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OWi III: Ermessen bei der Einstellung des Verfahrens, oder: Weitere Ermittlungen unverhältnismäßig

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Und dann noch etwas zur Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG. Das AG Bad Saulgau hat im AG Bad Saulgau, Beschl. v. 17.07.2024 – 1 OWi 12 Js 12046/24 – zum pflichtgemäßen Ermessen bei der Einstellung des Verfahrens Stellung genommen. Verfahrensgegenstand war ein Verstoß gegen die Anschnallpflicht – Stichwort: Sicherheitsgurt:

„2. Die Ahndung des Verstoßes war nicht geboten gern. § 47 Abs. 2 OWiG. Das Gericht entscheidet dies nach pflichtgemäßem Ermessen. Die eigentliche Ermessensausübung besteht in der Ermittlung, Gewichtung und Abwägung der nach dem Zweck der Ermächtigung maßgeblichen Gesichtspunkte für und gegen die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit. Welche Gesichtspunkte einzustellen und wie diese zu gewichten sind, hängt vom Einzelfall ab. Zulässige Überlegungen sind dabei etwa der erforderliche Aufwand zur Aufklärung der unklaren Sachlage und der damit verbundene unverhältnismäßige Ermittlungsaufwand (Gassner/Seith, OWiG, 2. Auflage 2020, § 47 Rn. 49; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 47 Rn. 5). Die Gewichtung und Abwägung der nach dem Zweck der Ermächtigung maßgeblichen Gesichtspunkte sprechen im vorliegenden Fall gegen die (weitere) Verfolgung der Ordnungswidrigkeit.

Seitens des Gerichts bestehen vorliegend Zweifel an der Verpflichtung des Betroffenen zum Tragen eines Sicherheitsgurtes. So ergibt sich bereits aus den §§ 35a Abs. 6 StVZO, 21a StVO, dass in den in § 35a Abs. 6 StVZO aufgeführten Kraftomnibussen keine Gurtpflicht besteht. Ob der verfahrensgegenständliche Bus dieser Norm unterfällt, ist derzeit nicht ausreichend klar. Hierzu wären weitere Ermittlungen erforderlich, die angesichts des Vorwurfs unverhältnismäßig erscheinen. Zudem dürfte sich aus § 21a Abs. 1 Nr. 4 StVO eine weitere Ausnahme von der Gurt-pflicht auch für den Busfahrer und nicht nur für die Fahrgäste ergeben. Der Wortlaut der Norm, der keinerlei Unterscheidung zwischen Fahrgästen und Fahrer trifft, sondern nur allgemein auf „Fahrten in Kraftomnibussen“ abstellt, bildet insoweit die Grenze der Auslegung. Sämtliche Aus-nahmen des § 21a Abs. 1 Nr. 1 – 6 StVO verdeutlichen, dass – entgegen der Auffassung der Bußgeldbehörde – allein die Ausstattung eines Fahrzeuges mit Sicherheitsgurten nicht immer zu einer entsprechenden Gurtpflicht führen muss.“

OWi I: Die Einsicht in die gesamte Messreihe, oder: OLG Stuttgart, AGe Bad Saulgau, Friedberg, Heiligenstadt

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Und dann heute vor dem Gebührentag am morgigen Freitag noch ein paar OWi-Entscheidungen.

Ich starte mit einem Posting zu Entscheidungen betreffend (Akten)Einsicht in Messdaten. Und da habe ich = stelle ich vor den OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.10.2021 – 4 Rb Ss 25 Ss 1023/21 -, den mir der Kollege Gratz vom Verkehrsrechtsblog geschickt hat. Das OLG bejaht ein Einsichtsrecht:

„2. Die Rüge der Verletzung des fairen Verfahrens ist vorliegend erfolgreich. Die nicht gewährte Einsichtsmöglichkeit in die nicht bei den Akten befindliche gesamte Messreihe des Messtages an dem fraglichen Messort durch das Amtsgericht ist basierend auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Recht auf ein faires Verfahren nicht vereinbar (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18, Rn. 51; Kammerbeschluss vom 4. Mai 2021 – 2 BvR 868/20, juris Rn. 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, juris Rn. 28; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2021 – 1 OLG 331 SsBs 23/20, juris Rn. 15 mwN; Senat, Beschl. v. 3. August 2021 — 4Rb 12 Ss 1094/20 – juris).

Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Antrag des Betroffenen auf Aussetzung der Hauptverhandlung und Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zur Verfügungsstellung der Daten der gesamten Messreihe, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, durch Beschluss zurückgewiesen bzw. in der Hauptverhandlung nicht mehr beschieden und damit die Verteidigung unzulässig gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. mit § 338 Nr. 8 StPO beschränkt.

Der Betroffene ist durch die Vorenthaltung der mit seiner verfahrensgegenständlichen Messung in Zusammenhang stehenden Messreihe in seinem Recht auf eine faire Verfahrensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt worden. Aus diesem Recht ergibt sich für den Betroffenen ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen zu dem ihn betreffenden Messvorgang. Das Recht gewährleistet es dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrzunehmen, um Übergriffe staatlicher Stellen angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfG NVZ 2021, S. 43). Er darf nicht zum bloßen Objekt eines Verfahrens gemacht werden, sondern muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (BVerfGE 65, 171-174). Dazu gehört das Recht auf möglichst frühen und umfassenden Zugang zu Ermittlungsvorgängen und Beweismitteln, die zum Zwecke der Untersuchung anlässlich des Verfahrens entstanden sind, jedoch nicht zur Akte genommen worden sind und deren Beiziehung unter Aufklärungsgesichtspunkten vom Tatgericht nicht für erforderlich erachtet wurde. Dabei kann der Betroffene eines Bußgeldverfahrens gegenüber der Verwaltungsbehörde auch ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für Messfehler verlangen, Einsicht in bei ihr existierende weitere Unterlagen zur eigenen Überprüfung der Messung zu erhalten, da er ohne diese nicht beurteilen kann, ob – gerade im standardisierten Messverfahren – Beweisanträge zu stellen sind. Dass nach Auffassung der Physikalisch-Technischen-Prüfbehörde der Erkenntniswert durch die Statistikdatei, die gesamte Messreihe sowie die Annullationsrate in der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung gering sei, (vgl.https://www.ptb.de/cms/fileadminfinternet/fachabteilungen/abteilung_1/1.3_ki-nematik/1.31/downloads/PTB Stellungnahme_Statistikdatei_DOLpdf), trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu, da bestimmte Auffälligkeiten der Messungen für einen Betroffenen bzw. den von diesem beauftragten Sachverständigen nur bei Betrachtung aller Aufnahmen und Daten ermittelbar sind (vgl. Cierniak, ZfS 2012, 664, 772). Im Übrigen unterliegt es allein der Einschätzung des Betroffenen und seiner Verteidigung, ob bestimmte Informationen für seine Recherchen von Bedeutung sein könnten (Thüringer OLG, aaO Rn. 21). Erst nach deren Erlangung kann er entscheiden, ob er seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aufrechterhalten und die weiteren Kosten und Gebühren des gerichtlichen Verfahrens einschließlich anwaltlichen Beistands auf sich nehmen will.

b) Soweit Bedenken bestehen, dass bei einer Einsicht in die gesamte Messreihe des Messtages Daten Dritter betroffen sind, kann dem durch eine Anonymisierung der Daten Rechnung getragen werden. Außerdem werden diese Messdaten lediglich an den Verteidiger als Organ der Rechtspflege sowie einen von diesem beauftragten Sachverständigen herausgegeben und damit datenschutzrechtliche Bedenken weiter verringert, da zu erwarten ist, dass die diesen übermittelten Daten nicht an Dritte weitergegeben werden. Daher muss bei dieser Verfahrensweise das Interesse der in den Falldateien der Messreihe er-fassten weiteren Verkehrsteilnehmer gegenüber dem aus dem fair-trial-Anspruch begründeten Einsichtsrecht des Betroffenen zurückstehen (vgl. zum Ganzen auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 864/81, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, aaO Rn. 28; Thüringer Oberlandesgericht, aaO Rn. 25). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass lediglich Foto und Kennzeichen, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift der anderen Verkehrsteilnehmer übermittelt werden.“

Und dann habe ich noch:

Der Verteidiger hat als Vertreter des Betroffenen einen Anspruch auf Zugang zu den am Tattag an der ihn betreffenden Messstelle generierten Falldateien anderer Verkehrsteilnehmer. Diese Messreihe hat die Verwaltung an den Verteidiger zum Abruf über eine Internetverbindung bereitzustellen.

