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Wenn man wegen Corona „außerhäusig“ verhandelt, oder: Vorübergehende Kapazitätsbeschränkung

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Und als zweite Entscheidung dann der OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.04.2022 – 7 Ks 41/13 -, den ich an sich auch an einem „Corona-Tag“ hätte bringen können. Denn es geht um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die von einer Partei/einem Angeklagten ggf. zu tragenden Gercihtskosten.

Hier sind mit einer Gerichtskostenrechnung dem in dem zugrundeliegenden Gerichtsverfahren Kosten gemäß Kostenverzeichnis Nr. 9006 KV GKG (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) für Geschäfte außerhalb der Gerichtsstelle, zunächst in Höhe von 428,15 EUR, in Rechnung gestellt worden. Hintergrund war die Anmietung eines – außerhalb des Gerichtsgebäudes des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts liegenden – Raumes durch die Verwaltung des Gerichts, in dem die mündliche Verhandlung des zugrundeliegenden Gerichtsverfahrens durchgeführt wurde. Dagegen wendet sich der Kläger beim OVG und hat damit Erfolg:

„Gemäß § 3 Abs. 2 GKG werden Kosten nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG erhoben. Eine über diese Tatbestände hinausgehende Auferlegung von Kosten ist nicht zulässig. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 GKG ist zu unterscheiden zwischen Gebühren und Auslagen. Die Gebühren stellen eine Gegenleistung für die Inanspruchnahme der Gerichte dar; als Auslagen werden die von den Gerichten aufgewendeten (verauslagten) Beträge erhoben (Zimmermann in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 5. Aufl. 2021, § 1 Rn. 6). Nr. 9000 ff. KV GKG regelt die Erstattungsfähigkeit von Auslagen.

Gemäß Nr. 9006 KV GKG gehören zu den Auslagen die den Gerichtspersonen aufgrund gesetzlicher Vorschriften gewährte Vergütung (Reisekosten, Auslagenersatz) und die Auslagen für die Bereitstellung von Räumen in voller Höhe, die bei Geschäften außerhalb der Gerichtsstelle anfallen. Hauptanwendungsfall dieser Vorschrift ist der Ortstermin (Touissant in: Touissant, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, Nr. 9006 KV GKG, Rn. 1 m.w.N.; Volpert in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, Nr. 9006 KV GKG, Rn. 3). Der vorliegende Einzelfall ist mit einer derartigen Konstellation nicht vergleichbar. Zwar sind Auslagen für die Anmietung einer Räumlichkeit durch die Gerichtsverwaltung entstanden, in der die Sitzung des Senats am 20. Januar 2022 durchgeführt werden konnte.Allerdings handelte es sich dabei nicht um Auslagen, die durch Geschäfte außerhalb der Gerichtsstelle im Sinne dieser Vorschrift angefallen sind.Gerichtsstelle ist regelmäßig das Gerichtsgebäude. Darunter fällt aber auch jeder andere Raum, in dem üblicherweise und regelmäßig Sitzungen des betreffenden Gerichts stattfinden (vgl. wortgleich zu Nr. 9006 KV GKG in Nr. 2006 KV FamGKG: Schneider in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, Nr. 2006 KV FamGKG, Rn. 2). Die Möglichkeit eines anderen Ortes als Gerichtsstelle besteht auch dann, wenn etwa außerhäusige Gerichtstage stattfinden (Zimmermann in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 5. Aufl. 2021, Nr. 9006 KV GKG, Rn. 1; Klahr in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 36. Ed. 2022, Nr. 9006 KV GKG, Rn.2) oder wenn das Gericht Räumlichkeiten außerhalb des Gerichtsgebäudes vorübergehend nutzt, etwa wenn wegen Bauarbeiten die Nutzung des eigentlichen Gerichtssaals nicht möglich ist (Schneider in: Schneider/Volpert/Fölsch, a.a.O.). Eine vergleichbare Konstellation ist vorliegend gegeben. Ursächlich für die in Rede stehende Raumanmietung ist die derzeitige Vorgabe, dass aufgrund coronabedingter Maßgaben eine Benutzung der im Gebäude des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Verfügung stehenden Sitzungssäle grundsätzlich nur noch mit eingeschränkter Personenzahl erfolgen darf. Dem Senat ist es regelmäßig nicht mehr möglich, ohne Anmietung einer außerhäusigen Räumlichkeit durch das Gericht Termine in Planfeststellungsverfahren – wie vorliegend zugrundeliegend – überhaupt durchzuführen, solange die coronabedingten Vorgaben nur noch eine eingeschränkte Benutzung des Sitzungssaals ermöglichen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch – seit Auferlegung der Corona-Einschränkungen – derartige Verfahren wiederholt allein außerhalb des Gerichtsgebäudes verhandeln können. Auch andere Spruchkörper des Gerichts haben die externen Räumlichkeiten entsprechend in Anspruch genommen. Diese Notwendigkeit ist dabei nicht durch eine außergewöhnlich große Anzahl von Personen bedingt, sondern resultiert aus der derzeit eingeschränkten Nutzbarkeit des im Gerichtsgebäude zur Verfügung stehenden Gerichtssaals. Entgegen den Ausführungen des Bezirksrevisors in seiner Stellungnahme vom 8. März 2022 war maßgeblich für die Anmietung der Räumlichkeit im vorliegenden Verfahren deshalb auch weder die hohe Anzahl der Teilnehmer noch ein im Gebäude des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in benötigter Größe fehlender Sitzungssaal. Auf Nachfrage des Senats war von den Beteiligten als Teilnehmerzahl (inklusive der Beteiligten selbst nebst Sachverständigen und Sachbeiständen) eine Gesamtpersonenzahl aller Beteiligten von 22 Personen und damit eine über der derzeit in den Sitzungssälen des Oberverwaltungsgerichts aufgrund coronabedingter Vorgaben zulässige Personenzahl gemeldet worden. Der Senat hat in den letzten Jahren – vor Einschränkung der vorhandenen Sitzungssaalkapazität aufgrund coronabedingter Vorgaben – bereits eine Vielzahl von Verhandlungen mit weit mehr Teilnehmern in den im Gerichtsgebäude zur Verfügung stehenden Sitzungssälen durchgeführt. Die Gesamtteilnehmerzahl für die Verhandlung lag demnach nicht über dem, was üblicherweise in einer mündlichen Verhandlung für ein Planfeststellungsverfahren zu erwarten ist und zuvor auch mit den vorhandenen Räumlichkeiten des Gerichts bewältigt werden konnte. Der Justizgewährleistungsanspruch muss es auch unter coronabedingten Einschränkungen ermöglichen, Verhandlungen, die sich mit Blick auf die Teilnehmerzahl in einem grundsätzlich üblichen Rahmen halten, durchzuführen, ohne dass dadurch die Beteiligten mit nicht unerheblichen Mehrkosten belastet werden.

