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Manipulierter Vandalismusschaden, oder: Zahlreiche/ Einige Indizien sprechen für eine Manipulation

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Heute im „Kessel Buntes“ seit längerem mal wieder zwei Entscheidungen zu „manipulierten“ Unfällen/Beschädigungen – „get……“ darf ich ja nicht mehr schreiben 🙂  .  In beiden Entscheidungen geht es letztlich darum, wie und das nachgewiesen werden kann, dass es sich nicht um tatsächliche Schadensgeschehen handelt.

Ich beginne mit dem OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.12.2020 – 5 U 8/20. Der Kläger – „ein frühpensionierter Polizeibeamter“ nimmt die beklagte Versicherungauf Entschädigung wegen Vandalismus aus einer Fahrzeugversicherung in Anspruch. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Geltend gemacht werden rund 10.000 EUR. Das LG hat die Klage abgewiesen. Ihr fehle es schon am ausreichenden Nachweis eines Versicherungsfalles; denn es lasse sich insoweit schon nicht feststellen, dass die streitgegenständlichen Schäden von ihrer Art und ihrem Erscheinungsbild als bedingungsgemäßer Vandalismusschaden zu werten seien, weil sie augenscheinlich darauf angelegt seien, mit einem relativ geringen Beschädigungsaufwand einen kalkulatorisch hohen Reparaturaufwand zu verursachen. Der Versicherer brauche auch dann nicht zu zahlen, wenn es ihm gelinge, konkrete Tatsachen nachzuweisen, die die Annahme einer Vortäuschung des Versicherungsfalles mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahelegen; auch diesbezüglich stünden mehrere Tatsachen fest, nachdem der Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach vergleichbare Schäden geltend gemacht und abgerechnet habe.

Dagegen dann die Berufung des Klägers zum OLG, das die Berufung zurückgewiesen hat. Das OLG wertet folgende Indizien gegen den vom Kläger behaupteten Vandalismusschaden:

„3. Hiervon ausgehend, kann vorliegend offen bleiben, ob die vom Kläger behaupteten Beschädigungen an seinem Fahrzeug, die diesem zwischen dem 15. Dezember 2017 und dem 3. Januar 2018 in Gestalt von zahlreichen tiefen Kratzern in unterschiedlicher Form, Aussehen und Richtung mit einem offensichtlich spitzen bzw. scharfkantigen Gegenstand zugefügt worden sein sollen, überhaupt einen „Unfall“ oder eine „mutwillige Beschädigung“ des „versicherten Fahrzeuges“ und damit ein über den vorliegenden Vertrag versichertes entschädigungspflichtiges Ereignis darstellen. Der Senat folgt dem Landgericht nämlich in seiner weiteren Einschätzung, dass dieser zur Begründung eines Versicherungsfalles angeführte Zustand des versicherten Fahrzeugs durch den Kläger oder eine von diesem beauftragte Person bewusst und gewollt herbeigeführt wurde, weil zahlreiche konkrete – unstreitige oder bewiesene – (Indiz-)Tatsachen vorliegen, die in ihrer Gesamtheit diesen Schluss mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit rechtfertigen. Über die in dem angefochtenen Urteil bereits erwähnten Umstände hinaus (LGU, Seite 7) liegen auch noch zahlreiche weitere Auffälligkeiten vor, die sich schon aus den Akten ergeben, auf die auch die Beklagte zuletzt ausdrücklich verwiesen hat, und die bei der gebotenen Gesamtschau die Überzeugungsbildung rechtfertigen, dass eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger oder von ihm beauftragter Personen mit hinreichender Sicherheit feststeht:

a) Wie das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht ausführt, ist insoweit schon auffällig, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits wiederholt vergleichbare angebliche „Vandalismusschäden“ an verschiedenen Fahrzeugen bei unterschiedlichen Versicherungsgesellschaften geltend gemacht und abgerechnet hat. ……

