Mal wieder Befreiung vom sog. Verhüllungsverbot, oder: Tragen einer Niqab

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Author Manuelfb55

Und als zweite Entscheidung dann OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 13.08.2024 – 7 A 10660/23.OVGzur Frage der Befreiung vom Verhüllungsverbot im Straßenverkehr zum Tragen eines Gesichtsschleiers/Niqab.

Darüber habe ich ja schon ein paar Mal berichtet, so dass m.E. die Leitsätze des OVG reichen:

1. Gegen das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Zur Ablehnung des Antrags einer Niqab-Trägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO (hier: nicht beanstandet).

Rest dann bitte in der umfangreich begründeten Entscheidung selbst lesen.

Präventive Sicherstellung eines Motorrades, oder: Gefahren-/Verdachtslage

Heute dann im Kessel Buntes noch zwei Entscheidung aus dem verwaltungsrechtlichen Bereich.

Zunächst macht das OVG-Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.04.2024 – 7 A 10988/23.OVG – den Opener. Es geht um die präventive Sicherstellung eines Motorrades. Das OVG sagt: das ist grundsätzlich erlaubt, aber aAn die Gefahrenprognose sind hohe Anforderungen zu stellen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutung genügen nicht:

„Zwar kann, wie hier geschehen, eine präventiven Zwecken dienende Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – POG – grundsätzlich neben einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (sog. doppelfunktionale Maßnahme) angeordnet werden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 247/16 –, juris Rn. 21, 25 ff.; OVG RP, Beschluss vom 20. April 2022 – 7 B 10279/22.OVG –, n.v.).

Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrades des Klägers lagen hier indes nicht vor.

1. Nach § 22 Nr. 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Unter einer polizeilichen Gefahr ist eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung führen würde. Dabei sind vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nicht nur die Individualrechtsgüter, wie Leib, Leben und Eigentum anderer erfasst, sondern auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 – 6 C 21/07 –, juris Rn. 13; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 27; Rühle, Polizei- und Ordnungsrecht Rheinland-Pfalz, 9. Aufl. 2023, § 3 Rn. 2 ff.). § 22 Nr. 1 POG enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 32; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40; Beschluss vom 24. März 2021 – 5 B 1884/20 –, juris Rn. 9; VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 58). Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. März 2009 – 1 A 10632/08.OVG –, juris Rn. 26; Beschluss vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09.OVG –, juris Rn. 28; Beschluss vom 26. August 2011 – 7 E 10858/11.OVG –, ESOVGRP; Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40 f. m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 10 CS 15.1435 u.a. –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris Rn. 25). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 41).

Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 33; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 35; OVG Nds., Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 34/14 –, juris Rn. 34). Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex-ante-Sicht entscheidend (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 59). Auch für die der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsanordnung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist maßgeblicher Zeitpunkt der bei Vornahme der Sicherstellungsanordnung (stRspr. des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 4. September 2018 – 7 B 10912/18.OVG –, ESOVGRP; so auch OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2007 – 5 A 1056/06 –, juris Rn. 2 ff.; BayVGH, Urteil vom 23. Februar 2016 – 10 BV 14/2353 –, juris Rn. 16; HessVGH, Beschluss vom 25. April 2018 – 8 B 538/18 –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Beschluss vom 4. Juni 2019 – 1 LB 225/18 –, juris Rn. 40).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrades des Klägers getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt…..“

Rest dann bitte im verlinkten Volltext nachlesen.

Ich habe da mal eine Frage: Terminsgebühr für eine Anhörung im „Vorbewährungsverfahren“?

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Und dann noch die Gebührenfrage, und zwar:

„Hallo Herr Kollege,

ein kleines Problemchen aus dem RVG, JGG.

Ich war Pflichtverteidiger in einem Jugendstrafverfahren, in welchem eine sogenannte Vorbewährung nach § 61 JGG ausgesprochen wurde.

Das LG hat bereits entschieden, dass die Beiordnung entgegen der ausdrücklichen Regelung in §§ 143 Abs.1 StPO, 2 Abs.2 JGG im Verfahren nach § 61 b JGG fortwirkt.

Der Rechtspfleger ist nunmehr der Auffassung, dass für die Verteidigung in diesem Verfahrensabschnitt keinerlei Gebühren anfallen, auch nicht für die Anhörung.

Man findet dazu nichts.

