Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

Haft III: Sechs-Monats-Haftprüfung beim OLG II, oder: Wenn die Hauptverhandlung schon begonnen hat, …..

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Und dann zum Tagesschluss eine weitere Entscheidung aus dem Verfahren nach den §§ 121, 122 StPO. Hier sind die Akten ziemlich knapp vorgelegt worden, jedenfalls hatte die Hauptverhandlung schon begonnen. Dazu sagt das OLG Brandenburg im OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.01.2024 – 2 Ws 5/24 – dann: Jetzt gibt es keine Entscheidung mehr:

„Eine Haftprüfungsentscheidung des Senats ist nicht veranlasst, weil der Fristablauf nach § 121 Abs. 3 Satz 1 und 2 StPO derzeit ruht und nach der gefestigten Rechtsprechung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 121 Rn. 5 m. w. N.), der sich auch der Senat anschließt, die Prüfungskompetenz des Oberlandesgerichts im besonderen Haftprüfungsverfahren grundsätzlich mit dem Beginn der Hauptverhandlung in der anhängigen Sache endet. Der Senat teilt die Auffassung, dass ab diesem Zeitpunkt nach dem Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 121, 122 StPO ein Bedürfnis, die Fortdauer der Untersuchungshaft durch das Oberlandesgericht im besonderen Haftprüfungsverfahren überwachen zu lassen, nicht mehr besteht (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juni 2020 – H 7 Ws 54/20, BeckRS 2020, 14088, Rn. 6 m. w. N.; OLG Bremen, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 1 Hes 2/20, BeckRS 2020, 36498 Rn. 7 m. w. N.; KK-StPO/Gericke, a. a. O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 121 Rn. 31 m. w. N.). Vielmehr obliegt es dem Tatgericht, während der Dauer der Hauptverhandlung im Rahmen des § 120 Abs. 1 StPO jederzeit von Amts wegen die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O., Rn. 11; OLG Bremen, a. a. O., Rn. 7).“

Haft II: Sechs-Monats-Haftprüfungsverfahren I, oder: Wer zu früh kommt……

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Dei zweite Entscheidung kommt aus dem Haftprüfungsverfahren beim OLG nach den §§ 121 ff. StPO.

In dem zugrunde liegenden Verfahren sind die Angeklagten jeweils am 09.08.2023 festgenommen worden und befinden sich seit diesem Tage ununterbrochen in Untersuchungshaft. Die Angeklagten befanden sich deshalb erst mit dem 10.02.2024 sechs Monate lang in Untersuchungshaft. Dennoch waren die Akten bereits im Dezember 2023 dem OLG zur Haftprüfung vorgelegt worden. Das OLG hat nicht in der Sache entschieden, sondern die Akten an die Strafkammer zurückgegeben.

Das das OLG Schleswig führt im OLG Schleswig, Beschl. v. 03.01.2024 – 1 Ws 44/23 H – aus:

„…

Die besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO durch den Senat ist deshalb noch nicht zulässig.

1. Der zuständige gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 2 Satz 1 GG) für die weiteren gerichtlichen Entscheidungen über die Untersuchungshaft vor Erreichen der Grenze von sechs Monaten ist hier nach § 126 Abs. 2 StPO allein die Strafkammer. Der Senat könnte nur nach §§ 117 Abs. 2, 304 StPO als Beschwerdegericht tätig werden, Beschwerde ist aber nicht eingelegt.

Außer der Zuständigkeitsregelung liegt dieser Beurteilung der Befugnis des Senats zur besonderen Haftprüfung auch die Erwägung zugrunde, dass die Aufhebung der Untersuchungshaft mangels besonderer, ihre Fortdauer rechtfertigenden Umstände nach § 121 Abs. 1 StPO gegenüber den allgemeinen Haftvorschriften eine Ausnahmeregelung ist. Wenn die allgemeinen Haftvoraussetzungen vorliegen und die Untersuchungshaft weder unverhältnismäßig noch der Vollzug des Haftbefehls aussetzbar ist, darf das Gericht von der Untersuchungshaft nicht absehen. Eine Ermächtigung hierzu gewähren allein die §§ 121, 122 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 121 Rz. 27). Die Untersuchungshaft muss danach mindestens sechs Monate gedauert haben (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26. Juli 1988 – HEs 40/88 –, Rn. 1 – 2, juris m. w. N.).