Auch Sinn und Zweck der in Nr. 9000 ff. KV GKG geregelten Erstattungsfähigkeit von Auslagen spricht für die vorliegend erfolgte Auslegung des Nr. 9006 KV GKG. Gegenleistung für die Inanspruchnahme der Gerichte ist grundsätzlich die Gerichtsgebühr (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.12.2016 – 20 KSt 1.16 -, BeckRS 2016, 111720). So werden weder die Nutzung des im Gericht vorhandenen Sitzungssaals noch die Kosten für sämtliche gerichtlicherseits an dem Verfahren Mitwirkende (vgl. dazu auch Nr. 9005 KV GKG – nicht als Auslagen erhoben werden Beträge, die an ehrenamtliche Richter (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 JVEG) gezahlt werden) gesondert als Auslagen in Rechnung gestellt.Sinn und Zweck der in Nr. 9000 ff. KV GKG geregelten Erstattungsfähigkeit von Auslagen ist – im Gegensatz zu Gebühren – die Möglichkeit der Auferlegung von Kosten, die aufgrund der Besonderheit des Einzelfalls entstehen, mit Blick auf Nr. 9006 KV GKG etwa, weil aufgrund der besonderen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls ein Ortstermin, eine Inaugenscheinnahme oder eine Anhörung an einem anderen Ort als im Gerichtssaal erforderlich wird, ggf. auch wegen einer außergewöhnlich hohen Anzahl von Teilnehmenden, bei der nicht erwartet werden kann, dass diese mit den üblicherweise vorhandenen Kapazitäten bewältigt werden kann. Dabei handelt es sich um Auslagen, die Folge der besonderen Situation des jeweiligen Einzelfalls sind. Eine solche Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Anmietung resultierte vielmehr daraus, dass die Nutzung des vorhandenen Sitzungssaals aufgrund von außerhalb des konkreten Einzelfalls liegenden Umständen, die auch nicht der Risikosphäre der Beteiligten oder dem konkreten Verfahren zuzuordnen sind, eingeschränkt war.

