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„Dieselfall“ bzw. unzulässige Abschalteinrichtung, oder: Nochmals (kleiner) Schadensersatz

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann auch vom BGH. Der hat im BGH, Urt. v.  01.12.2022 – VII ZR 492/21  – nochmals zum Schadensersatz bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, also „Dieselfall“.

Der Kläger hat im Juli 2011 von einem Autohändler ein Fahrzeug Audi A4 2.0 TDl als Gebrauchtwagen zum Preis von 29.000 EUR erworben. Das Fahrzeug war mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, der mit einer sog. „Abschalteinrichtung“ versehen war. Am 22.09.2015 informierte die Beklagte die Öffentlichkeit in Form einer Pressemitteilung darüber, dass in den mit einem EA 189-Dieselmotor ausgestatteten VW-Konzernfahrzeugen eine Software eingebaut sei, die zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstands- und realem Fahrbetrieb führe. Als börsennotiertes Unternehmen veröffentlichte die Beklagte am selben Tag zudem eine Ad-hoc-Mitteilung identischen Inhalts. In der Folgezeit gab die Beklagte im Zeitraum von Ende September bis Mitte Oktober 2015 weitere Pressemitteilungen heraus und informierte die Öffentlichkeit darüber, dass der Dieselmotor EA 189 mit einer Abschaltvorrichtung versehen sei, die vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als unzulässig angesehen werde. Zeitgleich war der sogenannte Dieselskandal Gegenstand einer umfangreichen Presseberichterstattung. Er beherrschte ab Ende September 2015 die deutschen Medien und war daneben auch Gegenstand einer vielfältigen Berichterstattung internationaler Medien. Der Kläger erlangte im Laufe des Jahres 2015 Kenntnis von der Berichterstattung über die Manipulation von Dieselmotoren im „Audi- und VW-Konzern“. Die Beklagte informierte den Kläger mit einem im Jahr 2016 zugesandten Schreiben über die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeuges von der Abgasproblematik und der Erforderlichkeit eines Software-Updates zur Meidung einer Stilllegung. In der Folgezeit wurde das Software-Update bei dem Fahrzeug aufgespielt.

Mit der am 31.12.2019 erhobenen und der Beklagten am 04.02.2020 zugestellten Klage hat der Kläger die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 5.800  EUR (merkantile Wertminderung) nebst Zinsen sowie der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung verlangt.

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Und er hat beim BGH Erfolg:

„1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß §§ 826 , 31 BGB nicht verneint werden. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Kläger den Schädiger nicht auf Ersatz des kleinen Schadensersatzes in Anspruch nehmen kann.

a) Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Dabei kommt es darauf an, den Geschädigten wirtschaftlich möglichst so zu stellen, wie er ohne das schadenstiftende Ereignis stünde ( BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 Rn. 13, BGHZ 230, 224 ). Nach diesen Grundsätzen kann ein Geschädigter, der durch ein deliktisches Handeln eines Dritten zum Abschluss eines Kaufvertrags bestimmt worden ist, von diesem verlangen, so gestellt zu werden, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Zu Recht ist zwar das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die deliktische Haftung nicht das Erfüllungsinteresse (positive Interesse) umfasst, weil diese nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft. Der Umfang des Schadensersatzes beschränkt sich vielmehr auf das Erhaltungsinteresse und damit auf das negative Interesse. Denn der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, besser zu stehen, als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte ( BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 –VI ZR 40/20 Rn. 14, BGHZ 230, 224).

b) Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, ist der Geschädigte auf der Grundlage der §§ 826 , 31 , § 249 Abs. 1 BGB in den „Dieselfällen“ nicht darauf beschränkt, gegen die Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und sonstiger Vorteile die Kaufsache herauszugeben. Der Geschädigte kann vielmehr die Kaufsache behalten und als Schaden den Betrag ersetzt verlangen, um den er das Fahrzeug zu teuer erworben hat, wobei es grundsätzlich auf den Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt ( BGH, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 260/20 , unter II. 2., z.V.b.; Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 Rn. 12-23, BGHZ 230, 224 ). Der Geschädigte wird dabei so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Da es sich hierbei nur um die Bemessung des Vertrauensschadens und nicht um die Frage einer Anpassung des Vertrags handelt, braucht der Geschädigte in diesem Fall nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte ( BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 Rn. 9, MDR 2022, 495; Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 Rn. 16 ff., Rn. 21, BGHZ 230, 224 ).

