514 Rn. 9).

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Antragsgegnerin nicht schlüssig dargelegt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte den Termin am 23. November 2022 ohne Verschulden versäumt habe.

(1) Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung zwar vorgetragen, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte nach dem plötzlichen Auftreten der gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehrfach erfolglos versucht habe, das Amtsgericht vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen. Dabei handelt es sich jedoch entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht um hinreichend substantiierten Vortrag. Das Beschwerdegericht hat mit Recht moniert, dass die Antragsgegnerin bis zum Ende der Beschwerdebegründungsfrist keine konkreten Angaben zum Ablauf der Fahrt ihrer Verfahrensbevollmächtigten und deren Bemühungen um eine Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht nach der krankheitsbedingten Fahrtunterbrechung gemacht habe. Ihrem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, wann genau und wie oft ihre Verfahrensbevollmächtigte unter welcher Telefonnummer versucht habe, das Amtsgericht über ihre Verhinderung in Kenntnis zu setzen. Insbesondere habe die Antragsgegnerin nicht konkret behauptet, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte etwa versucht habe, die zuständige Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen, bzw. dass sie – im Falle des Nichtzustandekommens eines Gesprächs mit der Geschäftsstelle – die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts gewählt habe.

Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist die bloße Behauptung mehrerer erfolgloser Kontaktversuche vor 10:00 Uhr so pauschal und ungenau, dass nicht beurteilt werden kann, ob die Verfahrensbevollmächtigte ausreichende Bemühungen entfaltet hat, um ihrer Obliegenheit, dem Gericht rechtzeitig ihre Verhinderung mitzuteilen, nachzukommen. Hierfür wäre zumindest die Angabe erforderlich gewesen, wann genau die Verfahrensbevollmächtigte welche Rufnummer kontaktiert hat. Denn hätte sie etwa eine falsche Telefonnummer gewählt oder erst wenige Minuten vor 10:00 Uhr Kontaktversuche unternommen, obwohl sie ihre Fahrt nach eigenen Angaben bereits um 9:00 Uhr unterbrochen hat, wären ihre Bemühungen ersichtlich unzureichend gewesen (vgl. BGH Urteil vom 3. November 2005 – I ZR 53/05NJW 2006, 448 Rn. 15 f.).

Wie das Beschwerdegericht weiter richtig erkannt hat, enthält auch der (erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangene) Schriftsatz vom 27. Februar 2023 keinerlei Ergänzungen zu den von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen.

(2) In Ermangelung substantiierten Vortrags zu eigenen Kontaktaufnahmeversuchen ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat das Beschwerdegericht auch den Vortrag der Antragsgegnerin in den Blick genommen, die Kanzleimitarbeiterin ihrer Verfahrensbevollmächtigten habe „in der Zwischenzeit“ zunächst vergeblich versucht, die Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen, und sei dann über die „Vermittlung“ des Amtsgerichts mit der zuständigen Richterin verbunden worden. Das Beschwerdegericht hat insoweit ausgeführt, dass es zumutbar und naheliegend gewesen wäre, die Kanzleimitarbeiterin unverzüglich nach Eintritt der Fahrtunterbrechung telefonisch anzuweisen, die Richterin über die Verhinderung zu informieren und hierfür sowohl die Rufnummer der Geschäftsstelle als auch die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts zu benutzen. Dass die Verfahrensbevollmächtigte ihrer Mitarbeiterin diese Weisung rechtzeitig erteilt habe, sei dem Beschwerdevorbringen allerdings nicht zu entnehmen. Vielmehr sei lediglich vorgetragen worden, dass die Mitarbeiterin die Richterin über die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts zu einem nicht näher dargelegten Zeitpunkt nach der um 10:55 Uhr erfolgten Verkündung des zweiten Versäumnisbeschlusses erreicht und diese über die Verhinderung unterrichtet habe. Das nachträgliche Bemühen, die Information über die Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten weiterzugeben, genüge indes nicht.

