Archiv der Kategorie: Strafrechtsentschädigung

Ich habe da mal eine Frage: Erhalte ich keine Grundgebühr?

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Im Moment ist mein Reservoir an Fragen ziemlich erschöpft. Daher nehme ich heute mal eine Frage, die vor zwei Wochen in der Facebook-Gruppe „Fachanwälte für Strafrecht“ diskutiert worden ist. Also nichts Neues. Es ging um Folgendes:

Hallo KollegenInnen,

ich brauche mal die Hilfe in einer gebührenrechtlichen Frage.

Ich haben einen Mandanten in einem verkehrsrechtlichen Ermittlungsverfahren vertreten. Ich habe Akteneinsicht beantragt, auch erhalten und konnte der Akte entnehmen, dass ein Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung meines Mandanten sowie ein Beschluss nach § 111a, i.V.m. §§ 69, 69 a in der Akte war. Nach Rückfrage mit dem Mandanten habe ich Beschwerde (beides noch nicht vollzogen) gegen den 111a-Beschluss eingelegt. Dann gegenüber dem Landgericht noch einmal weiter begründet und Unterlagen nachgereicht und sodann wurden beide Beschlüsse aufgehoben, Kosten Beschwerde der LK auferlegt. Dann kurze Zeit später wurde das Verfahren gem. § 170 II eingestellt.

Nun mache ich meine Gebühren gegen die LK geltend. Die streichen die 4100 VV mit der folgenden Begründung:

Die Gebühr erhält nur der Verteidiger. Ich war aber – nur – im Beschwerdeverfahren tätig. Es sei mithin eine Einzeltätigkeit gewesen und deswegen nur die 4302 VV angemessen zzgl. Postporto. Da nicht durchsucht wurde, kann ich auch keinen Antrag nach StrEG stellen.
Was ist mit den restlichen Gebühren?“

Na? Aber bitte nicht die, die die Lösung schon kennen 🙂 .

Falsches Geständnis ist „grob fahrlässig“, oder: Keine Entschädigung im Bonner „Mord ohne Leiche“-Fall

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Ich erinnere: In Bonn hat es ein „Mordverfahren“ gegeben, das unter dem Begriff „Mord ohne Leiche“ bekannt geworden ist. Das LG Bonn hatte den ehemaligen Angeklagten zunächst wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt. Der BGH hat das Urteil dann im BGH, Beschl. v. 27.10.2015 – 2 StR 4/15 aufgehoben (vgl. dazu mein Posting Mord ohne Leiche, oder: Weiterer Sex nur bei Geständnis). Mit LG Bonn, Urt. v. 21.12.2016 – 21 Ks 2/16, 920 Js 887/12 – ist der Angeklagte dann frei gesprochen worden. Eine Entschädigung nach dem StrEG ür die vom 31.08.2013 bis zum 16.03.2016 erlittene Untersuchungshaft hat das LG wegen grob fahrlässiger Verursachung seiner Inhaftierung durch ein Eingeständnis der Tötung seiner Ehefrau gegenüber einer Zeugin abgelehnt. Das OLG Köln hat das im OLG Köln, Beschl. v. 03.05.2017 – 2 Ws 237/17 – gehalten. Seine Begründung stützt das OLG auf „eigenes Verschulden“/grob fahrlässiges Verhalten.

Und zwar: Der ehemalige Angeklagte habe selbst zumindest grob fahrlässig die Ursache für seine Inhaftierung gesetzt, indem er im Juli 2013 – wahrheitswidrig – der ihn insistierend zum Verschwinden seiner Ehefrau befragenden Zeugin erklärte, er habe seine Frau erwürgt und ihre Leiche zerstückelt und in der Folgezeit über mehrere Wochen hinweg auf hartnäckiges Befragen der Zeugin weitere Details zum Tatablauf schilderte. Dieses Verhalten sei war nicht ausschließlich, jedoch entscheidend für die Annahme des dringenden Tatverdachts durch die Ermittlungsbehörden gewesen.