Auch ein Vergleich mit den übrigen unter Nr. 9000 ff. KV GKG aufgeführten Tatbeständen ergibt, dass Auslagen im Sinne dieser Vorschrift nicht diejenigen Aufwendungen sind, die üblicherweise anfallen. Diese sind vielmehr bereits mit der Gerichtsgebühr abgegolten. So ist bspw. gemäß Nr. 9000 Abs. 3 KV GKG für jeden Beteiligten und dessen Bevollmächtigten jeweils eine vollständige Ausfertigung oder Kopie oder ein vollständiger Ausdruck einer gerichtlichen Entscheidung oder des Sitzungsprotokolls frei von einer Dokumentenpauschale zu erteilen, erst darüber hinausgehend angeforderte oder erforderliche Mehrstücke können gesondert als Auslage in Rechnung gestellt werden. Die nach Nr. 9002 KV GKG mögliche Zustellungspauschale wird neben Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, regelmäßig nur erhoben, soweit in einem Rechtszug mehr als 10 Zustellungen anfallen, und die nach Nr. 9004 KV GKG mögliche Auslage für öffentliche Bekanntmachungen ist nicht zu erheben für die Bekanntmachung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem, wenn das Entgelt nicht für den Einzelfall oder ein einzelnes Verfahren berechnet wird.

Ist aber, wie ausgeführt, die – vorübergehende – Kapazitätsbeschränkung des gerichtseigenen Sitzungssaals ursächlich für die Anmietung von Räumlichkeiten, und steht infolge dessen ein Gerichtssaal im Gerichtsgebäude nicht uneingeschränkt zur Verfügung, handelt es sich bei aus der Anmietung resultierenden Kosten nicht um Auslagen im Sinne der Nr. 9000 ff. KV GKG, weil die Bereitstellung eines Gerichtssaals per se grundsätzlich mit den Gerichtsgebühren abgegolten ist.“

(Hohe [?]) Pauschgebühr im Staatsschutzverfahren, oder: Alles ist relativ, vor allem in Corona-Zeiten

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Den Gebührenfreitag beginne ich mit einem Beschluss des OLG Stuttgart zur Pauschvergütung nach § 51 RVG.

Ergangen ist der Beschluss in einem umfangreichen Verfahren beim Staatsschutzsenat des OLG. Der (auswärtige) Kollege hat sich mit Schriftsatz vom 16.06.2020 gegenüber dem Generalbundesanwalt legitimiert und ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 04.02.2021 zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Inzwischen liegen 253 Band Stehordner Ermittlungsakten, 23 Band Gerichtsakten sowie Beiakten vor. Seit dem 13.04.2021 wurde an bislang 85 Tagen (haupt)verhandelt.

Die gesetzlichen Gebühren des Kollegen betragen 67.760,00 EUR. Er hat einen Vorschuss auf eine Pauschgebühr (§ 51 Abs. 1 Satz 5 RVG) in Höhe von 216.750,00 EUR beantragt. Den hat er u.a. mit dem Umfang, dem erforderlichen Einarbeitungsaufwand, der Dauer der laufenden Hauptverhandlung, der Terminierungsdichte mit zwei Verhandlungstagen pro Woche mit Unterbrechung von einem Tag, der wegen der weiten Entfernung eine Rückreise an den Kanzleiort nicht zulasse, der Dauer und Schwierigkeit der Hauptverhandlungstermine mit zwölf Angeklagten mit jeweils zwei Verteidigern und dem erhöhten Abstimmungsbedarf und Besprechungsaufwand unter den Verteidigern. Zudem habe er wegen des Umfangs und der Schwierigkeit ab Mandatierung im Hinblick auf den zu erwartenden Aufwand so gut wie keine anderen Neumandate habe annehmen können. Durch „diverse coronabedingte Ausfälle“ sei „auch diese Einnahmequelle teilweise über Wochen eingebrochen“. Aus all diesen Gründen müsse auch die im Regelfall als Obergrenzen anzusehende Wahlverteidigerhöchstgebühr überschritten werden, nachdem in einem derartigen Ausnahmefall die Höhe des Entgeltes für den Pflichtverteidiger existentielle Bedeutung gewinne, in besonderem Maße für einen in Einzelkanzlei tätigen Verteidiger.

