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Haft III: Post zur „Einflussnahme zur Verdunkelung“? oder: Das Recht auf freien Briefverkehr

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Urheber Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden

Und zum Tagesschluss stelle ich dann noch den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.07.2023 – 12 Qs 53/23 – vor. Mal etwas zur Brifekontrolle.

Der Inhaftierte wendet sich gegen das Anhalten und die Beschlagnahme eines Briefs, den er aus der Untersuchungshaft heraus an seine frühere Partnerin aufgegeben hat. U-Haft wird aufgrund eines Haftbefehls vollzogen, in dem dem Inhaftierten vorgeworfen wird gegen seine frühere Partnerin, die Zeugin W, eine gefährliche Körperverletzung, eine sexuelle Nötigung und einen Diebstahl begangen zu haben

Am 24.06.2023 gab der Inhaftierte einen Brief an die Zeugin W zur postalischen Beförderung. Der Brief eröffnet mit „Mein Herz“ und endet „in ewiger Liebe, Dein A“. Zwischen beiden Floskeln bringt der Bf. auf einer Briefseite zum Ausdruck, dass er W vermisse und sie liebe. Er bittet sie, ihn nicht hängen zu lassen, auf ihn zu warten und ihm zu schreiben. Dazwischen berichtet er aus seinem Vollzugsalltag und bittet die Zeugin, „unsere kleine Prinzessin“ (die gemeinsame Tochter) ganz fest von ihm zu drücken.

Der Ermittlungsrichter hat das Schreiben auf Antrag der Staatsanwaltschaft, auf die die Ausführung der Beschränkungsanordnungen übertragen war, angehalten und beschlagnahmte es im Original. Zur Begründung führte er aus, das Schreiben befasse sich „in unzulässiger Weise mit dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens, indem zumindest unterschwellig versucht wird, auf das Aussageverhalten von Zeugen Einfluss zu nehmen. Die Weitergabe des Schreibens könnte das Strafverfahren beeinträchtigen.“

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die zulässige Beschwerde ist begründet. Für die Beschlagnahme des Briefs fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

1. Das Anhalten und die Beschlagnahme des Briefs kann nicht auf § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 7 StPO gestützt werden, weil die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind.

Hier liegt ein richterlicher Beschränkungsbeschluss nach § 119 StPO vom 24. Mai 2023 vor, in dem die Überwachung des Schriftverkehrs angeordnet wird. In dessen Gründen führt der Ermittlungsrichter aus, es bestehe die Gefahr, dass der Bf. Verdunkelungshandlungen durch die Einwirkung auf Zeugen vornehme. Die Abwehr dieser Gefahr mache es erforderlich, die angeordnete Beschränkung zu treffen. Das steht im Ausgangspunkt im Einklang mit dem begrenzten Regelungsregime des § 119 StPO, das nur solche Maßnahmen abdeckt, die den Zweck der Untersuchungshaft betreffen (Herrmann in SSW-StPO, 5. Aufl., § 119 Rn. 53; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 119 Rn. 1, 19). Zweck der Untersuchungshaft ist die Sicherung des Verfahrens. Auch die Briefkontrolle dient diesem Ziel, insbesondere der Verhinderung von Verdunkelungsmaßnahmen; der Briefverkehr darf zur Sicherung dieses Ziels eingeschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01, juris Rn. 29). Danach ist es möglich, den Brief eines Untersuchungsgefangenen anzuhalten, der explizit oder in seiner Gesamtschau dem Zweck dient, eine Zeugin psychisch derart unter Druck zu setzen, dass sie ihr zukünftiges Aussageverhalten ändert (OLG Jena, Beschluss vom 9. März 2011 – 1 Ws 122/11, juris Rn. 11 f.). Die Kammer vermag, anders als der Ermittlungsrichter, hier allerdings nicht zu erkennen, dass von dem beschlagnahmten Brief ein derart starker Druck oder – hier eher – eine derart starke sentimental-einschmeichelnde Einflussnahme ausgeht, dass die Zeugin ihre Aussage ändern könnte, zumal sie selbst das Bestehen eines Verlöbnisses, und damit das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO, gegenüber der Polizei ausdrücklich verneint hat und sie es selbst in der Hand hat, ob sie seinen Inhalt überhaupt zur Kenntnis nimmt.