Und: Der ehemalige Angeklagte habe auch grob fahrlässig gehandelt

„Entgegen der Ansicht des früheren Angeklagten handelte er auch grob fahrlässig. Der Freigesprochene hat die Untersuchungshaft dann zumindest grob fahrlässig verursacht, wenn er nach objektiven, abstrakten Maßstäben in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen, indem er schon einfachste naheliegende Überlegungen anzustellen versäumt oder dasjenige nicht bemerkt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste, und so die Maßnahme „geradezu herausfordert“ (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 11.01.2012, 2 Ws 351/11, NStZ-RR 2013, 192).

Das Verhalten des früheren Angeklagten erfüllt diese Voraussetzungen.

Aufgrund der gegen ihn bereits angeordneten Ermittlungsmaßnahmen, der Heimunterbringung seines Kindes und seines Umzuges zu den Eltern nach C war ihm bewusst, dass er aus Sicht der Ermittlungsbehörden jedenfalls im Sinne eines Anfangsverdachtes verdächtig war, seine Ehefrau getötet zu haben. Ihm musste daher bewusst gewesen sein, dass seine Angaben gegenüber der Zeugin B, mit denen er sich selbst der vorsätzlichen Tötung seiner Ehefrau bezichtigte und detaillierte Ausführungen zum Tatgeschehen und zur Beseitigung der Leiche machte, den gegen ihn bereits bestehenden Anfangsverdacht zu einem dringenden Tatverdacht verstärken und den Erlass eines Haftbefehls gegen ihn rechtfertigen würden.

Der frühere Angeklagte durfte auch nicht darauf vertrauen, dass seine Selbstbezichtigung gegenüber der Zeugin B den Strafverfolgungsbehörden nicht zur Kenntnis gelangen würde. Es kann dabei dahinstehen, ob das zwischen der Zeugin B und dem früheren Angeklagten aufgezeichnete Gespräch vom 30.08.2013 im Rahmen der vorliegenden Entschädigungsentscheidung berücksichtigt werden darf. Jedenfalls aus den weiteren, für den Senat bindenden Feststellungen des Urteils folgt, dass dem früheren Angeklagten hätte einleuchten müssen, dass die Schilderung von Einzelheiten eines Kapitaldelikts zum Nachteil seiner Ehefrau im Ergebnis bekannt werden und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn auslösen würde. Nach den getroffenen Feststellungen hat die Zeugin B mit ihm im Juni 2013, nur zwei Monate nach dem sich beide kennengelernt hatten, gemeinsam die Strafakten gelesen und ihm – auch unter Hinweis auf seine Tätigkeit beim Sicherheitsdienst – dauernd vorgehalten, dass er mit der Tötung seiner Ehefrau etwas zu tun habe. Deshalb habe es zwischen ihnen auch „Stress“ gegeben. Die „ganze Fragerei“ und die Sache mit „Allmysterie“ – eine von der Zeugin B häufig besuchte Internetplattform, die sich mit ungeklärten Kriminalfällen befasst, auch dem Verschwinden von T E – seien ihm schon komisch vorgekommen. Es hätte sich dem früheren Angeklagten vor diesem Hintergrund und der von der Kammer geschilderten Persönlichkeit der Zeugin B, deren Leben das Zusammensein mit dem früheren Angeklagten eine besondere Bedeutung verlieh (Seite 33, 2. Absatz UA), aufdrängen müssen, dass die Zeugin B seine Selbstbezichtigung nicht für sich behalten würde. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift kommt es dabei auch nicht darauf an, ob der frühere Angeklagte nicht davon ausgegangen ist, dass die Zeugin B sich persönlich an die Polizei wenden würde. Ihm hätte sich jedenfalls aufdrängen müssen, dass sich die Zeugin B in einem der von ihr besuchten Internetforen oder auch, wie vorliegend geschehen, gegenüber einer Freundin, der Zeugin T2, offenbart, die sich ihrerseits an die Ermittlungsbehörden – wie geschehen – wendet.“

Zum Hintergrund: Im Verfahren nach dem StrEG ist das Beschwerdegericht gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG i. V. m. § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO an die Urteilsfeststellungen gebunden.

Entschädigung III: Ungerechtfertigte Auslieferungshaft wird im Zweifel nicht entschädigt.

