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VW-Abgasskandal I: Wieder – Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung, oder: Wusste der Vorstand davon?

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Heute dann „Kessel Buntes“. Und in dem „schwimmen“ heute zwei BGH-Entscheidungen zum VW-Abgasskandal und/oder, was damit zusammenhängt.

Zunächst hier das BGH, Urt. v. 11.05.2021 – VI ZR 154/20. Es geht um Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung, in Anspruch genommen wird VW als Hersteller.

Der Kläger hatte im Juni 2014 von einem Autohaus einen gebrauchten, von VW Touran 2.0 TDI zu einem Preis von 25.900 € erworben. In dem war die unzulässige Abschalteinrichtung installiert. Der Kläger ließ dann 2017 das Update durchführen. Im Verfahren hat er mit seiener Klafe zuletzt die Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, zudem die Zahlung von Deliktszinsen, den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie die Feststellung des Annahmeverzugs beantragt.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte beim OLG München keinen Erfolg. Der BGh hat augehoben und zurückverwiesen:

„Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht verneint werden.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Verhältnis zum Kläger auf der Grundlage des mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrags des Klägers als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. im Einzelnen Senatsurteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff., 21, 23; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 12 f.; 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 12 f.; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17). Die Untersagung der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs musste hierfür nicht unmittelbar bevorstehen. Es genügt, dass nicht feststand, welche der rechtlich möglichen und grundsätzlich auch die Vornahme einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV umfassenden Maßnahmen die Behörden bei Aufdeckung der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Umschaltlogik ergreifen würden (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 19, 21). Da das sittenwidrige Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen in einem aktiven Tun und nicht in einem Unterlassen liegt (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16, 25 f., 29; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 17), kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aufklärung über die verwendete Prüfstandserkennungssoftware traf (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 26).

2. Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein Anspruch aus § 826 BGB scheide bereits deshalb aus, weil der Kläger nicht habe beweisen können, dass der von ihm als Zeuge benannte damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten, dessen Handeln sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsste, den deliktischen Tatbestand verwirklicht habe.

a) Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 15; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 15; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 35).

Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 16; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 16; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 37 ff. mwN).

b) Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

aa) Die Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick des Klägers entziehen. Demgegenüber war der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 19; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 19; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 39 ff.).

bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seinen Vortrag hinsichtlich der gezielten Entwicklung und des Einsatzes der Prüfstandserkennungssoftware durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten soweit substantiieren konnte, dass sich das Berufungsgericht zunächst veranlasst sah, diesen als Zeugen zu laden.

Zum einen rügt die Revision mit Erfolg (§ 286 ZPO), dass sich der Vortrag des Klägers, der Vorstand der Beklagten habe über umfassende Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschaltsoftware verfügt, erkennbar auf den gesamten Vorstand der Beklagten und nicht nur auf die Person ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden bezog. Ausweislich der tatbestandlichen Feststellung im Berufungsurteil hatte der Kläger behauptet, der Vorstand der Beklagten habe nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der Prüfstandserkennungssoftware verfügt, sondern auch in der Vorstellung die Herstellung und das Inverkehrbringen der mangelbehafteten Motoren veranlasst, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis weiter veräußert würden. Allein der Umstand, dass der damalige Vorstandsvorsitzende zunächst als Zeuge geladen wurde, bevor er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 Nr. 2 ZPO berief und wieder abgeladen wurde, entbindet die Beklagte daher nicht von ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich des Verhaltens und der Kenntnis des Vorstands im Übrigen.

Zum anderen wäre der außerhalb des maßgeblichen Geschehens stehende Geschädigte – folgte man der Ansicht des Berufungsgerichts – schutzlos gestellt, wenn er in Bezug auf eine der handelnden Personen ausreichende Anhaltspunkte für ein (möglicherweise) strafbares Verhalten vortragen kann, diese Person jedoch naturgemäß wegen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung als Zeuge nicht zur Verfügung steht (§ 384 Nr. 2 ZPO). Das ist mit der aus den verfassungsrechtlich geschützten Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz folgenden Verpflichtung zu einer fairen Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten (vgl. BVerfG NJW 2019, 1510 Rn. 12 ff.; BVerfG NJW 2000, 1483, 1484, juris Rn. 42) nicht zu vereinbaren und hat der Bundesgerichtshof auch in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Sachverhalten, in denen von einer sekundären Darlegungslast ausgegangen wurde, nicht angenommen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 – I ZR 150/15, NJW 2018, 2412 Rn. 28 ff.; zum Ganzen Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 42).

