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„Mein Tacho war kaputt“…., bringt das was bei der Geschwindigkeitsüberschreitung?

© psdesign1 - Fotolia

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„Mein Tacho war kaputt“…., bringt das was bei der Geschwindigkeitsüberschreitung? Die Antwort: Ja, ein defekter Tachometer kann den Handlungsunwert eines Geschwindigkeitsverstoßes herabsetzen mit der Folge, dass der Vorwurf eines groben Pflichtenverstoßes nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG entfällt und deshalb ein Fahrverbot nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht verhängt werden darf. Das ist das Fazit aus dem AG Lüdinghausen, Urt. v.07.03.2016 – 19 OWi-89 Js 2669/15-258/15.

Aber auf zwei Punkte ist in Zusammenhnag mit der Entscheidung hinzuweisen:

  1. Der Betroffene hatte sich gegenüber dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung dahin eingelassen, dass er bis zu dem Vorfall nicht bemerkt hatte, dass der Tachometer seines Pkw defekt war. Dies hatte er aber durch Vorlage einer Bescheinigung über eine nach dem Verstoß durchgeführte Tachometerüberprüfung nachgewiesen. Das AG ist deshalb von einem herabgesetzten Handlungsunrecht ausgegangen, was dann der Fahrverbotsanordnung entgegenstand. Für die Verteidigung bedeutsam ist in dem Zusammenhang, dass den Betroffenen also nicht allein die Behauptung „Tacho kaputt/fehlerhaft“ „gerettet“ hat, sondern er die Fehlfunktion durch eine Tachoüberprüfung nachgewiesen hat. So einfach ist es also nicht.
  2. Das AG hat zudem darauf hingewiesen, dass dann, wenn der Tachometer trotz des Defektes zur Zeit des Verstoßes eine überhöhte Geschwindigkeit anzeigt, dies nicht den Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung in vollem Umfange entfallen lässt. Vielmehr bleibt für den festgestellten Geschwindigkeitsverstoß die Regelgeldbuße maßgeblich.

An Christi Himmelfahrt: Die „Papstsau Franz umbringen“ wollen darf man nicht

entnommen wikimedia.org Urheber Christoph Wagener

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Über das AG Lüdinghausen, Urt. v. 25.02.2016 – 9 Ds-81 Js 3303/15-174/15 – ist ja auch schon in anderen Blogs berichtet worden. Ich greife es dann heute an Christ Himmelfahrt auf. Das AG hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte, ein pensionierter Lehrer, der aus einem christlichen Elternhaus stammte,

„kam im Lauf seines Lebens zu dem Schluss, dass der christliche Glaube auf fragwürdigen Elementen beruhe. Da er der Auffassung war, dass die Bevölkerung nicht richtig aufgeklärt sei, beschloss er zumindest seit Sommer/Herbst 2014 durch verschiedene Sprüche auf der Heckscheibe seines Pkws der Marke XXX mit dem amtlichen Kennzeichen XXXX die Bevölkerung in seinem Sinne aufzuklären. Hierzu beklebte er die Heckscheibe mit verschiedenen Beschriftungen und fuhr damit anschließend durch XXX bzw. stellte seinen Pkw im öffentlichen Verkehrsraum ab.

Am Vormittag des XXX befuhr er die XXX Straße in XXX mit folgender Heckscheibenbeschriftung:

„Wir pilgern mit Martin Luther

Auf nach Rom!

Die Papstsau Franz umbringen.

Am Morgen des 20.10.2015 parkte sein XXX vor der Fahrschule auf dem Parkplatz XXX in XXX mit dem folgenden Text auf der Heckscheibe:

„Kirche sucht moderne Werbeideen. Ich helfe

Unser Lieblingskünstler:

Jesus – 2000 Jahre rumhängen

Und noch immer kein Krampf!“

Das AG hat ihn wegen Beschimpfens von Einrichtungen von Religionsgemeinschaften in 2 Fällen verwarnt und sich eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 100 Euro vorbehalten. Denn:

Durch sein Verhalten hat sich der Angeklagte wegen des Beschimpfens von Einrichtungen von Religionsgemeinschaften gemäß § 166 Abs.2 StGB in zwei Fällen strafbar gemacht. Da sich an zwei verschiedenen Tagen unterschiedliche Beschriftungen an seinem Pkw befanden, die jeweils für sich ein Vergehen nach § 166 Abs.2 StGB darstellen, sind zwei selbständige Taten im Sinne einer Tatmehrheit gem. § 53 StGB gegeben.

