„Aufgrund eigener umfangreicher Ermittlungen des Gerichts zum Messgerät LEIVTEC XV3 in Parallelverfahren, die lediglich wegen der vorübergehenden Dezernatsentlastung von Bußgeldverfahren im Jahr 2017 nicht fortgeführt werden konnten, und der darin gewonnenen Erkenntnisse zum Zulassungsverfahren des fraglichen Messgeräts folgt das Gericht den Gründen im freisprechenden Urteil des Amtsgerichts Jülich vom 08.10.2017, Aktenzeichen 12 OWi 122/16.
Danach leidet das nach dem bisherigen EichG durchgeführte Zulassungsverfahren der PTB an massiven Mängeln.
Hierzu äußern sich PTB und Hersteller wie folgt:
Die im Verfahren zur Bauartzulassung nach dem EichG durchgeführten Prüfungen, u.a. die EMV-Prüfungen seien in Art und Umfang nicht erforderlich gewesen, weshalb dortige Fehler keine Bewandtnis hätten (vgl. Stellungnahme vom 20.03.2018 – siehe Internet https://vut-verkehr.de/downloads/2018-03-20%20Das%20Geschwindigkeitsueberwachungsgeraet%20LEIVTEC%20XV3%20erfuellt%20alle%20EMV-Anforderungen.pdf
Unterstellt, diese Mitteilung entspräche den Tatsachen, was allerdings angesichts des stets vorhandenen Kostendrucks durchaus bezweifelt werden mag, wäre dies ein typischer Fall für einen Nachtrag zur Bauartzulassung gewesen.
Es existiert indes kein Nachtrag und seit dem Außerkrafttreten des EichG am 31.12.2014 sind Nachträge zu Bauartzulassungen nicht mehr zulässig.
Damit bedarf das Inverkehrbringen und Betreiben des Geschwindigkeitsmessgeräts LE[VTEC XV3 eines vollständig neuen Konformitätsverfahrens nach dem seit dem 01.01.2015 geltenden MEssEG
Dass die Firma LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH stattdessen nach Bekanntwerden der Mängel bei der Bauartzulassung aus ihrer eigenen und Sicht der PTB angeblich unnötige, jedoch durchaus kostenintensive EMV-Prüfungen durchführt, wecken allerdings Zweifel, ob das Messgerät ein solches Verfahren überhaupt bestehen würde.
Ohne ordnungsgemäße Bauartzulassung nach dem früheren EichG bzw. ohne Konformitätserklärung nach dem (MessEG darf das Geschwindigkeitsmessgerät LEITEC XV3 gemäß §§ 6 ff. MessEG nicht einmal in den Verkehr gebracht werden.
Erst recht handelt es sich hierbei nicht um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH.
Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens verfolgt den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen und setzt neben der Reduzierung des gemessenen Wertes um einen – die systemimmanenten Messfehler erfassenden – Toleranzwert die amtliche Zulassung der verwendeten Messgeräte und Messmethoden voraus (BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92 BGHSt 39, 291-305, Rn. 21), wobei das Tatgericht in einem solchen weithin standardisierten und tagtäglich praktizierten Verfahren ohnehin nur von den sachlichrechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe entlastet wird, nicht aber von den Anforderungen, die von Rechts wegen (S 261 StPO) an Messgeräte und -methoden gestellt werden müssen, um die grundsätzliche Anerkennung ihrer Ergebnisse im gerichtlichen Verfahren rechtfertigen zu können (BGH, Beschluss vom 19. August 1993-4 StR 627/92 – BGHSt 39, 291-305, Rn. 20).
Erfolgte die Messung mit einem nicht oder nicht ordnungsgemäß zugelassenen Messgerät, kann der Tatrichter die gemäß § 261 StPO für eine Verurteilung erforderliche freie, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung von der Ordnungsgemäßheit der einzelnen Messung, der nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, Gesetze der Logik und Erfahrungssätze entgegenstehen, (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92 – BGHSt 39, 291-305, Rn. 16) regelmäßig nur unter Zuhilfenahme eines messtechnischen Sachverständigen gewinnen.
Doch im Fall des Geschwindigkeitsmessgeräts LEIVTEC XV3 scheitert auch die sachverständige Prüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Die hierfür erforderlichen Daten werden nicht mehr gespeichert.