Ein Verständnis der Einflussnahme zu Verdunkelungszwecken in derart weitem Sinn, dass bereits eine für sich genommen zivilisierte und unverfängliche Kontaktaufnahme hierunter gefasst wird – die der angegriffene Beschluss selbst hinsichtlich der Einflussintensität lediglich als „zumindest unterschwellig“ bezeichnet –, führte letztlich zu einem weitgehenden Kommunikationsverbot, das in § 119 StPO so nicht angelegt ist und das Recht des Bf. auf freien Briefverkehr (Art. 2 Abs. 1, Art. 10 GG) über Gebühr beeinträchtigt.

2. Das Anhalten des Briefs kann nach Lage der Dinge auch nicht auf Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayUVollzG gestützt werden.

Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayUVollzG bestimmt, dass Schreiben durch die Untersuchungshaftanstalt (vgl. Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 01.04.2023, BayUVollzG Art. 20 Rn. 2) angehalten werden können, wenn die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde. Diese Voraussetzungen hätten hier möglicherweise vorgelegen. Denn die Zeugin W hat am 21. April 2023 beim Amtsgericht Nürnberg gegen den Bf. eine sofort vollziehbare einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt, die bis zum 21. Oktober 2023 befristet ist und die dem Bf. zugestellt wurde. Darin wird dem Bf. in Ziff. 1.4 gem. § 1 GewSchG untersagt, mit der Antragstellerin in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Zugleich wird der Bf. in dem Beschluss darauf hingewiesen, dass Verstöße gegen die Schutzanordnungen gem. § 4 GewSchG geahndet werden können. Geht der beschlagnahmte Brief der Zeugin also zu, macht sich der Bf. – bei gegebenem Vorsatz (§ 15 StGB, § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG) – entsprechend strafbar.

Ob die Gewaltschutzanordnung bei der JVA bekannt war (vgl. Nr. 47 Abs. 2 RiStBV), kann die Kammer nach Aktenlage nicht feststellen. Es kann aber auch dahinstehen, denn hier hat der Brief den Machtbereich der JVA bereits verlassen, sodass ein Anhalten des Schreibens auf der genannten Rechtsgrundlage nicht mehr in Betracht kommt. Der Anwendungsbereich des BayUVollzG ist nämlich auf den Vollzug der Untersuchungshaft beschränkt, der – und soweit er – in den Justizvollzugsanstalten vollzogen wird (vgl. Art. 1 Abs. 2 BayUVollzG), was bedingt, dass die Anhaltekompetenz der Anstalt ein Ende findet, sobald der Brief ihren Bereich verlassen hat.

3. Eine sonstige Rechtsgrundlage für das Anhalten und die Beschlagnahme des Briefs ist nicht erkennbar.

III.

Die Kammer bemerkt ergänzend:

1. Die Beschlagnahme einer Kopie des Briefs zu Beweiszwecken kann nicht erfolgen, weil der Bf. ausweislich seiner Beschwerde ausdrücklich einverstanden ist, dass sein Schreiben kopiert und die Kopie zur Akte genommen wird. Eine Beschlagnahme als hoheitlicher Eingriff ist somit nicht erforderlich und wäre daher unverhältnismäßig. Es kann schlicht eine Kopie zur Akte genommen werden.

2. Die Weiterbeförderung des Briefs durch die Staatsanwaltschaft stellt für sich genommen keine Straftat dar. Tauglicher Täter einer Straftat nach § 4 GewSchG ist nur der in der Gewaltschutzanordnung benannte Antragsgegner, an den die Anordnung zugestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2019 – 5 StR 208/19, juris Rn. 11; Beschluss vom 10. Mai 2012 – 4 StR 122/11, juris Rn. 3).

