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Strafe II: Schwere der Schuld und Jugendstrafe, oder: Erziehungsfähigkeit unerheblich

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Im zweiten Posting kommt die Entscheidung auch vom BGH. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 04.06.2024 – 5 StR 205/23 – zur Frage der Verhängung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld.

Dazu stelle ich nur den Leitsatzu des BGH vor. Den Rest im Volltext bitte selbst lesen. Der Leitsatz lautet:

Ist wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich, ist eine Jugendstrafe zu verhängen, ohne dass es darauf ankommt, ob eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann.

 

Strafe I: Strafschärfung fehlender Milderungsgrund?, oder: Harte Drogen/weiche Drogen

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Und heute geht es dann weiter mit Entscheidungen zur Strafe und/oder zur Strafzumessung. Da beginne ich mit zwei BGH-Entscheidungen, und zwar:

„2. Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand, weil die Strafzumessung der Einzelstrafen – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs – durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten aufweist.

a) Die Strafkammer hat in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich bei Amphetamin zwar nicht um die „denkbar härteste, aber eine auch nicht weiche Droge“ handele. Damit hat die Strafkammer verkannt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Amphetamin auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, weshalb die Gefährlichkeit des Stoffes keinen wesentlichen Strafschärfungsgrund darstellt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. März 2023 – 2 StR 366/22, juris Rn. 13 mwN).

b) Ebenso rechtsfehlerhaft ist die bei der Strafrahmenwahl und konkreten Strafzumessung in Fall II. 2 der Urteilsgründe strafschärfende Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei den in der Wohnung gelagerten Betäubungsmitteln „teils um harte Drogen, namentlich Ecstasy“ gehandelt habe. Auch diese Wertung steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Ecstasy mit dem Wirkstoff MDMA auf der Gefährlichkeitsskala der Betäubungsmittel einen mittleren Platz einnimmt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. November 2022 – 3 StR 340/22, juris Rn. 9, jeweils mwN).“

„Ergänzend bemerkt der Senat:
Der Strafausspruch hat ebenfalls Bestand. Allerdings hat die Strafkammer dem Angeklagten rechtsfehlerhaft angelastet, er habe dem Nebenkläger nach der Tat keine „wirksame Hilfe“ zukommen lassen. Eine solche Hilfeleistung hätte strafmildernd berücksichtigt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 1984 – 2 StR 81/84Rn. 5 mwN). Das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes kann hingegen nicht strafschärfend ins Gewicht fallen. Der Senat vermag jedoch angesichts der von der Strafkammer hervorgehobenen weiteren Strafschärfungsgründe auszuschließen, dass sie ohne diesen Rechtsfehler auf eine noch mildere Strafe erkannt hätte.“

 

Immer wieder 🙂 .

 

Einziehung II: Einziehung bei/nach Geldwäsche, oder: Anwendbares Recht?

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Und dann das zweite Posting zur Enziehung. Hier geht es um die Frage des anwendbaren Rechts. Dazu zwei Entscheidungen.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 16.05.2024 – 3 StR 379/23. In dem Verfahren geht es um eine Familie, deren Mit­glie­der, u.a. drei Brüder, gemeinsam mit ihren Eltern mit Hil­fe er­schli­che­ner So­zi­al­leis­tun­gen ein Haus erbaut haben. Das LG hat u.a. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges verurteilt und außederm die Einziehung des Wertes von Taterträgen als Gesamtschuldner angeordnet.

Der BGH hat die Revision von zwei Brüdern verworfen, die des dritten hatte teilweise Erfolg. Diesen hatte das LG wegen Geldwäsche verurteilt. Er hatte 2017 als 20-jähriger mit seinen Eltern beschlossen, die unrechtmäßig erhaltenen Sozialleitsungen für den Kauf einer Immobilie einzusetzen. Im August 2018 erwarb er ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück, im Oktober 2018 wurde er als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Um die illegale Herkunft des als Eigenkapital genutzten Geldes zu verschleiern, zahlte der Angeklagte einen Teilbetrag über Dritte auf seinem Konto ein. In dem Einfamilienhaus lebten alsdann die Eltern und zwei der drei Brüder. Das LG hatte auch die Einziehung des Grundstücks angeordnet. Nach Auffassung des BGH war zu beanstanden, dass das LG nicht erörtert hatte, ob Erwachsenen- oder Jungendstrafrecht anzuwenden war. Außerm konnte die Einziehungsanordnung so nicht bestehen bleiben. Dazu führt der BGH aus:

„3. Die Einziehungsentscheidung hat im Ergebnis ebenfalls keinen Bestand.

a) Ausgehend von der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht hat das Landgericht allerdings rechtsfehlerhaft angenommen, dass im vorliegenden Fall § 261 Abs. 1 und 7 Satz 1 StGB aF zur Anwendung kommt. Dabei hat es für die Beurteilung des milderen Rechts nach § 2 Abs. 3 StGB nicht auf einen Vergleich der Strafrahmen, sondern auf die einziehungsrechtlichen Folgen abgestellt. Dieser Ansatz begegnet rechtlichen Bedenken.

aa) Der Tatbestand des § 261 StGB ist vor dem erstinstanzlichen Urteil durch das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 9. März 2021 (BGBl. I S. 327 ff.) neu gefasst worden. Dadurch hat sich der Strafrahmen für das vorsätzlich begangene Grunddelikt insofern geändert, als er nicht mehr bei einer erhöhten Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe beginnt, sondern allgemein Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht.

bb) Vor diesem Hintergrund ist bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht § 261 Abs. 1 StGB nF gemäß § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz. Die mit der Neufassung des Gesetzes verbundenen Erweiterungen hinsichtlich der Nebenfolgen (§ 261 Abs. 10 StGB nF) ändern daran nichts.

Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18, NStZ 2018, 652, 653 mwN). Dabei ist der Grundsatz strikter Alternativität zu beachten. Es kann nur entweder die frühere oder die neue Gesetzesvorschrift in ihrer Gesamtheit angewendet werden; eine Beurteilung teilweise nach der alten und teilweise nach der neuen Vorschrift ist nicht zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 mwN).

Demgemäß ist in aller Regel eine abgestufte Prüfungsreihenfolge einzuhalten. Zunächst muss feststehen, dass bei beiden (oder mehreren) in Betracht kommenden Gesetzesfassungen die Strafbarkeit fortbesteht. Sodann ist unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalles das mildeste Gesetz zu ermitteln. Hierbei sind zuerst die nach beiden Gesetzen zulässigen Hauptstrafen miteinander zu vergleichen. Erst wenn sich daraus das mildere Gesetz nicht ergibt, kann es auf Nebenstrafen und Nebenfolgen ankommen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1965 – 3 StR 12/65, NJW 1965, 1723).

Da der Angeklagte den Tatbestand der Geldwäsche sowohl nach § 261 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 3 StGB aF als auch nach § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 7 StGB nF erfüllte, kommt es – bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht – auf einen Vergleich der Hauptstrafen an. Danach ist die geltende Gesetzesfassung des § 261 Abs. 1 StGB das mildeste Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.

cc) Bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht richtete sich die Einziehung demnach nach der Vorschrift in § 261 Abs. 10 Satz 3 StGB nF, die einen Vorrang der §§ 73 ff. StGB vor einer Einziehung nach § 74 Abs. 2 StGB anordnet (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22, juris Rn. 7; Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 9 ff., 24 ff.). Nach dieser Regelung wäre die Immobilie als ein durch die Geldwäsche des Angeklagten erlangter Tatertrag einzuordnen. Sie unterläge dann der – zwingenden – Einziehung nach § 261 Abs. 10 Satz 3 StGB nF i.V.m. § 73 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 24).

b) Bei Anwendung von Jugendstrafrecht, was nicht sicher auszuschließen ist, wären nach dem zuvor Ausgeführten die zu vergleichenden Hauptstrafen im Hinblick auf die jeweils nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und 3 JGG vorgesehenen Rechtsfolgen identisch. Insoweit ist die nach altem Recht leicht erhöhte Untergrenze des für Erwachsene geltenden Regelstrafrahmens ohne Bedeutung. Deshalb ist für den Günstigkeitsvergleich nach § 2 Abs. 3 StGB auf die Nebenfolge der Einziehung abzustellen.