b) Hinzu kommen in allen hier bekannten Schadensfällen weitere Auffälligkeiten hinsichtlich der Fahrzeuge und ihrer Beschädigungen. Sämtliche (angeblichen) Versicherungsfälle betreffen ältere deutsche Markenfabrikate mit dementsprechend hohen Wiederbeschaffungswerten, die selbst kostenträchtige Reparaturen immer noch wirtschaftlich erscheinen lassen. Die geltend gemachten Schäden sind nach Darstellung des Klägers jeweils ausnahmslos großflächig und, wie die beanspruchten Beträge zeigen, sämtlich geeignet, im Falle ihrer fachgerechten Reparatur – die hier jeweils nicht durchgeführt wurde – sehr hohe Kosten für den Schadensversicherer zu generieren. …..

c) Darüber hinaus weisen alle hier bekannt gewordenen Schadensfälle in geradezu ungewöhnlicher Weise auffällige Gemeinsamkeiten auf, die das Geschehen sprichwörtlich „verdächtig“ machen. So ist jedes Mal unklar geblieben, wann und wo genau die Beschädigungen an dem jeweiligen Fahrzeug durch Dritte verursacht worden sein sollen. ….

d) Darauf deuten auch die wechselnden und widersprüchlichen Angaben des Klägers zum (mutmaßlichen) Verursacher des Schadens hin. ….

e) Beachtlich sind des Weiteren die bis zuletzt verbleibenden Zweifel an der Herkunft und dem Zustand des versicherten Fahrzeuges, die die Beklagte auch schon dazu veranlasst haben, die Identität des von ihrem Gutachter in Augenschein genommenen beschädigten Fahrzeugs in Frage zu stellen.

f) Letztlich geben auch die aus den Prozessakten ersichtlichen Erkenntnisse zu früheren (Ermittlungs-)verfahren betreffend den Kläger und seine Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen dem Senat Anlass, der Einschätzung des Landgerichts zu folgen und sich mit dem erforderlichen Maß an Gewissheit davon zu überzeugen, dass insbesondere der hier geltend gemachte Versicherungsfall von ihm selbst bzw. in seinem Auftrag herbeigeführt worden ist…..

g) Unter Berücksichtigung aller vorstehenden Umstände und Auffälligkeiten des vorliegenden Falles, die zwar jeweils für sich möglicherweise noch zu erklären wären, in der Gesamtschau aber ein eindeutiges, in der Sache überaus fragwürdiges Bild ergeben, sieht es der Senat als erwiesen (§ 286 ZPO) an, dass der geltend gemachte Versicherungsfall, mag man ihn als „Unfall“ oder als „mutwillige Beschädigung“ ansehen, vom Kläger selbst herbeigeführt wurde; jedenfalls aus diesem Grunde ist die Beklagte nicht zur Leistung verpflichtet (§ 81 Abs. 1 VVG; C.1.10 AKB), wie schon das Landgericht in dem angefochtenen Urteil mit knapper, der Sache nach aber vollkommen zutreffender Begründung angenommen hat. …..“

Parkscheibe auf Privatparkplatz, oder: Wenn die Parkscheibe im Kofferraum liegt

Und am heutigen Samstag dann im Kessel Buntes zunächst das AG Brandenburg, Urt. v. 23.10.2020 – 31 C 200/19, das sich noch einmal zur Parkscheibe auf dem Privatparkplatz äußert, und zwar zu der Frage, wo und wie die im Fahrzeug anzubringen ist.

Geltend gemacht waren 15 EUR. Leider hat das Urteil keinen Tatbestand, aber es war wohl so, dass der Beklagte seinen Pkw auf dem (Privat)Parkplatz einer Firm abgestellt hatte und er nicht gut sichtbar eine Parkscheibe ausgelegt hatte. Er durfte dort dann nicht bzw. nicht länger als eine Stunde kostenfrei parken.

