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Nochmals außergerichtliche RA-Kosten nach Unfall, oder: Großkundenrabatte und Verkehrsunfallschäden

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Die zweite Entscheidung, das OLG Braunschweig, Urt. v. 28.04.2023 – 1 U 16/22 – äußert sich auch noch einmal zur Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und zut Berücksichtigung von Großkundenrabatten bei der Abrechnung von Verkehrsunfallschäden.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zwecks Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für noch 18 Verkehrsunfälle. Der Hergang der Verkehrsunfälle und die daraus folgende Alleinhaftung der ersicherungsnehmer der Beklagten ist zwischen den Parteien nicht streitig. Die Beklagte wendet sich aber gegen die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Es sei nicht erforderlich gewesen, vorgerichtlich einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Die Klägerin sei regelmäßig und häufig mit Schadensfällen und deren Abwicklung befasst. Es könne ihr zugemutet werden, ein Sachverständigengutachten einzuholen und die Kosten gegenüber dem regulierungspflichtigen Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer zu beziffern.

Hilfsweise erklärt die Beklagte die Aufrechnung der Klageforderungen mit Rückzahlungsansprüchen wegen – nach ihrer Rechtsauffassung– überzahlter Reparaturkosten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verstoße die Geschädigte gegen die ihr obliegende Schadensminderungspflicht, wenn sie Rabatte, wie zum Beispiel einen bestehenden Großkundenrabatt, bei der Schadensabrechnung nicht reparaturkostenreduzierend berücksichtige. Es sei hier davon auszugehen, dass die Klägerin, insbesondere im Hinblick auf ihre Ausrichtung und Unternehmensgröße, im Bereich der Fahrzeugreparatur einen auf Vereinbarungen mit dem regionalen Markt basierenden Großkundenrabatt von üblicherweise 20 % für sich in Anspruch nehme. Die klägerseits begehrten Reparaturkosten bzw. die tatsächlich erforderlichen Reparaturkosten würden sich daher um 20 % reduzieren. Diese Rabattmöglichkeit nutze die Klägerin nicht und verstoße damit gegen die ihr obliegende Schadensminderungspflicht.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

Ich stelle hier dann nur die Leitsätze ein und verweise im Übrigen auf den Volltext:

  1. Die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, stellt jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall dar.

  2. Im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung sind dem Geschädigten eingeräumte Großkundenrabatte von markengebundenen Fachwerkstätten zu berücksichtigen, wenn er diese ohne Weiteres auch für die Reparatur eines Unfallfahrzeugs in Anspruch nehmen kann.

War die Abwicklung des Unfalls ein einfacher Fall?, oder: Durfte der Rechtsanwalt sich selbst vertreten?

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Heute im RVG-Teil dann zwei Erstattungsentscheidungen.

Zunächst hier das AG Berlin-Mitte, Urt. v. 15.03.2023 – 28 C 278/22. Es geht um die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls und dabei um die Frage: Durfte eine Rechtsanwalt beauftragt werden. Das AG Berlin-Mitte hat die Frage bejaht und deshalb der Klage des Rechtsanwalts, dessen Pkw bei einem Verkehrsunfall beschädigt worden war, auf Erstattung der Kosten für die eigene Beauftragung statt gegeben:

„In der Sache hat der Kläger jedoch einen Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (NJW 2017, 3588; NJW 2006, 1065; NJW 2005, 1112; BGHZ 127, 348) hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen (vgl. NJW 2017, 3527; NJW 2012, 2194; NJW-RR 2007, 856, jew. mwN). An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Ist die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. NJW-RR 2007, 856; NJW 2005, 1112; BGHZ 127, 348). In derart einfach gelagerten Fällen kann der Geschädigte grundsätzlich den Schaden selbst geltend machen, so dass sich die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen kann, etwa wenn der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden.

