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Und nochmals: VW-Abgasskandal, oder: Unionsrechtlicher Schadensersatzanspruch?

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Im zweiten Posting des Tages dann noch einmal etwas zum VW-Abgasskandal, und zwar das OLG Saarbrücken, Urt. v. 01.07.2021 – 4 U 102/20.  Folgender Sachverhalt:

„Die Klägerin als Eigentümerin eines vom Dieselabgasskandal betroffenen Pkw macht gegenüber der beklagten B. D. einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend wegen Fehlverhaltens im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens.

Mit Kaufvertrag vom 20.05.2014 erwarb die Klägerin von der A. G., Inhaber P. R., den gebrauchten Pkw V. Golf Plus Match mit der im Klageantrag näher bezeichneten Fahrzeugidentifikationsnummer und einem Kilometerstand von 27.900 km zum Preis von 18.000 € brutto. Das Fahrzeug war im Zeitpunkt des Kaufs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Dieses Fahrzeug hatte vom Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten eine Typgenehmigung erhalten. Die Klägerin nahm die V. AG vor dem Landgericht Saarbrücken (Aktenzeichen 12 O 294/18) und dem Saarländischen Oberlandesgericht (Aktenzeichen 2 U 177/19) auf Schadensersatz in Anspruch. Das Verfahren endete durch Berufungszurücknahme der Klägerin, nachdem die dortigen Parteien mit Datum vom 20./23.09.2019 einen Vergleich über einen Betrag von 3.500 € abgeschlossen hatten.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, durch mehrfache qualifizierte Verstöße der Beklagten im Rahmen des Typgenehmigungsrechts bzw. -verfahrens sei ihr ein Schaden entstanden, für den diese nach europäischem Staatshaftungsrecht einzustehen habe. Die Beklagte habe nicht wirksame und nicht hinreichend abschreckende Sanktionen im Sinne des Art. 46 Richtlinie 2007/46/EG erlassen. Insbesondere könne der Hersteller bei Verstößen die mögliche Geldbuße in jedes Fahrzeug einpreisen, ohne spürbare Einbußen zu erleiden. Ferner habe die Beklagte gegen ihr obliegende Prüf- und Überwachungspflichten verstoßen. Die gebotene Prüfung sei von Anfang an nicht erfolgt und habe auch nicht erfolgen können, da – unstreitig – weder das Kraftfahrt-Bundesamt noch die technischen Dienste Fahrzeuge nach Erteilung der Typgenehmigung auf eine unzulässige Abschalteinrichtung untersucht hätten. Der Schaden der Klägerin gehe über die Abgeltungszahlung des Herstellers in Höhe von 3.500 € hinaus. Zu berücksichtigen seien ein höherer Kraftstoffverbrauch, ein höherer Verbrauch von AdBlue und ein höherer Verschleiß infolge des Updates der Software sowie der Minderwert, die Kraftfahrzeugsteuererhöhung und Schäden am Fahrzeug.“

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei bezüglich des Fahrzeugs mit der FIN ~7 die Schäden zu ersetzen, die ihr daraus entstehen, a) dass es die Beklagtenpartei unterlassen hat, auf Grund Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu erlassen; b) hilfsweise: dass die Beklagtenpartei die Typgenehmigung vom 30.10.2012 mit der Typgenehmigungsnummer ~8 erteilt hat.

Die Klage ist abgewiesen worden. Die Berufung hatte beim OLG keinen Erfolg. Hier der Leitsatz der Entscheidung:

„Der Käuferin eines vor dem Stichtag 22.09.2015 erworbenen, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Personenkraftwagens der Volkswagen AG steht kein unionsrechtlicher oder Amtshaftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland zu.“

Rest bitte selbts lesen.

Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, oder: Wenn der erste Antrag auf dem Postweg verloren geht.

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zunächst eine zivilverfahrensrechtliche Fristensache, und zwar der BGH, Beschl. v. 22.06.2021 – VIII ZB 56/20. Es geht um einenauf dem Postweg verloren gegangenen Verlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist.