Ob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin ihre Kanzleimitarbeiterin tatsächlich unverzüglich nach der Fahrtunterbrechung zur Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht hätte anhalten müssen oder ob sie – wie die Rechtsbeschwerde meint – zunächst eigene Kontaktversuche unternehmen durfte, kann letztlich dahinstehen. Denn die Verfahrensbevollmächtigte hätte ihre Mitarbeiterin jedenfalls im Falle der Erfolglosigkeit ihrer eigenen Kontaktversuche rechtzeitig vor dem Termin anweisen müssen, ebenfalls telefonisch Kontakt zum Amtsgericht aufzunehmen. Dass eine solche Weisung vor 10:00 Uhr erfolgt ist, hat die Antragsgegnerin jedoch nicht vorgetragen. Die Rechtsbeschwerde macht insoweit zu Unrecht geltend, dass sich die Rechtzeitigkeit der Weisung der Verfahrensbevollmächtigten aus der eidesstattlichen Versicherung ihrer Kanzleimitarbeiterin ergebe, wonach die Mitarbeiterin zum Zeitpunkt des Telefonats mit der zuständigen Richterin bereits seit mehr als 30 Minuten versucht habe, jemanden zu erreichen. Wann genau dieses Telefonat geführt wurde, ist hingegen nicht angegeben worden. Aus der eidesstattlichen Versicherung kann daher allenfalls abgeleitet werden, dass das Telefonat nach 10:55 Uhr stattgefunden hat, nicht jedoch, wann die Kontaktversuche der Mitarbeiterin begonnen haben, und insbesondere nicht, dass sie – auf eine entsprechende Weisung hin – bereits vor 10:00 Uhr erfolgt wären. Wenn aber Versuche, das Gericht über die kurzfristige Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten zu informieren, erst nach der vorgesehenen Terminsstunde unternommen werden, erfolgen sie schuldhaft zu spät (vgl. auch BGH Urteil vom 3. November 2005 – I ZR 53/05NJW 2006, 448 Rn. 15 f.).“

Ganz schön streng…..

Rechtsmittel III: Verschuldete Versäumung der HV?, oder: Verlängerte Wartepflicht nach Angeklagtenanruf

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.11.2021 – 1 Ws 425/21 – zur schuldhaft versäumten Berufungshauptverhandlung und zur Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 2 StPO).

Folgender Ablauf:

„…. Auf dessen Berufung beraumte die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich den Hauptverhandlungstermin auf den 7. September 2021 um 11:30 Uhr an. Der zu diesem Termin ordnungsgemäß geladene Angeklagte erschien – im Gegensatz zu seiner Pflichtverteidigerin – bei Aufruf der Sache jedoch nicht. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde nach einem Telefonat der Pflichtverteidigerin mit dem Angeklagten um 11:35 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte fälschlich von einem Sitzungsbeginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung um 11:36 Uhr für zwei Minuten unterbrochen und bei erneutem Aufruf um 11:45 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte noch immer nicht erschienen sei. Im Anschluss daran verwarf das Landgericht um 11:47 Uhr die Berufung des Angeklagten nach § 329 StPO.

In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass der Angeklagte am Terminstage ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der Umstand, dass er von einem Beginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei, entschuldige ihn nicht….

…. beantragte der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte zugleich – für den Fall der Verwerfung – Revision ein. Zur Begründung führte dieser aus, dass er sich in der Uhrzeit versehen habe. Er habe zudem durch seine Verteidigerin noch in der Hauptverhandlung erklären lassen, dass er sich unverzüglich auf den Weg machen und spätestens in 45 Minuten, also um 12:15 Uhr, bei Gericht eintreffen werde. Selbst unter Annahme einer insgesamt einstündigen Verspätung hätte die Berufungshauptverhandlung spätestens ab 12:30 Uhr durchgeführt werden können, zumal die nächste Sache am Terminstage erst auf 14:00 Uhr angesetzt worden sei.