Es liegt aber auch keine Beihilfe zu einer möglichen künftigen Straftat des Bf. nach § 4 GewSchG vor, die mit Zugang des Briefs bei der Zeugin W vollendet würde. Der Bf. hat als Untersuchungsgefangener grundsätzlich einen grundrechtlich unterlegten Anspruch auf Briefverkehr (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01, juris Rn. 25; vgl. auch Art. 18 Abs. 1 BayUVollzG). Das Recht auf Schriftwechsel stellt die wichtigste Möglichkeit eines Untersuchungsgefangenen dar, seine Kontakte außerhalb der Anstalt auch während der Untersuchungshaft zu pflegen (BayLT-Drs. 16/9082, 24). Die Weiterbeförderung des Briefs durch die Staatsanwaltschaft stellt sich, auch vor diesem grundrechtlichen Hintergrund, ihrem sozialen Sinngehalt nach nicht als aktives Tun, sondern als das Unterlassen des Aufhaltens des Briefs dar. Denn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit (dazu BayObLG, Urteil vom 25. Februar 2022 – 201 StRR 95/21, juris Rn. 24 m.w.N.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 5) läge darin, dass der Staatsanwalt es unterlässt, den Brief, der sich bereits auf dem Weg befindet und dabei auch über seinen Schreibtisch geht, an der Weiterbeförderung zu hindern. Seine Beihilfe wäre demnach eine Beihilfe durch Unterlassen. Diese ist aber nicht strafbar, weil es insoweit an einer Garantenpflicht fehlt. Eine allgemeine Verpflichtung von Amtsträgern, Rechtsgutverletzungen oder Straftaten durch Dritte zu unterbinden, gibt es nicht (Fischer, StGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 29; Zaczyk in FS Rudolphi, 2004, S. 361, 368 f.; Rudolphi, JR 1987, 336 ff. und JR 1995, 167, 168). Anders als bei Polizeibeamten, denen im Rahmen der ihnen gesetzlich zugewiesenen Gefahrenabwehr auch die Verhütung von Straftaten obliegt (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 358/92, juris Rn. 12 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 13 Rn. 52), trifft die im Rahmen der Strafverfolgung tätigen Amtsträger eine solche Garantenpflicht im Grundsatz nicht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20, juris Rn. 118 f.; Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17, juris Rn. 138). Erforderlich wäre insoweit eine besondere Pflichtenzuweisung im Rahmen ihres Aufgabenbereichs. Daran fehlt es hier. Selbst die ausdifferenzierte Regelung des Art. 20 Abs. 1 BayUVollzG begründet keine gebundene Entscheidung für das Anhalten eines die Strafbarkeit auslösenden Briefs durch die JVA, sondern gewährt dem Anstaltsleiter insoweit ein Ermessen (Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 01.04.2023, BayUVollzG Art. 20 Rn. 3). Von einer Garantenstellung würde man hier erst bei einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen können (Gaede in NK-StGB, 6. Aufl., § 13 Rn. 64).“

Strafe III: Erörterung eines Bewährungswiderrufs, oder: Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von BtM

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Und dann zum Tagesschluss noch der KG, Beschl. v. 03.03.2023 – (3) 161 Ss 212/22 (73/22) – u.a. zur Frage der Erforderlichkeit von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln im Hinblick auf die Strafzumessung.

Das AG hat den Angeklagten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde dabei nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das LG verworfen. Die Revision hatte hinsichtlich einer vom LG gebildeten Gesamtstrafe (§ 55 StGB) Erfolg, die Strafzumessung im Übrigen hat das KG nicht beanstandet:

„b) Die dem Tatgericht obliegende Strafzumessung hält sachlich rechtlicher Überprüfung stand.

Es ist grundsätzlich die Aufgabe des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1995 – 3 StR 478/95 –, juris). Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist regelmäßig nur bei beachtlichen Rechtsfehlern in dem Sinne, dass die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen, bestimmende Strafzumessungstatsachen übergangen wurden oder sich die verhängte Freiheitsstrafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs offenkundig löst, möglich (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2012  – 3 StR 413/11  –, juris m.w.N.).