In einem Mietrechtsstreit vor dem AG jat der Vermieter Berufung gegen das zu seinen Lasten ergangene Urteil eingelgt. Sein Prozessbevollmächtigter stellt wegen akuter Arbeitsüberlastung sechs Tage vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist den Antrag, die Frist um einen Monat zu verlängern. Der Antrag wird in einen Briefkasten in der Nähe der Kanzlei eingeworfen, er erreicht das Gericht jedoch nicht. Nach Ablauf der Frist teilte das LG dem Prozessvertreter mit, dass keine Berufungsbegründung vorliege. Daraufhin beantragte dieser Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erneut die Fristverlängerung. Innerhalb der beantragten Verlängerung reichte er auch die Berufungsbegründung ein. Das LG weist den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwirft die Berufung als unzulässig.

Die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde hat beim BGH Erfolg. Der BGH hat Wiedereinsetzung gewährt. Er sieht die vom LG gestellten Anforderungen an die Begründungpflicht als zu hoch an. Bei einem erstmaligen Verlängerungsantrag wegen Arbeitsüberlastung nach § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO kann der Rechtsanwalt nach Auffassung des BGH darauf vertrauen, dass ihm entsprochen wird, ohne dass es weiterer Substanziierung bedarf. Insbesondere müsse der Rechtsanwalt keine Angaben dazu machen, wie er wann welche Fristen notiert habe.

Und – so der zweite Leitsatz des umfangreiche begründeten Beschlusses:

„b) Die Fristensicherung verlangt von dem Rechtsanwalt bei einem Antrag auf erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – auf deren Bewilligung er bei Vorliegen erheblicher Gründe (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) im Allgemeinen vertrauen darf – nicht, dass er sich bereits innerhalb der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist durch Nachfrage beim Berufungsgericht über den Eingang des Fristverlängerungsantrags und über eine Verlängerung dieser Frist erkundigt (Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 19; vom 30. Mai 2017 – VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 13; vom 18. Januar 2018 – V ZB 166/17, juris Rn. 7; vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 324/20, FamRZ 2021, 446 Rn. 9 f.; st. Rspr.).

 

Zudem: Es bleibt dabei, dass man grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden und aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden.

Im Übrigen: Wegen der Einzelheiten bitte den Volltext lesen.

Befangenheitsantrag“ im Zivilprozess, oder: Wenn der Antrag „querulatorisch“ ist

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Und als zweite Entscheidung stelle ich dann eine Entscheidung aus dem Zivilprozess, nämlich den OLG Hamm, Beschl. v. 09.07.2021 – 7 U 14/21. Er verhält sich zur Befangenheit im Zivilverfahren und wie man dort mit „ersichtlich querulatorischen Befangenheitsanträgen umgehen kann. Die werden – so das OLG – als unzulässig verworfen:

„Die Verwerfung erfolgt entsprechend § 26a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 StPO (vgl. dazu statt aller G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 44 Rn. 12 ff. m. w. N.) ohne Einholung dienstlicher Stellungnahmen durch die abgelehnten Richter, analog § 26a Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StPO, da mit dem Ablehnungsgesuch ersichtlich verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden.

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (BGH Beschl. v. 10.2.2021 – VI ZB 66/20, Rn. 5 m. w. N.).

2. Das einzige auf die erkennende Vorsitzende und die erkennenden beisitzenden Richter bezogene Vorbringen erschöpft sich darin, dass dem Kläger kein Verfahrenspfleger bestellt worden sei, was aber angesichts des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Bochum im Hinblick auf eine im vorliegenden Verfahren bestehende Prozessunfähigkeit des Verfügungsbeklagten ersichtlich unzutreffend ist. Im Übrigen ergeht sich der Verfügungsbeklagte ausschließlich in wirren Drohungen (bspw. „Lassen Sie sich das nochmal alle durch den Kopf gehen. Ist eh nichts drin. Am besten mit 9mm.“), unflätigen Bemerkungen (bspw. „Fickt Eure Mütter, Eure Großmütter und Euren ganzen Stammbaum.“) und Behauptungen über dem Senat nicht angehörige Richterkollegen sowie eine Mitarbeiterin der Serviceeinheit.

