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Haft II: JVA arbeitet bei der Briefkontrolle nach, oder: Doppelte Briefkontrolle rechtswidrig

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Im zweiten Posting stelle ich den LG Ingolstadt, Beschl. v. 14.10.2024 – 1 KLs 34 Js 3277/23 – der sich mit doppelter Briefkontrolle befasst vor.

Der Beschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft in der JVA Augsburg-Gablingen. Für den Vollzug der Untersuchungshaft hat der Ermittlungsrichter beim AG mit Invollzugsetzung des Haftbefehls einen Beschränkungsbeschluss erlassen, wonach u. a. gemäß § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind. Diese Überwachung wird nach Anklageerhebung durch Richter der zuständigen Strafkammer durchgeführt.

Die JVA Augsburg-Gablingen führt nun aber ebenfalls eine Brief- und Postkontrolle für den gesamten Brief- und Postverkehr durch. Sie stützt sich dabei auf Art. 19 Abs. 1, 23 Abs. 2 BayUVollzG. Der Beschuldigte hat beantragt, die Doppelkontrolle seiner Post durch die Anstalt in Gablingen aufzuheben. Der Antrag hatte Erfolg:

„Die von der JVA Augsburg-Gablingen ohne konkreten Anlass ein weiteres Mal durchgeführte Briefkontrolle ist rechtswidrig.

1. Der Antrag des Untersuchungsgefangenen pp. ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 119a Abs. 1 S. 1 StPO auszulegen. Zur Entscheidung ist nach Anklageerhebung die 1. Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt als erkennendes Gericht zuständig.

2. Der Antrag ist begründet, soweit die JVA nach durchgeführter richterlicher Kontrolle und Genehmigung der Aushändigung die Text- und Inhaltskontrolle des Briefverkehrs ohne konkreten Anlass ein zweites Mal durchführt.

a) Seit der Föderalismusreform erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG auf das gerichtliche Verfahren ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs. Dabei kommt es durch die bundesgesetzliche Regelung in § 119 StPO und die Regelungen in BayUvollzG zu Überschneidungen.

Nach überwiegend vertretener, enger Auslegung des Begriffs „Untersuchungshaftvollzug“ steht dem Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Befugnis zu, Regelungen zu treffen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert, die mithin der Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahren dienen; hiervon hat er mit der Vorschrift des § 119 StPO Gebrauch gemacht (Karlsruher Kommentar/Gericke zur StPO, 9. Aufl., § 119 Rn. 2 mwN). Die Kompetenz des Bundes umfasst nicht nur die Regelungsbefugnis für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Außervollzugsetzung, sondern auch alle Bestimmungen, die die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens sichern. Hierzu gehören auch Befugnisse, die zur Durchsetzung des Zwecks der Untersuchungshaft – Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahren – erforderlich sind, ebenso. Sie dienen gleichfalls der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens.

Das Recht des Untersuchungshaftvollzugs fällt dagegen in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder. Der Freistaat Bayern hat von dieser Zuständigkeit Gebrauch gemacht und das BayUvollzG geschaffen. Zum Schriftwechsel regelt Art. 19 Abs. 1 BayUvollzG, dass ein- und ausgehende Schreiben überwacht werden. Nach Abs. 2 kann von der Überwachung des gedanklichen Inhalts ein- und ausgehender Schreiben (Textkontrolle) abgesehen werden, wenn eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt nicht zu befürchten ist. Die Regelungskompetenz der Länder und in deren Folge die Anordnungskompetenzen nach den landesrechtlichen Untersuchungshaftvollzugsgesetzen beschränkt sich auf Bereiche, die die Ordnung und Sicherheit der Anstalt betreffen oder die Ausgestaltung der Untersuchungshaft in allgemeiner Weise wie etwa Aufnahmeprozedere, Unterbringung, Versorgung usw. (Karlsruher Kommentar/Gericke zur StPO, 9. Aufl., § 119 Rn. 2 mwN).

