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Vollbremsung für eine Taube, oder: (Allein)Haftung des Auffahrenden oder des Bremsers?

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Die zweite Entscheidung kommt heute vom AG Dortmund. Es handelt sich um das AG Dortmund, Urt. v. 10.07.2018 – 425 C 2383/18, also schon etwas älter, aber noch einen Bericht wert. Entschieden hat das AG einen Verkehrsunfall an einer Lichtzeichenanlage. Dort hatte der Beklagte bei Rotlicht halten müssen. Als die Ampel auf Grün unschaltete, fuhr der Beklagte wieder an. Er bremste seinen Pkw jedoch unmittelbar dnach plötzlich wieder ab. Grund: Vor dem Beklagten überquerte eine Taube die Straße, der Beklagte wollte die nicht überfahren. Der nachfolgende Pkw der Klägerin fuhr auf. Der macht seinen Schaden geltend. Die Parteien streiten dann um die Anwendung des Anscheinsbeweises. Dazu das AG Dortmund:

„Der Verkehrsunfall beruht bezüglich beider Fahrzeuge weder auf höherer Gewalt iSd § 7 Abs. 2 StVG noch lag ein unabwendbares Ereignis iSd § 17 Abs. 3 StVG vor.

In welchem Umfang die Beklagten der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet sind, hängt somit von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von der einen oder der anderen Partei verursacht worden ist § 17 Abs. 1StVG. Dabei ist jede Partei für Umstände, die die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der anderen Partei erhöhen können, beweispflichtig.

II.

Insofern gilt Folgendes:

1. Es spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Unfallverursachung durch den Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin. Dieser Beweis des ersten Anscheins setzt einen typischen Geschehnisablauf voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist. Ein solch typischer Geschehnisablauf ist im Straßenverkehr, das Auffahren auf ein anderes Fahrzeug. Hier spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Kraftfahrer der auf ein vor ihm fahrendes oder stehendes Fahrzeug auffährt, entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist (BGHZ 192, 84). Nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss ein solcher Abstand eingehalten werden, dass hinter diesem angehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird.

Dieser Beweis des ersten Anscheins kann jedoch erschüttert bzw. ausgeräumt werden, wenn der Auffahrende einen anderen ernsthaften, typischen Geschehnisablauf darlegt und beweist. Dabei genügt die bloße Darlegung anderer oder theoretischer Möglichkeiten zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht. Eine solche Entkräftung des Anscheinsbeweises hätte zur Folge, dass der Beklagte die von ihm bekundete Unfalldarstellung wieder in vollem Umfang beweisen muss.

Die Beklagten haben den gegen sie sprechenden Beweis des ersten Anscheins nicht entkräftet.

Bereits nach eigenem Sachvortrag der Klägerin ist der Anscheinsbeweis nicht entkräftet. Der Anscheinsbeweis wäre nicht dadurch erschüttert, dass der Beklagte zu 2) für eine Taube stark gebremst hat.

Das Bremsen für eine Taube war nicht ohne zwingenden Grund und stellt in dieser konkreten Situation keinen Verstoß gegen § 4 Abs. 1, S. 2 StVO dar. Der Zweck des § 4 Abs. 1, S. 2 StVO ist das Verhindern von Auffahrunfällen. Der Grund des Bremsens ist vorliegend dem Zweck des Bremsverbots mindestens gleichwertig.

Eine Abwägung der gefährdeten Rechtsgütern ergibt, dass in dem hier zu entscheidenden Fall der Beklagte zu 2) bremsen durfte. Die damit einhergehende Gefahr von Sachschäden an dem eigenen wie an dem fremden Kraftfahrzeug hat keinen Vorrang vor dem Tierwohl. Vielmehr ist hier zu beachten, dass der Unfall bei sehr geringer Geschwindigkeiten im Anfahrvorgang geschah. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit waren auch keine Personenschäden zu erwarten. Es mag sein, dass der Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin beim Anfahren an einer Kreuzung eine große Anzahl an möglichen Gefahren beachten muss. Gerade deshalb hat er jedoch den nötigen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug herzustellen und einzuhalten sowie stets bremsbereit zu sein. Besonders im Stadtgebiet muss man stets damit rechnen, dass sich Gegenstände, die für den Hinterherfahrenden nicht oder nicht gut sichtbar sind, auf der Fahrbahn befinden.