1. Eine unterlassene Beweismittelvervollständigung ist keine Maßnahme einer Behörde, die von dem Rechtsbehelf des § 62 OWiG umfasst wäre.

2. Ein Anspruch auf Herausgabe der gesamten Messreihe besteht nicht, da diese nicht aufgrund des konkreten Ermittlungsverfahrens entstanden ist.

Der Verteidiger des Betroffenen hat ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Akten, Aktenteile und weitere Unterlagen oder Datenträger bezieht; auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, aus denen sich der Schuldvorwurf ergeben soll und die möglicherwelse auch der Entlastung des Betroffenen dienen können. Das umfassende Akteneinsichtsrecht der Verteidigung ist außerdem auf dem Grundsatz des fairen Verfahrens begründet.

OWi III: Messfehler (?) bei Leivtec XV 3, oder: AG Bad Saulgau stellt auch ein

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Bad Saulgau, Beschl. v. 01.04.2021 – 1 OWi 25 Js 28777/19. Gegenstand der Entscheidung: Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG, wenn dem Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Messung mit Leivtec XV3 zugrundeliegt:

„1. Das Verfahren ist gem. § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen.

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat ihre Zustimmung zur Einstellung erteilt. Das Gericht hält eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit gem. § 47 Abs. 2 OWiG nicht für geboten.

Letzteres entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die eigentliche Ermessensausübung besteht in der Ermittlung, Gewichtung und Abwägung der nach dem Zweck der Ermächtigung maßgeblichen Gesichtspunkte für und gegen die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit. Welche Gesichtspunkte einzustellen und wie diese zu gewichten sind, hängt vom Einzelfall ab (Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl. 2020, § 47 Rn. 13, beck-online). Zulässige Überlegungen sind dabei etwa, dass das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Messung mit dem genutzten Messgerät nicht mehr als standardisiertes Messverfahren anzusehen sei (Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 47 Rn. 5; AG Meißen BeckRS 2018, 10275; AG Hoyerswerda BeckRS 2016, 116268; AG Mannheim BeckRS 2016, 113051 = DAR 2017, 213 = zfs 2017, 114;). Unter einem standardisierten Messverfahren ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH, Beschl. v. 30.10.1997 – 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277 = DAR 1998, 110 = NJW 1998, 321; OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2003 – SS OWI 654/03, DAR 2005, 226 = NStZ 2004, 352).

Dies ist nach Überzeugung des Gerichts – zumindest derzeit – für das Gerät Leivtec XV3 nicht garantiert (Anschluss an das AG Landstuhl, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 OWi 4211 Js 2050/21).

Bereits in der Vergangenheit kam der Verdacht auf, dass das Messgerät Leivtec XV3 Fehlmessungen in Form eines sog. Stufeneffekts aufgewiesen hat (vgl. AG Kehl, Az. 5 OWi 206 Js 5783/14 – nicht veröffentlicht).

Nachdem eine Gruppe von Sachverständigen jedoch in „zahlenmäßig relevanten“ Fällen im August und Oktober 2020 bereits unzutreffende Geschwindigkeitswerte bei Messungen mit diesem Gerät festgestellt hatten (vgl. K. Matzen, D. Matzen, M. Haubold, S. Skanda, M. Wenderoth, T. Bock, L. Rachel, F. Wigrim, T. Schubert, https://www.iqvmt.de/LeivtecXV3.html, zuletzt aufgerufen am 01.04.2021), hat die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ebenfalls Untersuchungen aufgenommen.