c) Mit der pauschalen Behauptung, alles Zumutbare und Mögliche getan zu haben, um die tatsächlichen Geschehnisse aufzuklären, hat die Beklagte dieser ihr obliegenden sekundären Darlegungslast erkennbar nicht genügt. Wie die Revision zu Recht rügt, bedurfte es insoweit – jenseits der Berufung auf eben die Grundsätze der sekundären Darlegungslast, die einen zentralen Berufungsangriff des Klägers darstellte – keiner näheren Ausführungen durch den Kläger, welche Aufklärungsschritte der Beklagten darüber hinaus noch zumutbar und möglich gewesen wären.

3. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann zudem der für einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden nicht verneint werden.

Ein Schaden im Sinne des § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen (Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 21; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 21; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff. mwN). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden (Abschluss des ungewollten Kaufvertrags) liegt damit nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck des Gebots, das Fahrzeug nicht ohne gültige EG-Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr zu bringen, kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 24; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 23 f.).

4. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass sich der Schädigungsvorsatz der für die Beklagte handelnden Personen darauf beziehen müsse, dass das Kraftfahrzeug für den Kläger aufgrund der „Schummelsoftware“ wertlos geworden sei. Da der Schaden des Käufers in dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags liegt, reichte es für die Annahme des hierauf bezogenen Vorsatzes aus, wenn den genannten Personen bewusst war, dass in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge niemand – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben würde (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 63).“

Unfallschadenregulierung, oder: (Bus)Reparatur in der eigenen Werkstatt

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Die zweite Entscheidung des Tages, das OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.06.2021 – 1 U 142/20 – ist zu einer Problematik in Zusammenhang mit der Unfallschadenregulierung ergangen.

Bei einem Verkehrsunfall, den der Fahrer eines bei der Beklagten versicherten Pkws allein verschuldet hat und für dessen Folgen die Beklagte dem Grunde nach unstreitig haftet, wurde ein Linienbus der Klägerin erheblich beschädigt. Die Schäden ließ die Klägerin, die Mitglied der Kfz-Innung und als freie Werkstatt in die Handwerksrolle eingetragen ist, in der Zeit vom 02.08.2019 bis zum 23.08.2019 in ihrer hauseigenen Werkstatt reparieren, in der etwa zu 60 % eigene Fahrzeuge und zu 40 % fremde Fahrzeuge repariert werden.

Die durch ein Sachverständigengutachten mit 46.735,20 EUR bezifferten Reparaturkosten erstattete die Beklagte (neben einer entstandenen Wertminderung, Sachverständigenkosten, Vorhaltekosten und einer Kostenpauschale von 25,00 Euro) nur in Höhe von 39.724,29 Euro mit der Begründung, dass von den gutachterlich ermittelten Reparaturkosten ein Gewinnanteil in Höhe von 15 %, mithin 7.010,28 Euro, in Abzug zu bringen sei, weil der Bus in der eigenen Werkstatt kostensparend repariert wurde.

Mit der Klage macht die Klägerin die Differenz zwischen den gutachterlich ermittelten und den durch die Beklagte erstatteten Reparaturkosten geltend sowie eine Pauschale von 25,00 EUR für die Kosten der Erstellung und Vorlage eines Gutachtens über Vorhaltekosten geltend. Das LG hat die Klage abgewiesen. Es dies damit begründet, dass die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass ihre Werkstatt in dem Zeitraum der Reparatur des Busses ausgelastet gewesen sei und dass sie Aufträge habe ablehnen müssen, die sie ohne die Busreparatur durchgeführt hätte. Kosten für das Vorhaltekostengutachten seien nicht zu erstatten, da kein Zusammenhang zwischen dem im Jahr 2008 erstellten Gutachten und dem Unfallereignis zu erkennen sei.

Das hat das OLG „gehalten“. Hier die Leitsätze zu der OLG-Entscheidung:

Nutzt ein Busunternehmen seine eigene Werkstatt zur Reparatur seines bei einem Verkehrsunfall beschädigten Busses, beschränkt sich der zur Herstellung erforderliche Betrag auf die insoweit anfallenden Kosten.

