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Amtshaftung wegen Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: (Nur) Aufhebung wegen OLG-Verfahrensfehler

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Und dann eine etwas ungewöhnliche Entscheidung, nämlich der BGH, Beschl. v. 25.04.2024 – III ZR 54/23.

Es geht nämlich um ein Amts­haf­tungs­ver­fah­ren wegen un­be­rech­tigter Entziehung der Fahrerlaubnis. Folgender Sachverhalt: Die Verwaltungsbehörde entzog dem Kläger im August 2019 seinen Motorrad- und Pkw-Führerschein. Mit Urteil des VG München vom 14.12.2020 wurde der Bescheid aufgehoben und der Beklagte angewiesen, den Führerschein zurückzugeben, was im Februar 2021 erfolgte.

Der Kläger arbeitete im fraglichen Zeitraum bei einem Unternehmen in der Z. Straße 100 in M. und wohnte in der K.-Straße in S. Er reduzierte mit Vereinbarung vom 30.08.2019 und Wirkung zum 01.09.2019 seine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden auf 28 Wochenstunden und arbeitete in der Folge nur noch an vier Tagen pro Woche. Die reduzierte Arbeitszeit wurde bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Mitte des Jahres 2022 beibehalten.

Der Kläger behauptet Einkommensverluste aufgrund des Fahrerlaubnisentzugs in Höhe von insgesamt 31.678 EUR€; einen immateriellen Schaden macht er iin der Revision nicht mehr geltend. Er trägt vor, durch den erhöhten Zeitaufwand für den Arbeitsweg gezwungen gewesen zu sein, seine Arbeitszeit von zuvor 40 Stunden auf 28 Stunden zu reduzieren. Der Arbeitsweg habe sich durch den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel auf mindestens eineinhalb Stunden einfach verlängert, während er vorher mit dem Motorrad lediglich rund 30 Minuten einfach benötigt habe und an Staus hätte vorbeifahren können. Er hätte ohne Arbeitszeitreduzierung um 6.00 Uhr morgens das Haus verlassen müssen und wäre meist erst nach 22.00 Uhr abends zurückgekehrt. Dies sei nicht zumutbar gewesen, da er so kaum noch Freizeit gehabt hätte. Durch die Arbeitszeitreduzierung habe sich sein Arbeitsentgelt von 5.170 EUR brutto auf 3.619 EUR brutto reduziert. Aus dem um 1.551 EUR niedrigeren Brutto-Lohnanspruch über 18 Monate errechne sich ein Schaden in Höhe von 27.918 EUR. Zudem habe er in diesem Zeitraum in Höhe von 3.760 EUR geringere Bonuszahlungen erhalten.

Sowohl das LG als auch das OLG München haben die Klage abgewiesen. Erst mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde hatte der Kläger vorläufig Erfolg.

Allerdings macht der BGH zur Sache keine Ausführungen, sondern beanstandet (nur) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs:

„2. Nach diesen Grundsätzen verletzt die Würdigung des Berufungsgerichts, der Vortrag des Klägers zu den Fahrzeiten sei unsubstantiiert, das von ihm beantragte Sachverständigengutachten müsse deswegen nicht eingeholt werden, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Der Kläger hat in der Klageschrift unter Vorlage einer Wegzeitberechnung (Screenshot eines Routenplaners, Anlage K 6) vorgetragen, vor Entziehung der Fahrerlaubnis für den Weg zur Arbeit ein Motorrad benutzt zu haben, mit dem der Arbeitsweg in etwa 30 Minuten je einfache Strecke zu bewältigen gewesen sei, während er mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens eineinhalb Stunden je einfache Strecke benötigt habe. In seiner Replik auf die Klageerwiderung hat er behauptet, die der Klageschrift beigefügte Wegzeitberechnung sei richtig und spiegele die durchschnittliche Reisezeit zu Arbeitsbeginn und nach Beendigung der Arbeit wider. Zum Beweis hat er die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.

Bereits dieses Vorbringen hätte dem Tatrichter Veranlassung geben müssen, in die Beweisaufnahme einzutreten und einen – ortskundigen und mit den dort gegebenen Verhältnissen im Berufsverkehr vertrauten – Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen.

