Archiv der Kategorie: Auslagen

Zulässige Einwendungen gegen Kostenfestsetzung, oder: Ausführungen auf 21 eng beschriebenen Seiten?

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Und als zweite Entscheidung kommt hier dann der OLG Celle, Beschl. v. 21.08.2023 – 2 W 107/23. Ergangen ist der Beschluss in einem zivilrechtlichen Kostenfestsetzungsverfahren.

Es geht um die Zulässigkeit von materiellrechtlichen Einwendungen. Dazu sagt das OLG:

Materiellrechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren sind – auch bei der Frage der Nichtigkeit eines Anwaltsvertrages – nur berücksichtigungsfähig, wenn sie unstreitig sind oder vom Rechtspfleger ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden können .

Begründung des OLG:  Da das Kostenfestsetzungsverfahren nur den Zweck hat, die Kostengrundentscheidung der Höhe nach zu beziffern, sind materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Kostengrundentscheidung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen; hierfür steht der Weg über § 775 Nr. 4, 5 ZPO oder die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) offen (u.a. BGH NJW-RR 2007, 422; MDR 2014, 865 f.) Eine Ausnahme ist nur für Einwände zu machen, deren tatsächlichen Voraussetzungen unstreitig sind oder vom Rechtspfleger bzw. von der Rechtspflegerin ohne Schwierigkeiten aus den Akten zu ermitteln sind [BGH, a.a.O.).

Eine solche Ausnahme hat das OLG hier verneint. Der Beklagte, ein Rechtsanwalt, der sich in dem Rechtsstreit selbst vertreten hat, hatte gegen die von der Klägerin beantragte Kostenfestsetzung maßgeblich eingewandt, es existiere kein Honoraranspruch der Klägervertreter gegenüber der Klägerin, weil der Anwaltsvertrag mit der Klägerin wegen Vorliegens einer Interessenkollision gemäß § 134 BGB i. V. m. § 43a BRAO nichtig sei. Dazu hatte er u.a. auf 21 eng beschriebenen Seiten Ausführungen gemacht. Die Klägervertreter haben die Behauptung eines Interessenkonflikts zurückgewiesen. Damit erweist sich – so das OLG – der Sach- und Streitstand zur behaupteten Interessenskollision als streitig. Es verbleibt also bei dem Grundsatz zu bleiben, dass diese Frage eine materiell-rechtliche Einwendung darstellt, die im Kostenfestsetzungsverfahren generell nicht zu prüfen ist.

Lösung zu: Wie ist das mit Reisekosten und Abwesenheitsgeld für das Abholen der Akten?

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Die Frage am Freitag war: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit Reisekosten und Abwesenheitsgeld für das Abholen der Akten?

Und hier die Antwort:

Moin,

ohne jetzt die Einzelheiten genau zu kennen: Ich würde es mal mit den Auslagen versuchen. Ob es sich um eine „Geschäftsreise“ gehandelt hat, kann ich ebenfalls nicht beurteilen.

Die Nr. 4102 VV RVG dürfte in der Tat nicht entstanden sein. Es war weder ein „Termin“ noch ist ja eine Vernehmung des Mandanten erfolgt. Das war eine „Besprechung“, die über die Verfahrensgebühr abgedeckt ist.

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit Reisekosten und Abwesenheitsgeld für das Abholen der Akten?

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Und dann hier die Freitagsfrage zum Gebührenrecht, und zwar:

„Guten Abend Herr Kollege Burhoff,

ich habe ein kleines Problem: In einem kurzfristig übernommenen Strafverfahren bin ich im Haftbefehlverkündungstermin am 27.09.2023 zur Pflichtverteidigerin bestellt worden.

Die Hauptverhandlung sollte ursprünglich am 06.10.2023 sein, wurde aber auf den 04.10.2023 vorgezogen, da ich am 06.10.2023 verhindert war. Das Gericht wollte/konnte die Akten nicht mehr schicken (per Post zu knapp wegen Wochenende und Feiertag, Fax und BeA ging vom Gericht aus nicht), so dass ich diese abgeholt habe.