Die Regelung des § 119 StPO bildet daher eine Rechtsgrundlage für alle Haftzwecke betreffenden Einschränkungen. Wie diese umzusetzen sind, ist indes wiederum regelmäßig Gegenstand der Vollzugsgestaltung (Karlsruher Kommentar/Gericke zur StPO, 9. Aufl., § 119 Rn. 2; KG StV 2014, 229 = BeckRS 2013, 17993; LG Kiel BeckRS 2019, 16070).

b) Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO sind zulässig, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine reale Gefahr für die darin genannten Haftzwecke (Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr) besteht. Bei einem auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl kann eine mögliche Verdunkelungsgefahr berücksichtigt werden, wenn konkrete Hinweise dafür vorliegen, dass zwischen dem Untersuchungsgefangenen und seinen Gesprächspartnern Absprachen über Verdunkelungshandlungen getroffen werden könnten (vgl. KG BeckRS 2013, 17993 mwN. und OLGSt StPO § 119 Nr. 40; KG, Beschluss vom 19. Januar 2010 – 3 Ws 17/10 -; OLG Köln StV 2011, 35 und 743; Meyer-Goßner a. a. O.).

Die Anordnung der inhaltlichen Überwachung des Schriftwechsels des Untersuchungsgefangenen einen ganz erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich des Untersuchungsgefangenen dar. Daher ist stets zu prüfen, ob im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Haftzwecks durch den unkontrollierten Kontakt des Untersuchungsgefangenen mit der Außenwelt vorliegen (vgl. KG BeckRS 2013, 17993 Rn.10 mwN.).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Letzteres wird durch den Antragsteller auch gar nicht in Frage gestellt, weshalb auf weitere Darlegungen hierzu verzichtet wird.

c) Für die Überwachung des Schriftwechsels des Untersuchungsgefangenen durch die JVA gilt dasselbe. Zwar ist nach Art. 19 Abs. 1 BayUvollzG eine Text- und Inhaltskontrolle ein- und ausgehender Schreiben grundsätzlich zulässig. Der ganz erhebliche Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich des Untersuchungsgefangenen erfordert es aber, stets zu prüfen, ob nach einer aufgrund eines Beschränkungsbeschlusses nach § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO durchgeführten Briefkontrolle eine weitere, nochmalige Kontrolle erforderlich ist oder ob von einer nochmaligen Kontrolle abzusehen ist, weil bereits eine Kontrolle stattgefunden hat. Eine zusätzliche Überwachung durch die Anstalt sollte sich in dieser Konstellation auf begründete Einzelfälle beschränken (BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern Arloth-Bratke/Krä, Art.19 BayUvollzG Rn. 3a). Sofern eine zusätzliche Überwachung durch die Anstalt erfolgt, sollten Gericht/ Staatsanwaltschaft im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit eingebunden werden (BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern aaO). Es begegnet deshalb grundsätzlichen Bedenken, dass die JVA Augsburg-Gablingen die durch den Richter durchgeführte Text- und Inhaltskontrolle generell, also aufgrund einer allgemeinen Anordnung, ohne einen besonderen Anlass wiederholt, dass sie also, nachdem der zuständige Richter die Briefkontrolle durchgeführt, den Brief in einen verschlossenen Umschlag gegeben und die Aushändigung des Briefes an den Untersuchungsgefangenen genehmigt hat, den Brief erneut öffnet, um eine weitere Text- und Inhaltskontrolle durchzuführen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Prüfungszwecks, denn auch der Richter wird den Schmuggel von Kassibern, gefährlichen Gegenständen oder Betäubungsmitteln nicht genehmigen und ist aufgrund des Zusammenwirkungsgebots nach Art. 7 Abs. 2 BayUvollzG gehalten, bei Hinweisen auf eine Suizidgefahr oder andere vollzuglich relevante Umstände die JVA hierauf aufmerksam zu machen. Stellt der Richter im Zuge der Durchführung der Kontrolle Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt fest, so ist die Anstalt unter Beachtung des Zusammenwirkungsgebots nach Art. 7 Abs. 2 BayUvollzG hierüber zu unterrichten, um weitere Anordnungen und Maßnahmen ihrerseits treffen zu können (BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern Arloth-Bratke/Krä, Art.19 BayUvollzG Rn. 3a).