Danach käme Tatzeitrecht zur Anwendung, da die Einziehung nach § 74 Abs. 2 i.V.m. § 261 Abs. 7 Satz 1 StGB aF enger gefasst ist und eine Ermessensentscheidung des Tatgerichts vorschreibt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2022 – 3 StR 175/22, NStZ-RR 2023, 8, 9 mwN zu einem Fall einer besonders schweren Geldwäsche, bei welcher der Strafrahmen bei beiden Gesetzesfassungen identisch ist). Demgemäß käme bei einer – hier wohl vorliegenden – Selbstgeldwäsche nur eine Einziehung des hierdurch erlangten Vermögensgegenstands als Tatobjekt in Betracht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2018 – 5 StR 234/18, NJW 2019, 533 Rn. 29; Urteil vom 10. November 2021 – 2 StR 185/20, NJW 2022, 1028 Rn. 56 mwN). Das Hausgrundstück war indes nicht Objekt einer von dem Angeklagten begangenen Selbstgeldwäsche; dies war allein der bemakelte Geldbetrag, der zu dessen Bezahlung aufgewendet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 23).

c) Nach alledem muss auch über die Einziehung des Hausgrundstückes neu verhandelt und entschieden werden.“

Und dann noch den LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 09.07.2024 – 5/08 Qs 10/24 -, auch zur Frage des anwendbaren Rechts. Dazu gibt es aber nur den Leitsatz, und zwar:

Ist das zugrundeliegende Strafverfahren eingestellt worden, ist im selbständigen Einziehungsverfahren bei der Prüfung der Frage, ob altes oder neue Geldwäscherecht Anwendung findet, also der Frage, welches Recht das mildere Gesetz ist, auf die Regelungen zur Einziehung abzustellen.     

 

Befangen III: SV-Befangenheitsantrag in der Revision, oder: Begründung der Verfahrensrüge

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Und dann noch etwas Verfahrensrechtliches zur Befangenheit, nämlich der BGH, Beschl. v. 16.05.2024 – 3 StR 112/23. Da war mit der Revision geltend gemacht worden, das LG habe einen Befangenheitsantrag gegen eine Sachverständige rechtsfehlerhaft abgelehnt.

Ohne Erfolg. Die Verfahrenrüge war unzulässig:

„2. Die mit der Revisionsbegründung des Verteidigers erhobene Verfahrensrüge, das Landgericht habe einen Befangenheitsantrag gegen die psychiatrische Sachverständige (§ 74 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 StPO) rechtsfehlerhaft abgelehnt, ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt. Denn weder das Ablehnungsgesuch noch der dieses zurückweisende Beschluss der Jugendkammer sind vom Revisionsführer vorgelegt oder zumindest in ihrem Inhalt vollständig mitgeteilt worden. Das aber wäre erforderlich gewesen, um dem Senat eine Überprüfung der Entscheidung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 437/17, NJW 2018, 1030 Rn. 9; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 39, 43, 47; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 74 Rn. 21; MüKoStPO/Trück, 2. Aufl., § 74 Rn. 25).“

Befangen I: Befangene Staatsanwältin in der HV? oder: Pflicht zur Objektivität schwer und nachhaltig verletzt?

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Und heute geht es dann weiter mit StPO-Entscheidungen, und zwar alle zu Befangenheitsfragen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v.  18.01.2024 – 5 StR 473/23 – zur Frage der Befangenheit einer Staatsanwältin. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung. Soweit dem Angeklagten ferner u.a. zur Last lag, die Nebenklägerin mehrfach vergewaltigt zu haben, hat das LG ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Verfahrensrüge des Angeklagten war  erfolglos:

„Hinsichtlich der behaupteten Verletzung formellen Rechts sind lediglich Ausführungen zur Verfahrensrüge veranlasst, mit der der Beschwerdeführer die „tatsächliche Befangenheit der Staatsanwältin als Sitzungsvertreter“ beanstandet und einen sich hieraus ergebenden Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren geltend macht.