In der Berufungsbegründung hat der Kläger sein Vorbringen – unter Vorlage der als „Auszug Maps Fahrstrecke Motorrad“ bezeichneten Anlage BK 6 – überdies dahingehend ergänzt, dass sich die rund 30-minütige Fahrzeit mit dem Motorrad selbst bei vollständiger Sperrung der kürzesten Strecke (laut Anlage K 6) in der „Rush-Hour“ bei Nutzung einer Alternativroute nur um neun Minuten erhöhte, und im Schriftsatz vom 13. März 2023 (Gegenerklärung) an die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens erinnert.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat diese Umstände zutreffend herausgearbeitet und mit Recht ausgeführt, dass es weiterer Angaben für die Behauptung des Klägers, dass die Fahrzeit mit dem Motorrad deutlich kürzer gewesen sei als mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nicht bedurft und das Berufungsgericht durch die Nichteinholung des Sachverständigengutachtens gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen habe.

3. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht ohne den Verstoß zu einem in Bezug auf das Klagebegehren günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Das gilt auch, wenn man den Umstand mit einbezieht, dass der Kläger nach Rückerhalt der Fahrerlaubnis seine Arbeitszeit nicht wieder verlängerte. Denn das Berufungsgericht hat diesen Umstand lediglich als einen „auch“ gegen den Kausalzusammenhang sprechenden Gesichtspunkt angesehen, nicht jedoch seine Entscheidung selbständig tragend auf ihn gestützt.“

Und dann gibt es für das OLG noch etwas mit den Weg

„Die angefochtene Entscheidung ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben und das Verfahren insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen des Klägers in der Nichtzulassungsbeschwerde auseinanderzusetzen. Hinsichtlich des Umstandes, dass der Kläger nach Rückerhalt der Fahrerlaubnis seine Arbeitszeit nicht wieder verlängerte, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Kläger in Ansehung der Gründe im Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts, in dem dieses moniert hatte, es fehle an einem Beweisantritt für die Behauptung, dass der Arbeitgeber einer (Rück-)Verlängerung nicht zugestimmt habe, mit einer Bewertung seines Vorbringens als „unsubstantiiert“ im angefochtenen Zurückweisungsbeschluss nicht (mehr) rechnen musste; sollte es im zweiten Rechtsgang darauf ankommen, ist ihm insoweit Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.“

Ich bin gespannt, ob man von der Sache noch einmal etwas hört.

Die vergessene/übersehene Terminsaufhebung, oder: Amtshaftung?

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Terminsaufhebungen bzw. Terminsaufhebungsanträge sind eine Thema, das häufig zum Streit führt, vor allem, wenn die entsprechenden Anträge des Verteidigers/Rechtsanwalts abgelehnt werden. Im OLG Dresden, Urt. v. 18.04.2018 – 1 U 1509/17 -, das an verschiedenen Stellen im Netz zu finden ist, geht es auch um Terminsfragen, aber mal nicht um abgelehnte Terminsverlegung, sondern um eine Terminsaufhebung. Und zwar in einem Zivilverfahren. In dem war ein Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben worden. Das hatte man aber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht bzw. erst am Terminstag mitgeteilt. Folge: der Prozessbevollmächtigte reiste von Hamburg nach Dresden zu dem „aufgehobenen“ Termin an. Die dadurch entstandenen Kosten machte der Kläger nun gegenüber dem Land Sachsen geltend. Und er hat beim OLG Dresden Recht bekommen.

Das OLG bejaht einen Anspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG hinsichtlich der dem Prozessbevollmächtigten im Rahmen der Terminswahrnehmung entstandenen Reisekosten und der Tagesgeldpauschale. Es sieht die Klage als zulässig an, also kein Vorrang des Verfahrens nach den §§ 23 ff. EGGVG, da es sich bei der nicht rechtzeitigen Terminsabladung nicht um einen Justizverwaltungsakt im Sinne dieser Vorschriften handelt. Das OLG bejaht auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage und verweist nicht auf das Kostenfestsetzungsverfahre. In der Sache heißt es dann:

„1.4 Die Geschäftsstellenbedienstete hat die ihr sowohl dem Kläger als auch dessen Prozessbevollmächtigten gegenüberliegende Amtspflichtverletzung verletzt, weil sie die Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht über die am 31.03.2016 verfügte und am 04.04.2016 auf dem Postweg verschickte Terminsaufhebung vorab telefonisch oder per Telefax unterrichtete.

