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Reise I: Enteisung des Flugzeugs vor dem Start, oder: Nicht immer ein „außergewöhnlicher Umstand“

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Und im „Kessel Buntes“ heute dann „Reiserecht“, also zwei Entscheidungen, die sich mit Rechtsfragen rund um die Reise befassen.

Ich stelle zunächst das BGH, Urt. v. 27.08.2024 – X ZR 146/23 – zur Ausgleichzahlung wegen einer Flugverspätung aufgrund einer erforderlichen Enteisung des Flugzeugs vor dem Start.

Dazu folgender Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Die Zedentin verfügte über eine bestätigte Buchung für einen Flug von Minneapolis über Amsterdam nach Düsseldorf. Der von der Beklagten durchgeführte Flug von Minneapolis nach Amsterdam sollte planmäßig am 05.12.2021 um 21:20 Uhr (Ortszeit) starten und am Tag darauf um 12:15 Uhr (Ortszeit) landen. Wegen einer erforderlichen Enteisung in Minneapolis startete das Flugzeug verspätet und erreichte Amsterdam um 12:51 Uhr (Ortszeit). Die Zedentin versäumte ihren Anschlussflug und erreichte Düsseldorf mit einer Verspätung von 3 Stunden und 51 Minuten.

Die Klägerin hat die Beklagte außergerichtlich zur Zahlung einer Ausgleichsleistung aufgefordert. Die Beklagte berief sich auf außergewöhnliche Umstände i.S. von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO und lehnte eine Zahlung ab. Die Klägerin hat dann ursprünglich auf Zahlung von 600 EUR nebst Zinsen geklagt. In ihrer Klageerwiderung hat sich die Beklagte ergänzend auf eine Kürzung um 50 % nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. c FluggastrechteVO berufen. Daraufhin erklärten die Parteien den Rechtsstreit in Höhe von 300 EUR für in der Hauptsache erledigt.

Das AG hat die Beklagte nach Beweisaufnahme zur Zahlung von 600 EUR nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, da die Beklagte sich auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO berufen könne. Die eine Enteisung erforderlich machende Wetterlage am 5.12.2021 gehöre zu den nicht mit der Durchführung des betreffenden Fluges zu vereinbarenden Wetterbedingungen im Sinne von Erwägungsgrund 14 der Verordnung und stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar. Mit ihrer (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch in Höhe von 300 EUR nebst Zinsen weiter. Insoweit hatte das Rechtsmittel Erfolg:

2.    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts begründet die Notwendigkeit der Enteisung im Streitfall keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.

a)    Als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Vorkommnisse anzusehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist von Fall zu Fall zu beurteilen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 23. März 2021 – C-28/20, NJW-RR 2021, 560 Rn. 23 – Airhelp; Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 20 – SATA International – Azores Airlines).

b)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts reicht es für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands danach nicht aus, dass ein Problem aufgetreten ist, welches nicht nur ein einzelnes Flugzeug betroffen hat.

Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass außergewöhnliche Umstände auch im Hinblick auf solche Vorgänge vorliegen können, die grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens gehören, etwa das Betanken des Flugzeugs oder die Verladung von Gepäck, wenn dabei ein Problem auftritt, das auf außergewöhnlichen Umständen beruht, wie etwa auf einem allgemeinen Ausfall des Versorgungssystems oder einem allgemeinen Mangel an Personal, das vom Betreiber des Flughafens verwaltet wird (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 22 f. – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16. Mai 2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 23 f. – Touristic Aviation Services Ltd).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts reicht es für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstands in solchen Fällen jedoch nicht aus, dass eine Vielzahl von Flugzeugen von dem in Rede stehenden Problem betroffen ist. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass es sich um ein tatsächlich nicht beherrschbares externes Ereignis handelt. Unter diesen Begriff fallen Ereignisse, die vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 25 – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16. Mai 2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 25 – Touristic Aviation Services Ltd).