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Dem Angeklagten lagen 17 Taten zum Nachteil der Nebenklägerin zur Last, darunter – neben den abgeurteilten Taten – unter anderem sechs Fälle der Vergewaltigung. Die Staatsanwaltschaft wurde an allen sieben Hauptverhandlungstagen von derselben Staatsanwältin vertreten. Im Rahmen ihres Schlussvortrags erklärte sie – ausweislich des in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft unwidersprochen gebliebenen – Revisionsvortrags unter anderem: Sie sei „bei Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und im konkreten Fall befangen“. Sie „empfinde“ es als „unerträglich“, wenn sich eine Frau „als Opfer sexualisierter Gewalt im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung kritischen Fragen des Gerichts und der Verteidigung stellen und wegen ihres Aussageverhaltens rechtfertigen müsse“. Im Hauptverhandlungsprotokoll wurde insofern vermerkt: „Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hält den Schlussvortrag: Sie sei in Fällen häuslicher und sexueller Gewalt als Feministin und persönlich Betroffene befangen. Das sei unproblematisch, denn sie lege es hier offen. Mehrfach habe sie überlegt, ob sie einen Befangenheitsantrag stelle, davon aber letztlich abgesehen. Das Verhalten der Kammer sei zunächst nicht zu beanstanden gewesen, weil sie der Geschädigten viel Raum für ihre Aussage gegeben habe. Im weiteren Verlauf habe die Kammer die Geschädigte aber kritischer betrachtet als ma[n]chen Zeugen. Daher möge sich die Kammer des Confirmation Bias ebenso bewusst sein, wie sie ihre Befangenheit offengelegt habe“. Die Staatsanwältin beantragte, den Angeklagten wegen Körperverletzung in fünf Fällen, der Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen und der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten zu verurteilen. Hinsichtlich der weitergehenden Anklagevorwürfe der Vergewaltigung in fünf Fällen beantragte sie, ihn freizusprechen. Im Anschluss an die Schlussvorträge des Nebenklägervertreters und des Verteidigers verkündete das Landgericht nach Beratung das Urteil.

Der Vorsitzende der Strafkammer gab zur Revisionsbegründung unter Bezugnahme der oben wiedergegebenen Stelle aus dem Hauptverhandlungsprotokoll folgende dienstliche Erklärung ab: „Im Übrigen war das Verhalten der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft während der Hauptverhandlung von Gesetzes wegen nicht zu beanstanden, die Begründung ihrer Schlussvorträge auf der Grundlage der Beweiserhebung [war] vertretbar und nicht offensichtlich von verfahrensfremde[n] Überlegungen bestimmt. Hätte sie sich allerdings zu einem früheren Zeitpunkt in vergleichbarer Weise erklärt, hätte das Gericht im Hinblick auf die Fairness des Verfahrens Bedenken gehabt, die Hauptverhandlung unter ihrer Beteiligung fortzusetzen.“

2. Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.

a) Dies folgt allerdings nicht schon von vornherein daraus, dass die §§ 22 ff. StPO auf Staatsanwälte weder unmittelbar noch analog anwendbar sind. Insofern gilt: Staatsanwälte unterliegen nicht den Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. April 1969 – 2 BvR 115/69 , BVerfGE 25, 336, 345). Eine analoge Anwendung der §§ 22 ff. StPO kommt – jedenfalls jenseits des Sonderfalls der Vernehmung des Sitzungsvertreters als Zeuge in der Hauptverhandlung (für eine analoge Anwendung des § 22 Nr. 5 StPO insoweit BGH, Beschluss vom 31. Juli 2017 – 1 StR 382/17, JR 2019, 160 [BGH 31.07.2018 – 1 StR 382/17] m. krit. Anm. Stuckenberg) – nicht in Betracht; sie kann insbesondere nicht den in §§ 141 ff. GVG niedergelegten Rechtssätzen entnommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1979 – 1 StR 702/78 , NJW 1980, 845, 846; Beschlüsse vom 27. August 1991 – 1 StR 438/91 , NStZ 1991, 595; vom 24. Oktober 2007 – 1 StR 480/07 , NStZ 2008, 353 f.; KK-StPO/Heil, 9. Aufl., Vorbem. zu §§ 22 ff. Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., Vor § 22 Rn. 3; MüKo-StPO/Conen/Tsambikakis, 2. Aufl., § 22 Rn. 6). Es fehlt zudem schon an einer planwidrigen Regelungslücke, weil der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet hat, den Ausschluss oder die Ablehnung von Sitzungsvertretern der Staatsanwaltschaft regelnde Vorschriften zu schaffen (vgl. hierzu LR/Siolek, StPO, 27. Aufl., Vor § 22 Rn. 8; SK-StPO/Weßlau/Deiters, 5. Aufl., Vor § 22 Rn. 35; KMR/Bockemühl, EL. 83, Vor § 22 Rn. 3). Weder dem Gericht noch einem sonstigen Verfahrensbeteiligten steht danach das Recht zu, einen Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in einem förmlichen innerprozessualen Verfahren wegen Befangenheit abzulehnen (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 51. Ed., § 22 Rn. 34). Sie können lediglich bei dem Vorgesetzten des Beamten der Staatsanwaltschaft darauf hinwirken, dass dieser ihn auf Grundlage des § 145 GVG durch einen anderen ersetze; wird der Staatsanwalt nicht ersetzt, ist die Hauptverhandlung fortzusetzen (vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1989, 13; LR, aaO, Rn. 9; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 22 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 4 f.).