Übrigens hat das LG im Beschwerdeverfahren entschieden, dass eine mehrmonatige Überschreitung der Frist des § 61 a JGG unschädlich ist.

Was meinen Sie zu dem Gebührenproblem (4102 VV RVG)?“

Auslagenerstattung II: Einstellung des OWi-Verfahrens, oder: Begründungsmangel und Ermessen

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Und dann der LG Bückeburg, Beschl. v. 07.06.2024 – 4 Qs 46/24. In dem Beschluss geht es um die Auslagenerstattung nach Einstellung wegen Verjährung. Alles wie gehabt – Dauerbrenner eben 🙂 :

„Der angefochtene Beschluss weist zunächst einen formalen Mangel auf. Die zur Begründung der Auslagenentscheidung angeführte Bezugnahme auf die Gesetzesbestimmung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO genügt nicht dem Begründungserfordernis des § 34 StPO.

Gemäß § 34 StPO sind die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen mit Gründen zu versehen. Dieser Begründungszwang dient dem Zweck, den Anfechtungsberechtigten in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über die Einlegung des Rechtsmittels zu treffen, d. h. festzustellen, welche Gründe bzw. zu seinem Nachteil angenommene Tatsachen das erkennende Gericht verwendet hat und welcher Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in der Rechtsmittelinstanz noch angebracht werden kann. Ferner dient die Begründung dem Rechtsmittelgericht als Grundlage für seine Entscheidung (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 60 m.w. N.). Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss, der sich zu den Gründen der streitgegenständlichen Auslagenentscheidung in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlautes erschöpft, nicht.

Der aufgezeigte Begründungsmangel könnte es grundsätzlich rechtfertigen, die Sache nach Aufhebung des Beschlusses an das Amtsgericht zurückzuverweisen (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Saarbrücken BeckRS 2015, 12793). Allerdings kann die Kammer vorliegend, da die Sache einfach liegt und sich die maßgeblichen Tatsachen aus dem Akteninhalt zweifelsfrei ergeben, selbst entscheiden.

II.

Der Landeskasse sind gemäß § 46 Abs. 1 OWG i.V.m. § 467 Abs. 1 Var. 3 StPO nicht nur die Kosten des Verfahrens, sondern auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen. Soweit das Amtsgericht demgegenüber seine abweichende Auslagenentscheidung auf die Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO gestützt hat, vermag die Kammer diesen Erwägungen nicht zu folgen.

Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO kann bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, wenn er nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird. Dies erfordert eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist ein Verdachtsgrad zu erörtern, bei welchem davon ausgegangen werden kann, dass eine Verurteilung nur aufgrund des Verfahrenshindernisses nicht erfolgt ist. In einem zweiten Schritt hat das Tatgericht sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2015, 30).

1. Zwar geht die Kammer wie auch das Amtsgericht, welches hierzu gleichwohl keinerlei begründenden Ausführungen getätigt hat, davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO gegeben sind.

Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verfahrenshindernis die alleinige Ursache der Einstellung gewesen sein. Erst dadurch wird das Ermessen des Gerichts im Rahmen der Auslagenentscheidung eröffnet (vgl. OLG Celle a.a.O.). Nach überwiegender Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, kommt eine Versagung der Auslagenerstattung schon dann in Betracht, wenn zur Zeit der Feststellung des Verfahrenshindernisses ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände vorliegen, die bei Fortgang des Verfahrens eine Konkretisierung des Tatverdachts bis zur Feststellung der Schuld in Frage stellen (vgl. OLG Celle a.a.O.).

Der Sachverhalt erfüllt die an eine solche Verdachtslage zu stellenden Anforderungen.

Der Beschwerdeführer hat den Verkehrsverstoß im Anhörungsbogen eingeräumt (BI. 12 d. A.). Unerheblich ist, dass nach Aktenlage — der verfahrensgegenständliche Unfall hat sich auf einem Tankstellengelände ereignet — nicht von einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, sondern nur von einem solchen gegen die sich aus § 1 Abs. 2 StVO ergebende allgemeine Rücksichtnahmepflicht auszugehen sein dürfte (vgl. OLG Dresden NZV 2007, 152), da auch dieser Verstoß bußgeldbewehrt ist.

2. Im Rahmen der sodann auf Rechtsfolgenseite zu treffenden Ermessensentscheidung kommt jedoch ein anderes Ergebnis als die Überbürdung auch der Auslagen des Betroffenen auf die Landeskasse nicht in Betracht.