Die höheren Kosten einer externen Werkstatt können grundsätzlich zugrunde gelegt werden, wenn das Busunternehmen einen Teil der Kapazitäten seiner Werkstatt als freie Werkstatt zur Gewinnerzielung verwendet. Voraussetzung ist allerdings, dass es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast hinreichend dazu vortragen kann, dass es in der Zeit der Reparatur des Busses Fremdaufträge hätte annehmen können.

Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes, oder: Welche Folgen waren wann wie absehbar?

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Im Kessel Buntes heute dann zwei Entscheidungen des OLG Düsseldorf.

Zunächst stelle ich das OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.04.2021 – 1 U 152/20 – vor. Es geht um ein (weiteres) Schmerzensgeld nach einem schon länger zurückliegenden Schadensereignis. Das macht die Klägerin von den Beklagten wegen einer psychischen Erkrankung, die sie auf einen tödlichen Verkehrsunfall ihres Ehemannes im Jahr 2003 zurückführt, geltend. Am 09.09.2003 hatte ein durch den Beklagten zu 1) geführter und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherter Lkw, dessen Halterin die Beklagte zu 2) war, den Ehemann der Klägerin, überrollt, der noch am selben Tag seinen erlittenen Verletzungen erlag. Die alleinige Unfallverantwortlichkeit des LKW-Fahrers steht nicht in Streit.

Die Klägerin hatte daraufhin die Beklagten vor dem LG Duisburg (8 O 334/07) unter anderem auf Schmerzensgeld wegen infolge des Unfalls erlittener psychischer Beeinträchtigungen in Anspruch genommen. Das LG Duisburg holte ein psychiatrisches Gutachten der Sachverständigen K. ein, die bei der Klägerin eine Anpassungsstörung im Sinne einer abnormen prolongierten Trauerreaktion (ICD-10: F 43.21) diagnostizierte. Konkret gelangte die Sachverständige zu folgender Beurteilung: „Bei Frau C. zeigt sich eine anhaltende Trauerreaktion mit einer überwiegend depressiven Reaktion. […] Bei der prolongierten, abnormen Trauerreaktion handelt es sich um eine behandlungsbedürftige Störung. Durch die ambulante Psychotherapie kann die nicht ausreichend geleistete Trauerarbeit nachgeholt werden. Es besteht nach wie vor eine akute Behandlungsbedürftigkeit. Unter intensiver psychotherapeutischer Begleitung ist damit zu rechnen, dass die erhebliche Instabilität und Dysbalance von Frau C. gebessert und stabilisiert werden kann. Dass weitere unfallbedingte Beeinträchtigungen mit Krankheitswert eintreten können, erscheint unter einer psychotherapeutischen Begleitung unwahrscheinlich. Die oben beschriebenen unfallbedingten Beeinträchtigungen zeigen einen prolongierten Verlauf. Unter einer Fortsetzung der ambulanten Psychotherapie ist mittelfristig nicht davon auszugehen, dass eine irreversible schwere Störung bestehen bleibt. Ob vereinzelte Symptome einen dauerhaften Krankheitswert erreichen, ist abschließend nicht sicher zu beurteilen.“

Darüber hinaus wurden in dem Gutachten auch Suizidgedanken der Klägerin behandelt, die etwa bis zum Jahr 2007 bestanden hatten, jedoch zum Zeitpunkt der Exploration nach Einschätzung der Sachverständigen glaubhaft verneint wurden. Auf der Grundlage der sachverständigen Ausführungen entschied das Landgericht Duisburg mit Urteil vom 18.12.2008 u.a., dass die Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 Euro an die Klägerin zu zahlen haben und verpflichtet sind, ihr jeden weiteren über den ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag hinausgehenden Schaden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen.

Die Klägerin befand sich ab November 2007 in psychotherapeutischer Behandlung. Weil sie keine Besserung ihres Zustands festzustellen vermochte, brach sie diese Behandlung im Januar 2013 zunächst ab. Ab Dezember 2017 begab sie sich erneut in psychotherapeutische Behandlung. Ausweislich eines Befundberichts der langjährigen Therapeutin der Klägerin, Frau Dipl.-Psych. M., leidet diese noch immer an einer anhaltenden Anpassungsstörung, wobei prognostisch nicht mit einer wesentlichen Besserung des Beschwerdebildes zu rechnen sei.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.12.2018 forderte die Klägerin die Beklagte zu 3) auf, bis zum 14.01.2019 ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro an sie zu zahlen, was von der Beklagten zu 3) in einem Schreiben vom 15.01.2019 unter Verweis auf das rechtskräftige Urteil im Vorprozess abgelehnt wurde.