Das OLG hat im OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.08.2022 – 5-2 StE 7/20 – einen Vorschuss in Höhe von 146.142 EUR bewilligt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass in Anbetracht der von dem Pflichtverteidiger entfalteten Tätigkeit die bislang entstandenen gesetzlichen Gebühren nicht ansatzweise zumutbar sind.

Das OLG hat seine Entscheidung umfangreich begründet. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext, wegen des Umfangs der Entscheidung kann man die hier nur schlecht einstellen. Der Umfang der Begründung hat sicherlich auch damit zu tun, dass es sich bei der Entscheidung wohl um die erste betreffend die Pauschvergütung eines Pflichtverteidigers in dem Verfahren handelt und das OLG für weitere zu erwartende Anträge Richtlinien erlassen muss, um dann möglichst alle Pflichtverteidiger grundsätzlich gleich zu behandeln.

Hinweisen will ich hier aber auf die Passagen im Beschluss, die sich mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Verfahren und damit auch auf die Pauschgebühr befassen. Dazu führt das OLG aus:

„5. Die durch COVID-19 bzw. den Erreger SARS-CoV-2 bestehenden Einschränkungen machen weitere Modifikationen notwendig.

Das bisherige Verfahren war maßgeblich durch COVID-19 beeinflusst. Die terminierten Sitzungstage vom 20. und 21. April 2021, vom 4., 5. und 19. Mai 2021, vom 12. Oktober 2021, vom 21. Dezember 2021, vom 18. Januar 2022, vom 8., 10., 15., 17., 22. und 24. März 2022, vom 26. und 28. April 2022 sowie vom 3., 5., 10. und 12. Mai 2022 konnten ausschließlich wegen der Pandemie nicht stattfinden. Neben diesen 20 durch COVID-19 bedingten Aufhebungen wurden- –  ein Tag, nachdem ein auf zwei Tage geladener Zeuge vernommen war,
–  ein Tag aus dienstlichen Gründen,
– drei Tage wegen Erkrankung eines Angeklagten und
– ein Tag wegen Erkrankung eines Senatsmitglieds aufgehoben.

Damit stehen 85 stattgefundenen Hauptverhandlungstagen sechs Aufhebungen gegenüber, wie sie in jedem Verfahren möglich sind, aber 20, die ausschließlich auf COVID-19 zurückzuführen sind. Zwölf der 20 ausgefallenen Sitzungstage liegen zwischen dem 8. März 2022 Und dem 12. Mai 2022, mithin gab es in diesem Verfahren ein Zeitsegment, in dem COVID-19 bedingt kaum Hauptverhandlungen stattfanden. Der Senat sieht hier das Bedürfnis, über die Gewährung weiterer Verfahrensgebühren (im Detail: s.u.) einen Ausgleich zu schaffen. Ein „Sonderopfer“, gerade in diesem bzw. in einem vergleichbaren Verfahren bestellt zu sein, ist ohne Ausgleich nicht abzuverlangen.

Dabei sind die Unterschiede zu Verteidigern*innen, die während der pandemischen Lage in mehreren (und damit weniger umfangreichen) Verfahren bestellt sind, evident. Es gibt infolge geringerer Dauer und einer geringeren Anzahl von Beteiligten weniger Ausfälle und ein Ausfall kann in gewissem Umfang durch andere kompensiert werden. Ganz entscheidend ist für den Senat jedoch, dass vorliegend in enger Absprache mit dem Gesundheitsamt der Landeshauptstadt Stuttgart ein äußerst klar definiertes und umgesetztes „Coronaregime“ installiert und durchgehalten wurde. Es wäre widersprüchlich, würde Verteidigern*innen, die in einem solchen Verfahren tätig sind, das dadurch zwangsläufig entstehende höhere Risiko von Sitzungsausfällen überbürdet werden.“

Ich denke, dass derjenige, der den Beschluss gelesen hat, mir beipflichten wird, dass es angesichts der Verfahrenstatsachen auf der Hand liegt, dass die vom OLG getroffene Entscheidung zutreffend ist, und zwar sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen Frage, ob das Verfahren (schon) „besonders umfangreich“ im Sinn des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG als auch im Hinblick darauf, dass dem Pflichtverteidiger ein Vorschuss zu gewähren war. Die vom OLG mitgeteilten Daten sprechen für sich. Sowohl der Aktenumfang als auch die (bisherige) Dauer der Hauptverhandlung sind bemerkenswert. Anzumerken ist allerdings, dass § 51 RVG für die Gewährung einer Pauschgebühr kein „exorbitantes Verfahren“ voraussetzt. Es ist inzwischen aber müßig, darauf noch näher einzugehen. Die OLG beten diese falsche Formulierung des BGH nach, ohne sie einmal näher auf ihre Richtigkeit abzuklopfen.