(1) Im Hinblick auf § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB und den Strafzweck der Resozialisierung ist der Umstand drohenden Bewährungswiderrufs regelmäßig zu erörtern, wenn auf Grund eines möglichen Widerrufs die gesamte Länge der zu verbüßenden Haft diejenige der neu verhängten Strafe beträchtlich übersteigt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 – (3) 121 Ss 170/21 (62/21) –, juris m.w.V.). Eine Erörterung oder gar strafmildernde Bewertung eines möglicherweise drohenden Bewährungswiderrufs kann jedoch im Einzelfall dann unterbleiben, wenn ein übermäßiges Gesamtvollstreckungsübel namentlich aus spezialpräventiven Gründen nicht naheliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 , a.a.O.; OLG Hamburg NStZ-RR 2017, 72), etwa bei Intensiv- oder Serientätern, bei hoher Rückfallgeschwindigkeit oder bei einer Tat kurz nach der Haftentlassung, nachdem die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 03. August 2021 – 2 StR 129/20 –, juris; Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 a.a.O.).

Den vorstehenden Anforderungen wird die Strafzumessungsentscheidung gerecht. Das Landgericht hat zutreffend auf den Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG abgestellt und seine umfassenden Strafzumessungserwägungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung den infolge der erneuten Verurteilung drohenden Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus der Verurteilung des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. August 2021 – Az. 260 Ds 96/20 – nur im Zuge der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB explizit erwähnt hat. Denn ungeachtet des Umstandes, dass die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGHSt 65, 75; Senat, Beschluss vom 29. April 2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22) –, juris m.w.V.), sind im vorliegenden Fall ausführliche Erörterungen zum möglichen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht angezeigt. Zwar droht dem Angeklagten bei Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in dem Verfahren 260 Ds 96/20 die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat, die die hier verhängte Strafe von sechs Monaten beträchtlich übersteigt. Jedoch hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Intensivtäter handelt und die früheren Verurteilungen im notwendigen Umfang geschildert. Vor diesem Hintergrund konnte eine ausführliche Erörterung des Bewährungswiderrufs oder gar dessen strafmildernde Bewertung unterbleiben.

(2) Die Strafzumessung hält auch insoweit der rechtlichen Überprüfung stand, als dass das Landgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Buprenorphin in den Subutex-Tabletten getroffen hat. Der Wirkstoffgehalt des gehandelten Rauschgifts ist grundsätzlich für die Bestimmung des Unrechts- und Schuldgehalts einer Straftat rechtlich belangvoll (vgl. BGH NStZ 2023, 46; KG, Beschluss vom 4. Januar 2012 – (4) 1 Ss 466/11 (322/11), BeckRS 2012, 12416; OLG München Beschluss vom 6. August 2009 – 4 St RR 113/09, BeckRS 2010, 30585). Von genaueren Feststellungen kann aber ausnahmsweise abgesehen werden, wenn ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß im Rahmen des § 29 Abs. 1 und 3 BtMG zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen kann. Dies kann insbesondere bei Kleinstmengen der Fall sein, da der Schuldgehalt der Tat durch die Qualität des Rauschgifts nicht wesentlich geprägt wird (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 250, Patzak, NStZ 23,17; BeckOK BtMG/Becker, 16. Ed. 15.9.2022, BtMG § 29 Rn. 145g).

Im vorliegenden Fall kann ausnahmsweise aufgrund der gehandelten Kleinstmenge von der Bestimmung des genauen Wirkstoffgehalts abgesehen werden.

Bezüglich der hier gegenständlichen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte eine Tablette Subutex für 10,- € an den Zeugen M. verkauft und im Übrigen 12 weitere Subutex-Tabletten bei sich geführt habe, um auch diese gewinnbringend an weitere Abnehmer zu veräußern. Bei dieser Menge an Subutex handelt es sich um eine Kleinstmenge an Rauschgift unabhängig vom Gehalt des Buprenorphin der einzelnen Tablette, wobei eine Tablette eine Konsumeinheit darstellt. Dies ergibt sich auch daraus, dass die geringe Menge an Buprenorphin im Sinne des § 29 Abs. 5 BtMG bei 1-3 Konsumeinheiten Subutex liegt (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl., BtMG § 29 Rn. 1659; MüKoStGB/O?lakc?o?lu, 4. Aufl., BtMG § 29 Rn. 1680) und die nicht geringe Menge bei einem Wirkstoffgehalt von 416,67 mg Buprenorphin liegt (vgl. BGH NJW 2007, 2054). Auch unter Annahme der höchsten am Arzneimarkt erhältlichen Dosis von 8 mg Buprenorphin pro Subutex-Tablette (vgl. BGH NJW 2007, 2054) übersteigt der Wirkstoffgehalt 104 mg Buprenorphin nicht. Bei einer solchen Sachlage ist der Wirkstoffgehalt kein bestimmender Faktor bei der Strafzumessung im Sinne des § 46 StGB und das Absehen diesbezüglicher Feststellungen – wie vorliegend – ist rechtsfehlerfrei.“