b) Es liegt aber kein Verfahrensfehler vor, der einen relativen Revisionsgrund nach § 337 StPO begründen könnte.

aa) Zwar kann die Besorgnis, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sei befangen, im Einzelfall die Revision des Angeklagten begründen. Indes darf zur Beurteilung der Frage, ob einem Staatsanwalt die Mitwirkung an der Hauptverhandlung wegen der Besorgnis der Befangenheit untersagt ist, mit Blick darauf, dass das Gericht das Urteil spricht und in der Hauptverhandlung die maßgebliche Rolle einnimmt, hierbei nicht der strenge Maßstab wie bei einem der zur Entscheidung berufenen Richter angelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1995 – 5 StR 642/94 Rn. 8); die Gründe müssen vielmehr ähnlich schwerwiegen wie die Ausschlusstatbestände der §§ 22 , 23 StPO (vgl. BeckOK StPO /Cirener, aaO, Rn. 36; Tolksdorf, Mitwirkungsverbot für den befangenen Staatsanwalt, 1989, S. 113 f.).

Maßstab für die Beurteilung ist die Rolle der Staatsanwaltschaft als „Wächter der Gesetze“ (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 219; BGH, Urteil vom 25. Oktober 2023 – 2 StR 195/23 , NJW 2024, 846, 847) und als ein dem Gericht gleichgeordnetes Organ der Strafrechtspflege (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 1971 – 3 StR 73/71 , BGHSt 24, 170, 171 ; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., Vor § 141 GVG Rn. 1; SSW-StPO/Quentin/Schnabl, 5. Aufl., Vorbem. zu §§ 141 ff. GVG Rn. 3) sowie der hieraus folgenden Pflicht zur Objektivität, die insbesondere in § 160 Abs. 2 StPO ihren Niederschlag im Gesetz gefunden hat. Verletzt ein Staatsanwalt seine Pflicht zur Objektivität und Wahrung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens derartig schwer und nachhaltig, dass sich sein Verhalten in der Hauptverhandlung aus Sicht eines verständigen Angeklagten als Missbrauch staatlicher Macht darstellt, so ist dessen Recht auf ein faires und justizförmiges Verfahren verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1979 – 1 StR 702/78 , aaO; KK-StPO/Heil, aaO, Rn. 5; BeckOK StPO/Cirener, aaO, Rn. 34 ff.; LR/Siolek, aaO, Rn. 17 f.). Das Urteil wird in einem solchen Fall regelmäßig auf der Rechtsverletzung beruhen ( § 337 Abs. 1 StPO ), es sei denn, das erkennende Gericht bringt im Rahmen seiner Verfahrensherrschaft eine Kompensation hierfür zum Ausdruck. Dies kann letztlich in der Obliegenheit münden, bei dem Vorgesetzten des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft auf dessen Ersetzung durch einen anderen Staatsanwalt hinzuwirken und seine Bemühungen in der Hauptverhandlung öffentlich zu machen. Fehlt es an einer Reaktion des Gerichts, wird es nur ausnahmsweise auszuschließen sein, dass sich das einem rechtsstaatlichen Verfahren zuwiderlaufende Verhalten des Sitzungsvertreters in dem Urteil zulasten des Angeklagten ausgewirkt hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 3. Mai 1960 – 1 StR 155/60 , BGHSt 14, 265, 268 f. ; KK-StPO/Heil, aaO, Rn. 1 f.; siehe zum Maßstab allgemein BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2021 – 4 StR 162/21 ; NStZ-RR 2022, 52; KK-StPO/Gericke, aaO, § 337 Rn. 33).

bb) Gemessen daran ist das Verfahren vor dem erkennenden Gericht durch das Verhalten der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft (noch) nicht derart bemakelt, dass hierdurch ein revisibler Verfahrensverstoß begründet wäre.