Die anlasslose doppelte Briefkontrolle ist deshalb unzulässig. Dass beim Angeschuldigten pp. ausnahmsweise die Voraussetzungen dafür vorliegen, den ganz erheblichen Eingriff in den persönlichen grundgesetzlich geschützten Lebensbereich des Untersuchungsgefangenen ein weiteres Mal durchzuführen, hat die JVA nicht behauptet und auch nicht dargelegt.“

Haft I: Verspätete Vorführung ==> Aufhebung des HB?, oder: Zwar rechtwidrig, aber Aufhebung nicht zwingend

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Urheber Sebastian Terfloth User:Sese_Ingolstadt

Heute gibt es hier dann einen Hafttag.

Den beginne ich mit dem OLG Celle, Beschl. v. 26.09.2024 – 2 Ws 257/24 – zur Frage, ob die verspätete Vorführung eines Beschuldigten (§ 115 StPO) zur Aufhebung des Haftbefehls führt. Die Frage ist ja in Rechtsprechung und Literatur nicht unstreitig. Das OLG sagt: Das ist nicht zwingend. Es hat seine Auffassung umfangreich begründet. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Beschluss. Hier stelle ich nur den Leitsatz ein. Der lautet:

Die gegen §§ 115 Abs. 1 und 2, 115a Abs. 1 StPO verstoßende Vorführung des auf Grund eines bestehenden Haftbefehls vorläufig festgenommenen Beschuldigten vor das ortsnächste Amtsgericht anstelle des zuständigen Gerichts sowie die anschließende Unterlassung der vom Beschuldigten beantragten und nach § 115a Abs. 3 StPO gebotenen unverzüglichen Vorführung vor das zuständige Gericht und ihre Nachholung erst nach längerer Zeit (hier: über 2 Monate) führen nicht zwingend zur Aufhebung des Haftbefehls. Je nach Lage des Einzelfalls kann es bei fortbestehendem dringenden Tatverdacht, weiterhin anzunehmendem Haftgrund und Verhältnismäßigkeit im Übrigen ausreichen, die Rechtswidrigkeit der vom Beschuldigten seit der Verhaftung bis zur Nachholung der Vorführung vor das zuständige Gericht erlittenen Untersuchungshaft festzustellen und die vorausgegangenen Verfahrensverstöße durch die nachgeholte Vorführung für die Zukunft als geheilt anzusehen.

Strafe III: Aufrechnung der JVA gegen Eigengeld, oder: Wirtschaftlich geringe Bedeutung des Anspruchs

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Und im dritten Posting mit dem OLG Celle, Beschl. v. 29.05.2024 – 1 Ws 128/24 (StrVollz) – etwas aus dem Strafvollzug, nämlich: Aufrechnung der JVA gegen das Eigengeld des Gefangenen.

Der Antragsteller befindet sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet er sich gegen eine Entscheidung der Antragsgegnerin, mit einer Schadensersatzforderung von 265 EUR gegen sein Eigengeld aufzurechnen. Die Antragsgegnerin begründete diese Forderung damit, dass der Antragsteller einen Schrank in seinem Haftraum zur Anbringung von Regalbrettern angebohrt und dadurch das Anstaltseigentum beschädigt habe.

Die StVK hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Gefangenen, die Erfolg hatte:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Die Strafvollstreckungskammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass zur Überprüfung der Aufrechnung im gerichtlichen Verfahren gemäß § 109 ff. StVollzG im vorliegenden Fall zunächst das Bestehen des zivilrechtlichen Anspruchs der Antragsgegnerin zu prüfen ist.

