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Rahmengebühren I: Bemessung im OWi-Verfahren, oder: Mittelgebühr ist der richtige Ansatz

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Und heute dann – wahrscheinlich für viele der letzte Arbeitstag vor Weihnachten -, da Freitag ist, natürlich Gebührenentscheidungen. Und da das Fest des Friedens naht, will ich heute dann zwei „schöne“ Entscheidungen vorstellen. In beiden Beschlüssen geht es um die Bemessung der Rahmengebühren, und zwar einmal im Bußgeldverfahren und einmal im Strafverfahren.

Ich beginne mit dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem AG Viechtach, Beschl. v. 27.11.2024 – 6 II OWi 242/24. Die Entscheidungen des AG Viechtach sind ja wegen des Sitzes der Zentralen Bußgeldstelle in Viechtach von erheblicher Bedeutung.

Gegen war den Betroffenen – der Fahrlehrer ist – eine Geldbuße von 100,00 EUR verhängt worden. Ein Punkt im Fahreignungsregister, bei Vorliegen keiner Voreintragung, war angedroht. Nach Verjährungseintritt wurde das Verfahren eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse nicht auferlegt. Dagegen dann der erfolgreiche Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Der Verteidiger macht dann seine Gebühren geltend. Er setzt Mittelgebühren an. Davon werden Absetzungen gemacht. Das AG sieht das dann anders und setzt in der vom Verteidiger geltend gemachten Höhe fest:

„Nach wohl herrschender Meinung ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Höhe des verhängten Bußgeldes nicht entscheidend für die Gebührenbestimmung nach § 14 RVG (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage, Randnr. 54 zu § 14 RVG), womit auch bei Bußgeldern im unteren Bereich des jeweiligen Rahmens (hier 60,00 bis 5000,00 Euro) zunächst von einer Mittelgebühr auszugehen ist. Allerdings ist bei der Gebührenbestimmung zu beachten, dass dieser Mittelgebühr der allgemeine Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zu Grunde zu legen ist, nicht nur ein Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten (vgl. LG Landshut, Beschluss vom 19.01.2017, 3 Qs 14/17, juris).

„Eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit ist keineswegs gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche“, LG Landshut, a.a.O.

Die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten beinhaltet alltägliche Verkehrsübertretungen, die in großer Zahl auftreten und zu deren Verfolgung und Ahndung in allen Verfahrensabschnitten überwiegend automatisiert bzw. standardisiert gearbeitet wird – auch auf Seiten der Verteidiger. Diese Massenverfahren weisen weder einen komplizierten Sachverhalt auf, noch ist zu ihrer Bearbeitung ein umfangreicher Zeit- oder Begründungsaufwand erforderlich. Deshalb scheint es insbesondere mit Blick auf die Höhe der Verteidigergebühren in Strafsachen für nicht gerechtfertigt, für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren die allgemeine Mittelgebühr anzusetzen. Auch die große Anzahl dieser Verfahren rechtfertigt dies nicht. Die Mittelgebühr ist auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zugeschnitten.

Die Verteidigergebühr ist nach den Bemessungskriterien des § 14 RVG zu bestimmen. Maßgebend sind demnach,

– Umfang der anwaltlichen Tätigkeit,
– Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit,
– Bedeutung der Angelegenheit,
– Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers

Die Bestimmung der Gebühren durch den Rechtsanwalt ist für Dritte, die die Gebühr zu ersetzen haben, nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG).

Die Höhe der im Bußgeldbescheid verhängten Geldbuße sagt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Regel nicht viel über die Bedeutung der Angelegenheit aus, da die Geldbußen meistens im unteren Bereich angesiedelt sind. In erster Linie werden bei Verkehrsordnungswidrigkeiten Einsprüche gegen Bußgeldbescheide eingelegt wegen den mit der Geldbuße verbundenen Punkten im Fahreignungsregister im Hinblick auf ein zukünftig drohendes Fahrverbot oder Fahrerlaubnisentzug durch die Verwaltungsbehörde, wegen eines verhängten Fahrverbots oder zur Abwehr oder Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche. Von Bedeutung ist insbesondere auch, ob d. Betr. beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Diese Besonderheit der Verkehrsordnungswidrigkeiten rechtfertigt es nicht, grundsätzlich von einer geringen Bedeutung auszugehen. Hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, hätte er bei der den Gebührenrahmen jeweils bestimmenden Höhe der Geldbußen stärker differenziert und nicht, wie geschehen, Geldbußen von 60 bis 5000 Euro in einem Gebührentatbestand zusammengefasst. Bei der Beurteilung der Bedeutung einer Angelegenheit ist vielmehr der Besonderheit der Angelegenheit und der besonderen Umstände Rechnung zu tragen, die gerade für die Bedeutung dieser Angelegenheit ausschlaggebend sind. Abzustellen ist somit bei Verkehrsordnungswidrigkeiten auf die drohenden Punkte im Verkehrszentralregister, eine etwaige Vorbelastung, ein drohendes Fahrverbot bzw. Fahrerlaubnisentzug und etwaige Schadensersatzansprüche sowie das Angewiesensein d. Betr. auf die Fahrerlaubnis.