Das AG hat der Klage stattgegeben und das umfangreich begründet – mit zahlreichen Fundstellen. Zum Ablegen der Parkscheibe führt es aus:

„Zwar hat der Beklagte hier behauptet, dass er seine Parkscheibe nicht hinter der Windschutzscheibe sondern von der Heckscheibe seines Fahrzeugs aus angeblich „gut sichtbar in dem Kofferraum“ seines Pkws gelegt habe und ist auf den von der Klägerseite eingereichten Farbfotos der Anlage K 6 (Blatt 33 bis 34 der Akte) auch die Heckscheibe des Pkws des Beklagten zu sehen (unteres Farbfoto auf Blatt 33 der Akte), jedoch ist auf diesem Farbfoto gerade keine Parkscheibe gemäß dem Bild 318, der Anlage 3, Abschnitt 3 Nr. 11 zu § 42 Abs. 2 StVO zu erkennen.

Im Übrigen hat der Zeuge Mpp. Rpp. Hpp. – nachdem ihm die Farbfotografien von dem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen pp. der Anlage K 6 (Blatt 33 bis 34 der Akte) durch das Gericht vorgelegt wurden – ausgesagt, dass er am 30.01.2019 für die Klägerin hinsichtlich dieses Parkplatzes tätig war und dort derartige Fotos anfertigte, auch wenn er nicht mehr aussagen konnte, ob er auch konkret die Farbfotografien der Anlage K 6 (Blatt 33 bis 34 der Akte) angefertigt hatte oder nicht. Jedoch ergibt sich aus der von der Klägerseite eingereichten „elektronischen Erfassung“ der Anlage K 6 (Blatt 67 der Akte), dass der Zeuge Hpp. diese Fotos am 30.01.2019 von dem Pkw des Beklagten angefertigt hat.

Der Beklagte stellte seinen Pkw im Übrigen unstreitig auf einer für die Öffentlichkeit geöffneten Verkehrsfläche ab, da dieser Parkplatz für alle Verkehrsteilnehmer frei zugänglich ist. Demnach sind dann aber auch die Vorschriften der StVO auf den hiesigen Fall analog anzuwenden (BGH, NJW 1963, Seite 152; OLG Hamm, NJW-RR 2013, Seite 33; OLG Frankfurt/Main, ZfSch 2010, Seiten 19 f.; OLG Hamm, Schaden-Praxis 2001, Seiten 229 f.; OLG Stuttgart, NJW-RR 1990, Seite 670; KG Berlin, VerkMitt 1984, Seite 32, Nr.: 36; KG Berlin, DAR 1984, Seiten 85 f. = VRS Band 65, Seiten 333 ff.; KG Berlin, DAR 1983, Seite 80 = VRS Band 64, Seite 103; KG Berlin, DAR 1978, Seite 19 = VerkMitt 1978, Nr. 98; OLG Hamm, DAR 1976, Seite 110; OLG Stuttgart, VerkMitt 1973, Nr.: 84; LG München I, Urteil vom 02.09.2011, Az.: 17 S 22146/10; AG München, Schaden-Praxis 2013, Seiten 355 f.).

Das Parken war dann hier aber insofern analog § 13 Abs. 2 Nr. 2 StVO nur dann erlaubt, wenn in dem Fahrzeug des Beklagten eine von außen „gut lesbare“ (d.h. nicht nur wie früher „gut sichtbare“), entweder hinter der Windschutzscheibe oder aber auf der Abdeckplatte des Gepäckraumes (d.h. der „Hutablage“; nicht jedoch im Kofferraum selbst, auch wenn dieser von der Heckscheibe aus ggf. teilweise einsehbar sein sollte, so wie hier) bzw. auch an der Seitenscheibe anzubringende Parkscheibe gemäß dem Bild 318, der Anlage 3, Abschnitt 3 Nr. 11 zu § 42 Abs. 2 StVO (OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.08.2011, Az.: (2 Z) 53 Ss-OWi 495/10 (238/10), u.a. in: NZV 2012, Seite 97; OLG Naumburg, Beschluss vom 04.08.1997, Az.: 1 Ss (Bz) 132/97, u.a. in: NZV 1998, Seite 168; BayObLG, Beschluss vom 31.07.1995, Az.: 2 ObOWi 425/95, u.a. in: NZV 1996, Seite 208; OLG Köln, Beschluss vom 28.04.1992, Az.: Ss 119/92 (Z), u.a. in: NZV 1992, Seite 376) vorgewiesen hätte.