Wenn sich abzeichnet, dass die Untersuchungshaft voraussichtlich über sechs Monate lang dauern wird, ehe ein Urteil ergehen kann, so sind die Akten dem Oberlandesgericht nach §§ 121 Abs. 3 Satz 1, 122 Abs. 1 StPO vor Ablauf der 6-Monats-Frist vorzulegen (vgl. Nr. 56 Abs. 1 RiStBV). Das sollte trotz des Ruhens der Frist nach Vorlage gemäß § 121 Abs. 3 Satz 1 StPO so rechtzeitig geschehen, dass das Oberlandesgericht unter Einschluss der für die Anhörung nach § 122 Abs. 2 StPO benötigten Zeit unmittelbar vor sechsmonatiger Haftdauer entscheiden kann. Wenn diese Voraussetzung vorliegt, ist das Oberlandesgericht auch dann zur Haftprüfung befugt, wenn seine Entscheidung schon einige Tage vor Ablauf der 6-Monats-Frist ergehen kann, nicht aber schon Wochen vorher (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26. Juli 1988 – HEs 40/88 –, Rn. 5, juris, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 122 Rz. 14 m. w. N.).

Hier liegt dieser Zeitpunkt noch über einen Monat im voraus. Die Sache ist deshalb der vorlegenden Strafkammer zurückzugeben.

2. Darüber hinaus ist vorliegend die besondere Haftprüfung nach den Umständen des Einzelfalls weder veranlasst noch möglich. Denn es fehlt insoweit an einer konkret nachvollziehbaren Beurteilungsgrundlage für die Frage, ob das hier in Rede stehende Verfahren gemäß dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen, insbesondere noch bis zum Vorlagezeitpunkt, aber auch mit Blick auf den nachfolgenden Haftprüfungstermin zum 9-Monats-Zeitpunkt (§ 122 Abs. 4 Satz 2 StPO) adäquat gefördert wird (vgl. zu den Beschleunigungsmöglichkeiten und -erfordernissen im Einzelnen KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, StPO § 121 Rn. 20). Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Kammer hier derzeit noch den Beginn der Hauptverhandlung für den Fall der Eröffnung erst frühestens Anfang Mai 2024 erwägt. Für die Entscheidung des Oberlandesgerichts kommt es auf das Vorliegen der Verlängerungsvoraussetzungen (§ 121 Abs. 1 letzter Teilsatz StPO) zum Zeitpunkt des Fristablaufs an. Die tatsächlichen Umstände können sich bei — wie hier — sehr früher Vorlage bis dahin noch ändern (vgl. Gärtner in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 122 Besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Dabei merkt der Senat an, dass unter dem Beschleunigungsaspekt regelmäßig auch die Vorbereitung von Eröffnungsentscheidungen, insbesondere aber die frühzeitige Abstimmung von Hauptverhandlungsterminen für den Fall der Eröffnung sowie ggf. Vorgespräche (§ 213 Abs. 2 StPO), insgesamt aber eine tragfähige und konkrete Perspektive zur Verfahrensplanung parallel zu laufenden Hauptverhandlungen zu erwarten sein dürften.“

Haft I: Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten, oder: Androhung von Zwangsmaßnahmen erlaubt?

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Heute – am Valentinstag 🙂 – gibt es hier drei Haftentscheidungen bzw. Entscheidungen, die mit Haftfragen zu tun haben. Passt doch :-).

Ich beginne mit einem Beschluss des KG, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 04.09.2023 – 2 Ws 93/23. Die Entscheidung hat insofern mit Haft zu tun als es um die Frage der Zulässigkeit von Androhung von Zwangsmaßnahmen in einer Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten geht.

Ergangen ist die Entscheidung des KG nach dem sog. zweiten Rechtsgang. Der Angeklagte ist 2020 vom AG wegen schweren Bandendienbstahls verurteilt worden. Dagegen die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, die das LG teilweise verworfen hat. Das KG hebt dann auf Revision der Staatsanwaltschaft auf und verweist zurück.