3.    Bei Anlegung dieses Maßstabs beruht die Verspätung im Streitfall nicht auf einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO.

a)    Wie die Revision zu Recht geltend macht und auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, gehört die Enteisung eines Flugzeugs bei winterlichen Temperaturen grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens.

Die Enteisung eines Flugzeugs vor dem Start dient der Gewährleistung eines technisch einwandfreien und betriebssicheren Zustands des Flugzeugs (BGHS Wien, Urteil vom 12. Oktober 2015 – 16 C 194/15v-12, BeckRS 2016, 81341 Rn. 28; Schmid (Anm.), RRa 2011, 241, 244; Führich, RRa 2012, 166, 169; Marti, Fluggastrechte gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, 2016, 212). Ein solcher Vorgang ist jedenfalls an Flughäfen und in Zeiträumen, in denen mit winterlichen Temperaturen zu rechnen ist, nicht außergewöhnlich.

b)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stellen Verzögerungen bei der Enteisung nicht schon dann einen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn eine Vielzahl von Flugzeugen davon betroffen ist und das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss auf den Enteisungsvorgang hat.

Wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat, kommt eine Einordnung als externes Ereignis im oben genannten Sinne allerdings auch bei Vorgängen in Betracht, die häufig auftreten (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – C-308/21, NJW-RR 2022, 1573 Rn. 25 – SATA International – Azores Airlines SA; Urteil vom 16. Mai 2024 – C-405/23, NJW 2024, 1865 = EuZW 2024, 678 Rn. 25 – Touristic Aviation Services Ltd; BGH, Urteil vom 24. September 2013 – X ZR 160/12, NJW 2014, 861 Rn. 16). Als Naturereignis oder als Handlung eines Dritten, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreift, können solche Vorgänge aber nur dann angesehen werden, wenn sie – ungeachtet der Häufigkeit, mit der sie auftreten können – einen Umstand bilden, der außerhalb dessen liegt, was als normale Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens anzusehen ist. Winterliche Flugbedingungen sind danach jedenfalls an Flughäfen und in Zeiträumen, in denen mit solchen Bedingungen typischerweise zu rechnen ist, nicht als Naturereignis anzusehen.

c)    Im Streitfall hat das Berufungsgericht festgestellt, dass ein Flugzeug, das im Dezember von Minneapolis aus startet, nicht immer enteist werden muss. Die Notwendigkeit einer Enteisung hängt vielmehr vom jeweiligen Wetter und von der Entscheidung des Piloten ab.

Daraus ergibt sich, dass die Notwendigkeit einer Enteisung unter den für den Streitfall maßgeblichen Umständen einen Umstand darstellt, mit dem typischerweise zu rechnen war. Folglich liegt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO vor.“

Zwang I: Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen?, oder: Verhältnismäßigkeit von Beugehaft

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Und weiter geht es in der 39 KW. mit StPO-Entscheidungen. Alle drei vorgestellten Entscheidungen haben Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 21.08.2024 – StB 39/24 – zur Anordnung von Beugehaft zur Erlangung einer Aussage eines Zeugen, der sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 StPO beruft.

Ergangen ist der Beschluss in einem am OLG Stuttgart anhängigen Verfahren, in dem dem  Angeklagten die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland vorgeworfen worden ist. Im Hauptverhandlungstermin am 11.06.2024 wurde der Zeuge A.     vernommen. Er war am 18.12.2023 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt worden; diese Entscheidung war zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen. Nach der Vernehmung zur Person machte der Zeuge – entgegen dem Hinweis des Vorsitzenden des Staatsschutzsenats – geltend, ihm stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu, und verweigerte Angaben zur Sache.

Nachdem die Festsetzung von Ordnungsmitteln keine Änderung des Aussageverhaltens bewirkt hatte, hat das OLG noch am Tag der Vernehmung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit dem angefochtenen Beschluss gegen den Zeugen Beugehaft von zunächst einer Woche sowie ihre sofortige Vollstreckung angeordnet und ihm die durch seine Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Sodann ist der Zeuge in Haft genommen worden. Er hat gegen die Entscheidung – einschließlich „der Aufbürdung von Kosten“ – „sofortige Beschwerde“ erhoben. Mit Beschluss vom 14.06.2024 hat der Staatsschutzsenat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.

