Heute dann drei Entscheidungen mit „verkehrsrechtlichem Einschlag“.
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen versuchten Totschlags in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich begangenen Fällen sowie in Tateinheit mit Sachbeschädigung in fünf tateinheitlich begangenen Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung bestimmt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen sowie – unter Aufhebung des Teil-Freispruchs – wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
Das LG hatte u.a. folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
„Zu Beginn des Jahres 2022 erfuhren der Angeklagte und das soziale Umfeld seiner Familie von dem außerehelichen Verhältnis seiner Mutter zu dem späteren Geschädigten I. Wegen der damit aus Sicht des Angeklagten verbundenen Herabwürdigung seines Vaters sah er hierin eine Kränkung der Familienehre. Zudem kam es infolge der außerehelichen Beziehung zu fast täglichen Streitigkeiten der Eltern, die den Angeklagten sehr belasteten. Ende 2022 teilte er dem Geschädigten, dem er die alleinige Verantwortung für das Liebesverhältnis mit seiner Mutter zuwies, mit, dass dieser keine Mitglieder seiner Familie mehr belästigen solle, anderenfalls würde es „schlimm“ für ihn werden.
Am Abend des 2. Januar 2023 war der Angeklagte mit dem auf seinen Vater zugelassenen Pkw Fiat Stilo in A. unterwegs. Als er sich auf dem Heimweg befand und soeben die D. straße passierte, bemerkte sein Beifahrer, der ebenfalls um die Affäre wusste, den späteren Geschädigten. Dieser lief auf dem linksseitigen Gehweg in Begleitung der späteren Geschädigten H. – dabei miteinander scherzend – in Fahrtrichtung des Angeklagten. Auf die Frage seines Beifahrers, ob er gesehen habe, wer da sei, hielt der Angeklagte augenblicklich an und setzte das Fahrzeug zurück. Dabei erkannte er zwischen den am Fahrbahnrand geparkten Fahrzeugen den Geschädigten. Dieser nahm den rückwärtsfahrenden Pkw wahr und ging davon aus, dass der Fahrer auf der Suche nach einem Parkplatz sei. Vor dem Beginn eines abgesenkten Bordsteins bremste der Angeklagte sein Fahrzeug erneut ab, legte den ersten Gang ein und trat das Gaspedal vollständig durch. Er fuhr in einer S-Kurve über den abgesenkten Bordstein auf den dort 4,1 Meter bis 4,7 Meter breiten Gehweg. Spätestens jetzt erkannte er im Scheinwerferlicht auch die neben dem Geschädigten auf der linken, der Hauswand zugewandten Seite des Bürgersteiges gehende Geschädigte H. Obgleich sein Beifahrer ihm noch zurief, er solle es nicht tun, fuhr der Angeklagte mit weiterhin vollständig durchgedrücktem Gaspedal von hinten auf die Geschädigten zu. Hierbei heulte der Motor – wie dem Angeklagten bewusst war – deutlich wahrnehmbar auf. Trotz des nun auch von der Geschädigten H. vernommenen Motorengeräuschs drehte sich diese nicht um. Schließlich kollidierte der vom Angeklagten gesteuerte Pkw bei einer Geschwindigkeit von 38 km/h nach circa 21 Metern auf dem Bürgersteig ungebremst mit den Geschädigten. Dabei beabsichtigte er, den Liebhaber seiner Mutter mit dem Pkw zu treffen und ihn hierdurch erheblich zu verletzen. Dessen Tod sowie den Tod oder erhebliche Verletzungen dessen Begleiterin nahm der Angeklagte billigend in Kauf. Mit dem mittigen Frontbereich prallte er gegen den linken Unterschenkel des Geschädigten I. Das linke Drittel der Stoßstange stieß gegen die rechte Wade der Geschädigten H. Mit der rechten Fahrzeugseite touchierte der Pkw zugleich einen am Fahrbahnrand geparkten Pkw. Während die Geschädigte sich nach einem kollisionsbedingten Sturz in Richtung Hauswand rasch wieder aufrichten und schreiend dem Fahrzeug hinterherlaufen konnte, wurde der Geschädigte I. infolge des Anpralls rücklings auf die Motorhaube aufgeladen und seine Füße wurden bis auf das Fahrzeugdach geschleudert. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe, so dass diese zerbarst. Nach einer Fahrstrecke von mindestens 13 Metern auf dem Fahrzeug des Angeklagten stürzte der Geschädigte auf die Motorhaube eines am Fahrbahnrand abgestellten Pkw und von dort auf den Gehweg. Der Angeklagte fuhr danach weiter und insgesamt circa 50 Meter auf dem Bürgersteig. Hierbei verursachte er Sachschäden an fünf Fahrzeugen in Höhe von insgesamt circa 12.000 €. Als er sein Fahrzeug wieder auf die Fahrbahn zurücksetzte, nahm er im Rückspiegel noch den auf dem Gehweg liegenden Geschädigten wahr. Obwohl er um die potentiell tödlichen Verletzungen der beiden Geschädigten und die Fahrzeugschäden wusste, entfernte er sich von der Kollisionsstelle, ohne sich Gewissheit über deren Zustand und die Folgen seines Handelns zu verschaffen. Der Geschädigte I. erlitt infolge des Zusammenstoßes Hautabschürfungen und -unterblutungen, einen Teilabriss der linken Ohrmuschel und eine Verletzung am linken Zeh, die sämtlich folgenlos ausheilten. Die Geschädigte H. zog sich ein Hämatom an der Außenseite des rechten Unterschenkels zu.“
Das LG hat die Tat als versuchten Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit Sachbeschädigung in fünf rechtlich zusammentreffenden Fällen gewertet, darauf komme ich noch einmal zurück. Vom (tatmehrheitlichen) Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat die Jugendkammer den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es handele sich bei dem Kollisionsgeschehen nicht um einen Unfall im Straßenverkehr im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB. Das gesamte Schadensereignis stelle nicht die Auswirkung eines allgemeinen Verkehrsrisikos dar, sondern sei einer vom Angeklagten deliktisch geplanten Kollision seines Fahrzeugs mit dem Geschädigten I. geschuldet.
Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die – auch – insoweit Erfolg hatte:
„2. Auch der Teil-Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat keinen Bestand; insoweit hat die Jugendkammer zu Unrecht das Vorliegen eines Unfalls im Straßenverkehr verneint und deshalb den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB als nicht erfüllt angesehen.
a) Unter dem Begriff des Unfalls im Straßenverkehr ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängendes Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird. Der Kennzeichnung eines solchen Geschehens als Verkehrsunfall steht nicht entgegen, dass ein daran Beteiligter es vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn nur einem anderen ein von ihm ungewollter Schaden entstanden ist. Dann handelt es sich mindestens für diesen anderen um ein ungewolltes, ihn plötzlich von außen her treffendes Ereignis (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2001 – 4 StR 233/01, BGHSt 47, 158, 159 mwN und vom 27. Juli 1972 – 4 StR 287/72, BGHSt 24, 382, 383 mwN). Zudem setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ einen verkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang in der Weise voraus, dass sich in dem „Verkehrsunfall“ gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen. Eine solche Verknüpfung des Schadensereignisses mit einem Verkehrsgeschehen ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn sich das Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild als Auswirkung einer deliktischen Planung, wie sie an beliebigen anderen Orten mit beliebigen anderen Mitteln auch durchführbar wäre, darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2001 – 4 StR 233/01 aaO mwN).
b) Danach liegt es nahe, dass sich jedenfalls in den Kollisionen mit den geparkten Fahrzeugen verkehrstypische Gefahren realisiert haben. Denn der Angeklagte hat den Pkw insoweit nicht mehr (ausschließlich) als Tatwaffe benutzt. Der in der Folge entstandene Sachschaden könnte als Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos verstanden werden und damit zum Begriff des Verkehrsunfalls gehören.“