Strafe II: Begründung der kurzen Freiheitsstrafe, oder: Der „typisch verklärte Blick“ des BtM-Konsumenten?

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 07.08.2023 – 3 ORs 42/23. Ein Klassiker, nämlich die Begründung der kurzfristigen Freiheitsstrage (§ 47 StGB).

Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zu Bewährung ausgesetzt wurde. Dagegen die Sprungrevision, die Erfolg hatte. Es passt mal wieder nicht:

„Die Erörterungen im Rechtsfolgenausspruch begegnen hinsichtlich des Strafausspruchs rechtlichen Bedenken.

Die Tatrichterin ist von dem zutreffenden Strafrahmen ausgegangen. Die Ausführungen zu der Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB halten rechtlicher Prüfung jedoch nicht stand.

§ 47 StGB ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, dass die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nur im Ausnahmefall in Betracht kommt. Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten statt einer (möglichen) Geldstrafe darf nur verhängt werden, wenn besondere Umstände entweder in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters gegeben sind. Die Freiheitsstrafe muss nach einer Gesamtwürdigung der die Tat und Täterpersönlichkeit kennzeichnenden Umstände unerlässlich sein. Mit Blick auf diesen Ausnahmecharakter erfordert die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe eine eingehende und nachvollziehbare Begründung (vgl. BGH StV 1982, 366; 1994, 370; OLG Köln, Beschluss vom 18. Februar 2003 – Ss 36/03422; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg StGB § 47 Rn. 1). Aus dieser Begründung muss sich ergeben, aufgrund welcher konkreten Umstände sich die Tat oder der Täter derart von dem Durchschnitt solcher Taten oder dem durchschnittlichen Täter abhebt, dass eine Freiheitsstrafe ausnahmsweise unerlässlich ist (OLG Karlsruhe StV 2005, 275). Bejaht der Tatrichter – wie vorliegend – eine positive Sozialprognose iSv § 56 Abs. 1 StGB, bedarf es grundsätzlich einer eingehenden Darlegung und Würdigung der Gründe, welche die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter iSv § 47 Abs. 1 StGB (dennoch) unerlässlich machen (vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 399), dies gilt umso mehr, wenn es sich um einen bislang nicht vorbelasteten Täter handelt (MüKoStGB/Maier StGB § 47 Rn. 59).

Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Die Tatrichterin begründet die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe einzig damit, dass es sich bei dem Angeklagten um einen „anhaltenden Betäubungsmittelkonsumenten“ handele.