Allein weil es sich bei einer Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, dass der Beklagte zu 2) das Tier hätte überfahren müssen. Das Töten eines Wirbeltiers stellt nach §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit dar und ist dem Beklagten zu 2) nicht zuzumuten. Diese Vorschrift ist auch Folge des im Jahr 2002 in Art. 20a GG aufgenommen Tierschutz als Staatszielbestimmung der Bundesrepublik Deutschlands.

Das von der Klägerin angeführte Urteil des OLG Hamms vom 13.07.1993 behandelt einen anders gelagerten Sachverhalt. Dort erfolgte das Abbremsen des Vorausfahrenden im fließenden Verkehr und dementsprechend war die Geschwindigkeit der daran beteiligten Fahrzeuge höher. Das Abbremsen war für die Verkehrsteilnehmer von größerer Gefahr und stellte ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO dar. Vorliegend geschah der Unfall beim Anfahren an einer Ampel nach einer Rotlichtphase. Die mit dem Bremsvorgang verbundenen Geschwindigkeiten und Gefahren für die Verkehrsteilnehmer und deren Rechtsgütern sind geringer. Zudem war der Tierschutz im Jahr 1993 noch nicht als Staatszielbestimmung im Grundgesetz normiert.

2. Nichts anderes gilt, wenn man den Sachverhalt der Beklagten zugrunde legt. Danach hat der Beklagte zu 2) verkehrsbedingt gebremst. Auch insofern wäre es Sache der Klägerin gewesen darzulegen und zu beweisen, dass der Beklagte zu 2 ohne zwingenden Grund stark gebremst hat. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss ein solcher Abstand eingehalten werden, dass hinter diesem angehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird. Insofern hat die Klägerin an ihrem Sachverhalt mit der Taube festgehalten.

III.

Nach § 17 Abs. 1 StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von der einen oder anderen Partei verursacht worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, wer von den Beteiligten die erste, wer die bedeutendste und schwerwiegendste und wer die entscheidende, den Unfall auslösende Unfallursache gesetzt hat. Weiter ist die von den Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr zu untersuchen. Schließlich ist auch noch das Verschulden zu berücksichtigen, da auch dies ein die Betriebsgefahr eines Fahrzeugs erhöhender Umstand sein kann.

Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge das Unfallereignis auf eine Unfallursache zurückzuführen ist, die der Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin durch seinen zu geringen Abstand oder die Unaufmerksamkeit gesetzt hat. Das Fehlverhalten war bedeutend und unfallauslösend. Insofern ist nach neuerer Auffassung in Fällen der vorliegenden Art eine Alleinhaftung des Auffahrenden gegeben (Grünberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 14. Aufl., Rn 127; a.A. AG Solingen ZfS 2003, 539: Verteilung 75% zu 25% zu Lasten des Auffahrenden).“

OWI III: (Erneuter) Erzwingungshaftantrag, oder: „Zahlungsunfähigkeit ist keine Gefühlslage“

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Und zum Schluss dann mal wieder etwas zur Erzwingungshaft (§ 96 OWiG), und zwar der AG Dortmund, Beschl. v. 20.07.2018 – 729 OWi 64/18 [b]. Das AG hatte bereits früher von der Stadt Dortmund gegen den Betroffenen gestellte Erzwingungshaftanträge abgelehnt. Diese hatte die Stadt wiederholt und das AG hat die Anträge erneut zurückgewiesen:  

In vier den Betroffenen betreffenden Verfahren hat die Stadt A nunmehr wieder – und nach Ansicht des Gerichtes somit unzulässig – ohne Änderung der tatsächlichen Situation Erzwingungshaftanträge gegen den Betroffenen gestellt.

Das Gericht hatte am 03.07.2018 gleichartige Anträge bereits zurückgewiesen, weil der Betroffene ausweislich der erfolglosen Vollstreckungsversuche vom 06.06.2018 zahlungsunfähig ist. Der Betroffene ist nämlich nach Aktenlage offenbar Kokainkonsument. Bereits die JVA B hatte der Stadt A unter dem 7. bzw. 8.12.2017 mitgeteilt, dass keine pfändbaren Vermögenswerte bei dem Betroffenen vorhanden sind. Aus der städtischen Niederschrift über eine fruchtlose Pfändung vom 06.06.2018 ergibt sich ebenfalls, dass pfändbare Sachen nicht vorgefunden werden konnten und der Betroffene ohne jedes Einkommen ist und zwar auch ohne ALG I, ALG II, Rente oder Krankengeld.