Das Gericht teilt aber die Ansicht des BGH, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt (BGH NJW 2020, 144 Rn. 24 mwN). Dabei wird zu Recht darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird. Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und — gegebenenfalls unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens — die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus. So liegt der Fall hier. Beim Unfall am 15. November 2019 beschädigte das bei der Beklagten versicherte Kfz das Fahrzeug des Klägers.

Dasselbe gilt vor dem Hintergrund, dass der Kläger die Kosten seiner eigenen Beauftragung als Rechtsanwalt geltend macht. § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist zwar auf den vorliegenden Fall – jedenfalls unmittelbar – nicht anwendbar. Er regelt einen speziellen Fall der Selbstvertretung des Anwalts, nämlich im Rechtsstreit nach der ZPO, während vorliegend die Geltendmachung von Ersatzansprüchen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens in Frage steht. Allerdings ist § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens und könnte damit einer analogen Anwendung fähig sein (so z.B. AG Nürnberg, AnwBI. 71, 59 f.). Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es jedoch nicht an, weil sich die Ersatzpflicht bereits aus den allgemeinen Grundsätzen der Schadensersatzpflicht nach §§ 249 ff. BGB ergibt. Es gibt keinen rechtlichen Gesichtspunkt, der es vertretbar erscheinen ließe, dass der Geschädigte, der selbst Anwalt ist und seinen Schadensfall selbst bearbeitet, den Einsatz seiner beruflichen Arbeitskraft und Kenntnisse zugunsten des Schädigers umsonst leisten müsste. Unzweifelhaft könnte er, mit der sicheren Folge der Ersatzpflicht, einen anderen Anwalt mit der Bearbeitung seines Schadensfalles betrauen. Es ist ein gesicherter Grundsatz des Schadensersatzrechtes, dass die besonderen persönlichen Verhältnisse, weder des zum Ersatz Verpflichteten, noch des Geschädigten einen Anspruch auf Ermäßigung des Schadens begründen. So kann der Geschädigte, der selbst in der Lage ist, sein unfallgeschädigtes Kraftfahrzeug selbst zu reparieren, oder der Arzt, der seine Unfallverletzung selbst versieht, gleichwohl Ersatz der Kosten verlangen, die erforderlich wären, um die Leistung durch einen Dritten erbringen zu lassen.

Dem Anspruch des Geschädigten auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht. Abzustellen ist dabei auf die letztlich unstreitige Schadenshöhe von 2.583,68 E. Der vom Kläger geltend gemachte Betrag ergibt sich aus einer 1,3-Geschäftsgebühr in Höhe von 261,30 € sowie der Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 E, wobei aufgrund des Zeitpunktes der Beauftragung in eigener Sache der Rechtsstand bis 2020 zugrunde zu legen war.“

Fußgänger überquert Fahrbahn bei Dunkelheit, oder: Vertrauen auf verkehrsgerechtes Verhalten zulässig?

Als zweite Entscheidung stelle ich dann das OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.05.2023 – 3 U 4/23 – vor.

Gegenstand des Urteils ist ein Verkehrsunfalls am 16.11.2018 in Saarbrücken. Die zum Unfallzeitpunkt 64 Jahre alte Klägerin war gegen 17.40 Uhr bei Dunkelheit als Fußgängerin von ihrer damaligen Wohnung zu der Bushaltestelle in der Saarbrücker Straße unterwegs. Bei dem

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Versuch, die zweispurige und etwa acht Meter breite Saarbrücker Straße in Höhe der Hausnummern 119/121 zu überqueren, wurde sie von dem aus ihrer Sicht von rechts herannahenden von der Beklagten zu 1 geführten Pkw Opel Corsa erfasst. Die Beklagte zu 1 hatte die Klägerin, die noch ca. einen Meter von dem gegenüberliegenden Fahrbahnrand entfernt war, zuvor nicht wahrgenommen.