Diese Annahme findet in den Urteilsgründen bereits keine hinreichende Tatsachengrundlage, die eine Überprüfung durch den Senat ermöglichen würde. In den Feststellungen des angefochtenen Urteils heißt es insoweit: „Sowohl bei der Durchsuchung am 3.2.22, wie auch an dem Tag der Hauptverhandlung, stand der Angeklagte unter dem Einfluss von unbekannten Betäubungsmitteln“. Die Annahme der Betäubungsmittelabhängigkeit stützt das Amtsgericht ausschließlich auf die Angaben des Zeugen Richter, dass der Angeklagte bei der Durchsuchung seiner Wohnung wie auch am Tag der Hauptverhandlung „einen typisch verklärten Blick gehabt, als würde er selbst Drogen konsumieren“, sowie aus dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung. Es handelt sich um eine bloße Annahme, die nicht mit Tatsachen belegt wird. Die Urteilsgründe verhalten sich weder dazu, warum der Zeuge oder die erkennende Richterin über die Sachkunde verfügten, eine etwaige Beeinflussung durch ein Betäubungsmittel feststellen zu können, noch wieso daraus auf einen anhaltenden Betäubungsmittelkonsum geschlossen werden kann. Objektive Beweismittel, die den Schluss einer Beeinträchtigung durch Betäubungsmittel am Tag der Durchsuchung stützen könnten, wie z.B. ein Protokoll über etwaige körperliche Auffälligkeiten des Angeklagten oder das Ergebnis einer toxikologischen Untersuchung etwaiger Blutproben oder andere Beweismittel, die auf einen Eigenkonsum hindeuten, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Dies gilt gleichermaßen für die Annahme einer (klinischen) Betäubungsmittelabhängigkeit wie auch für die Annahme, der Angeklagte habe am Hauptverhandlungstag unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden.

Unabhängig von den fehlenden objektiven Anknüpfungspunkten begegnet es auch erheblichen Bedenken, von einer (möglichen) zweimaligen Beeinflussung durch Betäubungsmittel auf eine Betäubungsmittelabhängigkeit zu schließen. Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme aus, dass Drogenabhängigkeit ein Zustand seelischer oder seelischer und körperlicher Abhängigkeit von einer legalen oder illegalen Droge mit zentralnervöser Wirkung ist, der durch die periodische oder ständig wiederholte Einnahme dieser Substanz charakterisiert ist, dessen Merkmale je nach Art der eingenommenen Droge variieren. Zur Feststellung einer Drogenabhängigkeit müssen die Einzelheiten über die Art der Droge, die Dauer des Konsums, die Dosierung sowie sonstige Umstände festgestellt werden, die Hinweise auf das Ausmaß der Abhängigkeit geben können, möglichst genau geklärt werden. Hieran fehlt es in dem angefochtenen Urteil gänzlich.

Unabhängig davon, dass die Feststellungen, auf denen das Tatgericht seine Entscheidung stützt, insoweit bereits lückenhaft sind, lässt die Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe die erforderliche Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit vermissen. Das Tatgericht hat sich insoweit weder mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Angeklagte bislang unbestraft ist und sich vollständig zu seiner Tat bekannt hat, noch damit, dass eine positive Sozialprognose vorliegt. Diese gewichtigen Umstände werden jedoch heranzuziehen sein.“

Klima I: Rechtsprechung zu Klimaktivisten-Fällen, oder: Straßenblockade, Hausfriedensbruch, Festkleben

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Zum Wochenanfang der 35 KW. stelle ich – seit längerem – mal wieder einige Entscheidungen auf Verfahren betreffend Klimaktivisten vor. Mehr als diese insgesamt vier Entscheidungen habe ich leider nicht. Ich habe zwar versucht, an die Volltextevon Entscheidungen zu kommen, über die in der letzten Zeit berichtet worden ist, aber das hat leider nur in einem Fall, der vom AG München stammt, geklappt. Alle anderen Anfragen hatten keinen Erfolg. Die StA Neuruppin gibt den „Kriminelle Vereinigung“-Beschluss des LG Potsdam nicht heraus, weil es esich um ein laufendes Verfahren handelt, das LG hatte ich zuvor bereits hinter der StA versteckt. Und auch das AG Tiergarten ist sehr zögerlich. Schade.

Vorstellen kann ich dann aber:

Eine Straßenblockade durch Klimaaktivisten stellt nach der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB dar. Denn die Fahrer in der zweiten Reihe und den nachfolgenden Reihen werden durch unüberwindbare physische Hindernisse, nämlich den Fahrzeugen vor und hinter ihnen, an der Weiterfahrt gehindert, womit auch der erstrebte Nötigungserfolg eingetreten ist. Die darin liegende Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer kann jedoch nach Abwägung aller Umstände gem. § 240 Abs. 2 StGB gerechtfertigt sein,

Zur Rechtfertigung des unerlaubten Betretens eines Fußballfeldes während eines laufenden Spieles aus „Klimaschutzgründen“.

