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OWi-Verfahren III: Absehen vom Fahrverbot, nicht bei einer Kieferorthopädin mit zwei Praxen

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Letztlich nur noch um das Fahrverbot ging es in einem beim AG Zeitz anhängigen Verfahren. Zur Laste gelegt wurde der Betroffenen – einer Kieferorthopäding mit zwei Praxen eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h. Sie war bereits einmal wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung in Erscheinung getreten. Das AG Zeitz sagt im AG Zeitz, Urt. v. 13.06.2017 – 13 OWi 733 Js 210853/16: Kein Absehen vom Fahrverbot, denn:

„Soweit die Betroffene geltend gemacht hat, die Tat sei außerorts auf einer Bundesstraße begangen worden, die für die Fahrverbotsverhängung maßgebliche Grenze sei nur um 3 km/h überschritten worden, es habe außerordentlich geringer Verkehr geherrscht, es habe Tageslicht gegeben, es sei sonnig gewesen, so dass es keine gravierende Gefährdungssituation gegeben habe, sind dies keine außergewöhnlichen Umstände, die eine Ausnahme vom Regelfall begründen könnten.

Die Betroffene hat sich zwar eingelassen, das Fahrverbot bedeute für sie eine besondere Härte und gefährde ihre Existenz. Es sei ihr auch nicht zuzumuten, sich irgendjemandem als Fahrer anzuvertrauen; ausgebildete Fahrer stünden auf dem Markt nicht zur Verfügung. Gleichwohl konnte keine Härte festgestellt werden, die den Verzicht auf ein Fahrverbot rechtfertigen könnte.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dürfen Angaben eines Betroffenen, es drohe bei Verhängung eines Fahrverbots der Verlust seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage, nicht ungeprüft übernommen werden; vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines Ausnahmefalles auszuschließen (vgl.. OLG Bamberg, Beschluss vom 22. Juli 2016 – 3 Ss OWi 804/16 -, juris).

Das Gericht hat bereits vor dem Termin auf die Anforderungen hingewiesen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für eine wirtschaftliche Härte bei Selbständigen zu stellen sind, um eine Ausnahme vom Regelfahrverbot zu rechtfertigen. Die Betroffene hat indes nichts Konkretes zu ihrer wirtschaftlichen Situation vorgetragen, geschweige denn belegt.

Selbst wenn man – nach Auffassung des Gerichts realitätsfern – unterstellen würde, die Betroffene könne wegen des Fahrverbots ihre berufliche Tätigkeit insgesamt einen Monat lang nicht ausüben, läge die Annahme fern, dass dies bei einer selbständigen Kieferorthopädin mit 2 Praxen die wirtschaftliche Existenz vernichten könnte. Nahe liegt es vielmehr, dass die Betroffene sich vertreten lassen oder insbesondere fahren lassen kann. Die Betroffene hat vergebliche Bemühungen um eine Vertretung ebenso wenig wie Bemühungen um einen Fahrer oder Bereitstellung von Taxen nachgewiesen.“

Wird man so hinnehmen müssen: Eine „einschlägige“ Vorverurteilung, auf die das AG noch nicht einmal abgestellt hat. Und vor allem – vielleicht viel das aber auch schwer 🙂 – keinerlei Vortrag zur wirtschaftlichen Situation. Das muss dann natürlich was kommen, wenn man mit der Begründung ein Absehen vom Fahrverbot erreichen will.