Bei der Einordnung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind u.a. die Kriterien des Aktenumfangs, der Anzahl und Dauer der Besprechungen mit Mandanten, Sachverständigen und Dritten, der Notwendigkeit der Einarbeitung in Rechtsmaterie, einschließlich des ggfs. notwendigen Studiums von Rechtsprechung und Literatur, Zahl und Umfang der Schriftsätze, auswärtige Beweisaufnahmen, Auswertungen von Beiakten oder Sachverständigengutachten zu berücksichtigen.

Die von der Rechtsprechung entwickelte 20%-Toleranzgrenze ist nicht grundsätzlich und generell anwendbar. Voraussetzung ist in jedem Fall die Ausübung des billigen Ermessens durch den Rechtsanwalt. Unterbleibt dies, ist für die 20%-Toleranzgrenze kein Platz (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, § 14 Rdnr. 52-59, beck-online).

Für den vorliegenden Fall gilt unter Berücksichtigung dieser Umstände folgendes:

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen ist im Hinblick auf seine Tätigkeit als Fahrlehrer und der damit der Möglichkeit einer Eignungsprüfung bei mehreren Verstößen als durchschnittlich anzusehen.

Der Verteidiger hat vorliegend lediglich einen Formular-Einspruch eingelegt und Akteneinsicht beantragt. Zudem musste der Anwalt – zurecht – Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Auslagenentscheidung der Behörde einlegen und begründen.

Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen wurden nicht gemacht.

Angesichts dieser Umstände stellt sich im vorliegenden Einzelfall der Antrag des Rechtsanwalts als im Rahmen des zulässigen dar.“

Lassen wir, da Weihnachten vor der Tür steht, dahin stehen, ob der Ansatz des AG, dem der Beschluss des LG Landshut vom 19.1.2017 (3 Qs 14/17) zugrunde liegt, zutreffend ist. Denn das AG kommt letztlich zur zutreffenden Abwägung, wenn es von dem Mittelgebühren des RVG auch für die Abrechnung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ausgeht und dann die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abwägt (zur „richtigen“ Gebührenbemessung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Von daher sind der Ansatz der Mittelgebühr bei der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und ein höherer Ansatz als die Mittelgebühr bei der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG nicht zu beanstanden und zutreffend. Der Ansatz der Mittelgebühr bei der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG folgt aus dem Gesetz.

LG Chemnitz: Wenn schon, denn schon, oder: Wie wäre es denn mal mit einer Begründung

Da ist mal wieder eine gebührenrechtliche Entscheidung, die ärgerlich macht.

Der RA beantragt nach Freispruch im OWi-Verfahren die Festsetzung der Wahlanwaltsgebühren. Er geht von den Mittelgebühren aus, die um etwa 18 % überschritten werden. Das AG setzt die Mittelgebühren fest, dagegen Rechtsmittel. Das LG Chemnitz entscheidet im Beschluss vom 22.10.2009, 2 Qs 82/09 und verwirft die sofortige Beschwerde. Es hält die Mittelgebühren für angemessen. So weit, so gut (über die Frage kann man trefflich streiten). Aber: Was ist denn nun mit der 20%-Grenze? Da hilft sich das LG mit einem Hinweis auf OLG Düsseldorf NStZ 1998, 465; und Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., § 14 RVG, Rn.12. Danach ist auch bei nur geringerer, unter der sog. 20 %-Grenze liegender Überschreitung der Bestimmung der Festsetzung der Wahlanwaltsgebühren diese nicht bindend, wenn sie mit sachfremden Erwägungen ohne Ermessensausübung erfolgte in der Meinung, in diese Bestimmung unter der 20 %-Grenze könne nicht eingegriffen werden. Nur: Für diese Annahme bleibt das LG m.E. eine Begründung schuldig. Denn es führt nur aus: „Vorliegend war die Festsetzung von deutlich (bis zu 18,6 %) über der Mittelgebühr, aber knapp unter der 20 %-Grenze liegenden Beträgen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des unterdurchschnittlich einfach gelagerten Falls trotz der Auswirkungen des Fahrverbots erheblich überhöht, so dass die Gebührenbestimmung nicht bindend ist.“ Das passt auf jeden Fall und führt zur Abschaffung der 20%-Grenze.