Nach vorangegangenen Versuchen, das Berufungsverfahren weiterzuführen, hat das LG dann am 23.01.2023 einen Hauptverhandlungstermin für den 25.04.2023 angesetzt. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte entsprechend der Verfügung der Vorsitzenden durch internationales Einschreiben mit Rückbrief sowie öffentlich geladen, wobei die Ladung in spanischer Sprache erfolgt ist und folgenden, ebenfalls übersetzten, Zusatz enthielt: „Soweit einer Verwerfung ihrer Berufung entgegensteht, dass die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen wurde, gilt folgendes: wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, kann unabhängig von der Anwesenheit einer Verteidigerin/eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht Ihre Vorführung oder Ihre Verhaftung angeordnet werden. Die Vollstreckung sämtlicher mit dieser Ladung angedrohten Zwangsmaßnahmen erfolgt ausschließlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.“

Ausweislich des Rückscheins ist dem Angeklagten diese Ladung am 20.01.2023 in Spanien zugestellt worden. Die in deutscher und spanischer Sprache verfasste Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung war darüber hinaus in der Zeit vom 10. bis zum 28.02.2023 an der Gerichtstafel des LG ausgehängt. Zu der Berufungshauptverhandlung am 25.04.2023 ist der Angeklagte ohne Entschuldigung nicht erschienen. Auf eine Vertretungsvollmacht hat sich der anwesende Verteidiger nicht berufen. Daraufhin hat die Kammer nach Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung einen Haftbefehl gemäß § 329 Abs. 3 StPO erlassen und die Verhaftung des Angeklagten angeordnet. Die Hauptverhandlung wurde anschließend ausgesetzt.

Am 07.06.2023 hat die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des Haftbefehls vom 25.04.2023 die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls beantragt, welcher erlassen und der Staatsanwaltschaft vom LG am 09.06.2023 übersandt worden ist. Mit Verfügung vom 22.06.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls die Einleitung der internationalen Fahndung veranlasst. Am 14.07.2023 wurde der Angeklagte durch die spanischen Behörden festgenommen und nach zwei Tagen mit der Maßgabe wieder freigelassen, sich am 29.08.2023 seiner Auslieferung zu stellen. Tatsächlich erfolgte die Auslieferung, der sich der Angeklagte entsprechend der vorherigen Ankündigung freiwillig gestellt hat, jedoch erst am 31.08.2023. Er wurde per Flugzeug nach München überführt und dort um 14.40 Uhr festgenommen. Anschließend wurde er noch am selben Tag nach Berlin überführt, wo ihm am 01.09.2023 der Haftbefehl verkündet worden ist.

Gegen den Haftbefehl vom 25. 04.2023 wendet sich der Angeklagte mit der Beschwerde seines Verteidigers. Das KG hat die Beschwerde als unbegründet worden:

„1. Der Angeklagte ist zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen worden, zu dieser ist er ohne Entschuldigung nicht erschienen und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Da im Hinblick auf die im Raum stehende Bewährungsentscheidung die Anwesenheit des Angeklagten und der persönliche Eindruck vom Angeklagten unerlässlich war, war die Anordnung der Verhaftung des Angeklagten auch geboten und mithin verhältnismäßig (§ 329 Abs. 3 StPO).

2. Auf diese Folge war der Angeklagte mit der Ladung auch ausdrücklich hingewiesen worden – so wie es § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorschreibt. Lebt der Angeklagte dauerhaft im Ausland, wird diese Warnung in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, für zulässig (und erforderlich) angesehen, wenn sie den für den Zustellungsempfänger eindeutigen Hinweis enthält, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 29. Februar 2008 – I Ws 60/08 –, juris; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; KG, Beschluss vom 10. November 2010 – 3 Ws 459/10 –, juris mwN – auch hinsichtlich der gegenteiligen Auffassungen). Denn bereits die Androhung von Zwangsmaßnahmen auf dem Territorium eines fremden Staates ist geeignet, dessen Souveränität zu berühren (vgl. KG aaO).