Absehen vom Fahrverbot, oder: dünner werdende Besiedlung und Vermutung „außerorts“ reicht nicht

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Heute will ich dann mal wieder ein paar verkehrsrechtliche Entscheidungen vorstellen. Ich eröffene mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.05.2016 – 2 (B) 53 Ss-OWi 116/16 (57/16), also „uralt. Das OLG hat ihn aber erst vo kurzem übersandt. Es geht um das Absehen vom Fahrverbot. Das AG hatte abgesehen. Der Betroffene hatte abgesehen. Begründung: „Der Betroffene habe sich „aufgrund unzureichender Aufmerksamkeit über die geltende Höchstgeschwindigkeit an der Messstelle geirrt“. Nach seiner glaubhaften Einlassung sei er „in dieser Gegend als Ortsunkundiger unterwegs“ gewesen und habe „vermutet“, dass er sich „längst außerorts“ befunden habe. Die Geschwindigkeitsübertretung sei mit Rücksicht auf die in den Beschlussgründen näher beschriebene Örtlichkeit der Messstelle, die einen ländlichen Eindruck vermittelte und gerade bei ortsfremden Fahrzeugführern eine hohe Quote an Geschwindigkeitsverstößen provoziere, nicht als grobe Zuwiderhandlung, sondern als augenblickliches kurzzeitiges Fehlverhalten zu werten.“

Das OLG meint: Das reicht so nicht:

„Eine grobe Pflichtverletzung kann beispielsweise dann auszuschließen sein, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Zeichen übersehen hat und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste (BGH NJW 1997, 3252; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13. April 1999 – 2b Ss OWi 85/99, zit. nach Juris; Senat, Beschl. v. 10. November 2004 – 2 Ss-OWi 106 B/04). Eine solche Fallkonstellation liegt nicht vor, denn dem Betroffenen war nach den getroffenen Feststellungen zunächst bewusst, dass er sich innerorts befand. Wenn er sich dann nach Verlassen des Ortskerns aufgrund dünner werdender Besiedelung und weitgehend fehlender Bebauung zu der Annahme verleiten lässt, er sei bereits außerhalb der Ortslage, vermag dies einen Ausnahmefall, der ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt, regelmäßig nicht zu begründen (vgl. BayObLG NZV 1997, 89, 90; OLG Hamm DAR 2001, 322, 323). Dies gilt umso mehr, als der Betroffene nach seiner Einlassung lediglich „vermutete“, sich „längst außerorts“ zu befinden. Auf eine solche Vermutung darf sich ein sorgfältiger und pflichtbewusster Verkehrsteilnehmer ungeachtet des Eindrucks, den die Örtlichkeit der Messstelle vermittelt, nicht verlassen. Eine grobe Pflichtverletzung ist insoweit nicht ausgeräumt, sondern liegt auf der Hand.“

„Wanderer kommst du zum AG Potsdam, dann hast du Glück mit dem Fahrverbot….“

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Ich hatte in der vorigen Woche über das AG Potsdam, Urt. v. 07.02.2017 – 88 OWi 4135 Js-OWi 27897/16 (468/16) berichtet (vgl. AG Potsdam: Nur einmal „Beginn einer Tempo 30-Zone“-Schild passiert – kein Fahrverbot). Dazu hat mir dann der Kollege Stach aus Potsdam ein weiteres Urteil des AG Potsdam übersandt, in dem ebenfalls von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot abgesehen worden ist. Es handelt sich um das AG Potsdam, Urt. v. 23.01.2017 – 88 OWi 4131 Js 34510/16 (590/16). Die Begründung für das Absehen vom Fahrverbot in diesem Fall:

„Das maßgebliche Verkehrszeichen 274-57 mit der Anordnung „70″ steht bei km 3,290 der B 2, das ist gerichtsbekannt. Über dem Zeichen 274 ist ein Verkehrszeichen 141-10 „Wildwechsel“ angebracht, unter dem Zeichen 274 ein Zusatzzeichen 1001-30, „800 m“, darunter ein Zusatzzeichen 1040-30, „20-6 h“. Die auf der B 2 zuvor bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h wird bei km 3.259 durch ein linksseitig angebrachtes Verkehrszeichen 278 aufgehoben, das heißt 31 m vor der neuen Anordnung.