Der Angeklagte hat Einrichtungen im religiösen Bereich, nämlich das Papsttum sowie die Christusverehrung bzw. das Leiden Christi in einer Weise öffentlich beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Angriffsgegenstand des § 166 Abs. 2 StGB sind u. a. Einrichtungen der im Inland bestehenden Kirche bzw. anderer Religionsgemeinschaften oder Weltanschauungsvereinigungen. Dies sind die von den Institutionen gegebene Ordnungen bzw. Formen für die äußere und innere Verfassung sowie für die Pflege und Ausübung des jeweiligen Bekenntnisses (Fischer, StGB, 61. Auflage, § 166, Rz.8).

Eine solche Einrichtung ist auch das Papsttum (Fischer, StGB, 61.Auflage, § 166, Rz.9). Als Papsttum wird als Amt und die Institution des Papstes verstanden. Es ist das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche als solcher der Nachfolger Petrus, dem die Leitung der Kirche übertragen wurde.

Auch die Christusverehrung bzw. das Leiden Christi sind Angriffsgegenstand des § 166 Abs.2 StGB (OLG Nürnberg, NStZ-RR 99, 238). Das Kreuz gehört zu den spezifischen Glaubenssymbolen des Christentums. Gerade im Opfertod Christi vollzog sich für die Glaubenden die Erlösung des Menschen.

Diese Einrichtungen einer Religionsgemeinschaft hat der Angeklagte durch seine auf der Heckscheibe seines Pkw angebrachten Beschriftungen beschimpft. Als Beschimpfung wird eine nach Inhalt und Form besonders verletzende Missachtungskundgebung aus Sicht eines auf religiöse Toleranz bedachten Beurteilers angesehen. Sie kann zum einen durch Rohheit der verwendeten Ausdrücke erfolgen, zum anderen aber auch inhaltlich durch die getroffenen Aussagen selbst (OLG Nürnberg, NStZ-RR 99, 238).

Bei der Beschriftung vom 13.10.2015 wird das Papsttum durch den Angeklagten durch den rohen Ausdruck „Papstsau“ beschimpft, aber inhaltlich auch durch den Aufruf, den Papst umzubringen. Hierdurch wird das Lebensrecht und damit auch die Stellung des Kirchenoberhauptes aberkannt. Insgesamt kommt durch die Beschriftung eine Missachtung bzw. Nichtachtung in ganz krasser Form zum Ausdruck.

Auch durch die Heckscheibenbeschriftung vom 20.10.2015 hat der Angeklagte die Christusverehrung bzw. die Leiden Christi im Sinne des § 166 Abs.2 StGB beschimpft, da er Christus am Kreuz als zentrales Glaubenssymbol und als Gegenstand der Frömmigkeitsausübung lächerlich macht, sogar verhöhnt, und durch seinen Spott deutlich seine Missachtung nach außen zum Ausdruck bringt. ….“

Na, mal schauen, was der Lehrer macht…

Akteneinsicht a la AG Lüdinghausen, oder: Das Gericht ist „dankbar“ für den Antrag des Verteidigers bzw.: Papier auf den Tisch

© digitalstock - Fotolia.com

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Wann liest man schon mal in einem Gerichtsbeschluss, dass das Gericht „dankbar“ für einen Antrag des Verteidigers auf gerichtliche Entscheidung ist?. Im AG Lüdinghausen, Beschl. v. 21.12.2015 – 19 OWi 227/15 (b) – hat das AG – offenbar in weihnachtlicher Vorfreude – aber so formuliert und sich eben beim Verteidiger für seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bedankt.