Darum ist dann im Verfahren gestritten worden. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das hatte beim OLG Bestand:

„Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil einem weitergehenden Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Schmerzensgeldes die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess entgegensteht.

1. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des der Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (vgl. BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 151 ff.; Urteil vom 6. Dezember 1960 – VI ZR 73/60, VersR 1961, 164 f.; vom 20. März 2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; vom 20. Januar 2015 – VI ZR 27/14, VersR 2015, 772; vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15, juris Rn. 6). Verlangt ein Geschädigter für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (BGH, Urteil vom 11. Juni 1963 – VI ZR 135/62, VersR 1963, 1048, 1049; vom 8. Juli 1980 – VI ZR 72/79, VersR 1980, 975 f.; vom 24. Mai 1988 – VI ZR 326/87, VersR 1988, 929 f.; vom 7. Februar 1995 – VI ZR 201/94, VersR 1995, 471, 472; vom 20. März 2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; vom 20. Januar 2004 – VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 322/04, VersR 2006, 1090 Rn. 7; vom 20. Januar 2015 – VI ZR 27/14, VersR 2015, 772 Rn. 7 f., vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15, juris Rn. 6). Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung eines Schadens beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von dem Klageantrag nicht umfasst und können deshalb die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld und Gegenstand eines Feststellungsantrags sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli aaO.; Urteil vom 14. Februar 2006, aaO.; vom 20. Januar 2015, aaO.; vom 10. Juli 2018, aaO.).

Ob Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffes durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 1988, aaO., vom 7. Februar 1995. aaO.; vom 14. Februar 2006, aaO.). Maßgebend ist, ob sich bereits in jenem Verfahren eine Verletzungsfolge als derart nahe liegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 1980, aaO.; vom 24. Mai 1988, aaO.; vom 7. Februar 1995, aaO.; vom 14. Februar 2006, aaO.).

Entscheidend ist demnach, ob ein Geschädigter nach objektiven Maßstäben die konkrete Möglichkeit hatte, den zukünftigen Eintritt einer bestimmten Verletzungsfolge bei der Verfolgung seines Schmerzensgeldanspruchs zu berücksichtigen. Er muss nach Einholung sachkundigen Rats in der Lage sein, zu entscheiden, ob er eine uneingeschränkte Klage erhebt und dabei den Eintritt der Verletzungsfolge als schmerzensgelderhöhenden Faktor geltend macht, oder ob er das Risiko, dass das Gericht die Verletzungsfolge bei der Entscheidung nicht oder nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dadurch vermeidet, dass er seine Schmerzensgeldforderung im Wege der offenen Teilklage (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 – VI ZR 70/03, juris, Rn. 13 ff.) auf die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eingetretenen Verletzungsfolgen beschränkt und sich so die Möglichkeit einer erneuten Klage für den Fall offen hält, dass die Verletzungsfolge tatsächlich eintritt.

2. Nach diesen Maßstäben ist die Entwicklung zu dem aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin bereits im Vorprozess objektiv vorhersehbar gewesen und als Möglichkeit sogar konkret vorhergesehen worden.

Dies ergibt sich daraus, dass sie – nach ihren Angaben – weiterhin im Wesentlichen unter derselben Erkrankung leidet wie damals, nämlich unter einer behandlungsbedürftigen Anpassungsstörung im Sinne einer abnormen prolongierten Trauerreaktion und es nicht ohne weiteres zu erwarten war, dass eine Therapie zu einem – vorzeitigen – Behandlungserfolg führen würde.