Das Gericht kann es nicht ausschließen, dass der Betroffene nach der Wahrnehmung der Aufhebung der Geschwindigkeitsanordnung nicht mit der alsbaldigen Anordnung einer weiteren verschärften Geschwindigkeitsbeschränkung rechnete und deshalb die rechtsseitig aufgestellten zwei Verkehrszeichen und zwei Zusatzzeichen nicht vollständig beachtete.

Auch das Überholen eines anderen Fahrzeugs und die zeitweilige Verdeckung des nur rechts einmal aufgestellten Geschwindigkeitszeichens kann nicht ausgeschlossen werden. Das einmalige Übersehen eines einseitig aufgestellten Verkehrszeichens, möglicherweise auch in der Folge zeitweiliger Verdeckung ist als ein sogenanntes Augenblicksversagen zu erkennen, als das Ergebnis einer einmaligen kurzen Unaufmerksamkeit, wie sie jedermann gelegentlich erleidet. Der im Moment eines solchen Augenblicksversagen begangenen Fehlhandlung fehlt die vorwerfbare Gesinnung, die die Anordnung eines Fahrverbotes gebieten würde, damit ein Betroffener dessen Besinnungs- und Denkzettelwirkung nutzt, uni sein Verhalten dem Grunde nach zu überdenken.“

Auch die Entscheidung geht m.E. schon recht weit……in Bamberg hätte das nicht gehalten 🙂 .

 

„Machen Sie eine Verkehrstherapie“, oder: Rettung der Fahrerlaubnis

entnommen wikidmedia.org Fotograf Faßbender, Julia

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Fotograf Faßbender, Julia

Ich habe ja hier schon häufiger über das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB) berichtet, wenn der Angeklagte z.B. an einer Verkehrstherapie teilgenommen hat. Einer meiner „Entscheidungslieferanten“ hat mir nun das AG Tiergarten, Urt. v. 03.11.2106 – (308 Cs) 3023 Js 3339/16 (155/16) – übersandt. Nichts Besonderes, aber es ruft die Problematik noch einmal in Erinnerung. Der Angeklagte wird wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB verurteilt. Das AG entzieht die Fahrerlaubnis, die dem Angeklagten rund 8 Monate entzogen war, nicht, sondern ordnet nur ein Fahrverbot an:

„Angesichts der zahlreichen Bemühungen, die der Angeklagte nach der Tat bereits unternommen hat, nämlich namentlich einer Verkehrstherapie, bestehend aus zehn Einzelsitzungen á 50 Minuten sowie sechs Alkoholseminaren á 90 Minuten, und dem vollständigen Alkoholverzicht, nachgewiesen durch Abstinenzkontrollen, war zum Urteilszeitpunkt von der zur Tatzeit noch vorliegenden charakterlichen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr auszugehen, so dass eine Maßregel nach §§ 69, 69a StGB nicht (mehr) in Betracht kam. Daher hat das Gericht lediglich auf ein Fahrverbot von drei Monaten erkannt, welches durch die Zeit der vorläufigen Einbehaltung des Führerscheins bereits verbüßt war.“

Diesen Weg muss man als Verteidiger in geeigneten Fällen im Auge behalten. Damit kann man die Fahrerlaubnis ggf. „retten“.

Massagebank? Die kann man auch im Taxi transportieren – meint das KG

entnommen wikimedia.org Urheber: Dirk

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Urheber: Dirk

Recht streng ist m.E. das KG mit einem Betroffenen hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot gewesen. Das AG hatte bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung vom Fahrverbot abgesehen und ist den „auf ein verlesenes Schreiben des Arbeitgebers gestützten Angaben des Betroffenen gefolgt, wonach ihm, dem Betroffenen, bei Anordnung eines Fahrverbotes der Arbeitsplatzverlust infolge Kündigung drohe. Denn er sei als angestellter Physiotherapeut auf seinen Führerschein angewiesen, weil er laut Arbeitsvertrag ausschließlich Hausbesuche absolviere, zu denen er schwere Massagebänke sowie andere Hilfsmittel transportieren müsse. Diese auswärtigen Termine könnten weder sein Arbeitsgeber „aus privaten und beruflichen Gründen“ noch die anderen acht Angestellten „wegen fehlender Kenntnisse“ oder „fehlendem Führerschein“ wahrnehmen. Das Amtsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass „die Vollstreckung des Fahrverbotes unverhältnismäßig sei und für den Betroffenen aus beruflichen Gründen eine unzumutbare Härte bedeuten würde“. Ergänzend sei der Zeitpunkt des Verstoßes „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen.