Im Hauptverhandlungstermin zur Fortsetzung der Vernehmung am 18.06.2024 hat der Zeuge weiterhin keine Angaben zur Sache gemacht. Das OLG hat daraufhin die angeordnete Beugehaft unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten aufgehoben. Anschließend hat der Zeuge erklärt, dass sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Beugehaft „erledigt haben dürfte“, und die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses beantragt.

Der BGH hat die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft gerichtete Beschwerde verworfen. Er macht in dem Beschluss zunächst umfnagreiche Ausführungen dazu, dass dem Zeugen ein Verweigerungsrecht aus 3 55 StPO nicht zusteht. Insoweit ordne ich das Selbstleseverfahren an. Zur Beugehaft führt er dann aus:

„b) Auch im Übrigen war die Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft rechtmäßig.

aa) Die Maßnahme gemäß § 70 Abs. 2 StPO steht – anders als diejenigen nach § 70 Abs. 1 StPO – im gerichtlichen Ermessen. Dabei sind die Pflicht zur Sachaufklärung sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (s. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).

bb) Der angefochtene Beschluss war wie schon die Vernehmung des Zeugen von der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gedeckt.

(1) Die Erforschung des wahren Sachverhalts ist das zentrale Anliegen des Strafprozesses. Die Aufklärungspflicht begründet deshalb für die Verfahrensbeteiligten einen unverzichtbaren Anspruch darauf, dass die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen sowie alle tauglichen und erlaubten Beweismittel erstreckt wird, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 122 f.). Sie kann das Tatgericht nach den Umständen des Falls sogar verpflichten, gegen einen Zeugen, der ohne gesetzlichen Grund die Aussage verweigert, die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Zwangs­mittel festzusetzen und zu vollstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 15. Ju­li 1998 – 2 StR 173/98, NStZ 1999, 46; Beschluss vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 15).

Welche Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung geboten sind, unterliegt dabei in erster Linie der Beurteilung des erkennenden Gerichts, zumal die Aufklärungspflicht in einer Wechselbeziehung mit der tatrichterlichen Überzeugung steht (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 46 mwN).

(2) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Vorgehen des Oberlandesgerichts frei von Bedenken. Insbesondere hat sich der Staatsschutzsenat – entgegen der in der Beschwerderechtfertigung geäußerten Ansicht – nicht von vorneherein mit der Verlesung der Gründe des gegen den Zeugen ergangenen rechtskräftigen Urteils sowie der Vernehmung von Ermittlungspersonen begnügen müssen. Denn das Tatgericht ist nicht gehindert, sondern vielfach, wenn nicht gar in der Regel gehalten, sich um ein sachnäheres Beweismittel zu bemühen, selbst wenn es ohne die Beweiserhebung aufgrund bereits genutzter sachfernerer Beweismittel die (unter Vorbehalt stehende) Überzeugung vom Tatvorwurf gewonnen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 2 BvR 659/12, NStZ-RR 2013, 115 f.; BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 92/03, NStZ 2004, 50; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 66 mwN); im Anschluss an die Rechtskraft des gegen den Zeugen ergangenen Urteils hat das Oberlandesgericht dementsprechend dessen Einvernahme in der Hauptverhandlung betrieben. Darüber hinaus hätten konkretisierende Angaben des Beschwerdeführers zur Stellung und Tätigkeit des Angeklagten im Komitee M.         ohne Weiteres Bedeutung für die Strafzumessung gewinnen können.

cc) Die angefochtene Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Da das Gesetz keine speziellen materiellen Voraussetzungen zum Schutz des Freiheitsgrundrechts vorsieht, hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip besondere Relevanz. Danach muss die Beugehaft nach den Umständen des Falls unerlässlich sein und darf zur Bedeutung nicht außer Verhältnis stehen, welche der Strafsache als solcher sowie der Aussage für den Ausgang des Verfahrens zukommt (s. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07, BVerfGK 10, 216, 225; BGH, Beschlüsse vom 4. August 2009 – StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 7; vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).

Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass eine Aussage des Zeugen zur Sache ohne Beugehaft nicht zu erlangen war. Gemäß den aufgezeigten Maßstäben hat es zudem – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – zutreffend auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Straftat abgestellt. Überdies hat es davon ausgehen dürfen, dass trotz fortgeschrittener Beweisaufnahme Angaben des Zeugen den Ausgang des Strafverfahrens noch beeinflussen können (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 9). Nach der maßgeblichen Ex-ante-Sicht genügt es hierfür grundsätzlich, dass die Nutzung des sachnäheren Beweismittels das bisher gewonnene Beweisergebnis voraussichtlich untermauern wird. Wie ausgeführt (s. oben bb] [2]), waren auch für den Strafausspruch bedeutsame Erkenntnisse zu erwarten. Da die Beweisaufnahme vor dem Abschluss stand, hat der Staatsschutzsenat ferner die sofortige Vollstreckung als erforderlich erachten dürfen (zur Zuständigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 1989 – I BGs 100/89, BGHSt 36, 155, 156 f.). Schließlich zeigt sich die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits- und des Beschleunigungsgrundsatzes daran, dass das Oberlandesgericht die Beugehaft umgehend aufgehoben hat, nachdem es im nächsten Vernehmungstermin die Überzeugung gewonnen hatte, der Zeuge werde trotz weiteren Beugehaftvollzugs auf absehbare Zeit zur Sache nicht aussagen.

Darauf, ob der Angeklagte auch ohne die Aussage des Beschwerdeführers dem Anklagevorwurf entsprechend verurteilt worden ist, kommt es deshalb nicht ausschlaggebend an.“

Ganz interessant für die Praxis, denn wann liest man schon mal so ausführlich vom BGH zur Beugehaft.

Haft II: Dringender Tatverdacht in der Beschwerde, oder: Bewertung des Tatgerichts hat Vorrang

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Im zweiten Posting dann etwas vom BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 06.08.2024 – StB 48/24, in dem der BGH noch einmal zur Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch das Beschwerdegericht im Beschwerdeverfahren Stellung genommen hat.

Der Angeklagte befand sich vom bis zum 0 in U-Haft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ), nach Anklageerhebung neu gefasst durch . Gegenstand des zuletzt maßgeblichen, der Anklage entsprechenden Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich zwischen dem 20.05. und Ende Juni 2015 in der Arabischen Republik Syrien durch neun selbständige Handlungen an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB) und verschiedene Straftaten begangen (wegen der Einzelh. s. den Volltext des BGH).

Wegen dieser Vorwürfe findet seit dem 0 die Hauptverhandlung vor dem OLG Koblenz statt. Dieses hat den Haftbefehl durch Beschluss vom 0 mit der Begründung aufgehoben, dass der Angeklagte nach vorläufiger Bewertung des bisherigen, an über zwanzig Verhandlungstagen gewonnenen Beweisergebnisses der ihm zur Last gelegten Taten nicht mehr dringend verdächtig sei.

Dagegen die Beschwerde des GStA, die keinen Erfolg hatte:

Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren in nur eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder weggefallen ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss es auch im Fall der Aufhebung eines Haftbefehls in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über ein hiergegen gerichtetes Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen. Hieraus folgt indes nicht, dass das erkennende Gericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung zu unterziehen hat. Seine abschließende Bewertung der Beweise und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.

