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BtM III: Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG, oder: Ggf. auch bei Substitutionsbehandlung

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Und zum Schluss des Tages dann noch eine weitere Entscheidung zur Zurückstellung nach § 35 BtMG. Ich stelle aber vom dem umfangreich begründeten OLG Celle, Beschl. v.05.07.2021 – 2 VAs 8/21 – hier nur den Leitsatz ein. Den Rest bitte selbst lesen:

Die Durchführung einer ambulanten diamorphingestützten Substitutionsbehandlung rechtfertigt eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, wenn die Behandlung auch eine intensive psychosoziale Begleitung umfasst und als Fernziel eine vollständige Abstinenz angestrebt wird.

BtM II: Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG, oder: Gesetzesänderung übersehen

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Naumburg, Beschl. v. 10.08.2021 – 1 VAs 4/21 -, den mir der Kollege Reulecke geschickt hat, geht es um die Frage der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG. Ein entsprechender Antrag des Verurteilten war abgelehnt worden. Der Verurteilte hatt dann im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG Erfolg:

„Auch in der Sache hat der Antrag – vorläufig – Erfolg. Die Bescheide der Staatsanwaltschaft Halle – Zweigstelle Naumburg – vom 27. April 2021 und der Generalstaatsanwaltsehaft Naumburg vom 30. Juni 2021 sind rechtswidrig und verletzten den Antragsteller in seinen Rechten (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG),

1. …..

2. Vorliegend haben die Staatsanwaltschaften den Antrag des Verurteilten auf Zurückstellung der Strafvollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 4. Januar 2018 nach § 35 BtMG zurückgewiesen, da eine weitere Freiheitsstrafe – hier die sechsmonatige Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bernburg vom 19. August 2020 – als Anschlussvollstreckung einer Zurückstellung entgegenstehe (§ 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG). Eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge – wie von dem Verurteilten beantragt ¬hat die Generalstaatsanwaltschaft abgelehnt, da die §§ 43 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 StVollstrO die Reihenfolge der Vollstreckung bestimmten.

Bei der Prüfung des Antrages des Verurteilten hat die Staatsanwaltschaft indes nicht in ihr Ermessen eingestellt, dass eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach §§ 43 Abs. 2 und 3 bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 43 Abs. 4 StVollstrO zur Änderung festgelegten Vollstreckungsreihenfolge führen kann.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 43 Abs. 4 StVollstrO, die Vollstreckungsreihenfolge zu ändern, ist hier nicht von vorneherein ausgeschlossen. Der vom Antragsteller beantragten Änderung der Vollstreckungsreihenfolge und der (Vorweg-)Vollzug der gesamten sechsmonatigen – nicht nach § 35 BtMG zurückstellungsfähigen – Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bernburg steht die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft Halle – Zweigstelle Naumburg – vom 20. Juni 2021, BI. 137 Bd. II d. VH) nicht mehr entgegen. Zwar habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Vorabvollstreckung der nicht zurückstellungsfähigen Strafe unter Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 43 Abs. 4 StVollstrO selbst auf Antrag des Verurteilten nicht in Betracht komme, dies deshalb, weil auch eine nach § 454b Abs. 2 StPO unterbrochene Strafe eine im Sinne des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zu vollstreckende Strafe sei, die die Zurückstellung der weiteren Strafen nach § 35 BtMG hindere (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 — 5 AR (VS) 23/10 -, juris). Hierauf hat der Gesetzgeber in § 454b Abs. 3 StPO indes reagiert. Die Vorschrift wurde durch Art. 3 Nr. 36 Buchst. a des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S, 3202), in Kraft getreten am 24. August 2017, eingeführt, um therapiewilligen Verurteilten die Zurückstellung einer suchtbedingten Freiheitsstrafe unter den Voraussetzungen des § 35 BtMG auch bei gleichzeitigem Vorliegen nicht suchtbedingter Freiheitsstrafen zu ermöglichen. Nicht suchtbedingte Freiheitsstrafen können damit auf Antrag des Verurteilten – und ein solcher liegt hier vor – vor der Zurückstellung suchtbedingter Freiheitsstrafen und vor Antritt der Therapie vollständig verbüßt werden (vgl. Appl in Karlsruher-Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 454b, Rn. 4a).

Dieser – durch die Gesetzesänderung – neu ins Gesetz eingeführte Gesichtspunkt hat bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft erkennbar keine Rolle gespielt. Er wird aber bei der nunmehr zu treffenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 43 Abs. 4 StVollstrO vorliegt, der eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge – wie von dem Verurteilten begehrt – gebietet, zu berücksichtigen sein.“

Bewährungswiderruf? Jein!, oder: Nicht mit der einen Hand genommen, was mit der anderen Hand bekommen.