Ebenfalls zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, dass der Erlass eines Europäischen Haftbefehls die Souveränität des ausländischen Staates nicht berührt, da der ersuchte Staat im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung und der dort geltenden Befugnisse eigenständig über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und die Auslieferung der gesuchten Person entscheidet. Erst mit der Überstellung nach Deutschland wird der deutsche Haftbefehl – entsprechend der Warnung – vollstreckt.

Anders als das Landgericht Kleve in seiner von der Verteidigung herangezogenen Entscheidung (vgl. LG Kleve, Beschluss vom 24. August 2018 – 120 Qs 45/18 –, juris)  meint, ist es auch nicht widersprüchlich und stellt schon gar keine Täuschung des Angeklagten dar, wenn die Justizbehörden eine Warnung aussprechen, wonach Zwangsmaßnahmen gegen den säumigen Angeklagten nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ergriffen werden, dann aber diese Zwangsmaßnahmen mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls ermöglichen. Die Warnung vor Zwangsmaßnahmen soll dem Angeklagten die Chance eröffnen, sich dem Verfahren freiwillig zu stellen, um Zwangsmaßnahmen gegen sich zu vermeiden. Sie soll ihm keinen Weg aufzeigen, sich dem Verfahren zu entziehen. Die Einschränkung, dass eventuelle Zwangsmaßnahmen nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden, dient in diesem Zusammenhang – was das Landgericht Kleve verkennt – keineswegs dazu, den Angeklagten wider besseren Wissens in Sicherheit zu wiegen, sondern alleine dazu, die Souveränität des Aufenthaltsstaates zu respektieren.“

Klima II: Straßenblockade durch Klimaktivisten II, oder: Für die Verwerflichkeit Abwägung im Einzelfall

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Und die zweite Entscheidung, der KG, Beschl. v. 31.01.2024 – 3 ORs 69/23 – 161 Ss 157/23, befasst sich ebenfalls mit der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StPO bei sog. „Klima-Blockadeaktionen“.

Das AG hat den Angeklagten Nötigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt. Dagegen die Berufung des Angeklagaten, die nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte. Das LG hat den dahingehend abgeändert, dass es die Anzahl der Tagessätze auf 20 reduziert hat.

Zur Sache hat das LG folgende Feststellungen getroffen:

„Am Freitag, den 11. Februar 2022, gegen 7.00 Uhr beteiligte sich der Angeklagte auf der Kreuzung Y-damm/Z-weg in 13627 Berlin an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der er und weitere Personen sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn setzten. Einzelne Aktivisten klebten sich auf die Fahrbahn des Y-damms, einer stark befahrenen Hauptverkehrsachse, während der Angeklagte selbst nicht angeklebt war. Die Täter handelten, um mindestens die auf dem Y-damm in Richtung Spandau vor ihnen befindlichen Fahrzeuge, die keine Ausweichmöglichkeit mehr hatten, bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels zu erzielen. Wie von ihm und seinen Mittätern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, welche die gesamte Breite der stadtauswärts führenden Fahrbahnen des Y-damms einnahm und dazu führte, dass zwischen 7.00 Uhr und 7.20 Uhr kein Fahrzeug die Kreuzung Y-damm/Z-weg passieren konnte, bis zur Räumung zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Insbesondere war es sämtlichen Fahrzeugen, die auf dem Y-damm vor der blockierten Kreuzung standen und keine Möglichkeit mehr zum Abbiegen hatten, nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Dabei handelte es sich um mindestens 50 Fahrzeuge. Die Blockade war von den Tätern nicht konkret angekündigt worden. Lediglich allgemein waren in Berlin Blockadeaktionen angedroht worden. Die Fahrbahn konnte von der Polizei gegen 7.20 Uhr nach Entfernung sämtlicher Aktivisten von der Fahrbahn durch die Polizei wieder freigegeben werden.“

Der Angeklagte hat noch Revision eingelegt. Mit der beanstandet er im Rahmen der Sachrüge, die tatsächlichen Feststellungen seien mit Blick auf die obergerichtliche Rechtsprechung lückenhaft und trügen den erfolgten Schuldspruch nicht. Ferner habe das LG seine Pflicht zur Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO verletzt, indem es einer dahingehenden Anregung seines Verteidigers, weitere Polizeizeugen zu vernehmen, nicht gefolgt sei.