Hierüber informierte die PTB am 27.10.2020 in einer Mitteilung zum „Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3“ auf ihrer  Website

(https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/fachabteilungen/abteilung_1/1.3_kinematik/1.31/PTB _Stellungnahme_XV3_Zwischennachricht_2.pdf, zuletzt abgerufen am 01.04.2021) wie folgt:

„Kürzlich wurde der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) der Verdacht gemeldet, dass das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche aktuelle Fahrzeugtypen geeichte Geschwindigkeitsmesswerte mit unzulässigen Messwertabweichungen ausgeben könne. Die PTB hat daraufhin die Situation an ihrer Referenzanlage nachgestellt. Bisher konnte die PTB die gemeldeten Effekte nicht reproduzieren. Die Untersuchungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Sobald ein definitives Ergebnis vorliegt, wird die PTB die zuständigen Marktaufsichtsbehörden sowie den Hersteller entsprechend informieren, damit, falls tatsächlich erforderlich, geeignete Maßnahmen eingeleitet werden können.“

Die PTB konnte die Messfehler dann im Grundsatz reproduzieren. Am 14.12.2020 wurde eine vom Hersteller geänderte Gebrauchsanweisung für das Messgerät Leivtec XV3 von der PTB genehmigt. In der Gebrauchsanweisung heißt es nunmehr:

„Zur Verwertbarkeit der Beweisbilder muss für alle in Kapitel 5.4 aufgeführten Kriterien zusätzlich folgende Bedingung für das Messung-Start-Bild erfüllt sein: Sofern sich im Messung-Start-Bild nicht das komplette Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens befindet, muss die innerhalb des Messfeldrahmens abgebildete Breite des Kennzeichens mindestens der zweifachen Höhe des Kennzeichens entsprechen. Bei Messungen mit Einfahrt des Fahrzeugkennzeichens in den Messfeldrahmen von oben muss im Messung-Start-Bild das gesamte Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens abgebildet sein.“

Eine nähere Begründung für die Änderung erfolgte seitens der PTB und des Herstellers nicht.

Im Februar 2021 wurden in mehreren beim Gericht anhängigen Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Geschwindigkeitsverstößen (jeweils festgestellt durch das Messgerät Leivtec XV3) vom Verteidiger Herrn RA pp. Sachverständigengutachten des Sachverständigen Herrn Dipl.-Ing. Dr. Ulrich Löhle vorgelegt, in denen dieser im Wesentlichen ausführt, dass es bei dem Gerät Leivtec XV3 zu Fehlmessungen in Form von sog. Stufenprofilmessungen kommen kann und dies auch trotz der Änderung der Gebrauchsanweisung weiterhin möglich erscheint.

Der Verteidiger stellte in den Hauptverhandlungen Ende Februar 2021 mehrere gleichlautende Beweisanträge, die im Wesentlichen darauf abzielten, den Grund für die Änderung der Bedienungsanleitung von der PTB und dem Hersteller in Erfahrung zu bringen. Das Gericht bat daher die PTB und den Hersteller mit Mail vom 02.03.2021 um Beantwortung folgender Fragen innerhalb von zwei Wochen:

  1. Wie ist es konkret um die Laserintensitätsverteilung innerhalb des Messfeldrahmens bestellt?
  2. Ist der Messfeldrahmen mit einer konstanten gleich hohen Laserintensität abgedeckt? Gibt es dort Minima oder Maxima und wenn ja, an welchen Stellen des Messfeldrahmens?
  3. Wie kam es zu der (verfügten) Ergänzung der Gebrauchsanleitung vom 14.12.2020? Lagen den Ergänzungen Fehlerfeststellungen (z.B. Stufenprofilmessungen) zugrunde? Falls ja, welche Fehler wurden festgestellt und wie wurden diese Fehlerfeststellungen getroffen? Vor allem welche Versuche wurden unter Realbedingungen durchgeführt?

Es erfolgte bis heute jedoch weder eine Reaktion seitens der PTB, noch des Herstellers.