Ist – wie hier – ein behandlungsbedürftiger Zustand gegeben, so ist die Möglichkeit, dass es zu einem Fehlschlagen der Therapie oder etwa zu einer Chronifizierung kommt, im Rahmen einer Prognose der zukünftigen Entwicklung grundsätzlich zu berücksichtigen, weil der sichere Eintritt eines Behandlungserfolgs vielfach nicht unterstellt werden kann. Dabei sind vielfältige Gründe für das Ausbleiben eines Behandlungserfolgs denkbar. So kann es etwa bereits an verfügbaren Therapiemöglichkeiten fehlen, wie es auch im Fall der Klägerin anklingt, wonach sie nicht in der Lage gewesen sei, einen dauerhaften Therapieplatz zu erhalten, sodass sie mit Notfallsitzungen bei wechselnden Therapeuten habe Vorlieb nehmen müssen. Auch kann mangelnde Qualität der Therapiemaßnahmen einer Besserung des Krankheitsbildes entgegenstehen. Schließlich können auch in der Person des Erkrankten Faktoren liegen, die eine Besserung des Zustands verhindern, wenn dieser etwa nicht willens oder in der Lage ist, sich auf die Therapiemaßnahmen einzulassen, oder bereits begonnene Maßnahmen wieder abbricht.

Dass die im Vorprozess aufgestellte Prognose, wonach mit einer Besserung des Zustands der Klägerin zu rechnen sei, an die Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie geknüpft ist, hat die Sachverständige K. an mehreren Stellen ihres Gutachtens deutlich hervorgehoben. Sie hat damit inzident verdeutlicht, dass diese Therapie auch scheitern und der Behandlungserfolg ausbleiben kann. Insofern war es vorhersehbar, dass der Krankheitszustand der Klägerin gegebenenfalls auch ohne Besserung bleiben kann.

Wegen der vielfachen Hinweise der Sachverständigen auf die Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung hatte die Klägerin im Vorprozess Gelegenheit wie auch Anlass, entweder einen Aufschlag auf das Schmerzensgeld wegen des fortbestehenden Risikos der Chronifizierung geltend zu machen oder aber sich auf eine offene Teilklage zu beschränken, mit der die mögliche, aber noch nicht eingetretene Schadensfolge (Chronifizierung) aus der Schmerzensgeldbemessung herausgenommen worden wäre. Eine solche Beschränkung hätte indes einer ausdrücklichen Erklärung bedurft und kann nicht schon daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin neben einem Schmerzensgeldantrag einen Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer immaterieller Schäden gestellt hat (BGH, Urteil vom 08. Juli, aaO., juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Dezember 2009 – 7 U 145/08, juris Rn. 11).

3. Es bedarf keiner Feststellungen zu der Frage, wie wahrscheinlich ein Misserfolg einer psychotherapeutischen Behandlung und damit eine Chronifizierung der Erkrankung im Zeitpunkt des Vorprozesses gewesen ist.

Maßgeblich ist – wie ausgeführt – allein die konkrete Möglichkeit, eine bestimmte Verletzungsfolge im Rahmen der Schmerzensgeldforderung zu berücksichtigen. Eine solche Möglichkeit besteht grundsätzlich unabhängig von dem Grad der Wahrscheinlichkeit, der für den Eintritt dieser Verletzungsfolge spricht. Auch wenn nach den Erkenntnismöglichkeiten eines Sachkundigen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Verletzungsfolge spricht, wird der Geschädigte grundsätzlich in die Lage versetzt, seine Schmerzensgeldforderung zu beschränken und eine weitere Klage zu erheben, sobald die Folge eingetreten ist. Nur dann, wenn eine Berücksichtigung der Verletzungsfolge so gut wie ausgeschlossen erscheint, weil die Möglichkeit ihres Eintritts eher theoretischer Natur ohne konkrete Anhaltspunkte ist, weswegen sie ein Sachkundiger nicht in eine Darstellung möglicher Verletzungsfolgen aufnehmen würde, fehlt es an der objektiven Vorhersehbarkeit im oben dargestellten Sinne (vgl. BGH, Urteil vom 07. Februar 1995, aaO., zu einer mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad von 3 Promille zu erwartenden Verletzungsfolge). Um eine solche eher theoretische Möglichkeit handelt es sich bei der Chronifizierung der Erkrankung der Klägerin aber gerade nicht.

4. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt auch in dem (Wieder)Auftreten von Suizidgedanken bei der Klägerin kein im Zeitpunkt des Vorprozesses unvorhersehbarer Umstand. Da solche Gedanken ausweislich des Gutachtens im Vorprozess bereits im Zeitraum bis 2007 aufgetreten sind, hat nicht ferngelegen, dass diese auch in der Zeit danach erneut auftreten können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der nunmehr behaupteten Situation, dass die Klägerin entgegen der Erwartung im Vorprozess ihre Erkrankung trotz jahrelanger Therapiebemühungen nicht hat überwinden können und sich nunmehr anstelle einer erhofften Normalisierung ihrer Lebensumstände mit dauerhaft bestehenden Beeinträchtigungen konfrontiert sieht.“

Schadensminderungspflicht, oder: Hat sich der Geschädigte genug um eine Arbeitsstelle bemüht?