Die Klägerin, bei der bereits vor dem Unfall infolge eines Hüftleidens ein Grad der Behinderung von 70 % mit dem Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit) vorlag, trug durch das Unfallereignis lebensgefährliche Verletzungen davon, aufgrund deren sie rollstuhlabhängig in einem Pflegeheim untergebracht werden musste.

Die Kfz-Versicherung der Beklagten erkannte vorgerichtlich ihre Einstandspflicht nach Maßgabe einer Haftungsquote von 1/3 an. Mit ihrer Klage hat die Klägerin, die eine Haftungsquote der Beklagten von 70 % für richtig hält, die Feststellung erstrebt, dass ihr die Beklagten in diesem Umfang zum Ersatz ihrer materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet sind. Das LG hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin über die bisher regulierten Schadensbeträge hinaus 2/3 der vergangenen und zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Auch hier verweise ich wegen der Einzelheiten auf den Volltext und stelle hier nur den Leitsatz ein, der lautet:

Ein Kraftfahrer, der einen die Fahrbahn aus seiner Sicht von links nach rechts überquerenden, trotz Dunkelheit bereits aus einiger Entfernung erkennbaren Fußgänger vor dem Zusammenstoß nicht bemerkt hat, darf nicht darauf vertrauen, der Fußgänger werde sich bei der Fahrbahnüberquerung verkehrsgerecht verhalten.

Rest dann bitte selbst lesen.

Haftungsabwägung bei einem Eisenbahnunfall, oder: Kollision mit einem auf den Gleisen stehenden Gelenkbus

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Und heute dann am Samstag zwei verkehrszivilrechtliche Entscheidungen- Zunächst hier das OLG Celle, Urt. v. 10.05.2023 – 14 U 36/20 – zur Haftungsabwägung bei einem Eisenbahnunfall, und zwar hier die Kollision mit einem auf den Gleisen stehenden Gelenkbus. Hat man auch nicht alle Tage – zum Glück.

Folgender Sachverhalt:

„Die Parteien streiten über restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 16. September 2015 gegen 7:44 Uhr auf einem Bahnübergang in B. ereignet hat. Beteiligt waren ein Zugverband der Klägerin, bestehend aus einem führenden Doppelstocksteuerwagen, mehreren Doppelstockmittelwagen sowie einem Triebfahrzeug mit der internen Zugnummer pp.. und ein Gelenkbus der Beklagten zu 3 mit dem amtlichen Kennzeichen pp., der zum Unfallzeitpunkt von der Beklagten zu 2 geführt wurde.

Die Klägerin ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, das in eigenem Namen und für eigene Rechnung Personennahverkehrsleistungen auf Eisenbahnstrecken in Niedersachsen, Hamburg und Bremen erbringt. Die Beklagte zu 1 und die Beklagte zu 3 bieten Omnibusdienstleistungen in Niedersachsen an. Die Beklagte zu 3 betreibt unter anderem die Linie 2103 zwischen B. und H. und ist Eigentümerin des verunfallten Gelenkbusses (Anlage B7). Die Beklagte zu 2 absolvierte zunächst bei der Beklagten zu 3 eine Ausbildung zur Berufskraftfahrerin mit einer Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung. Zum Unfallzeitpunkt war sie bei der Beklagten zu 3 seit ca. neun Monaten als Busfahrerin angestellt (Arbeitsvertrag vom 26. November 2014, Anlage B8) und hatte auch schon Fahrten mit dem Gelenkbus durchgeführt.

Am Morgen des Unfalltages übernahm die Beklagte zu 2 die Linienfahrt 2103 von H. nach B.. Im Bus befanden sich ca. 60 Schüler. Die Streckenführung war zuvor aufgrund von Bauarbeiten geändert worden. Die Beklagte zu 2 war als „Springerin“ eingeteilt und die Strecke zuvor noch nicht gefahren.

Bei dem Bahnübergang „M.“ handelte es sich um einen mit Lichtzeichenanlage und Halbschranke mit Fernüberwachung gesicherten Bahnübergang.