Am 12.03.2021 wurde dann die Mitteilung zum „Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3“ auf der Website der PTB (https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/fachabteilungen/abteilung_1/1.3_kinematik/1.31/PTB _Stellungnahme_XV3_Zwischennachricht_2.pdf, zuletzt aufgerufen am 01.04.2021) wie folgt ergänzt:

„Die oben erwähnten Versuche von Sachverständigen [K. Matzen, D. Matzen, M. Haubold, S. Skanda, M. Wenderoth, T. Bock, L. Rachel, F. Wigrim, T. Schubert, https://www.iqvmt.de/LeivtecXV3.html (Zugriff am 11.03.2021)] hatten gezeigt, dass in speziellen Fällen Geschwindigkeitsmesswerte ausgegeben werden, die die Verkehrsfehlergrenzen verletzen, insbesondere auch zu Ungunsten des Betroffenen. Diese Ergebnisse konnten im Grundsatz an der Referenzanlage der PTB reproduziert werden. Eine ergänzte Gebrauchsanweisung, die der PTB daraufhin vom Hersteller vorgelegt und von ihr am 14.12.2020 genehmigt wurde, konnte die damals bekannten Fälle von unzulässigen Messwertabweichungen ausschließen. Am 09.03.2021 erlangte die PTB nun Kenntnis über weitere Versuche von Sachverständigen [M. Kugele, T. Gut, L. Hähnle, Versuche zum Stufeneffekt beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021] die zeigen, dass es darüber hinaus spezielle Szenarien gibt, bei denen es auch unter den Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann. Die PTB hat daraufhin umgehend den Hersteller und die zuständigen Stellen der Markt- und Verwendungsaufsichtsbehörden informiert und mit intensiven eigenen Versuchen begonnen. Die Ergebnisse stehen noch aus.“

In einer Kundeninformation vom 12.03.2021 (https://www.leivtec.de/de/aktuelles/meldungen/2021_03_22_Kundeninformation.php, zuletzt aufgerufen am 01.04.2021)) informierte der Hersteller letztlich über die Auffälligkeiten und die Prüfung der PTB und führte selbst insbesondere aus:

„[…] Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es auch bei Beachtung der Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, möchten wir sie bitten, von weiteren amtlichen Messungen vorerst Abstand zu nehmen. Wir werden uns nach Veröffentlichung der finalen Prüfergebnisse der PTB unverzüglich wieder bei Ihnen melden […].“

Die Einstellung ist ok. Mit der Auslagenentscheidung habe ich allerdings ein Problem. Wieso muss der Betroffene seine Auslagen tragen, wenn das Verfahren wegen Unverwertbarkeit der Messung – davon geht das AG ja letztlich aus – eingestellt wird. M.E. steht das mit der zitierten Unschuldsvermutung nicht in Einklang.

Mal was anderes zur Akteneinsicht, oder: Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners

© Gerhard Seybert - Fotolia.com

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Zur Akteneinsicht heute mal etwas ganz anderes – also keine Bedienungsanleitung, keine Messdaten, keine Tokken oder sonst etwas. Sondern: Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners. Die hatte der Kollege Kabus aus Bad Saulgau bei der Bußgeldbehörde beantragt und die hatte abgelehnt. Dagegen dann der Antrag des Kollegen auf gerichtliche Entscheidung, der beim AG Bad Saulgau Erfolg hatte. Dazu der AG Bad Saulgau, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 OWi 273/16:

„Dem Verteidiger des Betroffenen darf nicht verwehrt werden, Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners zu nehmen. Er hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Akteneinsicht, da sich aus dieser Akte Umstände ergeben können, welche seinen Mandanten entlasten.

Die Bedenken der Bußgeldbehörde hinsichtlich des Rechts des Unfallgegners auf informationelle Selbstbestimmung sind durchaus berechtigt. Diesen Bedenken kann aber dadurch begegnet werden, dass die entsprechenden Aktenteile nicht ausgekehrt bzw. – in Kopie – geschwärzt werden.

Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Betroffene in einem möglichen Zivilverfahren unproblematisch Akteneinsicht erhalten würde, da hier die entsprechenden Ermittlungsakten regelmäßig beigezogen und zum Gegenstand einer mündlichen Verhandlung gemacht werden. Auch dies spricht dafür, dass dem Verteidiger des Betroffenen die Akteneinsicht vorliegend nicht verwehrt werden darf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 OWiG, § 473 a StPO.“

M.E. zutreffend….