Gegen die vom OLG gewählte Berechnungsmethode, die vornehmlich auf den Aktenumfang abstellt, ist – im Ergebnis – nichts einzuwenden. Der Aktenumfang ist in der Tat ein objektives Merkmal, mit dem man recht gut die Pauschgebühr be-/errechnen kann. Ob es das – wie es beim OLG erscheint – das wichtigste Merkmal ist und/oder ob daneben nicht auch auf die Dauer der Hauptverhandlung abzustellen ist, kann hier dahinstehen, da das OLG ja auch insoweit eine Erhöhung vorgenommen hat. Interessant und für die Rechtsprechung der nächsten Jahre sicherlich von Bedeutung/Interesse ist die Berücksichtigung der Einschränkungen, die sich im Verfahren durch die Covid-19-Pandemie ergeben haben. Dazu wird sicherlich Rechtsprechung anderer OLG folgen (müssen).

Schließlich: Dem ein oder anderen wird der gewährte Betrag von rund 142.000 EUR hoch, vielleicht zu hoch, erscheinen. Aber das gilt nur für den sog. „ersten Blick“. Denn man muss berücksichtigen, dass der Verteidiger in diesem Verfahren mindesten schon seit Juni 2020, also etwa 26 Monate, tätig ist, und zwar weitgehend ausschließlich. Das entspricht einer monatlichen Bruttoeinnahme (durch dieses Verfahren) von rund 5.500 EUR. Berücksichtigt man den Zeitaufwand für die Einarbeitung in und die Bearbeitung von 253 Band Stehordner Ermittlungsakten, 23 Band Gerichtsakten sowie Beiakten vor sowie die Teilnahme an bislang 85 Hauptverhandlungstagen relativiert sich nicht nur sehr schnell der „hohe Betrag“ sondern m.E. auch die Annahme des OLG, dass durch die gewährte Pauschgebühr/der Vorschuss dem Pflichtverteidiger „ein hinreichender Ausgleich ermöglicht wird“. Jedenfalls ist die gewährte Pauschgebühr auf keinen Fall „übersetzt“. Es ist eben alles realtiv, vor allem in „Corona-Zeiten“.

Corona II: War das Gesundheitszeugnis falsch?, oder: Impfunfähigkeitsbescheinigung ohne Untersuchung

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In der zweiten Entscheidung geht es um die Frage des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB). Dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.07.2022 – 12 Qs 34/22 – liegt ein Errmittlungsverfahren gegen einen Kinderarzt Dr. S. zugrunde. Dem wird vorgeworfen, in großem Umfang Impfunfähigkeitsbescheinigungen für Kinder aus dem ganzen Bundesgebiet zur Vorlage bei Behörden ausgestellt zu haben, ohne dass dem jeweils eine Untersuchung der Kinder oder eine Überprüfung der Angaben der Kindseltern vorausgegangen wäre. Bei einer Durchsuchung der Praxisräume des Kinderarztes fand die Polizei über tausend schriftliche Elternanfragen, in denen Impfunfähigkeitsbescheinigungen bei ihm angefordert wurden, darunter auch eine der Beschuldigten, mit der sie um solche Bescheinigungen für ihre vier Kinder bat. Die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erbrachten, dass in mindestens 20 bis dahin nachgewiesenen Einzelfällen Dr. S. formularmäßige Impfunfähigkeitsbescheinigungen für Kinder tatsächlich ausgestellt und an deren Eltern übersandt hatte.

Die für die Beschuldigte zuständige Staatsanwaltschaft leitete daher ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte wegen des Verdachts der Anstiftung zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse ein und gab es sodann an die für ihren Wohnsitz zuständige Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ab. Letztere erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss gem. § 102 StPO für die Wohnung der Beschuldigten beim AGs Nürnberg. Gesucht werden sollte nach den mutmaßlich von Dr. S. ausgestellten Impfunfähigkeitsbescheinigungen.