Die Beklagte zu 2 fuhr auf der pp.straße in nördliche Richtung bis zum Bahnübergang pp.straße/pp., den sie bei geöffneter Schrankenanlage mit dem vorderen Bereich des Busses passierte und hinter dem sie scharf nach rechts in die Straße „pp..“ abbiegen musste. Die Straßenführung ist dort eng und zudem spitzwinklig.

Der Beklagten zu 2 gelang es auch nach mindestens zweimaligem Zurücksetzen nicht, mit dem Bus die Kurve zu durchfahren. Beim Rangieren geriet das Fahrzeug in eine Winkelstellung, die den sogenannten Gelenkschutz aktivierte und verhinderte, dass die Beklagte zu 2 in der eingeschlagenen Lenkrichtung weiterfahren konnte. Der Motor ließ keine weitere Gasannahme mehr zu. Der Beklagten zu 2 gelang es nicht, die Gelenksperre zu deaktivieren. Während der gesamten Zeit befand sich der Bus mit dem Heck auf den Gleisen des Bahnübergangs.

Die Beklagte zu 2 nahm sodann telefonischen Kontakt zu ihrem Betriebsleiter auf und bat diesen, die Bahngesellschaft zu informieren, als sich nach ca. drei Minuten der unfallgegnerische Zugverband näherte und das Senken der Halbschranken auslöste. Ein vollständiges Absenken der nördlichen Halbschranke war aufgrund des im Gleisbereich stehenden Busses nicht möglich. Die Beklagte zu 2 öffnete die Türen und ließ die Fahrgäste aussteigen. Ca. 20 Sekunden später prallte der Doppelstockwagen des Zuges in das Heck des Gelenkbusses.

Durch die Kollision wurden der führende Doppelstockwagen und der nachfolgende Doppelstockmittelwagen beschädigt. Insgesamt macht die Klägerin einen Schaden in Höhe von 691.702,09 € geltend. Wegen der einzelnen von der Klägerin bezifferten Schadenspositionen wird auf das landgerichtliche Urteil, Seite 3f., verwiesen.

Die Haftpflichtgemeinschaft pp. regulierte den Unfallschaden auf der Grundlage einer Haftungsquote von 2/3 zugunsten der Klägerin. Sie kürzte dabei jedoch den Anteil der geforderten Mietkosten um 20 % unter Verweis auf vermeintlich ersparte Aufwendungen und erklärte mit dem Eigenschaden der Beklagten in Höhe von 111.354,73 € die Aufrechnung gemäß der vorgenannten Quote. Sie zahlte an die Klägerin insgesamt einen Betrag in Höhe von 375.892,00 €.“

Die Klägerin war der Ansicht, die Beklagten hafteten zu 100 % für die Folgen des Unfalls. Ihre Betriebsgefahr trete zurück, weil die Beklagte zu 2 grob fahrlässig gehandelt habe und die Beklagte zu 3 die Umleitungsstrecke mit dem Gelenkbus gar nicht habe benutzen dürfen.

Die Beklagten haben gemeint, die Klägerin müsse sich ihre Betriebsgefahr anrechnen lassen, weil der Zugführer den Gelenkbus aufgrund der guten Witterungsverhältnisse und des geraden Schienenverlaufs weit im Voraus hätte erkennen können. Der Zugführer hätte die Kollision durch eine frühzeitigere Reaktion verhindern können.