Die Bemessung des kleinen Schadensersatzes richtet sich in den „Dieselfällen“ nach dem objektiven Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, bei dessen Bestimmung die mit der Prüfstanderkennungssoftware verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko dem Kläger nachteiliger behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen sind. Aus der Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung und der daraus gegebenenfalls resultierenden Stilllegungsgefahr ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für einen objektiven Minderwert im Kaufzeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 Rn. 25, BGHZ 230, 224 ; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 48, BGHZ 225, 316 ). Denn das Wertverhältnis der vertraglich geschuldeten Leistungen ändert sich nicht dadurch, dass eine der Leistungen nachträglich eine Auf- oder Abwertung erfährt; der Vertrag wird dadurch nicht günstiger oder ungünstiger ( BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 Rn. 15, MDR 2022, 495; Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 Rn. 23, BGHZ 230, 224 ).

c) Der Kläger hat die Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem nach seinem Vortrag angemessenen niedrigeren Wert seines mit einem Mangel – in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung – behafteten Fahrzeugs verlangt und damit die Höhe des Schadensersatzes unter Nennung einer ausreichenden Berechnungsgrundlage in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2022 – VIa ZR 6/21 , juris Rn. 10; Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 Rn. 10, MDR 2022, 495; Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20 Rn. 10, BGHZ 230, 224 ; Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 Rn. 21, NJW-RR 2022, 23).“

Zeitpunkts des Anspruchsübergangs gem. § 116 SGB X, oder: Bitte Differenzierung

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Urt. v. 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 – nimmt der BGH zum Zeitpunkt der Anspruchsübergang von Sozialleistungen, zum Regress und zur Verjährung Stellung. Er hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze gegeben:

1. Hinsichtlich des Zeitpunkts des Anspruchsübergangs gemäß § 116 SGB X ist zu differenzieren. Maßgeblich für die Differenzierung ist der Grund der Leistungserbringung und nicht der Träger der Leistung.

Bei Sozialleistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu erbringen sind, findet der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, sofern das Versicherungsverhältnis schon zu diesem Zeitpunkt besteht.

Bei Sozialleistungen, deren Gewährung nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses, sondern an andere Voraussetzungen gebunden ist, ist für den Rechtsübergang erforderlich, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.

2. Zur grob fahrlässigen Unkenntnis von Bediensteten der Regressabteilung (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1 BGB).

Einsicht I: (Akten)Einsichtsrecht des Anzeigeerstatters, oder: Beigezogene Akte eines Zivilverfahrens

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Ich mache heute dann mal einen „Einsichtstag“. Nein, es geht nicht um die „bessere Einsicht“, sondern um Akteneinsicht. 🙂

Und da starte ich mit BayObLG, Beschl. v. 18.08.2022 – 102 VA 68/22 -, der sich zum rechtlichen Interesse eines Anzeigeerstatters an der Einsicht in die von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren beigezogene Akte eines Zivilverfahrens äußert.

Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, war in dem Ausgangsverfahren, einem Zivilverfahren, Beklagter. Der Kläger forderte von ihm Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Unternehmensübertragung. Er warf ihm ausweislich vor, beim Unternehmensverkauf sowohl ihn, den Kläger und Verkäufer, als auch den Käufer, den weiteren Beteiligten des hiesigen Verfahrens, beraten und dadurch unter Verstoß gegen § 43a BRAO widerstreitende Interessen vertreten zu haben.

