Der OLG Hamm, Beschl. v. 29.09.2015 – 1 Vollz(Ws) 411/15 – befasst sich mit den Auswirkungen des (Tat)Leugnens auf Lockerungen im Strafvollzug. Der im Jahre 1966 geborene Verurteilte verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Im Juni 2014 hatte er 15 Jahre der Freiheitsstrafe verbüßt. Im April 2015 schrieb die JVA den Vollzugsplan für den Betroffenen fort, ohne Vollzugslockerungen – sog. vollzugsöffnende Maßnahmen – zu gewähren und wies zur Begründung darauf hin, dass der Betroffene zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit sich selbst nicht bereit sei und die der Verurteilung zugrunde liegende Tat leugne. Flucht- und Missbrauchsgefahr könnten deswegen nicht mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Eine Perspektive für Lockerungen ergebe sich erst dann, wenn beim Betroffenen eine Veränderungsbereitschaft bestehe und er darüber hinaus von der bestehenden Leugnungshaltung Abstand nehme. Die StVK hat das „abgesegnet“, das OLG Hamm hat hingegen Bedenken:
„Gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG dürfen Lockerungen des Strafvollzuges gewährt werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder Lockerungen des Vollzuges durch Straftaten missbrauchen wird. Das Gesetz räumt der Vollzugsbehörde damit bei der Gewährung von Lockerungen ein Ermessen ein, macht dessen Ausübung aber zunächst davon abhängig, dass der zwingende Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr fehlt. Hinsichtlich dieser Versagungsgründe ist der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum eröffnet, in dessen Rahmen sie mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (BGHSt 30, S. 320). Damit soll vor allem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Vollzugsbehörde wegen ihrer Nähe zu dem Gefangenen besser als die Gerichte in der Lage ist, diese Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände zu treffen. Versagt deshalb die Vollzugsbehörde die Gewährung von Lockerungen, so hat die Strafvollstreckungskammer nur zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt hat und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (BGH a.a.O.).
Dass die Entscheidung der Vollzugsbehörde diesen Anforderungen genügt, ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Die Vollzugsbehörde hat ihre Entscheidung ersichtlich allein darauf gestützt, dass der Betroffene seine Taten inzwischen bestreitet und deshalb therapeutischen Maßnahmen nicht zugänglich sei. Aus diesem Verhalten haben die in der Justizvollzugsanstalt bislang mit dem Betroffenen befassten Psychologen den Schluss gezogen, dass Art und Umfang der sexuellen Fehlentwicklung des Betroffenen nicht festgestellt werden könnten und das Risiko weiterer sexueller Auffälligkeiten mit strafrechtlicher Relevanz sich möglicherweise nicht verringert habe.
Diese Begründung der Ablehnung von Lockerungen jeder Art hält rechtlicher Überprüfung durch den Senat nicht Stand. Die Vollzugsbehörde hat ihrer Entscheidung ersichtlich – nur – den Versagungsgrund der Missbrauchsgefahr zugrunde gelegt. Zwar stellt in diesem Fall – insbesondere wenn es die Gewährung von Lockerungen für einen rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäter betrifft – die nachhaltige Tatleugnung stets ein ungünstiges prognostisches Kriterium für die Beurteilung der Missbrauchsgefahr dar. Die Tatleugnung allein begründet aber eine solche Annahme dann nicht, wenn andere – gewichtige – Umstände dem entgegenstehen. Um das Gewicht der Tatleugnung für die Missbrauchsgefahr beurteilen zu können, müssen deshalb im konkreten Fall weitere Prognosegesichtspunkte herangezogen werden, die die aus der Tatleugnung hergeleitete fehlende Unrechtseinsicht und mangelnde Tataufarbeitung zu stützen vermögen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Persönlichkeit des Strafgefangenen und seine Entwicklung bis zur Tat, die Art und Weise sowie Motive der Tatbegehung, mögliche oder erkennbare Motive für das Leugnen der Tat sowie die Entwicklung und das Verhalten im Vollzug und die Eignung für eine Therapie bei der Beurteilung der Missbrauchsgefahr zu beachten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2004 – 1 Vollz (Ws) 153/04 -; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2000, S. 251).
Im vorliegenden Fall ist von besonderem Gewicht, dass sich die Straffälligkeit des Betroffenen, die zu seiner bisher einzigen Verurteilung geführt hat, in einem familiären Umfeld ereignet hat, das in dieser Form nicht mehr besteht. Die damaligen Tatopfer, die inzwischen volljährigen ehelichen Töchter des Betroffenen, stehen in keinem Kontakt mehr zu ihm. Ihnen droht deshalb im Falle einer Bewilligung des beantragten Begleitausgangs – jedenfalls soweit ersichtlich – keine von dem Betroffenen ausgehende Gefahr. Für eine Gefährdung Dritter lässt aber weder das gegen den Betroffenen ergangene Strafurteil noch sein Vorleben oder sein Vollzugsverhalten irgendwelche Anhaltspunkte erkennen. Unter diesen Umständen vermag der Senat – jedenfalls nach den bisher getroffenen Feststellungen – nicht zu erkennen, warum der Betroffene den von ihm beantragten Begleitausgang zum Grab der Schwiegermutter im Beisein des Anstaltsgeistlichen und seiner körperbehinderten Ehefrau zur Begehung zu Straftaten missbrauchen könnte.
An einer ausreichenden Auseinandersetzung mit diesen für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkten fehlt es….“