Zudem wäre die Verwendung einer Parkscheibe, die um ein Vielfaches kleiner ist als gemäß Bild 318, Anlage 3, Abschnitt 3 Nr. 11 zu § 42 Abs. 2 StVO vorgeschrieben, ebenso unzulässig gewesen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.08.2011, Az.: (2 Z) 53 Ss-OWi 495/10 (238/10), u.a. in: NZV 2012, Seite 97) wie das Auslegen mehrerer auf unterschiedliche Ankunftszeiten eingestellter Parkscheiben (OLG Köln, Beschluss vom 21.06.1979, Az.: 1 Ss 534 ZB/79, u.a. in: VRS Band 58 [1980], Seiten 154 ff.).

Im konkreten Fall wäre der Blick durch die Heckscheibe auf eine ggf. im Kofferraum des Pkws des Beklagten abgelegte Parkscheibe wohl auch nur erheblich eingeschränkt gewesen, so dass daher die Voraussetzung, dass die Parkscheibe von außen „gut lesbar“ sein müsse, auch insoweit hier sogar unstreitig nicht erfüllt gewesen war (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.08.2011, Az.: 4 RBs 137/11, u.a. in: BeckRS 2011, Nr. 139708 = „juris“).

Diese insofern erfolgte Auslegung der StVO ist im Übrigen wohl auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerwG, Urteil vom 20.06.1969, Az.: VII C 166/66, u.a. in: NJW 1969, Seite 1684).

Selbst wenn somit der Beklagte tatsächlich in dem Kofferraum seines Pkws eine Parkscheibe ausgelegt hätte – wofür er aber auch jedweden Beweis schuldig blieb –, wäre dies hier in analoger Anwendung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 StVO in dieser Art und Weise nicht erlaubt gewesen.“

Ist der Anwaltsvertrag ein widerruflicher Fernabsatzvertrag?, oder: Ja, sagt der BGH – nur nicht genau wann

entnommen openclipart

Und als drittes Posting des Tages etwas Gebührenrechtliches. Ja, richtig, obwohl Montag ist, gibt es Gebührenrecht. Eben wie immer am Montag im dritten Beitrag. Aber heute natürlich keine Lösung eines Gebührenrätsels. Denn das hatte ich am Freitag ja ausgespart – am Neujahrstag 🙂 .

Ich stelle daher jetzt das BGH, Urt. v. 09.11.2020 – IX ZR 133/19. Das ist die Entscsheidung, in der der BGH noch einmal zur Anwendung des Fernabsatzrechtsrechts auf den Anwaltsvertrag Stellung genommen hat.

Folgender Sachverhalt: Der Kläger, ein Student, hatte vor dem VG Arnsberg zunächst selbst Klage gegen einen Notenbescheid der Fernuniversität Hagen erhoben. Der AStA hat dann den Kontakt zur Beklagten hergestellt Bei dieser handelt es sich um eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in Köln und Kontaktstellen in Frankfurt a. M., Hamburg und München. Die Beklagte erhält monatlich bis zu 200 Neuanfragen von Mandanten. Auf ihrer Homepage bewirbt die Beklagte ihre Dienstleistungen und weist unter „Kontakt“ darauf hin, dass sie jederzeit auch telefonisch und elektronisch bereitstehe. Unter „Mandatserteilung“ erklärt sie, dass der Ortsbezug wegen der Spezialisierung immer mehr an Bedeutung verliere und die persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei.  Im Anschluss an eine telefonische Beratung schlossen die Parteien auf elektronischem Wege eine Honorarvereinbarung über 5.000 EUR ab. Darauf zahlte der Kläger einen Vorschuss von rund 3.270 EUR.