Bei der Ausübung des Ermessens ist dem Ausnahmecharakter von § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO Rechnung zu tragen, der es mit sich bringt, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die die Belastung der Landeskasse mit den Auslagen des Betroffenen als unbillig erscheinen lassen (vgl. BVerfG NJW 2017, 2459; BGH NStZ-RR 2018, 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 467 Rn. 18 m.w.N.). Die voraussichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers kommt hierbei, da sie als tatbestandliche Voraussetzung die Ermessensentscheidung erst eröffnet, ebenso wenig als maßgeblicher Gesichtspunkt in Betracht wie die dem Verfahren zugrundeliegende Tat (vgl. BGH a.a.O.; OLG Celle a.a.O.). Gegen eine Auslagenerstattung durch die Landeskasse kann insbesondere sprechen, dass das Verfahrenshindernis durch den Betroffenen herbeigeführt worden ist oder sonst auf einem vorwerfbaren prozessualen Fehlverhalten beruht (vgl. BGH a.a.O.; KK-StPO/Grieg, 9. Aufl. 2023, § 467 Rn. 10b; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 467 Rn. 18).

Daran gemessen sind besondere Gründe für ein Absehen von der Auslagenüberbürdung auf die Landeskasse nicht auszumachen, wobei insbesondere der Eintritt der Verfolgungsverjährung in keiner Weise aus der Sphäre des sich ordnungsgemäß und sachlich verteidigenden Betroffenen herrührt, sondern — worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat — ausschließlich auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Akte (ohne aktenkundig gemachte Gründe) vom 5. Oktober 2023 bis zum 11. April 2024 und damit mehr als sechs Monate unbearbeitet beim Amtsgericht vorgelegen hat (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen: LG Neuruppin BeckRS 2020, 49267; LG Krefeld BeckRS 2018, 15871).“

Auslagenerstattung I: Einstellung des OWi-Verfahrens, oder: Außerordentliche Beschwerde und Ermessen

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Und dann heute am Gebührenfreitag hier zunächct zwei Entscheidungen zum Dauerbrenner: Auslagenerstattung nach Einstellung (im Bußgeldverfahren). Dazu habe ich etwas vom LG Wiesbaden und etwas vom LG Lüneburg.

Zunächst hier der LG Wiesbaden, Beschl. v. 07.06.2024 – 2 Qs 47/24 -, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Gegen den Betroffenen wurde wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeldbescheid erlassen und darin eine Geldbuße von 100,00 EUR festgesetzt. Nach Einspruch des Betroffenen und Abgabe des Verfahrens von der Verwaltungsbehörde an das AG hat der Verteidiger des Betroffenen dort dessen Fahrereigenschaft bestritten und die Einholung eines morphologischen Gutachtens beantragt. Nach Aufforderung durch das AG benannte der Verteidiger dann den (angeblichen) tatsächlichen Fahrer. Der Betroffene reichte zudem eine Erklärung des tatsächlichen Fahrers, nach welcher dieser das Tatfahrzeug zur Tatzeit geführt haben will, sowie Lichtbilder des tatsächlichen Fahrers und seiner Person zur Akte.

Das AG hat den Betroffenen daraufhin zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG — bei Erstattung auch der notwendigen Auslagen des Betroffenen — angehört, zu welcher der Betroffene sein Einverständnis erklärte. Das AG hat das Bußgeldverfahren dann gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Hinsichtlich der Kosten wurde tenoriert: „Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse“. Eine ausdrückliche Auferlegung der notwendigen Auslagen erfolgte nicht.

Der Verteidiger hat für den Betroffenen Rechtsmittel gegen den Einstellungsbeschluss eingelegt. Zur Begründung führt er an, dass das Gericht entgegen der Ankündigung der Staatskasse nicht auch die notwendigen Auslagen des Betroffen auferlegt habe. Das AG hat das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde ausgelegt und die Akte dem LG zur Entscheidung vorgelegt. Dort hatte das Rechtsmittel Erfolg:

„Der mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.05.2024 eingelegte Rechtsbehelf ist als außerordentliche Beschwerde auszulegen.