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Eine in meinen Augen „weise Entscheidung“, die der OLG Hamm, Beschl. v. 24.07.2012  1 Ws 322/12 – betreffend einen Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung getroffen hat.

Nach dem Sachverhalt ist der Verurteilte  zu einer Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Es kommt in laufender Bewährungszeit zu einer neuen Straftat, die zu einer neuen Verurteilung führt. Es wird das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 BtMG bejaht. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe wird dann auch gem. § 35 BtMG zurückgestellt. Die Strafvollstreckungskammer widerruft aber dennoch die Bewährung aus der ersten Verurteilung. Die Zurückstellung der Strafe aus dem zweiten Urteil gem. § 35 BtMG spreche nicht gegen den Widerruf, da der Verurteilte die zunächst begonnene Therapie abgebrochen und der Erfolg der -seinerzeit noch geplanten- Therapie in der Therapieeinrichtung ungewiss sei. Im Fall des rechtskräftigen Widerrufs der Reststrafe stehe es dem Verurteilten indes frei, auch auf Zurückstellung der Strafe aus dem ersten Urteil gem. § 35 BtMG anzutragen.

Das OLG Hamm kommt zur Zurückstellung des Widerrufs der Strafe aus der ersten Verurteilung für die Dauer der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG betreffend die zweite Verurteilung.

Zwar liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund der unmittelbar in Anschluss an die Strafaussetzung begangenen einschlägigen Straftaten des Verurteilten unzweifelhaft vor, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat. Der Widerruf der Strafaussetzung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn mildere Mittel gem. § 56f Abs. 2 StGB ausreichend sind. Hiermit setzt sich die Strafvollstreckungskammer nicht hinreichend auseinander. Das wäre aber vorliegend erforderlich gewesen, weil es nahe lag, dem Verurteilten entweder eine Therapieweisung zur Fortsetzung der begonnenen Langzeitentwöhnungsbehandlung zu erteilen oder aber jedenfalls vom Widerruf zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen.

 Nach allgemeiner Ansicht müssen einschlägige Rückfalltaten Drogen- oder Alkoholabhängiger einer günstigen Sozialprognose nicht zwingend entgegen stehen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Einzelfall günstig zu beeinflussen (OLG Hamm, B. v. 20.05.2008, 5 Ws 172 und 173/08; OLG Schleswig B. v. 25.04.2008, 2 Ws 164/08, StraFo 2008, 344; OLG Celle, B. v. 14.02.2012, 1 Ws 54/12, zit. bei JURIS Rdnr 5ff, Fischer, 59. Aufl. § 56f Rdnr 14, jew. m.w.N.). Eine stationäre Drogenlangzeittherapie gemäß § 35 BtMG ist in der Regel als günstige Möglichkeit der Wiedereingliederung Drogenabhängiger in die Gesellschaft anzusehen (KG Berlin, B. v. 02.04.2001, 5 Ws 167/01; OLG Düsseldorf, B. v. 09.12.1996, 1 Ws 1061/96, StV 1998, 215, jew. zit. nach JURIS). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Drogenabhängigkeit des Verurteilten noch nicht lange andauert, die Verbüßung von Freiheitsstrafe erstmalig bevorsteht und stationäre Langzeittherapiemaßnahmen bislang noch nicht stattgefunden haben (KG a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.).

Und die günstige Sozialprognose hat das OLG aufgrund der Umstände des Einzelfalls bejaht. M.E. zutreffend: Denn sonst würde mit der einen Hand genommen, was der Verurteilte mit der anderen Hand bekommen hat. Die Chance der Wiedereingliederung.

 

 

Verfahren nach § 35 BtMG – wonach verdient man in denen sein Geld?

Die Abrechnung von Strafvollstreckung und die Abrechnung von Strafvollzugsverfahren ist in der Praxis nicht einfach. Die einen gehen nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, die anderen nach Teil 3 VV RVG (ja, das ist richtig; man schaue sich nur die Überschrift von Teil 3 VV RVG an).

An der Schnittstelle liegen die Verfahren nach § 35 BtMG, die mit einem Antrag bei der StA anfangen und dann, wenn der keinen Erfolg hat, in das Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG übergeht. Und: Genauso wird man m.E. auch abrechnen müssen. Für das Verfahren bei der StA gilt die Nr. 4204 VV RVG, denn das ist Strafvollstreckung, und für das gerichtliche Verfahren gilt dann die Nr. 3100 VV RVG, denn die Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG sind „ähnliche Verfahren“ i.S. des Teil 3 Vv RVG.

Alles nachzulesen in dem zutreffenden Beschl. des OLG Zweibrücken v. 29. 09.2010 – 1 VAs 1/10.