Nach Beendigung des Mandats hat die Beklagte ihr restliches Honorar geltend gemacht. Der Kläger hat die Honorarvereinbarung widerrufen und den Vorschuss zurückverlangt. Das AG hat der entsprechenden Klage stattgegeben und die Widerklage der Beklagten auf Zahlung des Resthonorars abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben (vgl. LG Köln AnwBl 2019, 488). Dagegen hat der Kläger Revision eingelegt.

Die Revision hatte Erfolg. Anders als das LG bejaht der BGH einen Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des geleisteten Vorschusses gem. § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB. Der Kläger habe den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen. Bei dem geschlossenen Anwaltsvertrag handele es sich um einen Fernabsatzvertrag gem. § 312c BGB (vgl. dazu auch BGH AGS 2018, 105 = RVGreport 2018, 157 zu § 312b Abs. 1 BGB a.F.), da von den Parteien für Vertragsverhandlungen und -schluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet worden seien. Maßgeblich sei, dass die Parteien von der Vertragsverhandlung bis zum Abschluss des Vertrags für ihre Vertragsgespräche und -erklärungen zu keinem Zeitpunkt gleichzeitig körperlich anwesend waren. Nach dem unstreitigen Sachvortrag hätten die Parteien bis zum Abschluss der Honorarvereinbarung nur telefonisch und durch E-Mails miteinander in Kontakt gestanden, so dass dahinstehen könne, ob der Vertrag bereits bei der Erstberatung oder erst mit Abschluss der Honorarvereinbarung zustande gekommen sei.

Wegen der Begründung und der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Hier dann nur noch die Leitsätze der BGH-Entscheidung:

  1. Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen hat, muss darlegen und beweisen, dass seine Vertragsschlüsse nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgen.

  2. Ist ein auf ein begrenztes Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt deutschlandweit tätig, vertritt er Mandanten aus allen Bundesländern und erhält er bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland, kann dies bei einer über die Homepage erfolgenden deutschlandweiten Werbung im Zusammenhang mit dem Inhalt seines Internetauftritts für ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem sprechen.

Kurzes Fazit: Der BGH hat immer noch nicht abschließend entschieden (vgl. zu der früheren Entscheidung:  Ist der Anwaltsvertrag ein widerruflicher Fernabsatzvertrag?, oder: Ja, aber, sagt der BGH), welche Aforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei denn nun an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem zu stellen sind. Allerdings: Ein paar Richtpunkte gibt er vor. Und, was unschön ist: Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Rechtsanwalt.

Kollision mit einem Liegenbleiber ohne Warnlicht, oder: Haftungsverteilung beim Zweitunfall

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Die zweite „Unfallentscheidung“ kommt auch vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Urt. v. 05.08.2020 – 14 U 37/20 – über die Haftungsverteilung bei Kollision eines Fahrzeugs mit einem infolge eines vorangegangenen Unfalls liegengebliebenen Fahrzeugs zu entscheiden, also sog. „Zweitunfall“.

Um Unfalltag war es auf der Kreuzung einer Bundesstraße mit zwei weiteren Straßen zunächst zu einer Kollision des Beklagtenfahrzeugs mit dem Fahrzeug eines Zeugen gekommen, als der Beklagte zu nach links auf die Bundesstraße abbiegen wollte und dabei den ihm entgegenkommenden, geradeaus fahrenden Zeugen übersah. Das Beklagtenfahrzeug blieb mittig und quer zur Fahrbahn liegen, das Fahrzeug des Zeugen am Straßenrand und teilweise auf dem Grünstreifen unmittelbar neben den dortigen Fahrtrichtungsschildern. Der Beklagte zu 1) verließ sein Fahrzeug, die Warnblinkanlage schaltete er nicht ein. Kurz darauf kollidierte der Kläger mit seinem Pkw mit dem Beklagtenfahrzeug. Der Kläger wurde verletzt, beide Fahrzeuge wurden erheblich beschädigt.