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Und zum Schluss dann zwei „Exoten“ 🙂 , nämlich StrEG und Auslieferungsverfahren. Es geht um die Frage: Muss der Verfolgte wegen zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft entschädigt werden?  Damit musste sich das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 06.12.2016 – 1 AR (Ausl) 55/16 – befassen. Grundlage des Verfahrens war ein Ausliferungsersuchen der Türkei zum Zwecke der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Totschlags. Dre Verfolgte wird deswegen in Auslieferungshaft genommen und es wird die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet, wobei das OLG aber „betonte, dass nach vorläufiger Würdigung (der Auslieferungsunterlagen) eine Strafbarkeit des dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegenden Tatgeschehens sowohl nach türkischem als auch deutschem Recht gegeben sei, die Beurteilung einer Strafbarkeit nach deutschem Recht allerdings unter dem Vorbehalt einer Klärung des Vorliegens des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr stehe.“ Später wird dann Auslieferungshaftbefehl aufgehoben und diese Entscheidung darauf gestützt, dass eine doppelte Strafbarkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk nicht gegeben sei, weil die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegende Tat des Verfolgten nach deutschem Recht wegen Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Insofern erscheine die Auslieferung als von vornherein unzulässig im Sinne des § 15 Abs. 2 IRG, so dass eine Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft nicht weiter in Betracht komme. Das Auslieferungsersuchen ist inzwischen dann ganz abgelehnt.

Der Verfolgte möchte nunmehr für die erlittene Auslieferungshaft nach § 2 StrEG entschädigt werden. Das OLG sagt:

Der Antrag des Verfolgten auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für die erlittene Auslieferungshaft in entsprechender Anwendung des § 2 StrEG ist abzulehnen.

Für die beantragte Feststellung einer Entschädigungspflicht in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) ist aus Rechtsgründen kein Raum.

1. Nach Ansicht des KG Berlin und des OLG Düsseldorf kommt eine (entsprechende) Anwendung von § 2 StrEG bei auf Ersuchen ausländischer Behörden in der Bundesrepublik Deutschland – retrospektiv betrachtet – zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft generell nicht in Betracht (KG Berlin, Beschluss vom 29. November 2010 – (4) Ausl A 915/06 (183/06), NStZ-RR 2011, 207; KG Berlin, Beschluss vom 30. Januar 2009 – (4) AuslA. 522-03 (139/140/07), StV 2009, 423; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juli 1991 – 4 Ausl (A) 231/89 – 26/91 III, NJW 1992, 646. Vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 4. Juli 2005 – 6 Ausl 53-05/24/05, NStZ-RR 2006, 151; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 1997 – (2) 4 Ausl 30/91 (36/96), NStZ 1997, 246). Demnach schiede die beantragte Feststellung einer Entschädigungspflicht von vornherein aus.

2. Nach – allerdings bereits älterer – Rechtsprechung des BGH ist zwar eine Entschädigung eines Verfolgten wegen zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft in entsprechender Anwendung des StrEG nicht generell ausgeschlossen, sie komme allerdings nur in Betracht, wenn die unberechtigte Inhaftierung von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten sei (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1981 – 4 ARs 4/81, BGHSt 30, 152). Ausdrücklich hat der BGH festgestellt, dass ein zu Unrecht in Auslieferungshaft genommener Verfolgter für den Vollzug der Haft nicht in entsprechender Anwendung des StrEG aus der Staatskasse entschädigt werden könne, wenn die Behörden der Bundesrepublik Deutschland die unberechtigte Verfolgung nicht zu vertreten haben (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1984 – 4 ARs 19/83, BGHSt 32, 221. Ebenso OLG Celle, Beschluss vom 14. Juni 2010 –1 Ausl 7/10, StraFo 2010, 431; OLG Celle, Beschluss vom 17. Januar 2002 – 1 (3) ARs 8/01 (Ausl), Nds. RPfl. 2002, 269; Schomburg/Hackner, in: Schomburg u.a. [Hrsg.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, Vor § 15 Rn. 10 ff.).