Mit weiterem Schreiben vom 21. September 2021 reichte die Verteidigerin eine „eidesstattliche Versicherung“ des Angeklagten zum Zwecke der Glaubhaftmachung zur Akte, in welcher der Angeklagte weitergehend ausführt, sich nach dem um 11:30 Uhr erfolgten Telefonat sofort ins Auto gestiegen und losgefahren zu sein. Unterwegs sei ihm gegen 11:50 Uhr in einem weiteren Telefonat seitens der Verteidigerin mitgeteilt worden, dass die Berufung inzwischen verworfen worden sei, woraufhin er wieder umgekehrt und nach Hause gefahren sei.“

Das LG hat keine Wiedereinsetzung gewährt, das OLG sieht das anders:

„Der Wiedereinsetzungsantrag hat auch in der Sache Erfolg.

Die Möglichkeit der Verwerfung einer Berufung ohne Verhandlung zu Sache nach § 329 StPO beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will und auf eine sachliche Überprüfung des Urteils verzichtet, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet. Sie dient dem Zweck, den Berufungsführer daran zu hindern, die Sachentscheidung über seine Berufung dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht. Demgegenüber ist es nicht Sinn der Vorschrift, bloße Nachlässigkeiten zu bestrafen, die einem zur Mitwirkung bereiten Angeklagten bei seiner Pflicht zum pünktlichen Erscheinen unterlaufen sind. Dementsprechend ist eine enge Auslegung der Vorschrift des § 329 Abs. 1 StPO bzw. eine weite Auslegung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung angezeigt, um zu verhindern, dass der grundgesetzlich gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verkürzt wird. (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15.07.1988 – RReg 1 St 90/88, juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 f.; OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6; Beschluss vom 05.02.2013 – 1 RVs 12/13, juris Rn. 48; Beschluss vom 08.07.2013 – 2 Ws 354/13, juris Rn. 12; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 13; KG, Beschluss vom 30.04.2013 – 161 Ss 89/13, juris Rn. 4; Beschluss vom 14.02.2019 – 4 Ws 12/19, juris Rn. 30; OLG Jena, Beschluss vom 18.09.2012 – 1 Ss 71/12, juris Rn. 9 f. jew. m.w.N.).

Danach ist ein Ausbleiben des Angeklagten im Sinne des § 329 StPO nicht immer schon dann anzunehmen, wenn er bei Anruf der Sache nicht im Sitzungssaal erscheint. Es besteht vielmehr für das Gericht innerhalb verständiger Grenzen die Pflicht, eine angemessene Zeit zuzuwarten. So ist schon bei nicht angekündigtem Ausbleiben des Angeklagten ein Zeitraum von etwa 15 Minuten zuzuwarten, bevor mit der Hauptverhandlung begonnen werden kann. In Fällen, in denen sich der Angeklagte zwar verspätet, innerhalb der regelmäßigen Wartezeit sein Kommen jedoch mit der Angabe zusichert, sich unverzüglich auf den Weg zu machen, ist ausnahmsweise eine deutlich über 15 Minuten hinausgehende Wartezeit geboten, deren Länge sich unter gebotener Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Schwere des zu verhandelnden Delikts und dem damit einhergehenden Interesse des Angeklagten an einer Sachentscheidung sowie den weiteren terminlichen Belangen des Gerichts am selben Verhandlungstag bestimmt. Denn mit einem solchen Verhalten bringt der Angeklagte zum Ausdruck, die anstehende Sachentscheidung über seine Berufung gerade nicht verzögern zu wollen (vgl. KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9 f.; Beschluss vom 30.04.2013 – 161 Ss 89/13, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 <369>; Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 16; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 11 und Rn. 13; OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6; Beschluss vom 05.02.2013 – 1 RVs 12/13, juris Rn. 46 f.; Beschluss vom 08.07.2013 – 2 Ws 354/13, juris Rn. 13; OLG Jena, Beschluss vom 18.09.2012 – 1 Ss 71/12, juris Rn. 11 jew. m.w.N.; siehe auch OLG Oldenburg, Urteil vom 26. Januar 2009 – Ss 472/08, NJW 2009, 1762 <1763>).