Grundsätzlich hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle dafür Sorge zu tragen, dass den Verfahrensbeteiligten die Abladungsnachricht so rechtzeitig zugeht, dass sie davon noch vor der Anreise zum Termin Kenntnis nehmen können (LG Stuttgart, Urt. v. 10.08.1988, Az.: 15 O 134/88, NJW-RR 1989, 190; LG Hannover, Urt. v. 22.04.1993, 5 O 285/92, Nds. Rpfl. 1993, 192).

a) Da die Geschäftsstellenbedienstete aus der Akte erkennen konnte, dass der Prozessbevollmächtigte in Hamburg ansässig war und sie deswegen damit rechnen musste, dass dieser, um rechtzeitig den Termin wahrnehmen zu können, spätestens am frühen Morgen des 07.04.2016 seine Reise aus Hamburg beginnen musste, hätte sie berücksichtigen müssen, dass die Abladung spätestens am 06.04.2016 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger eingehen musste.

Unter diesen Umständen durfte die Geschäftsstellenbedienstete des Landgerichts nicht davon ausgehen, dass eine am 04.04.16 auf dem Postweg versandte Mitteilung über die Terminsaufhebung die Prozessbevollmächtigten des Klägers auf jeden Fall am 06.04.2016 erreicht, zumal bei einer Abverfügung am 04.04.2016 nicht ohne weiteres sichergestellt war, dass das Schreiben dem Postzustelldienst am selben Tag zuging. Die Geschäftsstellenbedienstete wäre daher verpflichtet gewesen, die Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorab über die Terminsaufhebung durch Telefax oder telefonischen Anruf zu unterrichten. Gegen diese Verpflichtung hat sie verstoßen.

b) Letztlich sieht das der Beklagte ebenso.

So hat der Präsident des Oberlandesgerichts, der gemäß I. 1. lit. b) und I. 2. lit. b) VwV Amtshaftung, Entschädigung und Regress zu außergerichtlichen Entscheidung über Ansprüche aus Amtshaftung für Schäden, die durch seine Bediensteten verursacht sind, zuständig ist, mit Schreiben vom 07.07.2016 mitgeteilt, dass die Reise der Prozessbevollmächtigten auf einer Amtspflichtverletzung beruhe, da die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle diese nicht vorab telefonisch oder per Telefax von der Aufhebung des Termins unterrichtete. Auch im vorliegenden Rechtsstreit stellt der Beklagte nicht in Abrede, dass die Geschäftsstellenbedienstete objektiv amtspflichtwidrig handelte.

1.5 Die Geschäftsstellenbedienstete handelte auch fahrlässig (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB) und damit schuldhaft.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es für die Beurteilung des Verschuldens auf die Kenntnisse und Fähigkeiten ankommt, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Die Anforderungen an amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu messen. Insoweit ist der Sorgfaltsmaßstab im Rahmen des § 839 BGB objektiviert (Staudinger/Wöstmann [2013] § 839 Rn. 198). Darauf, ob der zuständigen Geschäftsstellenbediensteten im vorliegenden Fall persönlich ein Vorwurf zu machen ist, kommt es daher nicht an.

Unter Berücksichtigung dieses objektivierten Maßstabes war es fahrlässig, die Terminsaufhebung nicht vorab telefonisch oder per Telefax anzukündigen, da die zuständige Geschäftsstellenbedienstete unter den gegebenen Umständen nicht davon ausgehen durfte, dass eine rechtzeitige postalische Benachrichtigung der Prozessbevollmächtigten des Klägers von der Terminsaufhebung gesichert war.

1.6 Der Beklagte kann sich auch nicht auf eine andere Ersatzmöglichkeit i.S.v. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen. Denn bei einem Obsiegen des Klägers im Ausgangsverfahren wäre Ersatzpflichtiger der notwendigen Kosten wiederum der Beklagte. Insoweit gilt der Grundsatz der „vermögensrechtlichen Einheit der öffentlichen Hand“ (Staudinger/Wöstmann [2014] § 839 BGB Rn. 277 ff.).

1.7 Die Berechtigung auf Erstattung der Kosten der Höhe nach werden von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt. Sie sind unstreitig.

1.8 Der Kläger muss sich auch kein Mitverschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, weil sie nicht vor Reiseantritt nachfragten, ob der Termin Bestand hat.

Eine Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigte dürfen sich darauf verlassen, dass sie amtspflichtgemäß rechtzeitig von einer Terminsaufhebung bzw. -verlegung benachrichtigt werden. Sie sind daher grundsätzlich nicht gehalten, vor Anreise nachzufragen, ob der Termin stattfindet. Dafür, dass vorliegend ausnahmsweise die Prozessbevollmächtigten des Beklagten gehalten waren, nachzufragen, sind keine Anhaltspunkte dargetan und ersichtlich.“

Verneint hat das OLG dann aber einen Anspruch des Klägers aus abgetretenem Recht betreffend Verdienstausfall seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 1.760,00 €.