Die Festnahme des Verfolgten und die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft durch Beschluss des Senats vom 10. Juni 2016 erfolgten aus der Basis einer Interpol-Ausschreibung der türkischen Behörden. In der Interpol-Ausschreibung war das Tatgeschehen, das der Verurteilung des Verfolgten zu Grunde lag, lediglich dahingehend beschrieben, dass der Verfolgte sein Opfer, das Rache nehmen wollte für die Tötung seines Hundes, angriff und auf dieses einstach, wodurch das Opfer ums Leben kam. Auf der Basis dieses mitgeteilten Sachverhalts bestand kein Anlass, Zweifel an der Strafbarkeit des Tatgeschehens nach deutschem Recht zu hegen. Zunächst erschien die Auslieferungshaft damit nicht von vornherein unzulässig und war daher rechtskonform. Erst die nach Vorlage der vollständigen Auslieferungsunterlagen ergab sich die Notwendigkeit einer Prüfung und Beantwortung der Frage, ob das nunmehr in Einzelheiten mitgeteilte Tathandeln des Verfolgten nach deutschem Recht wegen Handelns in Notwehr gerechtfertigt war. Die Notwendigkeit dieser Prüfung hat der Senat, wie seinem Beschluss vom 15. Juli 2016, mit dem er die förmliche Auslieferungshaft angeordnet hat und der unmittelbar nach Vorlage der Akten mit den vollständigen Auslieferungsunterlagen erging, zu entnehmen ist, sogleich erkannt. Als Ergebnis der komplexen Prüfung hat der Senat dann – wie dargetan – den Auslieferungshaftbefehl mit Beschluss vom 2. August 2016 mangels doppelter Strafbarkeit des Tatgeschehens im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk aufgehoben und die sofortige Freilassung des Verfolgten veranlasst.

Die – retrospektiv betrachtet – zu Unrecht vollzogene Auslieferungshaft ist vorliegend also nicht durch Organe der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, sondern beruht allein darauf, dass der Interpol-Ausschreibung der türkischen Behörden nicht zu entnehmen war, dass der Verfolgte bei Anwendung deutschen Strafrechts auf das Tatgeschehen gerechtfertigt handelte.

Selbst wenn man daher – der Rechtsprechung des BGH folgend – eine Entschädigungspflicht für erlittene Auslieferungshaft nach dem StrEG für grundsätzlich möglich erachtete, käme sie im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

3. Soweit der BGH (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1984 – 4 ARs 19/83, BGHSt 32, 221) darauf hingewiesen hat, dass der Ausschluss von Entschädigungsansprüchen nach dem StrEG Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK unberührt lasse, hat der Senat darüber nicht zu befinden, da solche Ansprüche gegenüber der Landesjustizverwaltung geltend zu machen und gegebenenfalls vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen sind (OLG München, Beschluss vom 5. Juli 1995 – 1 Ws 289/95, NStZ-RR 1996, 125; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juli 1991 – 4 Ausl (A) 231/89 – 26/91 III, NJW 1992, 646).“

Irgendwie auch „unschön“…………

Entschädigung II: Das Problem mit der überschießenden U-Haft

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Die zweite StrEG-Entscheidung, die ich heute vorstelle, ist der OLG Hamm, Beschl. v. 03.11.2016 – 5 Ws 318/16 (zur ersten hier: Entschädigung I: Rechtsanwalt nicht nötig?, oder: „Schäbiges“ Land NRW). Er behandelt ein Problem, mit dem wir es im Bereich der StrEG häufig(er) zu tun haben: Nämlich die Problematik der sog. überschießenden U-Haft. Was damit gemeint ist, zeigt der Verfahrensverlauf im Beschluss des OLG Hamm. Der Angeklagte hatte sich in der Zeit vom 23.07.2015 bis zum 26.01.2016 in Untersuchungshaft befunden. Vorwurf: Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; Haftgrund Fluchtgefahr. Verurteilt wird der Angeklagte dann (nur) wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € verhängt. Im Übrigen wird er freigesprochen. Wird nun die erlittende U-Haft auf die Geldstrafe angerechnet, dann bleibt noch etwas „übrig“, was ggf. zu entschädigen ist – eben ein „überschießender“ Teil der U-Haft.