Nach diesem Maßstab ergab sich hier für das Landgericht eine Wartepflicht, die bei Verkündung des Verwerfungsurteils 17 Minuten nach Verhandlungsbeginn noch nicht abgelaufen war. Denn aufgrund der über seine Verteidigerin erfolgten Zusicherung, sich sofort zum Terminsort begeben zu wollen, war dem Gericht mehr als deutlich gemacht worden, dass sich der Angeklagte dem Verfahren gerade nicht hat entziehen wollen. Daran vermag auch der Umstand, dass dem Angeklagten – wie hier bei einem Versehen hinsichtlich des Terminzeitpunktes – ein Verschulden trifft, nichts zu ändern, da sein Irrtum über den exakten Beginn der Hauptverhandlung auf einem bloßen Versehen beruht; jedenfalls sind keine Anhaltspunkte für grobe Fahrlässigkeit oder gar Mutwilligkeit erkennbar (vgl. KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9 zum Fall des „Verschlafens“; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.01.2007 – 1 Ss 188/06, juris Rn. 4 zum Irrtum über den Hauptverhandlungsbeginn; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 11 f. zum Irrtum über den Terminstag; BayObLG, Beschluss vom 15.07.1988 – RReg 1 St 90/88, juris Rn. 8 und OLG München, Beschluss vom 05.07.2007 – 4 St RR 122/07, juris Rn. 10 ff. jew. zum Fall der Verwechslung des Gerichtsortes).

Schließlich vermag auch der in der den Wiedereinsetzungsantrag verwerfenden Entscheidung ausgeführte Einwand nicht durchzugreifen, wonach – mit Blick auf eine sich aus einer Internetrecherche ergebenden Fahrzeit von mindestens 51 Minuten – ein weiteres Zuwarten dem Landgericht nicht zumutbar gewesen sein soll. Der Umstand, dass die Verhandlung hier wohl erst mit einstündiger Verspätung hätte begonnen werden können, lässt zumindest in der vorliegenden Fallkonstellation die Wartepflicht nämlich nicht entfallen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6 m.w.N.). Denn angesichts der unwidersprochen gebliebenen Tatsache, dass der nächste Hauptverhandlungstermin erst um 14:00 Uhr angesetzt war, hätte der Hauptverhandlungstermin, zu dem nur zwei Zeugen im viertelstündigen Abstand geladen worden waren, auch bei einem Beginn um 12:30 Uhr noch ordnungsgemäß durchgeführt werden können; ein Zeitmangel war demnach nicht zu besorgen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 <369>; Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 16; KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9). Überdies steht die Verurteilung zu einer (unbedingten) neunmonatige Freiheitsstrafe im Raum (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.07.2007 – 4 St RR 122/07, juris Rn. 11; ferner KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 10 unter Hinweis auf die Höhe einer erstinstanzlich festgesetzten Geldstrafe); mit anderen Worten, selbst eine verschuldete Versäumnis um mehr als 45 Minuten steht zu der schwerwiegenden Folge der Berufungsverwerfung in einem Missverhältnis, welches die Vermutung eines Verzichts auf Durchführung des Verfahrens sowie die Annahme einer Verwirkung durch Säumnis nicht zulässt (so OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.12.1984 – Ss 579/84, MDR 1985, 430).“

Man fragt sich, welches Problem die Strafkammer hatte. Man hätte doch bequem bis 1.30 Uhr Mittag essen und dann verhandeln können.

In der Sicherungsverwahrung: Kein jederzeitiger Anruf, aber zeitnaher Rückruf….