Die Parteien streiten vornehmlich um die Haftungsquote – beide Seiten haben erstinstanzlich die vollständige Haftung der jeweils anderen geltend gemacht – und zur Höhe insbesondere um den Nutzungsausfallschaden.

Das LG hat nach Beweisaufnahme eine Haftungsquote von 30 : 70 zu Lasten des Klägers zugrunde gelegt. Zur Begründung hat das LG im Wesentlichen darauf abgestellt, dass kein Fall höherer Gewalt vorliege, der Unfall sei auch für keine Seite unabwendbar gewesen. Die danach vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge führe zu einer Haftung der Beklagten von nur 30 Prozent. Nach dem Ergebnis der Beweiserhebung stehe fest, dass der Kläger deutlich zu schnell gefahren sei und dadurch gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen habe. Dem Beklagten zu 1) sei ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 S. 1 StVO anzulasten, weil er vor dem Verlassen seines Fahrzeugs das Warnblinklicht nicht eingeschaltet habe. Zudem sei zu Lasten der Beklagten noch die erhöhte Betriebsgefahr eines unbeleuchtet mitten auf der Fahrbahn liegenden Fahrzeuges zu berücksichtigen. Bei Abwägung wiege der Sorgfaltsverstoß des Klägers deutlich schwerer.

Dagegen die Berufung des Klägers, mit der er nunmehr unter Zugrundelegung eines eigenen Haftungsanteils von 30 % sein erstinstanzliches Begehren teilweise weiterverfolgt.

Das OLG geht in seiner Entscheidung von 1/3 zu 2/3 aus. Hier die Leitsätze – allerdings ohne die Aussagen zur Schadenshöhe:

  1. Ein am Straßenrand stehendes Fahrzeug, bei dem das Warnblinklicht eingeschaltet ist, muss ein sich annähernder Fahrzeugführer zum Anlass nehmen, besonders aufmerksam zu sein, ggf. seine Fahrgeschwindigkeit zu reduzieren und sich ggf. weiter reaktions-, also insbesondere bremsbereit zu halten (vgl. Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19).
  2. Ein Kraftfahrer hat gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 S. 4 StVO seine Fahrweise so einzurichten, dass er auch in der Dunkelheit vor auf der Straße liegengebliebenen Kraftfahrzeugen, mögen sie auch unbeleuchtet sein, rechtzeitig anhalten kann (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 23. Juni 1987 – VI ZR 188/86, [unbeleuchteter Panzer mit Tarnanstrich]; BGH, Urteil vom 08. Dezember 1987 – VI ZR 82/87 ; Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19).
  3. Der zu einem Unfall (Erstunfall) führende Verkehrsverstoß ist – sofern die übrigen Voraussetzungen der Haftung vorliegen – im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge der Beteiligten eines nachfolgenden Unfalls (Zweitunfall) zu berücksichtigen.
  4. Kommt es im Kreuzungsbereich infolge des Verstoßes eines Verkehrsteilnehmers gegen § 9 Abs. 3 S. 1 StVO zu einem Unfall, verlässt der Unfallverursacher sein mittig auf der Kreuzung liegengebliebenes Fahrzeug, ohne Einschalten des Warnblinklichts (§ 15 S. 1 StVO), und kommt es sodann zur Kollision eines nachfolgenden, mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden und gegen das Sichtfahrgebot verstoßenden oder unaufmerksamen Verkehrsteilnehmers mit dem liegengebliebenen Fahrzeug des Erstunfalls, kann die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zwischen den beiden schuldhaft handelnden Verkehrsteilnehmern eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten desjenigen ergeben, der den Erstunfall verursacht hat (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19 ).

 

Zusammenstoß mit dem überbreiten Feldhäcksler im Begegnungsverkehr, oder: Haftungsverteilung?

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Heute dann noch voraussichtlich der letzte „Kessel Buntes“ in 2020, denn am nächsten Samstag ist 2. Weihnachtsfeiertag. Da wird es wahrscheinlich keine Entscheidungen geben.