Das Gericht ist daher mit Beschlüssen vom 3.7.2018 davon ausgegangen, dass eine Zahlungsunfähigkeit im gesetzlichen Sinne vorliegt.

Die Stadt A verbleibt bei ihrer Rechtsansicht, wonach auch Personen, die keine Sozialmittel erhalten, unpfändbar sind und auch keine sonstigen Vermögenswerte besitzen, zahlungsfähig im Sinne des § 96 OWiG sind. Allein aus der Tatsache, dass keine Sozialmittel in Anspruch genommen würden, sei darauf zu schließen, dass ein Betroffener seinem persönlichen Empfinden auch über ausreichende Mittel verfüge. Dem kann das Gericht nicht folgen. Zahlungsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes ist – anders als die Stadt A diese offensichtlich sieht – keine Gefühlslage.

Darüber hinaus ist klarzustellen, dass hier ohne jede Relevanz ist, welche Rechtsansichten das LG Dortmund zur Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 96 OWiG vertritt.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Stadt durch regelmäßige Pfändungsmaßnahmen immer noch die festgesetzten Bußgelder beitreiben kann. Das Gericht geht insoweit davon aus, dass es durchaus möglicherweise guten Chancen gibt, etwa durch Taschenpfändungen unmittelbar vor Betäubungsmittelkäufen des Betroffenen erfolgreich zu vollstrecken.“

Na, da hat es das AG der Stadt Dortmund aber gegeben 🙂 .

OWi III: Kein Absehen vom Fahrverbot beim Hoteldirektor, oder: „Von oben herab“ jedes Schlupfloch zumachen

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Und als letzte Entscheidung dann das AG Dortmund, Urt. v. 03.07.2018 – 729 OWi-267 Js 924/18 -145/18. Es geht u.a. um das Absehen von einem Fahrverbot nach einem Rotlichtverstoß. Der Betroffene hatte u.a. berufliche Gründe geltend gemacht, die das Absehen vom Fahrverbot begründen sollten. Das AG hat die nicht bzw. als nicht „durchgreifend“ angesehen:

„Das Gericht hat dann weiter gefragt zu wirtschaftlichen und persönlichen Härten des Betroffenen durch ein ihm drohendes Fahrverbot.

Der Betroffene erklärte hierzu, er habe mit seinem Arbeitgeber noch nicht über ein ihm drohendes Fahrverbot gesprochen. Der Betroffene erklärte zu seiner beruflichen Situation, dass er Hoteldirektor in Düsseldorf sei und monatlich etwa 3.000,00 EURO netto verdiene. Auch seine Ehefrau arbeite im Hotelbereich. Sie sei aber derzeit mit Kindeserziehung beschäftigt, nachdem vor drei Monaten das gemeinsame Kind geboren sei. Wegen der Kindesgeburt und dem nachfolgenden Umzug zum 01.06.2018 in eine für die Familie geeignetere Wohnung habe er mittlerweile seinen Jahresurlaubsanspruch nahezu gänzlich aufgebraucht. Im Übrigen benötige er für das von ihm geführte 4 Sterne-Hotel und die Hinfahrt zur Arbeit einen Führerschein. Er könne auf seinen Führerschein für die Dauer eines Fahrverbotes nicht verzichten. Morgens habe er um 07:30 Uhr Dienstbeginn in Düsseldorf. Er habe dort 52 Mitarbeiter zu führen. Das Hotel habe zweiundzwanzig Konferenzräume. Er arbeite fünf bis sechs Tage pro Woche 10-12 Stunden täglich. Sein Arbeitgeber könne ihm nicht kostenfrei ein Zimmer in dem Hotel unter der Woche anbieten.

Auf die Frage des Gerichts, ob er denn nicht unter der Woche einfach sich selbst ein Zimmer in seinem Hotel nehmen könne für die Dauer des Fahrverbotes erklärte der Betroffene, dass das eher unüblich sei. Das Gericht hält dies jedoch durchaus angesichts der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen für zumutbar. Der Betroffene hat geltend gemacht, er müsse teilweise für das Hotel auch noch einmal Besorgungen erledigen in Düsseldorf. Er tue dies dann per PKW. Derartige Fahrten innerhalb Düsseldorfs können während des Fahrverbots ggf. Mitarbeiter des Hotels auf Weisung des Betroffenen als Hotelchef oder auch der Betroffene selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln/per Taxi erledigen.