2.2 Der Kläger vermochte nicht darzulegen, geschweige denn nachzuweisen, dass seinen Prozessbevollmächtigten durch die verspätete Mitteilung der Terminsaufhebung ein Schaden erstanden ist.

a) Bei der Frage nach dem Umfang des verursachten und daher zu ersetzenden Schadens ist die tatsächliche Lage infolge der Amtspflichtverletzung mit der Lage zu vergleichen, die vorhanden wäre, wenn die unerlaubte Handlung nicht vorläge, sondern der Beamte amtspflichtgemäß gehandelt hätte; nur soweit die Vermögenslage des Geschädigten bei pflichtgemäßem Verhalten günstiger als die tatsächliche wäre, ist der Schaden durch die Amtspflichtverletzung verursacht und zu ersetzen (Staudinger/Wöstmann [2014] § 839 BGB Rn. 243 m.w.N.). Dies bedeutet, dass die Vermögenslage der Prozessbevollmächtigten des Klägers, wie sie sich aufgrund der unnötigen Anreise darstellt, mit derjenigen zu vergleichen ist, wenn die Geschäftsstellenbedienstete die Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits am 04.04.2016 auf die Terminsaufhebung hingewiesen hätte.

b) Der Schaden ist grundsätzlich konkret zu berechnen. Maßgebend ist die tatsächlich eingetretene Vermögensminderung (Palandt/Grüneberg, a.a.O., vor § 249 Rn. 21). Danach ist vom Kläger darzulegen, wie sich die Vermögensverhältnisse seiner Prozessbevollmächtigten entwickelt hätten, wenn sie rechtzeitig von der Aufhebung des Termins erfahren hätten. Dazu fehlt es an einem Vortrag. Insbesondere behauptet der Kläger selbst nicht, dass für diesen Fall seine Prozessbevollmächtigten neue Mandanten aquiriert hätten. Vielmehr ist naheliegend, dass in diesem Falle seine Prozessbevollmächtigten angefallene Arbeiten nach vorne gezogen hätten. Hierdurch ändert sich aber ihre Vermögenslage nicht.

c) Allerdings ist bei der Geltendmachung entgangenen Gewinns nach § 252 Satz 2 BGB eine abstrakte Schadensberechnung grundsätzlich möglich (Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 252 Rn. 6). Bei einem Gewerbetreibenden oder – wie hier – Freiberufler besteht der Schaden indes in der konkret festzustellenden Gewinnminderung. Da der zu ersetzende Schaden nicht im Wegfall oder der Minderung der Arbeitskraft als solcher liegt, setzt dieses voraus, dass sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis ausgewirkt hat (BGH, Urt. v. 12.01.2016, Az.: VI ZR 491/14, NJW-RR 2016, 793, 794, Tz. 17; OLG Saarbrücken, Urt. v. 28.02.2013, Az.: 4 U 587/10, NJW-RR 2013, 1112, 1117; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 252 Rn. 14).

Insoweit reicht der Vortrag des Klägers, seine Prozessbevollmächtigten würden täglich elfeinhalb Stunden arbeiten und in der Regel zu einer vereinbarten Vergütung von 220,00 €/Stunde, nicht aus, worauf der Beklagte den Kläger mehrfach hingewiesen hat. Es ist zu berücksichtigen, dass freiberufliche Anwälte, die gerichtlich tätig sind, durchaus mit kurzfristigen Aufhebungen von Gerichtsterminen rechnen müssen und genötigt sind, ihre Arbeit umzuplanen. Dies ist in der Regel unproblematisch möglich. Tatsachen dafür, dass durch die unnötige Anreise eine tatsächliche Gewinnminderung bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers eingetreten ist, sind nicht dargelegt.“

Rückgewinnungshilfe und Amtshaftung der StA, oder: ein „Kuvert mit 200.000 EUR Bargeld“

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Im heutigen „Kessel Buntes“ stelle ich zunächst den BGH, Beschl. v. 24.11.2016 – III ZR 209/15 – vor. Ergangen ist er auf eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG München. Gestritten wird in dem Verfahren um die Amtshaftung der StA München. Die hatte in einem Strafverfahren nach der Verhaftung des Beschuldigten zunächst von Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe nach §§ 111b ff StPO abgesehen hat. Darin hatte der Kläger – ein Geschädigter – eine Amtspflichtverletzung im Sinne von § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG gesehen. Das OLG hatte das verneint, der BGH folgt ihm:

1. Die Entscheidung über Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe (hier: Sicherstellung durch Arrest gemäß § 111b Abs. 2, 5 i.V.m. § 111d StPO) steht im pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörde. In die gebotene Prüfung des Sicherstellungsbedürfnisses des Geschädigten sind insbesondere einzustellen die Belange des Opferschutzes, die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten, seine Rechte selbst durchzusetzen, die Schwere des Eingriffs in das Eigentumsrechts des Betroffenen, der Verdachtsgrad, die Schadenshöhe und der die Strafverfolgungsbehörden treffende Aufwand (BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2005 – 2 BvR 1822/04, StraFo 2005, 338 = juris Rn. 45 f, 51, 55; OLG Karlsruhe, NJW 2008, 162, 164; BeckRS 2004, 09009; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 111d Rn. 4; KK-StPO/Spillecke, 7. Aufl., § 111b Rn. 18). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Strafverfahren nicht der Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen dient (KK-StPO/ Spillecke aaO) und durch die Möglichkeit eines dinglichen Arrestes zugunsten des Verletzten diesem nicht eigene Arbeit und Mühen abgenommen werden sollen. Es geht vielmehr nur darum, den Verletzten zu unterstützen, soweit dies erforderlich ist (BVerfG aaO Rn. 51; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2002, 173; OLG Karlsruhe, BeckRS aaO). Dementsprechend ist ein ausschließlich zugunsten des Verletzten wirkender dinglicher Arrest nur dann angezeigt, wenn allein die Maßnahme nach § 111d StPO den Geschädigten davor bewahrt, seiner Ersatzansprüche verlustig zu gehen (OLG Karlsruhe aaO; Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 111b Rn. 6; KK-StPO/Spillecke aaO).

Bei der Beurteilung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungshandlungen im Amtshaftungsprozess ist ferner zu berücksichtigen, dass diese nicht auf ihre „Richtigkeit“, sondern allein darauf zu überprüfen sind, ob sie vertretbar sind. Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich ist (z.B. Senatsurteil vom 18. Mai 2000 – III ZR 180/99, NJW 2000, 2672, 2673; BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 158 [Stand: 1. Juli 2016] jew. mwN).

2. Nach diesen Maßgaben war die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, zunächst keine Sicherungsmaßnahmen nach § 111b Abs. 2, 5 i.V.m. §111d StPO zu ergreifen und erst auf eine entsprechende Anregung des Klägers tätig zu werden, nicht amtspflichtwidrig.

Die Vorinstanzen haben – von der Beschwerde unbeanstandet – festgestellt, dass es dem Kläger ohne weiteres möglich und zumutbar war, die zivil-echtlichen Ansprüche seiner Mutter gegen den Beschuldigten E. rechtzeitig vor den Überweisungen vom 20. Dezember 2010 und 14. Januar 2011 durch Erwirkung eines dinglichen Arrestes zu sichern. Der Kläger hatte das Ermittlungsverfahren durch seine Strafanzeige im Mai 2009 initiiert, nahm auf den Gang der Ermittlungen persönlich Einfluss und sagte im April und November 2010 umfassend als Zeuge aus. Spätestens im Sommer 2010 wusste er, dass der Beschuldigte über erhebliches Vermögen auf Bankkonten verfügte. Nach der Vernehmung vom 5. November 2010 war ihm bekannt, dass der Beschuldigte eingeräumt hatte, von dem (geschäftsunfähigen) Vater des Klägers ein Kuvert mit 200.000 € Bargeld erhalten zu haben. Der inzwischen anwaltlich vertretene Kläger unternahm in der unmittelbaren Folge dennoch nichts zur Anspruchssicherung. Akteneinsicht beantragte er erst am 14. Dezember 2010. Erstmals mit Anwaltsschriftsatz vom 21. Februar 2011 unterrichtete er die Staatsanwaltschaft darüber, bislang nichts zur Anspruchssicherung getan zu haben. Bei dieser Sachlage durfte die Staatsanwaltschaft – jedenfalls bis Februar 2011 – davon ausgehen, dass der Kläger der staatlichen Rückgewinnungshilfe nicht bedurfte und vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 111b Abs. 2, 5 i.V.m. § 111d StPO nicht angezeigt waren. Da die Rückgewinnungshilfe im Interesse des Geschädigten vorgenommen wird, begründet die Untätigkeit des über Anspruch und Gegner informierten Verletzten regelmäßig keine Handlungspflicht der Staatsanwaltschaft (vgl. BVerfG aaO Rn. 59; OLG Karlsruhe, NJW 2008, 162, 164).“

Also; „Zivilrecht meets Strafrecht“ oder: „Strafrecht meets Zivilrecht“.