1896_telephoneIn Bayern haben sich ein „Sicherungsverwahrter“ und die JVA um die Frage des Telefonkontakts (mit seinen Verteidigern) gestritten; dabei ging es vornehmlich um die Frage, ob dem Sicherungsverwahrten zu ermöglichen ist, von  eingetragenen Rechtsanwälten und Verteidigern angerufen zu werden. Die JVA und auch die StVK haben das abgelehnt. Die Sache ist dann beim OLG Nürnberg gelandet, das sich im OLG Nürnberg, Beschl. v. 17.09.2015 – 2 Ws 419/15 – der Auffassung der StVK angeschlossen hat, und das wie folgt begründet:

„2. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BaySvVollzG gibt lediglich einen Anspruch auf Telefongespräche unter Vermittlung der Anstalt während der Freizeit. Dass eingehende Telefonate unmittelbar an den Sicherungsverwahrten durchzustellen wären, ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Regelung noch aus der Begründung des Gesetzentwurfs der bayerischen Staatsregierung zu Art. 25 BaySvVollzG. Dort ist ausgeführt, dass mit der Schaffung der Vorschrift im Vordergrund steht, dem Sicherungsverwahrten im Gegensatz zur Regelung im Strafvollzug, die nur einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung begründet, zur Wahrung des Abstandsgebots einen Anspruch auf Bewilligung von Telefongesprächen unter Vermittlung der Anstalt zu gewähren, um damit den hohen Stellenwert von Telefongesprächen für die Kommunikation der Sicherungsverwahrten mit der Außenwelt zu berücksichtigen.

3. Dieser Anspruch auf das Führen von Telefonaten durch Vermittlung der Anstalt wird für eingehende Gesprächswünsche mit der bestehenden Praxis in der Justizvollzugsanstalt Straubing – Einrichtung für Sicherungsverwahrte gewahrt. Wie das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 01. April 2014 – III-1 Vollz (Ws) 93/14, 1 Vollz (Ws) 93/14 –, juris) zutreffend ausführt, muss die Praxis der Vermittlung der Telefonate darauf ausgerichtet sein, dem hohen Stellenwert von Telefongesprächen für die Kommunikation des Untergebrachten mit der Außenwelt gerecht zu werden. Es besteht aber kein Anspruch darauf, jederzeit und sofort Telefonate zu führen. Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm, dass angesichts der Bedeutung von Telefonaten für die Erfüllung des Angleichungsgrundsatzes Verbindungswünsche des Sicherungsverwahrten für Telefonate während dessen Freizeit zeitnah zu erfüllen sind, wobei die nach Art. 25 Abs. 1 Satz 3, 24 BaySvVollzG vorgesehene Prüfung möglich sein muss, ob das Telefonat zu überwachen ist. Dies gilt für ein- und ausgehende Telefonverbindungen. Der von der Justizvollzugsanstalt Straubing – Einrichtung für Sicherungsverwahrte vorgesehene Ablauf bei eingehenden Telefonaten genügt diesen Anforderungen: Telefonisch oder mit Telefax teilt der Gesprächspartner der Telefonvermittlungszentrale der Anstalt den Gesprächswunsch und die mögliche Anrufzeit mit und diese gibt dem Sicherungsverwahrten zeitnah oder zu einem späteren vom Gesprächspartner gewünschten Zeitpunkt Gelegenheit für einen Rückruf.

Ein weitergehender Anspruch ergibt sich auch nicht aus dem bestehenden Verteidigungsverhältnis. Das Recht des Sicherungsverwahrten, sich einer Verteidigerin zu bedienen und Kontakt zu dieser aufzunehmen, erfordert es nicht, dass die Verteidigerin den Sicherungsverwahrten jederzeit telefonisch sprechen kann. Dass die Verteidigerin im Kanzleibetrieb organisatorische Vorkehrungen dafür treffen muss, ihrerseits telefonisch erreichbar zu sein führt nicht zu einem anderen Ergebnis, zumal die Verteidigerin diese Einschränkungen durch die Angabe eines möglichst konkreten Rückrufzeitpunkts minimieren kann.“