Dass das wahrscheinlich nicht unter Nr. 4102 VV/RVG fällt (obwohl eine kurze Erörterung mit der Richterin vor Ort erfolgt ist), ist mir eigentlich klar. Doch was ist mit Reisekosten und Abwesenheitsgeld?

Gefunden habe ich nur den LG Dessau-Roßlau Beschl. v. 30.6.2015 – 2 Ks 111 Js 24024/11. Der passt bei mir aber nicht, da ich nicht früher Akteneinsicht nehmen konnte.“

Einstellung wegen Todes im Berufungsverfahren, oder: Mit endgültiger Verurteilung war zu rechnen

Ich komme dann heute im zweiten Posting noch einmal auf den OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2023 – 1 Ws 96/23 – zurück. Über den hatte ich ja gestern schon berichtet (siehe hier:  Pflichti III: Rechtsmittel nach dem Tod des Angeklagten, oder: „Pflichti“-Bestellung“ gilt über den Tod hinaus). Heute geht eum die Erstattungsproblematik.

Das AG hatte den Angeklagten verurteilt. Zu den Tatvorwürfen hatte sich der Angeklagte teilweise geständig eingelassen. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Berufung ein. Nach Ladung des Angeklagten durch das LG meldete sich ein Rechtsanwalt als Verteidiger, beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO und gab an, dass der Angeklagte an einer Depression sowie einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung leide. Zudem teilte der Verteidiger telefonisch mit, dass sich der Angeklagte in einem Klinikum befände und bei ihm eine schizophrene Erkrankung wohl diagnostiziert werden würde. Es stelle sich möglicherweise die Frage der verminderten Schuldfähigkeit.

Der Rechtsanwalt beantragte sodann, den terminierten Hauptverhandlungstermin aufzuheben und das Verfahren nach § 153a StPO einzustellen. Es bestünden Zweifel an der Verhandlungs- und möglicherweise der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit. Ein ärztliches Attest, ausgestellt durch das Klinikum zur Verhandlungsunfähigkeit wurde beigefügt. Eine Diagnose beinhaltete die ärztliche Bescheinigung nicht. Das LG hat dann Begutachtung des Angeklagten auf seine Verhandlungs- und Reisefähigkeit in Auftrag gegeben.

Nachdem der Angeklagte im Anschluss daran verstorben war, hat das LG das Verfahren auf Kosten der Landeskasse gemäß § 206a StPO eingestellt. Es hat ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers war zwar zulaässig – siehe das gestrige Posting – hatte aber in der Sache keinen Erfolg:

„2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 13. Juli 2023 Folgendes ausgeführt:

„Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen.

Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.). Die Frage kann jedoch offen gelassen werden, da auch nach der engen Auffassung, welche die Durchführung der Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife verlangt, der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist. Das Amtsgericht ist hier nach durchgeführter Hauptverhandlung bereits erstinstanzlich zu einem Schuldspruch des Angeklagten gekommen.

Im Falle der Fortsetzung des Berufungsverfahrens hätte der frühere Angeklagte damit rechnen müssen, dass sein Rechtsmittel verworfen worden wäre. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils bilden eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung. Rechtsfehler, die zu einer anderen Entscheidung und letztlich zum Freispruch des Angeklagten insgesamt oder einer erheblich milderen Bestrafung und damit zu einer für ihn ganz oder teilweise günstigen Auslagenentscheidung hätten führen können, sind nicht ersichtlich.

Die lediglich ohne ärztliche Unterlagen behauptete psychische Erkrankung des Angeklagten, nämlich einer Depression und einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung, würden nach Aktenlage nicht zu einer Aufhebung oder Verminderung der Schuldfähigkeit führen. Es fehlt auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen dafür, dass der Angeklagte bereits zur Tatzeit im August 2020 und Januar 2021 derart krankheitsbedingt eingeschränkt war, dass die Anwendung der §§ 20, 21 StGB in Betracht käme. Erstmalig vorgetragen wurden die Krankheitsanzeichen mit Schreiben vom 16.05.2022. Das vom Amtsgericht festgestellte Tatgeschehen und das Einlassungsverhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sprechen ebenfalls gegen eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit.

Das Landgericht hätte die Anwendung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO im Beschluss begründen müssen (§ 34 StPO).