Es fehlt dem Vorbringen des Verfügungsbeklagten mithin ein sachlicher Kern. Der Einholung dienstlicher Äußerungen der abgelehnten Richter gemäß § 44 Abs. 3 ZPO bedurfte es damit nicht, weil das Vorbringen des Verfügungsbeklagten so nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen und die abgelehnte Vorsitzende und die abgelehnten Beisitzer zu diesem Vorbringen nichts beitragen können (vgl. BGH Beschl. v. 10.2.2021 – VI ZB 66/20, Rn. 5 m. w. N.).“

Vorgerichtliche Anwaltskosten im Abgasskandalfall?, oder: Schon unbedingter Auftrag erteilt?

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Heute dann „Kessel Buntes“. Und in dem „köchelt“ als erste Entscheidung das BGH, Urt. v. 22.06.2021 – VI ZR 353/20  – zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Folgender Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die Beklagte, soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Der Kläger hatte im Juli 2013 einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestatteten Pkw erworben. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 13.11.2018 forderte er die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs auf. Nach fruchtlosem Fristablauf erhob er in der Folge Klage, mit der er u.a. die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 EUR begehrte. Das LG hat die Beklagte u.a. antragsgemäß zur Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat OLG das landgerichtliche Urteil im Freistellungsausspruch abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Freistellungsanspruch nunmehr in Höhe von 1.029,35 € weiter. Seine Revision hatte keinen Erfolg:

„1. Die Bemessung der – hier in Gestalt der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten allein noch in Rede stehenden – Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 22. Januar 2019 – VI ZR 403/17, juris 9 mwN).

Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (st. Rspr., vgl. zuletzt etwa Senatsurteil vom 22. Januar 2019 – VI ZR 403/17, juris 11 mwN).

Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage des Innenverhältnisses, nämlich der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (vgl. BGH, Urteile vom 15. August 2019 – III ZR 205/17, NJW-RR 2019, 1332 Rn. 43; vom 19. Mai 2020 – KZR 70/17, NZKart 2020, 535 Rn. 44; jeweils mwN; vgl. weiter Hansens, zfs 2019, 703 ff.; Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., § 19 Rn. 14).

2. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht in nicht zu beanstandender freier tatrichterlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalles beachtet, § 287 ZPO. Es hat ausgeführt, dass der Kläger nicht schlüssig dargetan habe, seinen Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben. Dass das Berufungsgericht entsprechenden Instanzvortrag des Klägers übergangen hätte, macht die Revision nicht geltend. Das von dem Kläger vorgelegte außergerichtliche Aufforderungsschreiben vom 13. November 2018 hat das Berufungsgericht gewürdigt und den darin enthaltenen Hinweis, dass Klage erhoben werde, falls innerhalb gesetzter Frist keine Zahlung oder kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe, als Indiz gegen die Behauptung angesehen, es sei zunächst nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden. Diese Würdigung lässt jedenfalls einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1968 – VI ZR 159/67, NJW 1968, 2334, 2335, juris Rn. 14 zur Indizwirkung einer Klageandrohung im Rahmen von § 118 BRAGO). Zwar kann aus der nach außen hin erkennbaren Tätigkeit eines Rechtsanwalts, auch wenn sie mit einer Klageandrohung verbunden ist, nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden, ob der Rechtsanwalt diese Tätigkeit im Rahmen eines ihm bereits erteilten – zumal unbedingten – Klageauftrags ausgeübt hat oder ob dem Anwalt im maßgeblichen Innenverhältnis bislang tatsächlich (lediglich) ein Vertretungsauftrag erteilt worden ist. Doch geht die verbleibende Unsicherheit zu Lasten des Klägers, der darzulegen und im Streitfall zu beweisen hat, dass er seinem Anwalt einen Auftrag zur vorgerichtlichen Vertretung erteilt hat (vgl. Hansens, zfs 2019, 703).“

Termin II: Frühe Terminierung ==> Anreise am Vortag, oder: Keine Terminsverlegung ==> Befangen?

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Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Beschl. v. 18.05.2021 – 4 W 283/21 – zur Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen Ablehnung eines Terminsverlegungsantrag Stellung genommen. Am Aktenzeichen sieht man, dass es sich um ein Zivilverfahren gehandelt hat. Das ist aber wegen der Thematik ohne Belang. Denn die Frage stellt sich ja auch in Strafverfahren immer wieder.