Um dem Beschwerdegericht eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, bedarf es daher einer – wenn auch knappen – Darstellung, ob und inwieweit sowie durch welche Beweismittel sich der zu Beginn der Beweisaufnahme vorliegende Verdacht bestätigt oder verändert hat und welche Beweisergebnisse gegebenenfalls noch zu erwarten sind. Das Beschwerdegericht beanstandet die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, soweit die Würdigung des Erstgerichts offensichtliche Mängel aufweist, welche die Einschätzung der Verdachtslage als unvertretbar erscheinen lassen. Der Beschwerde vermag es indes nicht zum Erfolg zu verhelfen, wenn der Rechtsmittelführer die Ergebnisse der Beweisaufnahme abweichend bewertet (s. insgesamt BGH, Beschlüsse vom StB 38/20, juris Rn. 12 f. mwN; vom StB 28/20, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 5 Rn. 16 f.).

2. Unter Beachtung dieses Maßstabes ist die vorläufige Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts hinzunehmen. Dieses hat in der angefochtenen Entscheidung und vertiefend mit Beschluss vom zur Nichtabhilfe die Gründe dargelegt, aus denen es einen dringenden Tatverdacht nicht mehr für gegeben erachtet. Diese Ausführungen sind ausreichend, um eine Prüfung nach den beschriebenen Grundsätzen zu ermöglichen und die im derzeitigen Verfahrensstand vorrangig vom Tatgericht vorzunehmende Bewertung der Beweislage zumindest als noch vertretbar anzusehen.

a) Das Oberlandesgericht ist nach Darlegung der Einlassung des Angeklagten und der bisher in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu der Einschätzung gekommen, dass aufgrund der seit der Anklageerhebung und durch die Beweisaufnahme neu bekannt gewordenen Umstände die Möglichkeit nicht fernliege, dass der Angeklagte durch einige Zeugen zu Unrecht belastet worden sei. Beispielsweise hätten Zeugenvernehmungen Belastungstendenzen ohne sachlichen Hintergrund erbracht. Zudem habe die das Verfahren auslösende Nichtregierungsorganisation wesentliche entlastende Beweisergebnisse zum Teil über ein Jahr zurückgehalten und diese nur anlässlich der Zeugenvernehmung eines verantwortlichen Mitarbeiters in der Hauptverhandlung offenbart. Im Folgenden hat sich das Oberlandesgericht mit jedem einzelnen Tatvorwurf befasst und die aus seiner Sicht maßgeblichen Gründe für das Entfallen des dringenden Tatverdachts aufgezeigt.

b) Die dagegen mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände dringen, zumal unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen im Nichtabhilfebeschluss, im Ergebnis nicht durch. Obschon in der Beschwerdebegründung erörterte Umstände nahelegen, dass eine andere Würdigung des aktuellen Beweisergebnisses möglich wäre, ergeben sich daraus keine offensichtlichen Mängel der angefochtenen Entscheidung.

aa) Das Oberlandesgericht hat in Bezug auf Fall 2 berücksichtigt, dass das Opfer des dem Angeklagten zur Last gelegten versuchten Tötungsdeliktes bislang nicht in der Hauptverhandlung vernommen worden ist und sonst keine das konkrete Geschehen betreffenden Beweismittel bekannt sind. Im Rahmen der vorläufigen Bewertung der Beweislage hat es einstellen dürfen, dass der sich in den Niederlanden aufhaltende Zeuge zu dem für seine Vernehmung vorgesehenen Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist, er seine Aussagebereitschaft von einem – aktuell nicht absehbaren – Familiennachzug abhängig gemacht hat und seine Vernehmung nicht zwangsweise herbeigeführt werden kann. Denn für die Beurteilung des Tatverdachts kommt es jedenfalls nach Beginn der Hauptverhandlung darauf an, ob die Verurteilung mit vollgültigen Beweismitteln hochwahrscheinlich ist (vgl. die entsprechende st. Rspr. zum hinreichenden Tatverdacht, etwa , BGHSt 64, 1 Rn. 14 mwN). Dass die – von der Einschätzung des Generalbundesanwalts abweichende – Prognose des Oberlandesgerichts zu einer Vernehmungsmöglichkeit des Zeugen unvertretbar ist, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen hat es zur Bewertung der Beweislage den konkreten Tatvorwurf nicht unmittelbar betreffende Erkenntnisse aus der Beweisaufnahme heranziehen dürfen, die ihm Anlass gegeben haben, die bisherigen, sich aus den Akten ergebenden Aussagen des Zeugen kritischer als zuvor zu bewerten.