Die Durchsuchung wurde am 9. Juni 2022 vollzogen. Mit Schreiben vom 23.06.2022 legte die Verteidigerin der Beschuldigten Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein, Sie beantragte, den Durchsuchungsbeschluss aufzuheben. Es habe von vornherein an einem Anfangsverdacht gefehlt. Die Beschuldigte hätte in ihrer Anfrage Dr. S. die Krankheitsgeschichte der Kinder ausführlich geschildert. Diese Schilderung habe der Arzt fachlich prüfen können.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„2. Die Durchsuchung war allerdings rechtmäßig, weil ein sie rechtfertigender, hinreichend gewichtiger Anfangsverdacht bei Beschlusserlass vorlag. Dieser setzt voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99, juris Rn. 6).

a) Eine ärztlich ausgestellte Impfunfähigkeitsbescheinigung ist ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 278 StGB (so auch Ruppert, medstra 2022, 153, 154; Hoffmann, öAT 2022, 51, 54), weil sie als Urkunde die medizinische Beurteilung eines Untersuchungsbefundes enthält und den gegenwärtigen Gesundheitszustand des Patienten aber auch in Form einer sachverständigen Prognose mögliche künftige Auswirkungen einer Impfung bei ihm bewertet (allg. zum Gesundheitszeugnis Wittig in SSW-StGB, 5. Aufl., § 277 Rn. 2; Schuhr in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., § 278 StGB Rn. 5).

b) Nach Aktenlage bot Dr. S. in seinem damaligen Internetauftritt an, Impfunfähigkeitsbescheinigungen für Kinder auszustellen und per Post zu versenden, wenn die Eltern ihm etwaige gesundheitliche Probleme ihres Kindes schriftlich mitteilen und ihrer Anfrage einen frankierten Rückumschlag und zehn Euro in bar als Vergütung beilegen. Eine persönliche Untersuchung des Kindes durch den Arzt war dabei nicht vorgesehen. Bei der Durchsuchung der Praxis des Dr. S. wurden u.a. eine E-Mail und ein Schreiben der Beschuldigten je vom 11. Dezember 2019 aufgefunden, in denen sie recht ausführlich die Krankengeschichte der vier Kinder beschreibt. Daher lag es nach kriminalistischer Erfahrung nahe, dass sie nach dem vorstehend geschilderten Modell Impfunfähigkeitsbescheinigungen bei Dr. S. beauftragt und diese auch von ihm erhalten hat, ohne dass die Kinder in der – knapp 200 km vom Wohnort der Beschuldigten entfernten – Arztpraxis vorgestellt worden wären.

c) Damit ist zwar nicht gesagt, dass die mutmaßlich ausgestellten Impfunfähigkeitsbescheinigungen sachlich falsch sein müssen; vielleicht treffen sie nach den dem Arzt schriftlich geschilderten Krankengeschichten sogar zu. Ein unrichtiges Gesundheitszeugnis liegt aber auch dann vor, wenn der Arzt den Patienten – wie hier der Verdacht besteht – zuvor nicht ordnungsgemäß untersucht hat.

aa) Das hat der historische Gesetzgeber allerdings wohl noch anders gesehen. § 278 StGB geht auf § 257 des preußischen StGB von 1851 zurück. Dessen Gesetzgeber hat die Frage, ob die formell falsche Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses tatbestandsmäßig ist, wenn die dort mitgeteilten Tatsachen wahr sind, in Übereinstimmung mit der seinerzeitigen Doktrin verneint (vgl. Goltdammer, Die Materialien zum Straf-Gesetzbuche für die preußischen Staaten, Teil II, 1852, S. 594 f.). Demgemäß ging auch die Literatur nach Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuchs davon aus, dass § 278 StGB ein materiell unrichtiges Gesundheitszeugnis voraussetzt (etwa Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 4. Aufl., 1892, § 278 Anm. 1; Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 5. Aufl., 1908, § 278 Anm. I).