Das OLG hat hier in der Ablehnung des Verlegungsantrags keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit gesehen:

„Der Verfügungsbeklagte greift mit seiner Beschwerde einen Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 17.03.2021 an, mit dem sein Antrag vom 15.03.2021, den mit der Hauptsache befassten Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, von diesem wegen Rechtsmissbräuchlichkeit als unzulässig verworfen wurde.

Der Verfügungsbeklagte meint, der erkennende Richter sei befangen, da er einem von seinem Prozessbevollmächtigten gestellten Terminverlegungsantrag nicht nachgekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die unter Ziff. I wiedergegebenen Gründe der angefochtenen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.

Das Landgericht Leipzig hat das Befangenheitsgesuch mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.03.2021 zurückgewiesen und der Beschwerde mit einem weiteren Beschluss vom 20.04.2021 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Ziff. 1, 569 ZPO zulässig, in der Sache hat sie aber keinen Erfolg.

Das gegen RiLG K. gestellte Befangenheitsgesuch ist unbegründet. Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Derartige Gründe ergeben sich vorliegend weder aus der Zurückweisung des Terminverlegungsgesuchs des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten vom 09.02.2021, durch Beschluss vom 17.03.2021 noch aus dem Umstand, dass der Einzelrichter das Befangenheitsgesuch selbst als unzulässig zurückgewiesen hat. Eine den Verfügungsbeklagten zumindest anscheinsgemäß einseitig benachteiligende sachwidrige Behandlung eines Terminverlegungsgesuchs liegt darin nicht.

Das Übergehen oder die Verweigerung einer beantragten Terminsverlegung begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil diese nach § 227 ZPO nur bei Vorliegen erheblicher Gründe in Betracht kommt (vgl. BGH NJW 2006, 2492 – 2495). Anders ist es nur dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung offensichtlich vorliegen, die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei angesichts dessen schlichtweg unzumutbar wäre und damit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletze oder sich aus der Ablehnung der Terminsverlegung der Eindruck der sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdrängt. Einzelne im Laufe eines Rechtsstreits zu treffende Entscheidungen des erkennenden Gerichts sollen regelmäßig nicht im Verfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO inhaltlich überprüft werden. Zudem ist die Entscheidung über die Ablehnung eines Terminsverlegungsgesuchs nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 227 Abs. 4 Nr. 3 ZPO unanfechtbar. Diese Regelung würde unterlaufen, ließe man die bloße Ablehnung eines begründeten Terminsverlegungsgesuchs für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ausreichen (vgl. KG Berlin NJW 2006, 2788).