bb) Hinsichtlich des Falles 4 hat das Oberlandesgericht insbesondere erwogen, dass der bislang nicht in der Hauptverhandlung vernommene, laut Anklagevorwurf von der Geiselnahme Betroffene – nach vorläufiger Einschätzung der übrigen Beweislage – unzutreffende Angaben zu den Fällen 7 und 8 gemacht habe; daher sei die Richtigkeit des von ihm zu seiner eigenen Entführung Bekundeten nicht hochwahrscheinlich. Insofern macht der Generalbundesanwalt zwar berechtigterweise geltend, dass die Glaubhaftigkeit der Aussagen zu unterschiedlichen Vorfällen nicht einheitlich beurteilt werden müsse. Allerdings handelt es sich hierbei letztlich um eine Wertung, die während der Hauptverhandlung gerade dem Tatgericht vorbehalten ist. Ähnliches gilt für die Frage, inwieweit dem Umstand Gewicht zukommt, dass andere Zeugen ausgesagt haben, sie seien ebenfalls im „Gästepalast“ festgehalten, der Betroffene ihres Wissens aber nicht dort inhaftiert worden.

cc) Bezüglich der Fälle 7 und 8 habe, so das Oberlandesgericht, keiner der bisher vernommenen Zeugen von einer weiteren Hinrichtung zweier Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ über die Fälle 5 und 6 hinaus berichtet. Da der Bruder desjenigen Zeugen, auf den insoweit der dringende Tatverdacht bislang gestützt worden sei, nach dem bisherigen Ergebnis der Hauptverhandlung nach Zeugen für Anschuldigungen gegen den Angeklagten gesucht habe, erschienen aufgrund der engen familiären Verbundenheit auch die Aussagen des Zeugen und seiner Ehefrau nicht mehr geeignet, einen dringenden Tatverdacht zu begründen. Ferner habe der Zeuge nach Aktenlage Vorwürfe gegen einen Bruder des Angeklagten erhoben, die mit dem vorläufigen Ergebnis der Beweisaufnahme nicht in Einklang stünden. Dass das Oberlandesgericht vor diesem Hintergrund keinen dringenden Tatverdacht mehr sieht, ist nach den eingangs dargelegten Maßstäben vertretbar.

dd) Dies gilt ebenfalls für den Vorwurf zu Fall 9, demzufolge der Angeklagte mit anderen das von dem Bruder des vorgenannten Zeugen bewohnte Haus ausgeräumt und zur Nutzung durch den IS vorbereitet habe. Aus den bereits aufgezeigten Gründen hält das Oberlandesgericht die sich aus den Akten ergebenden Aussagen der Brüder und der Ehefrau für nicht ausreichend, um einen dringenden Tatverdacht zu begründen. Hinzu kommt, dass der das Haus ursprünglich bewohnende Bruder nach Bekundungen mehrerer Zeugen schon vor der Ankunft des IS geflohen gewesen sei und daher zu etwaigen Tätern aus eigener Anschauung keine Angaben machen könne.

ee) Für die aktuelle Beurteilung der Beweislage durch das Tatgericht ist schließlich nicht entscheidend, dass es bei Erlass des geänderten Haftbefehls insgesamt aufgrund der Aktenlage einen dringenden Tatverdacht angenommen, bislang aber die dort genannten Augenzeugen für die Fälle 2, 4 und 7 bis 9 nicht vernommen hat. Das Oberlandesgericht hat den möglichen weiteren Erkenntnisgewinn durch die ausstehenden Zeugenaussagen bedacht, die nach der letzten Haftentscheidung gewonnenen anderweitigen Erkenntnisse aus den von ihm plausibel dargelegten Gründen jedoch für so gewichtig gehalten, dass es seine ursprüngliche Einschätzung der Verdachtslage nicht mehr aufrechterhalten hat.“

Grundlage für Schätzung des merkantilen Minderwerts, oder: Abzug des Umsatzsteueranteils

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Heute im Kessel Buntes mal wieder zwei Entscheidungen zum Verkehrszivilrecht.