Das LG hatte in seiner Entscheidung die Verpflichtung der Staatskasse festgestellt, den Angeklagten für die von ihm erlittene Untersuchungshaft gem. §§ 2, 4 StrEG zu entschädigen. Dagegen dann (natürlich) die sofortige Beschwerde der StA, die vornehmlich eine Gesamtaufhebung der Entschädigungsentscheidung verlangt, zumindest aber hilfsweise festzustellen, dass der Angeklagte nur in dem Umfang zu entschädigen ist, in welchem eine Anrechnung der Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 StGB nicht erfolgt. Die GStA tritt natürlich bei. Das OLG meint dazu:

„Nach § 2 StrEG ist grundsätzlich aus der Staatskasse zu entschädigen, wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft einen Schaden erlitten hat, soweit er freigesprochen wird. Dies gilt auch bei einem teilweisen Freispruch (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 59. Aufl., StrEG Anh. 5, § 2 Rdnr. 1).

Dies gilt jedoch nur, soweit nicht die vorrangig zu berücksichtigende Regelung des§ 51 Abs. 1 S. 1 StGB eingreift. Danach wird Untersuchungshaft, die ein Verurteilter aus Anlass einer Tat erlitten hat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, auf die verhängte Freiheits- oder Geldstrafe angerechnet. Die Anrechnung erfolgt von Amts wegen im Vollstreckungsverfahren, ein Ausspruch im Urteil ist nicht notwendig (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 51 Rdnr. 4). Es nicht erforderlich, dass die Strafe allein wegen der Tat oder zumindest auch wegen der Tat verhängt worden ist, derentwegen sich der Verurteilte in Untersuchungshaft befunden hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 28. März 2000 in 4 Ws 62/00). Vielmehr ist es bei erlittener Untersuchungshaft nach dem Grundsatz der Verfahrensidentität ausreichend, wenn die Freiheitsentziehung aus Anlass einer Tat erfolgt ist, die Gegenstand des Verfahrens ist oder war. Das Verfahren muss sich während irgendeiner Phase auch auf eine Tat bezogen haben, die zumindest einer der Anlässe der Freiheitsentziehung war. So genügt insbesondere die gemeinsame Aburteilung, auch bei Freispruch oder Einstellung hinsichtlich der Tat, die zur Untersuchungshaft führte (vgl. Fischer, a.a.O., § 51 Rdnr. 6 m. w. N.; KG Berlin, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Januar 2008 in 3 Ws 702/07, StV 2008, 365).

Die Voraussetzung der Verfahrensidentität ist vorliegend gegeben. Die Taten, aufgrund derer der Haftbefehl erlassen und der Angeklagte in Untersuchungshaft genommen worden ist, sind Gegenstand des gesamten Strafverfahrens gewesen und von der Strafkammer in ihrer Entscheidung vom 04. Februar 2016 abgeurteilt worden. Dabei ist neben Freisprechung im Übrigen lediglich noch eine Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte tateinheitlich mit versuchter Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € erfolgt.

Die vom Angeklagten in der Zeit vom 23. Juli 2015 bis zum 26. Januar 2016 erlittene Untersuchungshaft ist nach der vorrangig zu beachtenden Bestimmung des § 51 Abs. 1 S. 1 StGB auf die verhängte Geldstrafe von 60 Tagessätzen anzurechnen. Von der Möglichkeit der Anordnung des Unterbleibens der Anrechnung nach § 51 Abs. 1 S. 2 StGB hat die Strafkammer keinen Gebrauch gemacht.

Im Rahmen der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG vorzunehmenden Gesamtabwägung zwischen den vorläufigen Maßnahmen und der endgültigen Rechtsfolge entspricht es vorliegend der Billigkeit, für die überschießende Strafverfolgungsmaßnahme, also die nach der Anrechnung noch verbleibende vom Angeklagten erlittene Untersuchungshaft, eine Entschädigung zu gewähren. Die verhängte Geldstrafe ist deutlich geringer als die Dauer der Untersuchungshaft des Angeklagten. Sie beträgt mit 60 Tagessätzen lediglich ein knappes Drittel der Untersuchungshaft von 188 Tagen. Schon aufgrund dieses ersichtlichen Missverhältnisses ist es sachgerecht, für die nicht anrechenbaren 2/3 der erlittenen Untersuchungshaft eine Entschädigung zu leisten.