Würde man das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde („Kostenbeschwerde“) gegen die Kostengrundentscheidung bzgl. der notwendigen Auslagen des Betroffenen auslegen, wäre die sofortige Beschwerde unstatthaft. Nach § 47 Abs. 2 S. 3 OWiG ist ein nach § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG ergangener Beschluss nicht anfechtbar, sodass auch die Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung ausgeschlossen ist, § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2. StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Der Rechtsbehelf kann auch nicht als Gegenvorstellung ausgelegt werden, da damit das primäre Ziel des Betroffenen, eine Änderung der Kosten- und Auslagenentscheidung herbeizuführen, nicht erreicht werden kann (vgl. A. Bücherl, in Graf (Hrsg.), BeckOK OWiG, 41. Edition, Stand: 01.01.2024, § 47 Rn. 54 m. w. N.).

Schließlich scheidet auch eine Auslegung des Rechtsbehelfs als Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG aus, da dies voraussetzt, dass dem Amtsgericht Wiesbaden ein Fehler im Anhörungsverfahren unterlaufen wäre und es infolgedessen zu einer fehlerhaften Hauptsacheentscheidung gekommen wäre, die im Wege des Verfahrens nach § 33a StPO zu korrigieren wäre und mit der eine Abänderung der an sich unanfechtbaren Kosten- und Auslagenentscheidung einhergehen könnte. So liegt der Fall hier aber nicht.

Indes ist nach verfassungsrechtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung in Fällen groben prozessualen Unrechts dem Betroffenen ein außerordentlicher Rechtsbehelf in Form einer einfachen Beschwerde zuzugestehen. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu in seinem Kammerbeschluss vom 15.08.1996 (Az.: 2 BvR 662/95 — bei juris, Rn. 14) aus: „Bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war anerkannt, dass gerichtliche Entscheidungen, gegen die ein ordentlicher Rechtsbehelf nicht mehr statthaft ist, ausnahmsweise zurückgenommen werden können, wenn sie auf einer unrichtigen tatsächlichen Grundlage ergangen waren; diese Rechtsprechung galt selbst für der vollen Rechtskraft fähige Beschlüsse, etwa im Revisionsverfahren (vgl. RGSt 59, 420). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH MDR 1951, S. 771) und ihm folgend von der obergerichtlichen Rechtsprechung übernommen und fortgesetzt worden (vgl. nur OLG Stuttgart, MDR 1982, S. 341, 342; OLG Celle, NStZ 1983, S. 328, 329; OLG Rostock, NZV 1994, S. 287, 288 jeweils m.w.N.). Geht es um die Beseitigung groben prozessualen Unrechts, ist es danach grundsätzlich zumutbar,

Abhilfe zunächst durch Einlegung auch eines außerordentlichen Rechtsbehelfs im fachgerichtlichen Verfahren zu suchen.“ So liegt der Fall hier: Die mit der Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG verbundene Kosten- und Auslagenentscheidung stellt sich vorliegend hinsichtlich der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht bloß als fehlerhafte Rechtsanwendung dar. Sie beruht auf letztlich willkürlichen Erwägungen und stellt danach grobes prozessuales Unrecht dar.

Erfolgt eine Einstellung — wie hier nach § 47 Abs. 2 OWiG — nach einer dem Gericht Ermessen einräumenden Vorschrift, räumt § 467 Abs. 4 StPO i. v. m. § 46 Abs. 1 OWiG dem Gericht Ermessen indes auch hinsichtlich der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen ein. Dabei ist als Ausgangspunkt zu beachten, dass in solchen Fällen hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich § 467 Abs. 1 StPO gilt. Wenn ein Gericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von diesem Grundsatz abweichen möchte, muss erkennbar sein, dass Ermessen tatsächlich ausgeübt wurde; dies ist bei einer bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts — trotz des Umstands, dass vor dem Hintergrund der §§ 34,464 Abs. 3 StPO, 47 OWiG in der vorliegenden Fallkonstellation eine (schriftliche) Begründung nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben war — nicht der Fall. Unabhängig davon, dass in dem angefochtenen Beschluss die zu treffende Ermessensentscheidung inhaltlich nicht dargelegt wurde, ist aus dem Akteninhalt zwanglos nachvollziehbar, dass der Betroffenen mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit vorliegend nicht wegen der ihm vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit hätte belangt werden dürfen. Bei einer derartigen Sach- und Rechtslage wie der vorliegenden kann das Ermessen willkürfrei nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i. v. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben hat. Mithin hat die Staatskasse die dem Betroffenen im Bußgeldverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.