Zunächst hier ein Hinweis auf das BGH, Urt. v. 16.7.2024 – VI ZR 205/23 zum Schadensersatz nach einem Kfz-Unfall und da zur Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwerts und zum Abzug des Umsatzsteueranteils.

Die Klägerin nimmt den Beklagten als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auf restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem ihr Fahrzeug erheblich beschädigt wurde. Die volle Haftung des Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit.

Die Klägerin ist vorsteuerabzugsberechtigt. Eine Sachverständige ermittelte einen merkantilen Minderwert in Höhe von 500 EUR. Der Beklagte erstattete insoweit lediglich einen Betrag in Höhe von 420,17 EUR mit der Begründung, dass ein Abzug in Höhe des Umsatzsteueranteils vorzunehmen sei. Die Klägerin hat eingewandt, die Berechnung durch die Sachverständige sei bereits auf der Grundlage des Nettowertes getroffen worden. Mit der Klage hat sie die Differenz in Höhe von 79,83 EUR nebst Zinsen geltend gemacht.

Das AG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Berufung der Klägerin hat das LG zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Sie hatte in der Revision beim BGH Erfolg.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Die BGH-Entscheidung hat folgende Leitsätze:

    1. Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwerts ist ein hypothetischer Verkauf des Fahrzeugs. Dabei ist von Netto-, nicht von Bruttoverkaufspreisen auszugehen.
    2. Wurde davon abweichend der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abgezogen wird.

Auf Erledigung gerichtetes Telefonat des Anwalts, oder: Terminsgebühr im Zivilrecht

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Im RVG-Teil dieser Woche dann heute zwei Entscheidungen aus dem Bereich von Teil 3 VV RVG.

Hier kommt zunächst das BGH, Urt. v. 20.06.2024 – IX ZR 80/23 – zur Terminsgebühr nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVGbei Teilnahme des Rechtsanwalts an der Erledigung des Verfahrens. Dazu der BGH, der die Frage anders als das OLG gesehen hat. Das hatte „ausgeführt, die Beklagte könne bereits auf der Grundlage ihres Sachvortrags keine Terminsgebühr beanspruchen. Das erste Telefonat am 6. August 2019 habe keine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung beinhaltet, weil bereits zehn Minuten nach dem Gespräch Berufung eingelegt worden sei, obwohl der Vergleichsvorschlag noch von der gegnerischen Rechtsanwältin an die Bank habe weitergeleitet und besprochen werden müssen. Hinsichtlich des zweiten Telefonats am 8. Oktober 2019 sei maßgeblich, dass die Rechtsanwältin der Bank darin nach dem Klägervorbringen einerseits die Weiterleitung des Vergleichsvorschlags zugesagt, andererseits aber in dem – nur zwei Minuten dauernden – Gespräch erklärt habe, dass sie nicht davon ausgehe, dass Vergleichsbereitschaft bestehe. Jedenfalls für eine solche Fallgestaltung sei die Rechtsprechung dahingehend zu verstehen, dass eine Terminsgebühr nicht allein dadurch anfalle, dass der Gegner die Weiterleitung des Vorschlags an seinen Mandanten zusage.

Dazu dann der BGH:

„Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich ein Erstattungsanspruch der Klägerin nicht bejahen.