Zwar sind die Äußerungen der Sitzungsvertreterin unter mehreren Gesichtspunkten rechtlich bedenklich. Dies gilt zum einen für ihr mit außergewöhnlich scharfen Worten („unerträglich“) zum Ausdruck gebrachtes Befremden über die „kritische“ Befragung der Geschädigten. Denn dies lässt besorgen, dass sie einem grundlegenden Missverständnis von der richterlichen Aufklärungspflicht ( § 244 Abs. 2 StPO ) und dem Konfrontationsrecht eines Beschuldigten (Art. 6 Abs. 3 Buchst. b EMRK) unterlegen ist. Im Sinne der Wahrheitsfindung sind geeignete und zur Sache gehörende Fragen (vgl. § 239 Abs. 2 , § 241 Abs. 2 StPO ) an Zeugen aber selbst dann zulässig, wenn sie zur Unehre gereichen können oder den persönlichen Lebensbereich betreffen, falls sie zur Aufklärung der Wahrheit unerlässlich sind (vgl. § 68a Abs. 1 StPO ). Dass sie lediglich auf ihre staatsanwaltliche Pflicht hinweisen wollte, eine rücksichtsvolle Vernehmung von Verletzten zu gewährleisten (vgl. Nr. 4c,130 Abs. 3 RiStBV), liegt fern. Denn die hierfür vorgesehenen Mittel sind nicht zur Wahrheitsfindung erforderliche Fragen des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 238 Rn. 11; KK-StPO/Schneider, aaO, § 238 Rn. 11) und auf Zurückweisung solcher Fragen durch andere Verfahrensbeteiligte nach § 241 Abs. 2 StPO hinzuwirken (vgl. auch Nr. 127 Abs. 2 RiStBV), nicht pauschale Gerichtsschelte. Zum anderen ist es nicht mit der staatsanwaltlichen Pflicht zur Objektivität in Einklang zu bringen, dass die Staatsanwältin die Sitzungsvertretung wahrgenommen hat, obwohl sie sich in Verfahren wegen des Verdachts von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen die körperliche Integrität von Frauen selbst „als Feministin und persönliche Betroffene“ für „befangen“ hielt. Hält sich ein Staatsanwalt für voreingenommen, hat er die Gründe hierfür seinem Dienstvorgesetzten vor- und um Ersetzung anzutragen. Dadurch wird gewährleistet, dass die im Gesetz angelegte Selbstkontrolle der Staatsanwaltschaft effektiv stattfinden kann (vgl. hierzu LR/Siolek, aaO, Rn. 8; KMR/Bockemühl, aaO).

Das Fehlverhalten der Sitzungsvertreterin hatte aber noch nicht ein Ausmaß angenommen, das – gemessen an den hierfür geltenden strengen Maßstäben – einen Verfahrensfehler begründen würde. Zum einen hat sie trotz der ihren Schlussvortrag einleitenden Vorbemerkung beantragt, den Angeklagten in mehreren Fällen freizusprechen. Zum anderen ergibt sich aus der dienstlichen Erklärung des Strafkammervorsitzenden, dass ihr Verhalten in der Hauptverhandlung im Übrigen nicht zu beanstanden und die Begründung ihrer Schlussvorträge auf der Grundlage der Beweiserhebung vertretbar und nicht offensichtlich von verfahrensfremden Überlegungen bestimmt gewesen sei. Zudem belegt die dienstliche Erklärung, dass sich die Strafkammer ihrer Verantwortung für die Gewährleistung des Rechts auf ein faires und justizförmiges Verfahren auch im Hinblick auf die Rolle der Staatsanwaltschaft und deren Pflicht zur Objektivität und Wahrung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens bewusst war.“