Das Gericht hat dem Betroffenen dann vorgehalten, dass dem Gericht durchaus bekannt sei, dass vom Hauptbahnhof Dortmund aus täglich auch Züge nach Düsseldorf zum dortigen Hauptbahnhof fahren würden.

Der Betroffene erklärte, dass er das für sich für unzumutbar halte. Er müsse ja dann morgens auch noch zum Bahnhof hinkommen. Das Gericht hält es durchaus für die Dauer eines 1-Monats-Fahrverbots zumutbar für einen Dortmunder Bürger, per Bus, per Taxi, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß zum Dortmunder Hauptbahnhof zu kommen, um von dort einen Zug nach Düsseldorf zu nehmen.

Dementsprechend konnte das Gericht keine über das gesetzgeberisch gewünschte Maß hinaus drohenden beruflichen oder persönlichen Härten feststellen, die fahrverbotsrelevant wären.

Angesichts der erheblichen materiellen und auch körperlichen Schäden der Geschädigten hielt das Gericht ein Absehen vom Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße unter Anwendung des § 4 Abs. IV BKatV nicht für angezeigt. Dem Gericht war die Existenz dieser Vorschrift jedoch bewusst.“

Also: Anwendung der „Schlupflochtheorei“ = ich mache jedes Schlupfloch zu, durch das Betroffene schlüpfen könnte, damit kein Fahrverbot festgesetzt werden muss. Und dann mit dieser in meinen Augen „Von oben Herab-Art“, wenn es denn heißt: „durchaus bekannt“ oder „oder gar zu Fuß“. Ich frage mich immer, ob das eigentlich sein muss.

Bewährungswiderruf wegen erneuter Verurteilung, oder: „Leider nicht rechtskräftig.“

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Und zur Abrundung als dritte Entscheidung dann der AG Dortmund, Beschl. v. 20.09.2018 – 764 AR 16/17 BEW. Es geht noch einmal um den Anforderungen an den Bewährungswiderruf auf der Grundlage einer erneuten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.  Hier war der Verurteilte erneut zu einer Freiheitsstrafe – ohne Bewährung – verurteilt worden. Die Verurteilung war aber nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hate aber dennoch schon aufgrund eines angeblich vorliegenden Geständnisses den Widerruf beantragt. Das AG konnte jedoch ein Geständnis des Angeklagten in dem Verfahren nicht feststellen.

„…. Ein Schuldgeständnis kann anerkanntermaßen einen Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit auch ohne eine rechtskräftige Verurteilung tragen. Die mit Verfassungsrang versehene Unschuldsvermutung tritt dann zurück. Hier kann das angebliche Geständnis sich angesichts der Urteilsgründe nicht feststellen lassen. Hierin heißt es zu den tatsächlichen Feststellungen:

„Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund des schriftlichen Geständnisses des Angeklagten B, soweit ihm gefolgt werden konnte und dem sich die übrigen Angeklagten angeschlossen haben, darüber hinaus den weiteren Angaben der Angeklagten C, D und E. Des Weiteren stützt das Gericht seine Feststellungen auf die Angaben der Zeugen F, G und H. Schließlich wurden die in der Akte vorhandenen Lichtbilder zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, die Expertise über die Funkgeräte, die Sicherstellungsprotokolle und die Auszüge aus dem Bundeszentralregister.“

Damit steht überhaupt nicht fest, ob die Verurteilung tatsächlich gerade auf dem Geständnis des Angeklagten beruht und welchen Inhalt das Geständnis gegebenenfalls hatte.

Weiterhin finden sich in dem Urteil des Amtsgerichts St.Goar im Rahmen der Strafzumessung Ausführungen zu dem angeblichen Geständnis:

„Bei allen vier Angeklagten war zu ihren Gunsten ihr Geständnis zu werten, das teilweise bereits im Ermittlungsverfahren abgegeben wurde. Andererseits war dieses Geständnis nicht von besonderem Wert, weil die Angeklagten ja auf frischer Tat ertappt und identifiziert worden waren. Sie haben der Polizei dadurch kaum Ermittlungsarbeit erspart. Weiter war zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie Reue zeigten und sich am Ende der Hauptverhandlung entschuldigten.“