In der zweiten Entscheidung  zu § 254 BGB, dem OLG Celle, Urt. v. 07.04.2021 – 14 U 134/20 -, geht es um die Schadensminderungspflicht nach einem Verkekrsunfall. Gegenstand des Verfahens ist ein Verkehrunfall aus dem Jahr 2001. Gestritten worden ist in dem Verfahren um die Frage, ob die geschädigte Beklagte ihre Schadensminderungspflicht im Bemühen um eine Arbeitsstelle und ggf. auch Schulungsmaßnahmen verletzt hat. Die Klägerin hatte geltend gemacht, dass sie in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Die beklagte Versicherung hatte bestritten, dass die Geschädigte aufgrund der Folgen des Verkehrsunfalls vom 27.9.2001 bis zum 31.8.2018 keinen leidensgerechten Arbeitsplatz hätte finden können. Sie hat außerdem die Verletzung der der Geschädigten obliegenden Schadensminderungspflicht gerügt, weil diese sich nicht bemüht habe, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Das LG hatte der Geschädigten Recht gegeben. Das OLG hat das Urteil aufgehoben und die Klage weitgehend abgewiesen. Hier die Leitsätze:

  1. Es obliegt dem in seiner Arbeitskraft Geschädigten, seine verbliebene Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt – im Rahmen seiner Möglichkeiten und in den Grenzen des Zumutbaren – gewinnbringend einzusetzen.Ggf. muss sich der Geschädigte um Schulungen bzw. Umschulungen bemühen.

  2. Für den Vortrag, dass ein solches Bemühen von vorne herein erfolglos gewesen wäre, ist der Geschädigte darlegungs- und beweisbelastet.

  3. Ein Verstoß gegen diese Schadensminderungspflicht führt dazu, dass ein eventueller Anspruch nicht bezifferbar ist.

  4. Alleinige Zahlungen der Versicherung stellen kein Anerkenntnis dar und führen nicht dazu, das Berufen auf einen Obliegenheitsverstoß als treuwidrig erscheinen zu lassen.

Mitverschulden, oder: Mitverschulden eines 11-Jährigen beim Überqueren der Straße „als Letzter“

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Im Kessel Buntes dann heute zwei Entscheidungen zu § 254 BGB.

Zunächst jetzt das OLG Celle, Urt. v. 19.05.2021 – 14 U 129/20. Der Entscheidung liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, bei dem ein 11-jähriges Kind beim Überqueren der Straße von einem zu schnell fahrenden Kfz-Führer angefahren wird. Nach Auffassung des OLG haftet der Kfz-Führer allein:

Hier die (amtlichen) Leitsätze:

Einem elfjährigen Kind kann kein Mitverschuldensvorwurf gemacht werden, wenn es beim Überqueren einer Straße, zusammen mit einer bereits auf der Fahrbahn befindlichen Kindergruppe, als letztes Kind von einem Fahrzeug erfasst wird, dessen Fahrer die Kinder wahrgenommen hat und den Unfall hätte verhindern können.

Neben der Einsichtsfähigkeit gem. § 828 Abs. 3 BGB, deren Fehlen das Kind zu beweisen hat, ist im Rahmen des Verschuldens gem. § 276 Abs. 2 BGB ein objektiver Maßstab anzulegen und zu prüfen, ob das Kind die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dabei sind an ein Kind, gestaffelt nach dem Alter, andere Maßstäbe als an einen Jugendlichen oder einen Erwachsenen anzulegen. Neben dem Alter des Kindes ist dabei auch die konkrete Unfallsituation zu bewerten und zu prüfen, ob Kinder gleichen Alters und gleicher Entwicklungsstufe in der konkreten Situation hätten voraussehen müssen, dass ihr Tun verletzungsträchtig ist und es ihnen möglich und zumutbar gewesen wäre, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes muss ein junger Mensch, der einen schweren Schaden erlitten hat, wegen seines Alters im Verhältnis zu einem älteren Menschen mehr Schmerzensgeld bekommen, weil ersterer noch lange an seinen Verletzungsfolgen zu tragen hat.