Dem KG reicht das so nicht. Es hat im KG, Beschl. v. 24.02.2016 – 3 Ws (B) 95/16  – aufgehoben:

„bb) Nach diesen Grundsätzen lassen die Urteilsgründe die erforderliche Abwägung vermissen und belegen nicht, dass das Fahrverbot für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde. Dies gilt sowohl für jeden einzelnen im Urteil niedergelegten Umstand als auch für eine Gesamtschau aller Umstände. Dass der unvorbelastete Betroffene aufgrund seines Arbeitsvertrages ausschließlich für Hausbesuche, die er allein mit dem PKW zu absolvieren hat, angestellt worden ist, zu denen er u.a. Massagebänke, Gewichte und andere Utensilien mitzunehmen hat, gibt keinen Anlass, ein einmonatiges Fahrverbot als unzumutbar anzusehen.

Zwar hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln wegen der Größe und des Umfanges der Utensilien nicht möglich sei, eine plausible Erklärung, warum die Inanspruchnahme eines Taxi als öffentliches Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, enthalten die Urteilsgründe jedoch nicht.

Auch fehlen Feststellungen dazu, ob diese Aufgabe während eines Fahrverbotes nicht durch eine Kombination von Urlaub und Hinzuziehen eines Fahrers zu bewältigen ist. Denn selbst wenn nur der Betroffene die Hausbesuche vornehmen kann, so muss der Arbeitgeber doch für den Fall des Urlaubes oder Erkrankung des Betroffenen Vorkehrungen für das Gewährleisten dieser Hausbesuche getroffen haben, die auch für die Zeit eines Fahrverbotes gelten könnten. Unter diesem Gesichtpunkt ist zu besorgen, dass das Amtsgericht die Angaben des Arbeitgebers unkritisch übernommenen hat.

Die ergänzende Überlegung des Amtsgerichts (UA S.2) zum Absehen vom Fahrverbot, der Verkehrsverstoß habe sich „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zugetragen“ überzeugt nicht, da sich bereits andere Verkehrsteilnehmer erfahrungsgemäß nicht darauf einstellen müssen, dass die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von einem einzelnen Kraftfahrer, in einem derart hohen Maß – hier über 50% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – überschritten wird (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2015 – 3 Ws (B) 307/15 -). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit darf grundsätzlich auch nicht zur Nachzeit bei geringem Verkehrsaufkommen überschritten werden.      

Die Schlussfolgerung des Verteidigers, bereits aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen könne er, der Betroffene, sich weder Ersatzfahrer noch Taxifahrten leisten, ist urteilsfremd und daher vom Rechtsbeschwerdegericht nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Umstände des nicht wahrgenommenen Verkehrszeichens über die Geschwindigkeitsbeschränkung. Insoweit merkt der Senat an, dass die fehlenden Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen wegen der Höhe des verhängten Bußgeldes mit Blick auf § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG bedenklich sind.

Insgesamt stellen die durch das Amtsgericht bezeichneten Umstände allenfalls Unbequemlichkeiten dar, die als regelmäßige Folge eines Fahrverbots hinzunehmen sind.“

Nun, Probleme habe ich mit der Formulierung „ganz außergewöhnliche….“. Ist das bzw. soll das eine Steigerung sein und wird dadurch ggf. nicht ein zu strenger Maßstab angelegt? Und ob das alles nur Unbequemlichkeiten sind…..Die Berliner Taxifahrer werden sich freuen, wenn sie ggf. auch Massagebänke transportieren dürfen.