Eine Entschädigung des Angeklagten ist vorliegend weder nach § 5 StrEG ausgeschlossen noch nach § 6 StrEG zu versagen.

Insbesondere hat der Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahme nicht grob fahrlässig i. S. d. § 5 Abs. 2 StrEG verursacht. Selbst wenn sich der Angeklagte wie von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung ausgeführt, von Anfang an entsprechend den von der Strafkammer letztlich getroffenen Feststellungen geständig eingelassen und sich auch im Übrigen kooperativ verhalten hätte, wäre dennoch gegen ihn ein Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet worden. Angesichts des sich für die ermittelnden Beamten nach den  Aussagen mehrerer Zeugen ergebenden Geschehensablaufs zur Vorfallszeit bestand gegen den Angeklagten der dringende Verdacht, dass er ein schweres Sexualdelikt begangen hatte. Diesen dringenden Tatverdacht hätte der Angeklagte zur damaligen Zeit im Rahmen einer Einlassung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht entkräften können. Entsprechendes gilt für den Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Angeklagte ist Asylbewerber. Ein fester Aufenthaltsort konnte nicht festgestellt werden. Er lebte getrennt von Ehefrau und Kind.“

Jetzt dürfte/sollte die Problematik der „überschießenden“ U-Haft an sich klar sein.

Btw: Wenn man liest: „Selbst wenn sich der Angeklagte wie von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung ausgeführt, von Anfang an entsprechend den von der Strafkammer letztlich getroffenen Feststellungen geständig eingelassen und sich auch im Übrigen kooperativ verhalten hätte,…“ ist man – gelinde gesagt – doch ein wenig verwundert, oder?

Entschädigung I: Rechtsanwalt nicht nötig?, oder: „Schäbiges“ Land NRW

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Heute ist dann mal ein Entschädigungstag. D.h.: Die drei vorgestellten Entscheidungen werden Entschädigungsfragen zum Gegenstand haben, sich also mit dem StrEG befassen. Das ist eine Thematik, die hier leider bisher ein wenig kurz gekommen ist. Daher dann heute gleich drei Entscheidungen.

Den Opener macht das LG Düsseldorf, Urt. v. 03.02.2017 – 2b 0 4/16. Es geht um die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im sog. Betragsverfahren. Gegen den Kläger war im Jahr 2011/2012 ein Sicherungsverfahren beim LG Duisburg geführt worden. Hierin wurde er durch einen Rechtsanwalt verteidigt. Der Antrag auf Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde abgelehnt. Auf Antrag seines Prozessbevollmächtigten im „StrEG-Verfahren“ wurde ausgesprochen, dass der Kläger für die in der Zeit vom 12.06.2011 bis zum 09.02. 2012 in der Unterbringungssache erlittene vorläufige Unterbringung zu entschädigen ist. Später wurde für den Kläger wegen einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis die gesetzliche Betreuung angeordnet und Herr Rechtsanwalt pp. zum Betreuer des Klägers für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern bestellt.

Auf die Anträge seines Prozessbevollmächtigten 2015 wurde der dem Kläger zu leistende Entschädigungsbetrag mit Bescheid vom 07.10.2015 auf 6.075,00 € festgesetzt. Dabei wurde ein beantragter Teilbetrag in Höhe von 649,74 € für Rechtsanwaltskosten im Entschädigungsverfahren nicht anerkannt. Nach Verrechnung mit einer Justizkostenforderung wurde ein Betrag in Höhe von 1.922,29 € ausgezahlt. Gestritten wurde dann um die Rechtsanwaltskosten. Das beklagte Land NRW war der Auffassung, die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Entschädigungsverfahren sei nicht notwendig gewesen. Die Antragstellung sei äußerst einfach gewesen. Jedenfalls hätte der zwischenzeitlich zum Betreuer des Klägers bestellte Rechtsanwalt die Antragstellung im Rahmen seiner Betreuungstätigkeit übernehmen können. Zumindest habe der Kläger anwaltliche Hilfe im Rahmen von Beratungshilfe zu Kosten von nur 15,00 € in Anspruch nehmen können.