1. Bei der den Protestierenden sog. „Letzten Generation“ vorgeworfenen Nötigung sind bei Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64) zu beachten. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
2. Wurden Autofahrende auf einer der staubelasteten Autobahn Deutschlands durch die Blockade rund 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert, wobei sich ein Stau von mehreren Metern bildete, die Blockadeaktion jedoch zumindest abstrakt im Vorfeld medial angekündigt wurde und ein konkreter Sachbezug („Öl sparen statt Bohren“ und „Nordseeöl? Nö!“) gegeben war, stellt sich die Nötigung nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar, wenn die Polizei die Blockade vor der Räumung versammlungsrechtlich nicht beschränkt oder aufgelöst hat.
3. Ist die Nötigung nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, kommt ein Verstoß gegen das VersFG Bln in Betracht, wenn die Polizei die Versammlung beschränkt bzw. aufgelöst hat, die Protestierenden hierauf jedoch nicht reagiert haben.1. Bei der den Protestierenden sog. „Letzten Generation“ vorgeworfenen Nötigung sind bei Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64) zu beachten. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
2. Wurden Autofahrende auf einer der staubelasteten Autobahn Deutschlands durch die Blockade rund 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert, wobei sich ein Stau von mehreren Metern bildete, die Blockadeaktion jedoch zumindest abstrakt im Vorfeld medial angekündigt wurde und ein konkreter Sachbezug („Öl sparen statt Bohren“ und „Nordseeöl? Nö!“) gegeben war, stellt sich die Nötigung nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar, wenn die Polizei die Blockade vor der Räumung versammlungsrechtlich nicht beschränkt oder aufgelöst hat.
3. Ist die Nötigung nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, kommt ein Verstoß gegen das VersFG Bln in Betracht, wenn die Polizei die Versammlung beschränkt bzw. aufgelöst hat, die Protestierenden hierauf jedoch nicht reagiert haben.

Und der Vollständigkeit halber weise ich dann auch noch einmal hin auf den KG, Beschl. v. 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 -, über den ich ja schon in der vergangenen Woche berichtet habe (vgl. StGB III: Widerstand durch Festkleben auf der Straße, oder: Das hätte das KG gern in den Urteilgründen). Die Leitsätze:

1. Um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können, bedarf es einer geschlossenen und zusammenhän-genden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten. Der bloße Hinweis, das Geständnis entspreche dem „akten-kundigen Ermittlungsergebnis“, genügt dafür nicht.
2. Eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.
3. Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vor-zubereiten.
4. Dass Polizeibeamte das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu be-seitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt ihm in Bezug auf den dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit.

Rechtsfolge I: Jugendstrafe beim „alten“ Jugendlichen, oder: Erziehungsgedanke im fortschreitenden Alter

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Den Tag gestalte ich hier heute mit Entscheidungen, die mit Rechtsfolgen zu tun haben. „Strafzumessung“ kann ich nicht als „Oberthema“ nennen, da auch eine Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren vorgestellt wird.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 2 StR 78/23 -, der sich mit den Anforderungen an die Jugendstrafe befasst. Der BGH hat die Veurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung aufgehoben:

„1. Es ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei dem Angeklagten – zur Tatzeit Heranwachsender – Jugendstrafrecht angewendet und wegen Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt hat. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der Jugendstrafe erweisen sich hingegen als rechtsfehlerhaft; sie entsprechen nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG.

a) Nach dieser Vorschrift ist auch dann, wenn eine Jugendstrafe ausschließlich wegen Schwere der Schuld verhängt wird, bei der Bemessung der Strafhöhe der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke (§ 2 Abs. 1, § 18 Abs. 2 JGG) vorrangig zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck kommende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu beachten. Die Begründung darf aber nicht wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe unter erzieherischen Gesichtspunkten abzuwägen. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Eine formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt insoweit nicht (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 2017 – 2 StR 460/16, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 12; Urteile vom 13. November 2019 – 2 StR 217/19 und vom 10. November 2021 – 2 StR 433/20, juris Rn. 29; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2021 – 5 StR 115/21, juris Rn. 14; Urteil vom 21. Juli 2022 – 4 StR 177/22, juris Rn. 6; Beschluss vom 7. Februar 2023 – 3 StR 481/22, juris Rn. 14 ff.).