bb) Im Hinblick auf seinen Schutzzweck hat allerdings die Rechtsprechung schon vor über 80 Jahren den Anwendungsbereich des § 278 StGB ausgeweitet. Die Strafnorm solle nämlich die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse für Behörden sichern. Ein Zeugnis, das ein Arzt ohne Untersuchung ausstelle, sei aber ebenso wertlos, wie dasjenige, das nach erfolgter Untersuchung den hierbei festgestellten Gesundheitszustand unrichtig darstelle (RG, Urteil vom 25. Juni 1940 – 1 D 762/39, RGSt 74, 229, 231). Die damals begründete Rechtsprechung wurde in der Folgezeit bestätigt und fortgeführt (BGH, Urteil vom 23. April 1954 – 2 StR 120/53, juris Rn. 13; Urteil vom 29. Januar 1957 – 1 StR 333/56, juris Rn. 9; OLG München, Urteil vom 15. Juni 1950 – 2 Ss 37/50, NJW 1950, 796; OLG Frankfurt, Urteil vom 4. Mai 1977 – 2 Ss 146/77, juris Rn. 15 ff.). Sie entspricht auch der derzeit maßgeblichen Auffassung in der Judikatur (BGH, Urteil vom 8. November 2006 – 2 StR 384/06, juris Rn. 4 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Januar 2006 – 1 Ss 24/05, juris Rn. 22, 24; dazu auch Wolfslast in FS Roxin, 2011, 1121, 1122 f. Zieschang, medstra 2020, 202, 203). Die Kammer folgt ihr aus den genannten Schutzzweckerwägungen. Diese Auslegung ist auch vom Wortlaut der Strafnorm gedeckt.

cc) Ausnahmsweise mag eine körperliche Untersuchung oder persönliche Befragung in Einzelfällen gleichwohl entbehrlich sein, wenn sich der Arzt auf andere Weise zuverlässig über den Zustand des Patienten unterrichtet hat (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Januar 2006 – 1 Ss 24/05, juris Rn. 24; einschränkend Wolfslast, aaO, S. 1124). Nach der aus der Akte ersichtlichen Art der massenhaften und formularmäßigen Abwicklung der Elternanfragen durch Dr. S. kann dessen zuverlässige Unterrichtung über die Grundlagen einer etwaigen Impfunverträglichkeit des einzelnen Kindes aber nicht ernsthaft angenommen werden. Rückfragen sah sein im Internet beworbenes Geschäftsmodell erkennbar nicht vor. Damit bildeten einzig die von den Eltern als relevant assoziierten und ausreichend vermuteten schriftlichen Mitteilungen an Dr. S. die Grundlage für die Ausstellung der Bescheinigungen durch ihn, wenn man zu seinen Gunsten unterstellt – was nach der Art des Geschäftsmodells nicht auf der Hand liegt –, dass sie ihn inhaltlich überhaupt interessierten. Das reicht nicht.

d) Indem die Beschuldigte Dr. S. aufforderte, Impfunfähigkeitsbescheinigungen im geschilderten Rahmen auszustellen, stiftete sie ihn mutmaßlich zu Straftaten nach § 278 StGB an und begründete so mutmaßlich die eigene Strafbarkeit (§ 26 StGB). Dr. S. war vor der Aufforderung durch die Beschuldigte lediglich allgemein tatgeneigt, aber mangels Kenntnis des Einzelfalles zu den konkreten Taten noch nicht fest entschlossen (er war mithin kein omnimodo facturus)….“

Corona I: Vorlage gefälschter Impfpässe nach altem Recht, oder: OLG Karlsruhe legt dem BGH vor

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Heute zum Start in die 32. KW., mal wieder zwei Entscheidungen zu „Corona-Fragen“.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.07.2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22 -, über den ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist. Es geht um die Frage, ob Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke nach altem Recht – also bis zum 23.11.2021 – strafbar war oder.

In dem Verfahren wird dem Angeklagten vorgeworfen, am 03.11.2021 in einer Apotheke einen gefälschten Impfpass vorgelegt zu haben. Dadurch wollte er eine doppelte Schutzimpfung gegen COVID-19 vortäuschen, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Das AG hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt.

In dem Verfahren spielt die streitige  Frage der sog. Sperrwirkung des § 279 StGB a.F. eine Rolle, die das OLG Karlsruhe verneinen möchte. Da es damit aber von Rechtsprechung anderer OLG abweichen müsste – z.B. von der des BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 03.06.2022 – 207 StRR 155/22 – hat es die Frage nun dem BGH vorgelegt, und zwar wie folgt:

Entfalten die § 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (priviligierende Spezialität), die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt von Covid-19 Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht ?

Gut so. Dann ist – hoffentlich bald – die Kuh vom Eis.

StGB I: Bestechlichkeit/Bestechung von Abgeordneten, oder: Das Ende der Maskenaffäre?