Das LG hat nach Beweiserhebung durch Gutachten die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Das OLG hat sein Urteil umfassend begründet. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext und stelle hier nur die Leitsätze ein. Die lauten:

    1. Eisenbahn- und Eisenbahninfrastrukturunternehmen bilden grundsätzlich eine Haftungs- und Zurechnungseinheit.
    2. Es führt zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr seitens dieser Haftungs- und Zurechnungseinheit, wenn das bestehende Sicherungssystem der Fernüberwachung – vorliegend unstreitig – nicht dahingehend ausgelegt ist, den einfahrenden Triebfahrzeugführer direkt vor einem Hindernis auf dem Bahnübergang zu warnen, sondern wenn ihn diese Warnung aufgrund der bestehenden Informationskette – in der Regel – zu spät erreicht.
    3. Es ist nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Fahrer, der auf einem gesicherten Bahnübergang mit einer Eisenbahn zusammenstößt, grob fahrlässig gehandelt hat. Die Beurteilung, ob die Fahrlässigkeit als einfach oder grob zu werten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall.

Anspruch auf Herausgabe der Vereinsmitgliederliste?, oder: Ja, und zwar auch mit E-Mailadressen

Und dann heute der „Kessel Buntes“. In dem wird es heute zu Beginn ganz bunt 🙂 . Denn ich stelle mal eine vereinsrechtliche Entscheidung vor. Natürlich mit einem Hintergedanken. Achtung!! Werbung!! – nämlich für mein Vereinsrechtsbuch, das es inzwischen in der 11. Auflage gibt.

Hier also zunächst das OLG Hamm, Urt. v. 26.04.2023 – 8 U 94/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Der Kläger ist Miglieder im beklagten Verein. Als dessen Mitglied begehrt der Kläger von dem Verein die Übergabe einer Liste der Mitglieder des Vereins mit näher bezeichneten Angaben an sich selbst. Das OLG stellt fest:

„1.Der Kläger ist eines von etwa 5.500 Mitgliedern des Beklagten, einem eingetragenen Verein. Der Beklagte verfolgt den Zweck, die Interessen seiner Mitglieder, die an Unternehmen der Q.-Unternehmensgruppe beteiligt sind, zu vertreten (§ 2 Abs. 2 Satzung, Anlage K 1). Der Zweck des Vereins wird insbesondere verwirklicht durch die Unterstützung des klimaschützenden Umbaus der Energieversorgung, speziell die Förderung regenerativer Energien auf Basis von genossenschaftlichen oder rechtlich vergleichbaren Gesellschaftsformen (§ 2 Abs. 3 Satzung).

Die Satzung des Beklagten nimmt wiederholt auf die Möglichkeit einer Kommunikation des Beklagten mit seinen Mitgliedern per E-Mail Bezug. Eine ausdrückliche Verpflichtung der Mitglieder, eine E-Mail-Adresse mitzuteilen, sieht die Satzung des Beklagten nicht vor. Der Beklagte kommuniziert mit seinen Mitgliedern selbst auch per E-Mail (Bl. 6 eGA I). Der Beklagte stellt den Mitgliedern im Internet einen Mitgliederbereich zur Verfügung. Die Vereinsmitglieder können dort Gruppen einrichten und ihre Konzepte bzw. Vorschläge veröffentlichen. Die Einträge in diesem Bereich kontrolliert der Beklagte insofern, als er dort lediglich sachlich gehaltene Beiträge zulässt.

Der Kläger hatte in Vorbereitung der Mitgliederversammlung des Beklagten 2021 das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern des Beklagten in Kontakt zu treten, um eine Opposition gegen das Vorgehen des Vorstands des Beklagten zu organisieren. Im Anschluss an die Mitgliederversammlung 2021 hatte er das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern in Kontakt zu treten, um ggf. die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zu initiieren (§ 37 Abs. 1 BGB). Der Kläger verfolgt auch weiterhin das Interesse, mit den anderen Mitgliedern des Vereins im Hinblick auf die derzeitige „Vereinspolitik“ in Kontakt zu treten, um die aktuelle Meinungsbildung zu beeinflussen.