1. Es trifft allerdings zu, dass der Rechtsanwalt aus dem Anwaltsvertrag mindestens entsprechend §§ 675, 667 BGB verpflichtet ist, denjenigen Teil eines ihm geleisteten Vorschusses zurückzuzahlen, der die tatsächlich geschuldete Vergütung übersteigt (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2019 – IX ZR 143/18, WM 2019, 738 Rn. 6; vom 16. Dezember 2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217 Rn. 9). Zudem ist es richtig, dass im Fall eines rechtsschutzversicherten Mandanten der Rückzahlungsanspruch wegen eines nicht verbrauchten Gebührenvorschusses gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer übergeht, weil die Rechtsschutzversicherung eine Schadensversicherung ist und der Versicherer mit der Vorschussleistung an den Rechtsanwalt seinem Versicherungsnehmer im Sinne der Bestimmung „einen Schaden ersetzt“ (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2020 – IX ZR 90/19, ZIP 2020, 561 Rn. 10; vom 16. Dezember 2021 – IX ZR 81/21, ZIP 2022, 217 Rn. 15).

2. Hingegen kann der Anfall der Terminsgebühr mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht verneint werden. Nach § 2 Abs. 2 RVG, Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG verdient der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch durch die Mitwirkung an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts. Nach der Intention des Gesetzgebers sollte mit dieser Regelung der Anwendungsbereich der Terminsgebühr erweitert werden; die Gebühr soll insbesondere bereits dann verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen mitwirkt, insbesondere, wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütliche Einigung zielen (BT-Drucks. 15/1971, S. 148, 209).

a) Dementsprechend stellt der Bundesgerichtshof an das Merkmal der – auch telefonisch durchführbaren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 – I ZB 14/09, ZfSch 2010, 286 Rn. 8) – Besprechung keine besonderen Anforderungen und sieht die Terminsgebühr als entstanden an, wenn der Gegner die auf eine Erledigung des Verfahrens gerichteten Äußerungen zwecks Prüfung und Weiterleitung an seine Partei zur Kenntnis nimmt (BGH, Beschluss vom 20. November 2006 – II ZB 9/06, NJW-RR 2007, 286 Rn. 7; vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 7; vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 55/16, NZM 2017, 439 Rn. 8) oder sich auch nur an Gesprächen mit dem Ziel einer Einigung interessiert zeigt (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 – XI ZB 38/05, NJW 2007, 2858 Rn. 10; vom 9. Mai 2017, aaO). Dagegen genügt es nicht, wenn es in dem Gespräch nur um die grundsätzliche Bereitschaft oder abstrakte Möglichkeit einer Einigung (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007, aaO; vom 21. Januar 2010, aaO) oder um Verfahrensabsprachen wie beispielsweise um die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007, aaO Rn. 10; vom 6. März 2014 – VII ZB 40/13, ZfSch 2014, 286 Rn. 12) geht. Verweigert der Gegner von vornherein ein sachbezogenes Gespräch oder eine gütliche Einigung, kommt eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung bereits im Ansatz nicht zustande (BGH, Beschluss vom 20. November 2006, aaO Rn. 8; vom 6. März 2014, aaO Rn. 15; vgl. ebenso BAG, NZA 2013, 395 Rn. 14; BVerwG, ZfSch 2018, 703 Rn. 6). Die Voraussetzungen für die Auslösung einer Terminsgebühr durch eine außergerichtliche Besprechung können auch in einem Berufungsverfahren, in dem ein Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilt wird, erfüllt sein, wenn die Besprechung bereits vor Erteilung des Hinweises geführt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – II ZB 4/11, MDR 2012, 376 Rn. 6 ff).

b) An diesen Grundsätzen ist auch unter Berücksichtigung einer teilweise abweichenden und von dem Berufungsgericht zugrunde gelegten instanzgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die bloße Erklärung des anderen Prozessbevollmächtigten, das Angebot an den Mandanten zur Prüfung weiterzuleiten, nicht genügen soll (vgl. OLG Nürnberg, AnwBl. 2006, 495, 496; OVG Hamburg, AGS 2016, 62, 68 f), festzuhalten (vgl. ebenso Schneider, AGS 2016, 64 f). Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Entstehung der Terminsgebühr führt zu einer einfachen, klaren und rechtssicheren Abgrenzung.“