Eine Zurückverweisung der Sache an das untere Gericht ist trotz der fehlenden Begründung jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 17.04.1996 – 2 Ws 50/96), welche hier nicht ersichtlich sind. Weitere Sachaufklärung ist durch den Tod des Angeklagten nicht möglich.“

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen, die der Sach- und Rechtslage entsprechen, an.“

Auslagenerstattung im Vollstreckungsverfahren, oder: Keine Rechtsgrundlage, sondern ggf. Amtshaftung

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Und am Gebührenfreitag heute zunächst dann wieder/noch einmal ein „Nachschlag“, und zwar zur Gebührenfrage vom vergangenen Freitag. Die hatte gelautet: Ich habe da mal eine Frage: Auslagenerstattung nach Einstellung der Vollstreckung?. Und meine Lösung dazu war: Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Auslagenerstattung nach Einstellung der Vollstreckung?

Inzwischen liegt mir die in der Frage ergangene amtsgerichtliche Entscheidung vor. Das AG Friedberg hat im AG Friedberg, Beschl. 29.09.2023 – 47a OWi 179/23 – den Antrag zurückgewiesen, also so entschieden, wie ich dem Kollege geantwortet hatte:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gem. § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 62 OWiG statthaft. Dass das Regierungspräsidium den Bescheid, mit selbstständigen Kostenbescheid nach dem RVG überschrieben hat, führt zu keiner Anwendung des § 57 RVG, da mit dem Rechtsbehelf des § 57 RVG nur Entscheidungen nach. den Vorschriften des RVG angefochten werden können. Diese betreffen aber nur die Höhe der Gebühren bzw. deren Anfall, nicht aber die Kostengrundentscheidung selbst (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG § 57 Rn. 1-6.). Hier hat das Regierungspräsidiurn Kassel aber eine Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse, mithin eine Kostengrundentscheidung, getroffen.

Zugunsten des Betroffenen ist davon auszugehen, dass die Frist des § 108 Abs. 1 S. 2 OWiG eingehalten wurde. Eine Zustellung des Bescheids ist nicht erfolgt, so dass eine weitere Fristprüfung nicht möglich ist.

Der Antrag ist indes unbegründet. Die Entscheidung des Regierungspräsidiums ist nicht zu beanstanden.

Es besteht keine Rechtsgrundlage für eine neuerliche Kostengrundentscheidung.

Eine solche wurde bereits in dem Einstellungsbeschluss vom 15.03.2021 getroffen. Nach dieser Entscheidung wurden die notwendigen Auslagen, nicht der Staatskasse auferlegt, womit sie beim Betroffenen verblieben sind.

Eine weitere Kostengrundentscheidung für die Tätigkeit des Verteidigers bzgl. der Vollstreckungsandrohung nach der Einstellung ist nicht möglich. Für eine solche Kostengrundentscheidung besteht keine Rechtsgrundlage. Vielmehr ergibt sich aus § 464a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO, dass die Kosten des Vollstreckungsverfahren von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren umfasst werden (KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 3.).

Auch wenn man die hiesige Vollstreckungsankündigung mangels rechtskräftiger vollstreckbarer Entscheidung nicht unter § 465a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO subsumieren will, ergäbe sich nichts anderes. Denn in diesem Fall würde es an einer Rechtsgrundlage für eine weitere Kostengrundentscheidung fehlen. In keiner der in § 105 OWiG zitierten Vorschriften findet sich eine Rechtsgrundlage für eine entsprechende Kostengrundentscheidung. Für eine analoge Anwendung des § 464 StPO bleibt kein Raum, da es angesichts der detaillierten Regelegungen im Kostenrecht an einer Analogiefähigkeit des § 464 StPO fehlt. Für eine solche Analogie besteht auch kein Bedürfnis, da es dem Betroffenen möglich und zumutbar ist die von ihm verauslagten Rechtsanwaltsgebühren im Wege der Amtshaftung geltend zu machen. Die Vollstreckungsankündigung des Regierungspräsidiums beruht letztlich auf einer fehlerhaften Auskunft der Staatsanwaltschaft Gießen.“

Unschön, ist aber leider so.