Außer dem Kläger haben nach Auskunft des Vorstandsmitglieds des Beklagten in der mündlichen Verhandlung bislang keine anderen Mitglieder einen Antrag auf Übergabe der Mitgliederliste gestellt, um mit Kon-Mitgliedern in Kontakt zu treten.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe einen Anspruch auf Übermittlung einer Mitgliederliste mit Namen, Adressen und E-Mail-Adressen unmittelbar an sich – ohne die Einschaltung eines Treuhänders -, um mit den weiteren Vereinsmitgliedern eigenständig in Verbindung und Diskussion zu treten.“

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: „Dem Interesse des Klägers stünden überwiegende Interessen des Beklagten und Belange seiner Mitglieder entgegen. Die Mitglieder könnten darauf vertrauen, nicht von anderen Mitgliedern über andere als die vom Verein bereitgestellten Kommunikationskanäle kontaktiert zu werden. Sie müssten nicht damit rechnen, dass der Beklagte ihre E-Mail-Adresse weitergeben. Die Belästigung durch E-Mail sei besonders hoch. Das ergebe sich auch aus der gesetzgeberischen Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Das gelte besonders mit Blick darauf, dass bei der (vom Landgericht noch mit 7.000 angenommenen) Mitgliederzahl des Beklagten jedes Mitglied potentiell mit 7.000 E-Mails rechnen müsste. Dem Kläger gegenüber sei das nicht unbillig. Ihm stünden die Kommunikationsmöglichkeiten auf der Website des Beklagten zur Verfügung. Auch die Möglichkeit der Übermittlung der Kontaktdaten an einen Treuhänder – die der Kläger nicht beantragt habe – sei ein milderes Mittel, den berechtigten Interessen des Klägers Rechnung zu tragen. Die anderslautende Rechtsprechung, die der Kläger zitiert habe, betreffe Gesellschaften, und dort sei die Situation anders. Auf die Frage, ob der Kläger auch die Übermittlung der E-Mail-Adressen beanspruchen könne, komme es nicht an, da der Kläger schon keinen Anspruch auf die – von ihm allein begehrte – Übermittlung von Mitgliederdaten an sich selbst habe. Auch die Frage, ob die Übermittlung einer Mitgliederliste mit dem Datenschutzrecht vereinbar sei, könne dahinstehen.“

Dagegen die Berufung des Klägers, die beim OLG Erfolg hatte.

Ich stelle hier nur die Leitsätze ein. Wegen der Einzelheiten der – umfangreichen –  Begründung verweise ich auf den Volltext. Hier die Leitsätze:

    1. Einem Vereinsmitglied steht ein aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließendes Recht gegen den Verein auf Übermittlung einer Mitgliederliste zu, die auch E-Mail-Adressen der Mitglieder enthält, soweit es ein berechtigtes Interesse hat und dem keine überwiegenden Geheimhaltungsinteressen des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen.
    2. Ein berechtigtes Interesse an dem Erhalt der Mitgliederliste ist u. a. dann gegeben, wenn eine Kontaktaufnahme mit anderen Vereinsmitgliedern beabsichtigt ist, um eine Opposition gegen die vom Vorstand eingeschlagene Richtung der Vereinsführung zu organisieren.
    3. Das Vereinsmitglied kann in dem Fall nicht auf ein vom Verein eingerichtetes Internetforum verwiesen werden; es ist auch nicht auf die Auskunftserteilung an einen Treuhänder beschränkt.
    4. Der Beitritt zu einem Verein begründet die Vermutung, auch zu der damit einhergehenden Kommunikation – auch per E-Mail – bereit zu sein. Eine erhebliche Belästigung geht damit regelmäßig nicht einher, zumal jedes Vereinsmitglied sich vor dem Erhalt unerwünschter E-Mails schützen kann.
    5. Die Übermittlung von Mitgliederlisten ist mit dem Datenschutz vereinbar. Sie ist von dem Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DGSVO gedeckt.

Und dann <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff, Vereinsrecht Leitfaden für Vereine und Mitgleider, 11. Aufl. 2023, das man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.