Das KG hat die Revision insgesamt verworfen. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des KG zu dem umfangreich begründeten Beschluss des KG ein. Den Rest dann bitte ggf. im verlinkten Volltext selbst nachlesen:

    1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter hat die Abwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB im Einzelfall zu erfolgen, so dass die in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung verschiedentlich erfolgte Zusammenstellung einzelner Abwägungskriterien (BVerfG: „wichtige Abwägungselemente“; Senat: „erörterungsbedürftige Aspekte“ und „zu beachtende Gesichtspunkte“) als Orientierung und Leitlinie zu verstehen ist und keine in jeder Konstellation zwingende oder abschließende Aufzählung darstellen kann.
    2. Die Tatgerichte sind im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht gehalten, die zur Durchführung der Abwägung in dem konkreten Einzelfall wesentlichen Umstände und Beziehungen zu erfassen und festzustellen, wobei hinsichtlich des Umfangs dieser Amtsaufklärungspflicht die allgemeinen Grundsätze gelten.
    3. Wird ein Aufklärungsmangel aus dem Inhalt einer in der Akte befindlichen Strafanzeige, einer zeugenschaftlichen Äußerung oder einem erstinstanzlichen Hauptverhandlungsprotokoll über die Vernehmung eines Zeugen hergeleitet, bedarf es regelmäßig deren bzw. dessen (vollständiger) inhaltlicher Wiedergabe.

Absprache III: Mitteilungspflicht und Beruhensprüfung, oder: Nochmal „Nachhilfe“ für das OLG Naumburg

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Und dann habe ich hier als dritte Entscheidung noch einmal etwas Nachhilfe vom BVerfG, und zwar zur Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Dazu hat sich das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 08.11.2023 – 2 BvR 294/22 – geäußert.

Der Entscheidung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Das AG Magdeburg hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 AO) in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte, verurteilt. Während der Hauptverhandlung regte der Verteidiger des Angeklagten ein Rechtsgespräch an, woraufhin die Sitzung für etwa 20 Minuten unterbrochen wurde. Im Sitzungsprotokoll ist (dann) vermerkt:

„Eine Verständigung wurde insoweit herbeigeführt, als dass im Falle eines glaubhaften Geständnisses keine höhere Gesamtfreiheitsstrafe als ein Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung (…) in Betracht komme (…). Der Vertreter der Staatsanwaltschaft tritt neben dem Gericht dieser Verständigung bei.“

Der Verteidiger erklärte für den Angeklagten, dass er die Anklage bestätige.

Der Angeklagte hat gegen das amtsgerichtliche Urteil Sprungrevision eingelegt. Zu deren Begründung wurde u.a. vorgetragen, in der Hauptverhandlung beim AG sei auf Anregung seines Verteidigers eine Erörterung durchgeführt worden. Er und die Öffentlichkeit seien aufgefordert worden, den Sitzungssaal zu verlassen. Der Strafrichter habe in dem Gespräch gesagt: „Wenn es eine Vereinbarung geben solle, müsse sich diese auf die gesamten Anklagevorwürfe beziehen“. Der Strafrichter, der Verteidiger und der Staatsanwalt hätten im weiteren Gesprächsverlauf u.a. ihre Standpunkte zu der Art und Höhe der Strafe im Falle eines Geständnisses ausgetauscht. Nach der Erörterung habe ihm sein Verteidiger erklärt, dass seine Sichtweise zum Eingreifen eines Beweisverwertungsverbots nicht geteilt werde, aber eine Bewährungsstrafe gegen Geständnis bei Einräumung aller Vorwürfe laut Anklage von ca. einem Jahr für realistisch gehalten werde, die ohne Auflage oder Weisung einer Geldzahlung in Betracht komme. Weitere Umstände der Erörterung seien ihm nicht mitgeteilt worden.