Der Senat schließt sich insoweit der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur an, wonach die Strafvollstreckungskammer gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 262 StPO die Möglichkeit hat, entweder über die zivilrechtliche Forderung mitzuentscheiden oder das Verfahren bis zur Entscheidung durch ein Zivilgericht auszusetzen (OLG Naumburg, Beschluss vom 8. September 2015 – 1 Ws (RB) 91/15 –, juris; OLG München, Beschluss vom 17.03.1986 – 1 Ws 1026/85, beck-online; Schmidt-Clarner in: Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, Teil C, Rn. 207; Arloth in: Arloth/Krä, 5. Aufl., StVollzG § 93 Rn. 5; Baier/Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 4. Kapitel, Abschnitt I, Rn. 115). Der Gegenansicht, wonach das Verfahren zwingend ausgesetzt und der Anstalt eine Frist zur Geltendmachung der Forderung vor dem Zivilgericht gesetzt werden muss (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Mai 2014 – 1 Ws 83/14 –, juris;   KG, Beschluss vom 9. Mai 2003 – 5 Ws 135/03 Vollz –, juris; Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Kapitel P, Rn. 24), vermag der Senat bereits aufgrund des Wortlautes von § 262 Abs. 1 und 2 StPO nicht zu folgen. Auch dem Normzweck des § 262 Abs. 2 StPO, der gerade in der Verfahrensökonomie liegt (MüKoStPO/Bartel, 2. Aufl. 2024, StPO § 262 Rn. 2), würde eine Pflicht zur Aussetzung nicht gerecht werden, weil diese zu einer Aufspaltung und Verzögerung des Verfahrens führen würde. Demgegenüber ermöglicht die vom Senat im Einklang mit der vorherrschenden Ansicht vertretene Auffassung eine dem Normzweck entsprechende Ermessensausübung der Strafvollstreckungskammer, bei der die Verfahrensökonomie neben anderen möglicherweise berührten Interessen Berücksichtigung findet.

Einer ausdrücklichen Ausübung des Ermessens der Strafvollstreckungskammer über die Frage der Aussetzung entsprechend § 262 Abs. 2 StPO bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Ihr Ermessen war auf Null reduziert, weil eine Aussetzung zur Klärung des Falles durch ein Zivilgericht hier nicht in Betracht kam. Ist – wie im vorliegenden Fall – die wirtschaftliche Bedeutung des Anspruchs gering und der Sachverhalt einfach gelagert, bedürfte es besonderer Umstände, um das Interesse an einer konzentrierten Bearbeitung des Verfahrens durch die Strafvollstreckungskammer zurücktreten zu lassen. Solche liegen nicht vor.

b) Die Prüfung der zivilrechtlichen Forderung durch die Strafvollstreckungskammer hält rechtlicher Nachprüfung indes nicht stand, weil die Strafvollstreckungskammer keine eigenen Feststellungen zur Schadenshöhe getroffen hat.

Wenn die Strafvollstreckungskammer gemäß § 120 StVollzG i. V. m. § 262 Abs. 1 StPO über die zivilrechtliche Forderung mitentscheidet, muss sich ihre Prüfung sowohl auf den Grund als auch auf die Höhe der Forderung erstrecken (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 8. September 2015 – 1 Ws (RB) 91/15 –, juris; OLG München, Beschluss vom 17.03.1986 – 1 Ws 1026/85, beck-online; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Februar 2018 – V 4 Ws 424/17 –, juris). Wie stets im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG gilt dabei der Untersuchungsgrundsatz. Das Gericht darf seiner Entscheidung nicht den Sachvortrag einer Seite ungeprüft zugrunde legen. Wenn die Vollzugsbehörde Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Maßnahme gegenüber dem Gefangenen begründen sollen, muss das Gericht aufklären bzw. erwägen, ob sie zutreffen oder nicht, ehe es sie übernimmt (st. Rspr.; OLG Celle, Beschluss vom 8. September 2020 – 3 Ws 210/20 (MVollz) –, Rn. 19, juris, m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Die Strafvollstreckungskammer hat darin zur Schadenshöhe lediglich mitgeteilt, dass der Fachbereich Finanzen und Versorgung eine Schadenshöhe von 265 Euro festgesetzt habe. Eine eigene Prüfung, ob diese Schadensbezifferung zutreffend ist, hat sie aber nicht erkennbar vorgenommen.

c) Angesichts des aufgezeigten Rechtsfehlers, der im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geheilt werden kann, kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen und hat die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG).

Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daneben nicht mehr an. Deren Zulässigkeit begegnet erheblichen Zweifeln, weil sie sich im Wesentlichen auf ungeordnet in den Schriftsatz hineinkopierte Aktenbestandteile stützt und es nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichtes ist, sich aus einem solchen ungeordneten Vortrag diejenigen Verfahrenstatsachen herauszusuchen, die zu der jeweiligen Rüge passen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023 – 5 StR 257/23 –, juris).

Die Strafvollstreckungskammer wird bei ihrer neuen Entscheidung im Übirgen erneut Gelegenheit haben, die Vernehmung der vom Antragsteller benannten Zeugen zu erwägen. Der Senat weist insofern darauf hin, dass die im angefochtenen Beschluss dargelegte Begründung, mit der die Vernehmung der Zeugen abgelehnt wurde, lückenhaft erscheint. Denn die Beschädigung soll nach den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer nicht sogleich nach Übergabe des Haftraumes, sondern erst nach mehreren Haftraumkontrollen vor dem 8. Mai 2023 erfolgt sein. Zu diesem Zeitpunkt könnten die Zeugen bereits auf demselben Flur untergebracht gewesen sein.“

Vollzug II: Treulich ausgeführt zur Bruderhochzeit?, oder: Was schert die JVA Burg die Auffassung der StVK?

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Die zweite Entscheidung kommt – wie gesagt – auch vom OLG Naumburg.

Es handelt sich um den OLG Naumburg, Beschl. v. 18.06.2024 – 1 Ws 254/24 RB-Vollzug. In der Entscheidung hat das OLG noch einmal wegen einer Genehmigung zur Ausführung eines Strafgefangenen aus wichtigem Anlass, nämlich der Hochzeit des Bruders, Stellung genommen.

Die JVA Burg hatte diesen Antrag zunächst am 06.03,2024 mündlich abgelehnt, Die StVK hatte am  27.03.2024 die Ablehnungsentscheidung aufgehoben und die Sache zur Neubescheidung über den Ausführungsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer, wonach der Anwendungsbereich des § 46 JVollzGB I LSA eröffnet sei, da es sich bei der Hochzeit des Bruders um einen wichtigen Anlass im Sinne dieser Vorschrift handele, zurückverwiesen. Die JVA Burg lehnte den Ausführungsantrag dann am 11.04. 2024 erneut ab, da es sich bei der Hochzeit des Bruders des Antragstellers nicht um einen wichtigen Anlass im Sinne des § 46 JVollzGB I LSA handele.

Hiergegen wandte sich der Antragsteller dann mit einem erneuten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 12.04.2024, beim LG eingegangen am 15.04.2024. Auf diesen Antrag hob das LG mit einem ersichtlich fälschlich auf den 24.03.2024 datierten, tatsächlich am 24.04.2024 erlassenen Beschluss die Entscheidung der JVA Burg vom 11.04.2024 auf und verpflichtete diese, den Antragssteller zur Hochzeit seines Bruders auszuführen. Gegen den ihr am 24.04.2024 zugestellten Beschluss wendet sich die JVA Burg dann mit ihrer Rechtsbeschwerde vom 24.05.2024, die am selben Tag beim LG einging und mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig angesehen bzw. ansehen müssen:

„Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Antragsteller die Ausführung zur Hochzeit seines Bruders. Diese Hochzeit hat jedoch bereits am 4. Mai 2024 stattgefunden. Damit hatte sich der Verfahrensgegenstand nach der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, aber vor Einlegung der Rechtsbeschwerde erledigt. In diesem Fall ist die Rechtsbeschwerde unzulässig (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 2 Ws 172/19 Vollz –, Rn. 16; Arloth in Arloth/Kräh, StVollzG, 5. Auflage, § 116 Rn. 2).