Es ging im Verfahren um eine/die „ausgepauckte“ Frage, nämlich die (Akten)Einsicht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung des bei einer Messung verwendeten Messgerätes. Gemessen worden war mit einem Messgerät des Herstellers Vidit, VKS 3.0, Version 3.2.3 D. Dem Verteidiger wurde auf Antrag ein Code für die Bedienungsanleitung zur Verfügung gestellt, durch den online Einsicht in die Bedienungsanleitung genommen werden konnte. Eine Zurverfügungstellung in Papierform hatte die Verwaltungsbehörde abgelehnt, da die Übersendung infolge des Umfanges der zu übersendenden Bedienungsanleitung mit zu großem Aufwand verbunden sei. Dem Verteidiger reichte das nicht, er wollte Papier in den Händen halten. Und: Er hat beim AG Lüdinghausen, das offenbar darüber verärgert ist, ein offenes Ohr gefunden. Das hat – eben mit Dank – verfügt, dass dem Verteidiger die Bedienungsanleitung für das Messgerät entweder in Papierform oder in digitaler Form durch Vorlage einer PDF-Datei oder einer anderen mit üblichen Lesegeräten und Leseprogrammen zu öffnenden Datei zur Verfügung zu stellen ist:

„Mittlerweile ist anerkannt, dass die Bedienungsanleitung ohne Verletzung des Urheberrechtes Verteidigern im Wege der Akteneinsicht zur Verfügung gestellt werden kann und muss. Sinn der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung ist bekanntermaßen die von allen Verfahrensbeteiligten vorzunehmende Prüfung der Messung anhand der Bedienungsanleitung. Hierfür ist es vor allem erforderlich, dass die Bedienungsanleitung bei Bedarf stets für den Prüfenden zur Hand ist. Es ist hier schon ärgerlich genug, dass im hiesigen Gericht dem zuständigen Dezernenten in der Sitzung kein Papierformular der Bedienungsanleitung zur Verfügung steht und dementsprechend in der Sitzung die Bedienungsanleitung nicht nachvollzogen werden kann. Insofern ist das Gericht dankbar für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Verteidigers. Auch für den Verteidiger ist es wichtig, sich in der Sitzung — bei Bedarf auch ohne eine Onlinezugang – durch einen Laptop oder einen Tablet-Computer — mit einer in Papierform vorhandenen Bedienungsanleitung zu versehen, um die Messung zu prüfen. Alle anderen Messgerätehersteller haben dies eingesehen. Die Übersendung von Bedienungsanleitungen ist hier gang und gäbe und mittlerweile auch vollkommen unproblematisch möglich. Leider kann das Gericht die Bedienungsanleitung für das Messgerät auch nicht zur Verfügung stellen. Das Gericht geht aber davon aus, dass der Messgerätehersteller durchaus selbst auch ein Interesse an einer Prüfbarkeit von Messungen seiner Messgeräte hat. Insoweit war antragsgemäß die Zurverfügungstellung der Anleitung anzuordnen.“

Was mir nicht so ganz einleuchtet/klar ist:

  • Hat das AG die Bedienungsanleitung denn nun auch nicht im PDF Format o.Ä.?
  • Und wieso ist der Beschluss im „Erzwingungshaftverfahren“ ergangen? So weit sind wir doch noch gar nicht.

Täterfeststellung beim Abstandsverstoß, oder: Was heißt „wenig glaubhaft“?

entnommen wikimedia.org Urheber Erkaha

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Ein Betroffener kann, wenn er bestreitet, zum Vorfallszeitpunkt LKW-Führer und damit Täter eines Abstandsverstoßes, der mit einem Lkw begangen worden ist, gewesen zu sein, als Fahrer zum Vorfallszeitpunkt identifiziert werden, wenn sich auf dem dem (Amts)Gericht vorliegenden „Fahrtenschreiberschaublatt“ der Namenseintrag des Betroffenen findet, das Fahrzeug im Eigentum des Betroffenen steht und auf dem vom Vorfall vorliegenden Messfoto ein Schild mit dem Vornamen des Betroffenen abgebildet ist, das sich hinter der Windschutzscheibe befindet. Das ist die Quintessenz aus dem AG Lüdinghausen, Urt. v. 20. o7. 2015 – 19 OWi-89 Js 1028/15-77/15.