Die Herstellerfirma LEMTEC Verkehrstechnik GmbH in Wetzlar ließ unmittelbar vor Außerkrafttreten des EichG am 30.12.2014 mit einem 1. Nachtrag zur 1. Neufassung der Bauartzulassung eine Softwareversion zulassen und aufspielen, mit der nur noch die Daten „Messung Start- und Ende-Distanz“, „Auswertung Start- und Ende-Distanz“ und „Zeitdifferenz zwischen Start- und Ende-Bild“ gespeichert werden. Ale anderen durch das Gerät über die gesamte Messtrecke erhobenen Messwerte und gerade jene, aus denen das Gerät die durchschnittliche Geschwindigkeit errechnet, werden nunmehr systematisch auf Null gesetzt, also nicht mehr gespeichert.
Damit ist es einem Sachverständigen nicht mehr möglich, das bei der Fallauswertung einem Fahrzeug Toleranz zugeordnete Messergebnis auf Plausibilität zu prüfen.
Dementsprechend ist auch das Gericht gehindert, den Tatvorwurf zu prüfen.
Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung vermag das Gericht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung, dass die bei Auswertung des Falles angezeigte Geschwindigkeit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des zugeordneten Fahrzeuges entspricht, nicht zu bilden
Die konkreten Gründe, welche die LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH dazu bewogen hatten, die bisherige als vorbildlich geltende Transparenzstrategie (siehe das frühere Messgerät die bis zum 30.12.2014 verwendete Software) aufzugeben, sind unbekannt.
Die im Nachhinein bekannt gewordenen bei der Zulassung, die durchgeführte aber angeblich gar nicht erforderlich gewesene EMV-Prüfung, die durchaus überraschende und messtechnisch nicht begründete Aufhebung der Speicherung der Einzelmesswerte, die damit aufgehobene Nachprüfbarkeit des Mesergebnisses und nicht zuletzt die vom hiesigen Gericht erlebte und vom Amtsgericht Jülich dokumentierte Intransparenz der rückblickend als höchst ungewöhnlich zu bezeichnenden Vorgänge um dieses Messgerät zusammen mit der fehlenden Auskunftsbereitschaft von Herstellerfirma und PTB ließen jegliches Vertrauen des Gerichts in die Sicherheit des Messgeräts LEIVTEC XV3 schwinden.
Es kann den Verwaltungsbehörden, die wie jene im Landkreis Meißen aus verständlichem Grund gleich mehrere der ja an sich komfortabel und flexibel einsetzbaren Messgeräte angeschafft hatten, zur Sicherstellung einer effektiven, vom Bürger akzeptierten und gerichtsfesten Verkehrsüberwachung nur dringend angeraten werden, die Herstellerfirma zur Wiederherstellung der Transparenz zu mahnen als ersten Schritt zumindest zur Speicherung der über die Auswertestrecke gewonnenen Messwerte zurückzukehren.
As weiterer Schritt ebenso erforderlicher Schritt um das Messgerät überhaupt weiter in Betrieb setzen zu können, wird die Firma LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH die XV3 einem Konformitätsverfahren unterziehen müssen. Wenn Firma und PTB sich so sicher sind wie behauptet, dass die XV3 den Anforderungen an die Mess-, Speicher- und Auswertungssicherheit entspricht, fragt es sich, was sie daran hindert.
Nach erfolgreichem Bestehen eines Konformitätsverfahrens wird zu entscheiden sein, ob für ein nach dem MessEG als konform erklärtes Messgerät die Rechtsprechung über das standardisierte Messverfahren angewendet werden kann oder der Empfehlung des 54. Verkehrsgerichtstages zu folgen sein wird, dies jedenfalls vorerst nicht zu tun mit der Folge, dass jedenfalls bei fehlendem Geständnis jedes einzeln überprüft werden muss.“
So weit, so gut. Schön auch die „Handlungshinweise“ an den Landkreis. 🙂 Was bleibt ist allerdings die Frage, ob die Messung gänzlich unverwertbar ist, oder ob sie nicht doch – mit einem höheren Sicherheitsabschlag – hätte verwertet werden können. Dazu gibt es OLG Rechtsprechung, mit der sich das AG – jedenfalls nicht erkennbar – nicht auseinander gesetzt hat.