Ergänzend merkt der Senat an, dass entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin durch die rechtskräftige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 27. März 2024, mit der die Beschwerdeführerin unter Beachtung der Rechtauffassung der Kammer zur Neubescheidung verpflichtet wurde, im Hinblick auf diese Rechtsauffassung Bindungswirkung eingetreten ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12. April 2021 – 2 Ws 167/20 Vollz –, Rn. 26, zitiert nach juris). Die Beschwerdeführerin wäre daher verpflichtet gewesen, bei ihrer erneuten Entscheidung über den Ausführungsantrag die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, es handele sich bei der Hochzeit des Bruders um einen wichtigen Anlass im Sinne des § 46 JVollzGB I LSA, zugrunde zu legen.“

Das Verhalten/die Vorgehensweise der JVA Burg ist schon – gelinde ausgedrückt – „keck“. Denn: Da kassiert man sofort wegen der Ablehnung eine Abfuhr bei der StVK und soll „unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer“ neu entscheiden, was man aber offenbar nicht tut, sondern den Antrag erneut ablehnt. Als dann das passiert, was passieren musste, nämlich auf Antrag des Gefangenen eine erneute Abfuhr, nimmt man das nicht hin, sondern geht in die Rechtsbeschwerde. Die legt man aber nicht so zeitig ein, dass noch vor dem Ereignis, für das die Ausführung beantragt worden ist, entschieden werden kann. Nein, man wartet – genüsslich? – einen Monat und legt dann Rechtsbeschwerde ein. Deren Unzulässigkeit nimmt man – offenbar gern – in Kauf. Hat man doch das Ziel: Nämlich keine Ausführung des Gefangenen zur Hochzeit seines Bruders erreicht. Dass man dadurch die Rechte des Gefangenen missachtet und zu Lasten der Landeskasse auch noch unnötige Kosten verursacht hat, nimmt man in Kauf. Man ist ja mit dem Kopf durch die Wand.

Wie gesagt: Gelinde ausgedrückt – „keck“. Mir fielen noch andere Bezeichnungen ein. Aber die verkneife ich mir lieber.

Vollzug I: Verlobtenlangzeitbesuch am Wochenende, oder: Ablehnung nur wegen Hausordnung reicht nicht

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In die neue Woche starte ich mit zwei Entscheidungen zum Vollzug. Beide kommen vom OLG Naumburg. In der einen hat das OLG das LG Stendal „zur Ordnung gerufen“, in der anderen die JVA Burg.

Ich beginne mit dem OLG Naumburg, Beschl. v. 26.08.2024 – 1 Ws 366/24 RB-Vollzug. Es geht um das Besuchsrecht bzw. einen Langzeitbesuch der Verlobten eines Strafgefangenen.

Der Strafgefangene verbüßt seit dem 30.05.2023 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten wegen Verstoßes gegen die Abgabenordnung u. a.. Das Strafende ist auf den 17. September 2026 notiert. Nachdem die JVA dem Antragsteller am 12.02.2024 die Eignung zur Durchführung von Langzeitbesuchen mit seiner Verlobten zugesprochen hatte, beantragte der Antragsteller schriftlich die Durchführung eines Langzeitbesuchs seiner Verlobten und bat um einen Termin am Wochenende. Die Antragstellerin lehnte die Durchführung eines Termins für einen Langzeitbesuch an einem Wochenende ab, da am Wochenende die Durchführung von Langzeitbesuchen nicht vorgesehen sei.