Das OLG Naumburg (sic!) hat die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten hatte – teilweise – Erfolg. Das BVerfG hat das Verfahren an das OLG zurückverwiesen.

Auch hier stelle ich wegen des Umfangs der Entscheidung keine Auszüge ein, sondern verweise auf den verlinkten Volltext. Die Argumentation des BVerfG lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Das OLG Naumburg hat Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Verständigung im Strafprozess nicht hinreichend berücksichtigt.
  • Das OLG hat zudem die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sowie an die Beurteilung, ob das amtsgerichtliche Urteil auf einer Verletzung dieser Mitteilungspflicht beruhe, verkannt.
  • Transparenz und Öffentlichkeit sind im Regelungskonzepts der Verständigung eine wichtige Säule, die die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll.
  • Der Inhalt des während der Unterbrechung der Hauptverhandlung vor dem AG geführten Gesprächs zwischen dem Vertreter der Staatsanwaltschaft, dem Strafrichter und dem Verteidiger des Angeklagten unterfiel jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO, als der Strafrichter durch die Aussage „Wenn es eine Vereinbarung geben solle, müsse sich diese auf die gesamten Anklagevorwürfe beziehen“ ausdrücklich die Möglichkeit einer Vereinbarung in Betracht gezogen hatte. Spätestens ab diesem Moment ist die Erörterung offensichtlich auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung gerichtet gewesen.
  • Die Mitteilungspflicht ist , denn die Mitteilung des Strafrichters in der Hauptverhandlung gibt den wesentlichen Inhalt des Verständigungsgesprächs nicht vollständig wieder. Der Strafrichter beschränkt sich nämlich darauf, kundzutun, dass eine Verständigung herbeigeführt worden sei und welche Strafe der Angeklagte im Falle eines Geständnisses zu erwarten habe. Nach § 243 Abs. 4 StPO hätte der Strafrichter jedoch auch mitteilen müssen, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertraten, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung stieß.
  • Das OLG hat bei der Beruhensprüfung das Beruhen des Urteils des AG auf der Verletzung der Mitteilungspflicht mit verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Argumentation ausgeschlossen. Es hat die verfassungsrechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO bereits aus dem Grund verfehlt, weil die Frage des Beruhens offensichtlich allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten geprüft und die Bedeutung der von dem Verstoß in erster Linie betroffenen, auch dem Schutz des Angeklagten dienenden Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit außer Acht gelassen worden ist.
  • Es sei bereits nicht ersichtlich, dass das OLG sich mit dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt hätte, dass richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen nicht von identischer Qualität sein können, sodass auch bei erfolgter Unterrichtung durch den Verteidiger das richterliche Mitteilungsdefizit Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Angeklagten gehabt haben könnte.

Auch hier ist man – zumindest ich – wie beim BVerfG, Beschl. v. 20.12.2023 – 2 BvR 2103/20  zur Verurteilung nach einem verständigungsbasierten Geständnis erstaunt, mit welcher Nonchalance AG, OLG und auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zu den maßgeblichen Fragen schlicht übersehen. Ob bewusst oder unbewusst, ist letztlich ohne Belang, denn beides ist gleich unverständlich. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die maßgeblichen obergerichtliche Rechtsprechung im Einzelnen darzustellen. Festzuhalten ist aber, dass für das BVerfG und ihm letztlich folgend auch für den BGH die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO einer der Grundpfeiler der Verständigungsregelung ist. Es wird immer wieder die Bedeutung dieser Mitteilungspflicht im Hinblick auf die Rechte des Angeklagten aber auch der Öffentlichkeit betont. Ergebnis dieser Rechtsprechung ist, dass die Mitteilungspflicht vom inhaltlichen Umfang her sehr weit geht und das auch Auswirkungen auf die Beruhensprüfung des Revisionsgerichts hat. Darauf weist das BVerfG noch einmal hin. Man kann nur hoffen, dass dieser Hinweis auch gelesen werden und zumindest dann diese Rechtsprechung bei AG und OLG bekannt ist. Bisher scheint das nicht der Fall zu sein.