Heute stelle ich dann zunächst noch das OLG Celle, Urt. v. 11.11.2020 – 14 U 71/20 – vor. Das OLG hatte über das Haftungsverhältnis aus erhöhter Betriebsgefahr eines landwirtschaftlichen Fahrzeugs mit Überbreite und großer Masse im Verhältnis zum Verschulden eines Pkw-Fahrers wegen Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot zu entscheiden. Dabei spielte die Frage eine Rolle, ob und wie eine fehlenden Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO im Rahmen der Haftungsabwägung zu berückscihtigen ist.

Folgenrder Kurzsachverhalt: Am Unfalltag kam es auf einer im Begegnungsverkehr zur Kollision zwischen dem VW Golf V des Klägers war, und einem vom Beklagten zu 2) geführten, bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Feldhäcksler. Der Kläger fuhr vor der Kollision hinter einem Kleintransporter, der – wie auch weitere Fahrzeuge – das Beklagtenfahrzeug ohne Kollision passierten. Der genaue Unfallhergang ist/war zwischen den Parteien streitig.

Bei dem Feldhäcksler handelte es sich um ein landwirtschaftliches Fahrzeug mit Überbreite (3,45 m), für dessen Zulassung und Betrieb eine Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO erforderlich ist, die am Unfalltag nicht (mehr) vorlag.

Das LG ist von einer Haftungsquote von 60 : 40 zu Lasten des Klägers ausgegangen. Der Unfallschaden sei von dem Häcksler zu 40% und dem VW Golf des Klägers zu 60% verursacht worden. Dem Beklagten zu 2) sei ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO vorzuwerfen, weil eine gefahrene Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h keine ausreichend geringe Geschwindigkeit darstelle, um andere Fahrzeuge das überbreite Fahrzeug passieren zu lassen; eine Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h wäre angemessen gewesen. Der Beklagte zu 2) habe damit auch gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, weil ein Sicherheitsabstand von mindestens 1 m zwischen den sich begegnenden Fahrzeugen nicht habe eingehalten werden können. Keinen Verursachungsbeitrag stelle dagegen die Tatsache dar, dass die Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO bereits abgelaufen war. Dem Kläger sei demgegenüber ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, weil er nicht äußerst weit rechts gefahren und nicht auf das Bankett ausgewichen sei; darüber hinaus stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger sich unmittelbar vor der Kollision mit seiner linken Fahrzeugflanke über die Fahrbahnmitte hinaus auf dem Gegenfahrstreifen befunden habe. Der Unfall sei für den Kläger auch vermeidbar gewesen, da ein Idealfahrer hinter dem Kleintransporter ebenfalls nach rechts ausgewichen wäre und sein Fahrzeug zunächst zum Stehen gebracht hätte, bis die Ursache für das Fahrmanöver des Kleintransporters erkennbar wäre.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG sagt: Keine günstigere Quote als 60 : 40. Hier die Leitsätze: 

  1. Kann ein Fahrzeug mit Überbreite, das bereits den Grünstreifen neben der Fahrbahn mitbenutzt, wegen Alleebäumen nicht noch weiter rechts fahren, ist ein der Überbreite geschuldetes gleichzeitiges Überfahren der (gedachten) Mittellinie der Fahrbahn nicht vorwerfbar.
  2. Eine fehlende Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO ist im Rahmen der Haftungsabwägung nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG nicht zu berück-sichtigen, weil die Norm nicht dem Individualrechtsschutz anderer Verkehrsteilnehmer dient und deshalb ein Unfall bzw. der Unfallschaden außerhalb des Schutz-zwecks der Norm liegt.
  3. Kommt es im Begegnungsverkehr auf einer gerade verlaufenden Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Tageslicht zu einer Kollision zwischen einem landwirt-schaftlichen Fahrzeug mit Überbreite, das so weit nach rechts gesteuert wird, wie es tatsächlich möglich ist, mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Fahrzeug nicht zurück, sondern fließt mit 30 % in die Haftungsquote ein.