Dagegen wandte sich der Antragsteller an das LG. Die StVK hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Das OLG hat dann das LG/die StVKkkk „zur Ordnung gerufen“:

„2. Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer geht allerdings zutreffend davon aus, dass sich – bei hier grundsätzlicher Gestattung von Langzeitbesuchen der Verlobten des Antragstellers durch die Antragstellerin nach § 33 Abs. 5 JVollzG I LSA – unmittelbar aus dem Gesetz kein Anspruch auf eine bestimmte Besuchszeit ergibt. Vielmehr gehört die Ausgestaltung der Besuchsregelung zu der der Anstalt übertragenen Organisationsbefugnis, wobei allgemeine Regelungen zu Besuchszeiten gemäß § 113 Abs. 2 Nr. 1 JVollzGB I LSA in der Hausordnung zu treffen sind (vgl. zur Sicherungsverwahrung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. April 2016 – 2 Ws 68/16 –, Rn. 9, zitiert nach juris). Bereits dabei sind berechtigte organisatorische Belange der Anstalt in einen Ausgleich mit den Interessen der Gefangenen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu bringen. Nach diesen Vorgaben getroffene Regelungen bilden die Grundlage für die Entscheidung über im Einzelfall gestellte Anträge auf Zulassung von Besuch, denen außerhalb der durch die Hausordnung festgelegten Zeiten allenfalls ausnahmsweise zu entsprechen sein wird (OLG Karlsruhe a. a. O.). Dies enthebt den Anstaltsleiter indes nicht von der Verpflichtung, einen solchen Antrag im Einzelfall zu bescheiden und dabei das ihm im Rahmen der Organisationsbefugnis eingeräumte Ermessen unter Berücksichtigung berechtigter Interessen des Antragstellers auszuüben (OLG Karlsruhe a. a. O.; KG Berlin, Beschluss vom 30. März 2000 – 5 Ws 146/00 Vollz –, Rn. 10, zitiert nach juris).

Die gerichtliche Überprüfung der Ausgestaltung des Besuchsrechts in dem durch die gesetzlichen Bestimmungen vorgegebenen Rahmen ist – wie allgemein beim Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung – darauf beschränkt, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, von dem eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und dabei eine Abwägung der organisatorischen Belange der Anstalt mit den berechtigten Interessen des Gefangenen vorgenommen wurde (OLG Karlsruhe a. a. O. Rn. 10; s. a. Arloth/Krä, StVollzG, 5. Auflage § 115 Rn. 15).

Dabei ist in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Ausfüllung des ihr in Bezug auf Besuche eingeräumten Ermessens die Justizvollzugsanstalt insbesondere Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2021 – 5 Ws 64/21 Vollz –, Rn. 15, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, jeweils zitiert nach juris, OLG Karlsruhe a. a. O Rn. 9). Aus der aus Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie kann sich ein Anspruch auf Besuch von Familienangehörigen auch außerhalb der allgemeinen Besuchstage ergeben (OLG Karlsruhe a. a. O.; s. a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1994 – 2 BvR 806/94 –, Rn. 19, zitiert nach juris). Die grundrechtlichen Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 GG strahlen in gewissem Ausmaß auch auf das der Ehe vorgelagerte Verlöbnis aus, auch wenn sie verfassungsrechtlich nicht zu gleichermaßen weitgehenden Schutzmaßnahmen verpflichten (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, zitiert nach juris).

Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Versagung von Langzeitbesuchen am Wochenende nicht gerecht. Es wurde bereits keine auf den Einzelfall bezogene Ermessenentscheidung unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller vorgebrachten besonderen Umstände getroffen. Vielmehr wurde ersichtlich lediglich auf die in der Hausordnung allgemein geregelten Besuchszeiten abgestellt, ohne dass die Antragsgegnerin, wie es nach dem oben Gesagten geboten gewesen wäre, geprüft hätte, ob der Umstand, dass die Verlobte des Gefangenen zu den in nach der Hausordnung vorgesehenen Zeiten für Langzeitbesuche beruflich verhindert ist, auch bei Berücksichtigung berechtigter organisatorischer Belange der Anstalt nicht eine Ausnahme von den allgemeinen Besuchszeiten zulässt. Dies ist jedenfalls nicht von vornherein völlig auszuschließen.“