Der weitere Beteiligte erstattete wegen des Sachverhalts Strafanzeige. In dem wegen des Verdachts des Parteiverrats, § 356 StGB, eingeleiteten Ermittlungsverfahren zog die Staatsanwaltschaft die Akte des Zivilverfahrens bei und wertete sie aus. Sie teilte dem Anzeigeerstatter mit Schreiben vom 11.03.2022 mit, dass sie die Einstellung des Verfahrens wegen Verfolgungsverjährung beabsichtige. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 04.04.2022 an die Staatsanwaltschaft monierte der weitere Beteiligte, dass ihm auf sein Einsichtsgesuch nur die Ermittlungsakte, nicht aber die beigezogene Zivilakte überlassen worden sei. Er bat, ihm Letztere nachzuliefern, da er andernfalls nicht vollständig Stellung nehmen könne. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft die Zivilakte unter Hinweis auf das Einsichtsgesuch an den Vorsitzenden der ersten Zivilkammer des LG Passau zurück zum Verbleib, verbunden mit der Bitte um Entscheidung über das Gesuch. Der Vorsitzende Richter informierte hierüber den weiteren Beteiligten und wies darauf hin, dass nach § 299 Abs. 2 ZPO Dritten Akteneinsicht ohne Einwilligung der Parteien nur gestattet werden dürfe, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht werde. Darauf brachte der weitere Beteiligte dem Vorsitzenden Richter die Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 11.03.2022 zur Kenntnis und verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft die Zivilakte gemäß Anforderung vom 15. Juni 2021 zur kurzzeitigen Einsichtnahme erhalten und sie zum Gegenstand ihrer Überlegungen gemacht habe. Er könne sich zu der beabsichtigten Einstellung des Ermittlungsverfahrens und der rechtlichen Auffassung der Staatsanwaltschaft nur äußern, wenn er ebenfalls die Zivilakte einsehen könne, von der die Staatsanwaltschaft keine Kopien gefertigt habe.

Mit Bescheid des Landgerichts Passau vom 24.05.2022 wurde dann dem weiteren Beteiligten Einsicht in die Zivilakte gewährt. Gegen den iBescheid wendet sich der Antragsteller mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er erstrebt die Aufhebung des Bescheids und die Abweisung des Einsichtsgesuchs.

Er hatte mit seinem Antrag keinen Erfolg. Das BayObLG hat ein rechtliches Interesse des weiteren Beteiligten an der Einsicht in die Zivilprozessakte angenommen, so dass die nach § 299 2 ZPO erforderliche Voraussetzung für die Gewährung von Akteneinsicht an Dritte ohne Einwilligung der Parteien erfüllt war.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die recht umfangreichen Beschlussgründe des verlinkten Volltextes. Also mal wieder Anorndung des „Selbtsleseverfahrens“.

Das elektronische Dokument in der Vollstreckung, oder: Qualifizierte elektronische Signatur erforderlich

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In die 6. KW. starte ich heute mal wieder mit einigen Entscheidungen zum elektronischen Dokument.

Hier zunächst zwei Entscheidungen des AG Düsseldorf, und zwar.

Vollstreckungsaufträge nach § 7 JBeitrG sind gem. § 130d ZPO elektronisch zu übermitteln und bedürfen einer qualifizierten elektronischen Signatur, um als Titelersatz fungieren zu können (Weiterführung von BGH, Beschl. v. 14.12.2014 – I ZB 27/14).

Eines grafischen oder elektronischen Siegels bedarf es zumindest dann nicht, wenn das der Signatur zugrunde liegende Zertifikat die Behörde erkennen lässt.

Vollstreckungsaufträge nach § 7 JBeitrG sind seit dem 1.1.2022 gem. §§ 130d, 130a ZPO elektronisch zu übermitteln. Sie stellen nur dann eine titelersetzende Vollstreckungsgrundlage dar, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortlichen Person oder in elektronisch beglaubigter Abschrift übermittelt werden (Fortschreibung BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – I ZB 27/14). Eine Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg mit nur einfacher Signatur, als Scan, oder die parallele Einreichung in konventioneller Form genügen nicht.

Freistellung von Kosten für Covid-Schutzmaßnahmen II, oder: Maßnahmen in 2023 nicht mehr erforderlich

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Und im zweiten Posting dann noch zwei weitere Entscheidungen zu Covid-19-Schutzmaßnahmen. Es handelt sich um zwei Beschlüsse des LG München I, jeweils Hinweisbeschlüssen, von denen ich hier nur die Leitsätze einstelle:

Angesichts der zunehmenden Lockerung im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist zumindest im Jahr 2023 nicht mehr davon auszugehen, dass in Werkstätten noch regelmäßig entsprechende Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden und diese erforderlich sind.

Bei einer fiktiven Abrechnung kommt es im Hinblick darauf, ob Desinfektionskosten noch als erforderlich anzusehen sind und üblicherweise berechnet werden, auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an.