Vorliegend hat indes der Terminverlegungsantrag vom 09.02.2021 dem Landgericht nicht vorgelegen. Aus Sicht einer objektiv wägenden Partei lag zudem unabhängig hiervon kein Grund für die Annahme einer sachwidrigen oder einseitig den Verfügungsbeklagten benachteiligenden Bearbeitung vor. Mit einer Bewilligung des erneuten Terminverlegungsantrages vom 09.02.2021 durfte der Beklagte nicht rechnen, da erhebliche Gründe für eine erneute Verlegung im Sinne des § 227 ZPO offensichtlich nicht vorlagen. Es handelte sich um ein beschleunigungsbedürftiges einstweiliges Verfügungsverfahren, das zuvor bereits mehrfach verlegt worden war. Beschränkungen bestanden auch wegen der Corona-Pandemie nicht, eine Anreise mit dem Zug von Saarbrücken nach Leipzig war grundsätzlich am Vortag der um 9.30 Uhr angesetzten Verhandlung zumutbar, und der Prozessbevollmächtigte hätte auch einen Antrag nach § 128 a ZPO auf Durchführung der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung stellen können, um die Anreise nach Leipzig zu vermeiden. Der Beklagte kann demgegenüber nicht geltend machen, der abgelehnte Richter habe „die anerkannten Regeln u. a. für Anwälte mit weiter Anreise wie dies aus der Akte und aus dem Schriftsatz vom 09.02.2021 offensichtlich“ sei, nicht beachtet. In dem Terminverlegungsschriftsatz vom 09.02.2021 wird nicht erwähnt, dass die Anreise am Vortag wegen einer parallel stattfindenden Strafverhandlung nicht möglich gewesen wäre. Auch fehlt die notwendige Glaubhaftmachung dieses Umstandes. Eine Terminsverlegung wegen der weiten Anreise des Prozessbevollmächtigten entspricht zumindest in einem beschleunigungsbedürftigen einstweiligen Verfügungsverfahren auch nicht „anerkannten Regeln“ und kann daher nicht ohne Weiteres erwartet werden. In § 227 ZPO wird dies als erheblicher Grund für eine Terminverlegung nicht aufgeführt. Die vom Prozessbevollmächtigen zitierte Rechtsprechung (OLG Naumburg, Beschluss vom 08.06.2016, Az.: 12 W 36/16) verhält sich allein dazu, dass bei einer weiten Anreise die dann anfallenden Kosten einer Übernachtung des Prozessbevollmächtigten erstattungsfähige Kosten des Rechtsstreits sind. Hinzu kommt, dass nach Erlass der einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 11.10.2019 und dem dagegen gerichteten Widerspruch, der am 17.01.2020 eingegangen ist, bis zum Zeitpunkt der Antragstellung wegen Befangenheit bereits vier Verhandlungstermine jeweils auf Antrag des Prozessbevollmächtigten verlegt worden waren. Der zuletzt verlegte Verhandlungstermin am 14.01.2021 war ebenfalls auf 9.30 Uhr terminiert worden, ohne dass dieser Umstand vom Prozessbevollmächtigen der Beklagten beanstandet worden wäre. Das Landgericht hatte zudem bereits mit der Terminsverlegungsverfügung darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten zum Termin am 18.03.2021, 9.30 Uhr seine rechtzeitige Anreise nach Leipzig sicherzustellen habe und eine erneute Terminverlegung aus den im Schriftsatz vom 12.01.2021 genannten Gründen – Fahrt mit dem PKW und gesundheitliche Einschränkungen – nicht erfolgen werde. Es hätte dann dem Beschleunigungsgebot in Verfügungsverfahren über eine Gegendarstellung Rechnung getragen. Hierauf hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten einstellen müssen. Angesichts dessen wäre zumindest eine Nachfrage bei Gericht wegen der fehlenden Verbescheidung des Terminsverlegungsgesuchs vom 09.02.2021 geboten gewesen; diese ist aber zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Dem Verfügungsbeklagten hätte sich angesichts dessen bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aufdrängen müssen, dass der erkennende Richter weder mit der Bestimmung eines auf den 18.03.2021 um 9.30 Uhr angesetzten Verhandlungstermins noch mit fehlenden Verbescheidung des Terminsverlegungsgesuchs vom 09.02.2021 den Eindruck mangelnder Objektivität erweckt hat. Wenn der Einzelrichter vor diesem Hintergrund selbst den Befangenheitsantrag mit Beschluss vom 17.03.2021 als unzulässig zurückgewiesen und in der Sache selbst entschieden hat, kann der Verfügungsbeklagte daraus bei vernünftiger Betrachtung ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit herleiten. Eine sachlich urteilende Partei würde sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass der Antrag auf Verlegung des Verhandlungstermins am 18.03.2021 nicht den Anforderungen des § 227 Abs. 1 ZPO entsprach, und dass sein Ablehnungsgesuch deshalb als rechtsmissbräuchlicher Versuch, die beantragte Terminsverlegung auf dem Weg über die Befangenheitsablehnung zu erzwingen, gewertet werden könnte. Der abgelehnte Richter ist – abweichend von § 45 Abs. 2 ZPO – ausnahmsweise dann zu einer eigenen Entscheidung über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch befugt, wenn dieses Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich ist, weil es offensichtlich nur dazu dienen soll, das Verfahren zu verschleppen, oder weil mit der Ablehnung verfahrensfremde, von Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts offensichtlich nicht erfasste Ziele verfolgt werden sollen. Dies ist der Fall, wenn – wie hier – das Übergehen des Antrags auf Terminsverlegung zum Anlass genommen wird, durch Anbringen eines hierauf gestützten Ablehnungsgesuch kurzfristig eine Terminsverlegung zu erreichen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 24.10.2008 – 2 U 155/08 -, Rn. 17 – 18, m.w.N., – juris; OLG Hamm Beschluss vom 07.03.2019 – 4 WF 22/19, BeckRS 2019, 5610 Rn. 12-15, beck-online).“