Das LG Düsseldorf sieht das – zu Recht und Gott lob – anders:

„Dem Kläger steht ein Anspruch auf weitere Entschädigung wegen der vorläufigen Unterbringung im Sicherungsverfahren (LG Duisburg) in Höhe von 649,74 EUR zu.

Nach § 7 Abs. 1 StrEG ist Gegenstand der Entschädigung der durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Vermögensschaden. Dabei sind notwendige Auslagen für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts im Grundverfahren und im Betragsverfahren erstattbar (Meyer, StrEG, § 7 Rn. 17 „Anwaltskosten“). Als nicht notwendig wird die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Betragsverfahren angesehen, wenn völlige Klarheit über die Höhe der Haftung besteht, etwa wenn der Beschuldigte ausschließlich immateriellen Schaden verlangt (Meyer a.a.O. „b) Justizverwaltungsverfahren“ m.w.N.).

Gleichwohl erachtet das Gericht die Zuziehung des Rechtsanwalts im Betragsverfahren vorliegend wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles als notwendig. Das Gericht ist nach den Erkenntnissen aus der beigezogenen Betreuungsakte und der persönlichen Anhörung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2016 überzeugt, dass es dem Kläger nicht zuverlässig möglich gewesen wäre, den – auch noch so einfachen – Entschädigungsantrag selbst zu stellen. Nach den Erkenntnissen in der Betreuungsakte bestehen immer wieder produktive Erkrankungsphasen. Er hat es in der Vergangenheit nicht geschafft seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitsamt angemessen vorzutragen, vielmehr ist ihm dort offenbar ein Hausverbot erteilt worden. Nach den Feststellungen des nervenärztlichen Gutachtens von Dr. pp. vom 11. November 2014 kann er sämtliche gerichtlichen und außergerichtlichen Rechts- und Behördenangelegenheiten nicht selbst besorgen. Sinn und Wesen einer Betreuung seien ihm nicht zu vermitteln. Behandlungsmöglichkeiten nehme er erkrankungsbedingt nicht wahr. Auch in seiner persönlichen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Gericht nicht den Eindruck gewonnen, dass der Kläger die Informationen über das Entschädigungsverfahren aus dem Schreiben vom 15. April 2015 hätte verstehen und sachgerecht umsetzen können. Ihm war auch in seiner Anhörung der Sinn der Betreuung nicht klar, vielmehr nahm er an, diese beruhte auf Bewährungsauflagen.

Nach Dafürhalten des Gerichts kann ihm auch nicht vorgeworfen werden, den bestellten Betreuer nicht mit der Geltendmachung der Entschädigungsansprüche befasst zu haben. Das Betreuungsverfahren lief in etwa zeitgleich mit der Beauftragung des hiesigen Prozessbevollmächtigten. Die Schilderung des Klägers in seiner Anhörung, er habe seinen Prozessbevollmächtigten als Verteidiger für ein neues Strafverfahren beauftragt, in diesem Zusammenhang sei die Entschädigungsproblematik zur Sprache gekommen, ist absolut lebensnah. Die ersten Anträge sind durch den Prozessbevollmächtigten auch bereits im Dezember 2014 und damit vor Anordnung der gesetzlichen Betreuung im März 2015 gestellt worden. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass in der Rechtsprechung der Fall, dass ein Betreuer für seinen Betreuten als Strafverteidiger tätig wird, nicht mehr von dem allgemeinen Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden als gedeckt angesehen wird (z. B. OLG Schleswig, NJW RR 2008, 91; OLG Frankfurt, NJW RR 2005, 1166). Insoweit erscheint auch fraglich, ob eine Tätigkeit im Betragsverfahren als Annex zum Strafverfahren im Rahmen der gesetzlichen Betreuung vorliegend überhaupt zulässig gewesen wäre. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Gebührenschneiderei liegen nach Dafürhalten des Gerichts nicht vor.

Soweit das beklagte Land schließlich einwendet, der Kläger habe Beratungshilfe in Anspruch nehmen können, schließt die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Beratungshilfe den Gebührenanspruch gegen den Prozessgegner nicht aus (BGH VII ZR 169/10).“

Ich finde es immer wieder „schäbig“, wie von den Ländern in diesen Verfahren teilweise argumentiert wird………