Abgesehen davon, dass Ausführungen im Rahmen der Strafzumessungserwägungen, die pauschal mehrere Angeklagte betreffen kaum hinsichtlich eines der Angeklagten als Schuldgeständnis im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung anzusehen sind, das die Unschuldsvermutung überwinden kann, bleibt es dabei, dass in den tatsächlichen Feststellungen sich vielmehr Formulierungen dahin ergeben, dass es neben einem Geständnis tatsächlich weiterer umfangreicher Beweisaufnahmen erforderte, um den Verurteilten als Täter zu überführen und zu verurteilen. Schließlich sind die Formulierungen auch im Rahmen der Strafzumessungserwägungen derart pauschal, dass das Gericht hierauf einen Widerruf nicht stützen kann.“

Ist so auf der Grundlage der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG zutreffend. Die Formulierung: „Leider nicht rechtskräftig.“ im AG-Beschluss ist allerdings überflüssig.

Nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung, oder: Gibt es bei uns nicht….

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Die 37. Woche 2018 eröffne ich mit zwei Postings zu Pflichtverteidigungsfragen. Und ich starte mit zwei negativen Entscheidungen, die ich der Vollständigkeit halber vorstelle: Thema nachträgliche Beiordnung des Pflichtverteidigers.

Beide Entscheidungen verneinen die Zulässigkeit einer nachträglichen Bestellung, das LG Bremen (natürlich) wieder mit dem Argument: „Kosteninteresse“. Und mit der entgegenstehenden Rechtsprechung anderer Gerichte setzt man sich gar nicht auseinander.

Hier der Leitsatz zum LG Bremen, Beschl. v. 13.06.2018 – 1 Qs 184/18:

Eine rückwirkende Verteidigerbeiordnung ist unzulässig. Dies gilt selbst dann, wenn der Antrag auf Beiordnung noch vor Abschluss des Verfahrens gestellt und vom Gericht zunächst nicht beschieden wurde.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den AG Dortmund, Beschl. v. 21.08.2018 – 704 Gs 1586/18. Da hatte die StA im Ermittlungsverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Dagegen dann der „Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO“, den das AG zurückweist:

„Zwar wendet die Verteidigung berechtigt ein, dass auch eine Beiordnung trotz zwischenzeitlich erfolgter Einstellung des Verfahrens rückwirkend erfolgen kann, soweit zum Antragszeitpunkt die Beiordnungsvoraussetzungen vorgelegen haben, allerdings lagen bereits im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beiordnung keine Voraussetzungen dafür vor, dass die Staatsanwaltschaft gem. § 141 Abs. 3 S. 1, S. 2 StPO dazu verpflichtet gewesen wäre, eine Beiordnung bereits im Ermittlungsverfahren zu erreichen.

§ 141 Abs. 3 StPO regelt das Verfahren der Beiordnung von Pflichtverteidigern im Strafverfahren. § 141 Abs. 3 StPO regelt insoweit speziell den Fall der Beiordnung im Ermittlungsverfahren. Grundsätzlich statuiert § 141 Abs. 3 StPO hier ein Antragserfordernis der Staatsanwaltschaft. Ein Antragsrecht des Beschuldigten besteht nicht. Der Staatsanwaltschaft wird hier bei der Antragstellung, unabhängig von den explizit geregelten Fällen einer richterlichen Vernehmung sowie der Vollstreckung von Untersuchungshaft, Ermessen eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft ist jedoch nach § 141 Abs. 3 S. 2 StPO verpflichtet, eine Beiordnung bereits im Ermittlungsverfahren herbeizuführen, wenn eine solche nach ihrer Auffassung in einem gerichtlichen Verfahren nach §§ 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO notwendig ist.

Ein solches Beiordnungserfordernis hat im vorliegenden Verfahren jedoch nicht bestanden. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO setzt eine terminierte Hauptverhandlung voraus, die – mangels Anklage- nicht vorgelegen hat. Andere Beiordnungsgründe gern. § 140 Abs. 1 StPO sind nicht ersichtlich. Auch war weder aufgrund der im vorliegenden Fall hypothetisch zu erwartenden Strafe, noch aufgrund einer Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage eine Pflichtverteidigung notwendig.“

Zutreffend ist m.E. die Auffassung, dass eine nachträgliche Bestellung nur in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen vorgelegen haben. Ob die Auffassung des AG, die Voraussetzungen für eine Beiordnung hätten nicht vorgelegen, zutrifft, kann man angesichts des nur knappen Sachverhalts hier dann aber nicht abschließend beurteilen; man kennt vom Verfahren nicht mehr als den Vorwurf „Erschleichen von Leistungen“.