Zwar verliert der Erziehungsgedanke mit fortschreitendem Alter des Täters an Bedeutung, wohingegen – insbesondere bei besonders gravierenden Straftaten – das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs immer mehr in den Vordergrund tritt. Gleichwohl müssen grundsätzlich auch dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Verhängung der Jugendstrafe bereits das 21. Lebensjahr vollendet hat, die erzieherischen Auswirkungen der Strafe beachtet und abgewogen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 2017 – 2 StR 460/16, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 12; vgl. zum Sonderfall eines fehlenden Erziehungsbedarfs Senat, Urteil vom 13. November 2019 – 2 StR 217/19, NStZ 2020, 301).

b) Ungeachtet des Umstandes, dass in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Frage, in welchem Ausmaß dies zu geschehen hat, nicht abschließend geklärt ist, lassen die Urteilsgründe im vorliegenden Fall besorgen, dass es die zu berücksichtigenden erzieherischen Gesichtspunkte nicht hinreichend in den Blick genommen und das Gewicht des Tatunrechts nicht gegen die Folgen der Strafe gerade für die weitere Entwicklung des im Tatzeitraum 19 Jahre alten Angeklagten abgewogen hat.

Es ist bereits im Ausgangspunkt bedenklich, wenn das Landgericht gestützt auf eine Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 20. März 2019 – 3 StR 452/18, StV 2019, 466) davon ausgeht, bei einem 23 Jahre alten Angeklagten rücke statt des Erziehungsgedankens entsprechend dem Erwachsenenstrafrecht der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs in den Vordergrund. Eine solche Festlegung ist der genannten Entscheidung nicht zu entnehmen. Der Senat hat dort vielmehr betont, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Erziehungsgedanke bei der Bemessung der Jugendstrafe grundsätzlich immer einzustellen sei und die Urteilsgründe in jedem Fall erkennen lassen müssten, dass diesem die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden sei. Soweit andere Strafzwecke, etwa derjenige eines gerechten Schuldausgleichs, ebenfalls in Ansatz zu bringen seien, sei vom Tatgericht im Rahmen einer umfassenden Abwägung festzulegen, welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen im Einzelfall zukomme.

Ungeachtet des rechtlich bedenklichen Maßstabs, den das Landgericht seiner Würdigung zugrunde gelegt hat, hat es nicht lediglich den Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs „in den Vordergrund“ gerückt. Es hat sich vielmehr fast ausschließlich an im Erwachsenenstrafrecht geltenden Strafzumessungserwägungen orientiert, indem es vor allem das Geständnis des Angeklagten, seinen jeweiligen Tatbeitrag sowie das Maß der aufgewendeten kriminellen Energie, das Ausmaß der verursachten Verletzungen bzw. deren Fehlen, den Zeitablauf seit Begehung der Taten, den zeitlichen Zusammenhang zwischen den Taten, die lange Verfahrensdauer, die Belastung durch die erlittene Untersuchungshaft und die Vorstrafen herangezogen hat. Eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten und dem sich hieraus ergebenden konkreten Erziehungsbedarf hat es demgegenüber nicht vorgenommen. Der Erziehungsgedanke wird in den Urteilsgründen lediglich einmal formelhaft erwähnt, wenn die Strafkammer mitteilt, dass „bereits die Vollstreckung der – knapp 3-wöchigen – Untersuchungshaft nicht unerheblich erzieherisch auf den Angeklagten eingewirkt“ habe. Angesichts dessen und nicht zuletzt auch mit Blick auf die die Strafbemessung abschließende Erwägung des Landgerichts, wonach „unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eine Jugendstrafe in der ausgeurteilten Höhe als „tat- und schuldangemessen“ erachtet werde, besorgt der Senat, dass es die Ausrichtung der Höhe der Jugendstrafe am Erziehungsgedanken vollständig aus dem Blick verloren hat.“