Der Betroffene hatte gegenüber dem Vorwurf eines Abstandsverstoßes mit einem Lkw seine Fahrereigenschaft bestritten und zur Sache ausgeführt, er sei zwar auf der Tachoscheibe als Fahrzeugführer eingetragen und sei auch Fahrzeugeigentümer. Zudem sei es richtig, dass am Tattage hinter der Windschutzscheibe ein Schild mit seinem Vornamen gelegen habe. Fahrer sei aber ein Bekannter gewesen, der mittlerweile Suizid begangen habe. Dieser habe am Tattage gerne einmal das Fahrzeug fahren wollen. Beweismittel oder weitere Indizien hierfür könne er, der Betroffene, keine benennen.

Das AG hat diese Einlassung als „wenig glaubhaft“ und durch die von ihm hervorgehobenen Umstände als widerlegt angesehen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, obwohl: Was ist „wenig glaubhaft“? Glaubt man dann dem Betroffenen nur nicht so richtig? Oder ist das wie mit „ein bisschen schwanger“? Jedenfalls sollte man als Verteidiger aber im Auge behalten, dass je außergewöhnlicher eine Einlassung des Mandanten ist, es um so schwieriger wird, das Gericht von deren Richtigkeit zu überzeugen. Und man sollte nach Möglichkeit dafür immer noch etwas in der Hinterhand haben.

Ich weiß, ich weiß, der Betroffene muss sich nicht entlasten. Aber leider läuft es bei den AG häufig anders…..

Was hat die Fahrtrichtung mit der Verjährung zu tun?

entnommen wikimedia.org Original uploader was VisualBeo at de.wikipedia

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Ein schöner Erfolg für die Verteidigung ist neben dem Freispruch natürlich auch die Einstellung (wegen Verjährung). Daher muss man als Verteidiger immer auch darauf achten, ob nicht ggf. Verjährung eingetreten ist. In dem Zusammenhang spielen dann die Frage der Verjährungsunterbrechung (§ 33 OWiG) in der Praxis eine große Rolle, vor allem auch § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG. Und da dann die Frage, war der zugestellte Bußgeldbescheid eigentlich wirksam? Denn wenn nicht, ist die Verjährung durch die Zustellung dieses Bußgeldbescheides nicht unterbrochen.

Das hatte auch der Verteidiger eines Betroffenen in einem beim AG Lüdinghausen anhängigen Verfahren gesehen. Er hatte dort Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides eingewendet und die damit begründet, dass im Bußgeldbescheid als Fahrtrichtung „innerorts“ angegeben sei, der Betroffene sei aber in Fahrtrichtung Ortsausgang gefahren.

Dem AG Lüdinghausen reicht das für die Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides nicht. Es führt dazu im AG Lüdinghausen, Urt. v. 16.03.2015 – 19 OWi-89 Js 404/15-26/15 – aus:

„Es bestand kein Verfahrenshindernis, obwohl im Bußgeldbescheid eine falsche Fahrtrichtung angegeben war („Fahrtrichtung innerorts“). Tatsächlich fuhr der Betroffene in Fahrtrichtung des Ortsausganges. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass die Fahrtrichtungsangabe im Bußgeldbescheid nicht nötig ist zur Tatkonkretisierung, vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26.11.2012 –III – 4 RBs 291/12. Zudem hat der Betroffene nach eigenem Bekunden das Messgerät bei der Tatbegehung gesehen. Damit ist die Tat für ihn eingrenzbar.“

Zumindest der Umstand, dass der Betroffene sich dahin eingelassen hatte, er habe das Messgerät gesehen, trägt das Urteil. Ich frage mich: Warum die Einlassung? Über die Auffassung des OLG Hamm kann man nämlich m.E. im Übrigen streiten.