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Heute dann StGB-Entscheidungen. Ich starte in den Tag mit dem BGH, Beschl. v. 05.07.2022 – StB 7-9/22. Das ist die Entscheidung des BGH zu den weiteren Beschwerden der GStA München gegen die Beschlüsse des OLG München. Das hatte insbesondere Haft- und Vermögensarrestanordnungen aufgehoben, welche die Ermittlungsrichterin des OLG wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit bzw. Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e StGB) in dem Ermittlungsverfahren der GStA zur sog. Maskenaffäre gegen drei Beschuldigte getroffen hatte, darunter ein Mitglied des Bundestages und ein Mitglied des Bayerischen Landtages.

Der BGh hat die weiteren Beschwerden verworfen. Ich mache es mir einfach und zitiere aus der PM des BGH, die sehr schön noch einmal alles zusammenfasst:

„1. Der nach der Geschäftsverteilung des Bundesgerichtshofs für weitere Beschwerden gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte zuständige 3. Strafsenat ist aufgrund der im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse von folgender Verdachtslage ausgegangen:

Der Beschuldigte L. und ein Mitbeschuldigter, zwei Privatunternehmer, fassten Anfang März 2020 den Plan, Schutzausrüstung zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie aus Asien einzuführen, um sie gewinnbringend an Bundes- und Landesbehörden zu verkaufen. In Abstimmung mit L. trat der Mitbeschuldigte an die ihm persönlich bekannten Beschuldigten N. und S. heran und trug ihnen an, gegen Entgelt ihre Autorität und ihren Einfluss als Bundes- bzw. Landtagsabgeordneter einzusetzen, damit die Behörden die Ware von Firmen des L. oder mit diesen kooperierenden Unternehmen erwerben. Die beiden Parlamentarier erklärten sich mit dem geplanten Vorhaben einverstanden. In der Folge traten sie mit Entscheidungsträgern verschiedener Bundes- und Landesbehörden in Verbindung und wirkten auf den Abschluss von Kaufverträgen über Schutzmasken (Mund-Nase-Bedeckungen) hin.

N. vermittelte zwei Verträge einer für die Abwicklung des Vorhabens eingebundenen Firma mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, vertreten durch das Bundespolizeipräsidium Potsdam, vom 20. März 2020 (3 Mio. FFP2-Masken zum Nettokaufpreis von 11,4 Mio. €) sowie mit der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit, vom 27./28. März 2020 (8,5 Mio. FFP2- und FFP3-Masken zum Nettokaufpreis von 37,25 Mio. €). Er stellte den Kontakt zu den für die Ministerien handelnden Entscheidungsträgern und Mitarbeitern her und setzte sich sowohl bei der Anbahnung der Kaufverträge als auch bei deren Abwicklung für L. und den Mitbeschuldigten ein. Gegenüber den Behörden trat N. als „MdB“ und stellvertretender Vorsitzender einer der Bundestagsfraktionen auf.

S. vermittelte den Abschluss eines Kaufvertrages über Schutzmasken zwischen der benannten Firma und dem Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, vom 20. März 2020 (3,5 Mio. FFP2- und FFP3-Masken zum Nettokaufpreis von 14,25 Mio. €). Er stellte den Kontakt zur zuständigen Mitarbeiterin des Ministeriums her und förderte den Vertragsschluss. Seine entsprechenden E-Mails an die Behörde versandte S. – teilweise mit seiner Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ – unter der E-Mailadresse einer seiner beiden Kanzleien, verwendete aber auch mehrfach eine Signatur mit dem Kürzel „MdL“.

Die beiden beschuldigten Abgeordneten erhielten für ihre Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Maskenverkäufen abredegemäß eine Entlohnung. Von den bei der benannten Firma eingegangenen Zahlungen zog deren Geschäftsführer zunächst die für die Beschaffung der Masken entstandenen Kosten und den ihr zustehenden Provisionsbetrag ab. Über die von ihm mitgeteilten Restbeträge erstellte L. insgesamt neun Rechnungen über Beratungs- und Provisionsleistungen. Daraufhin veranlasste der Geschäftsführer die Überweisung der Rechnungssummen von mehr als 10 Mio. € auf ein Konto des L. bei einer Liechtensteiner Bank. N., der zugleich Geschäftsführer einer GmbH war, stellte in deren Namen zwei Rechnungen wegen „Abschlagszahlung Beratungshonorar“ über 660.000 € und 600.000 €, von denen die erste beglichen wurde. S., der maßgebenden Einfluss auf eine andere GmbH hatte, veranlasste, dass diese einen Gewinnanteil von 1,243 Mio. € abrechnete. L. überwies daraufhin den Betrag auf ihr Bankkonto.

2. Der Bundesgerichtshof hat – wie bereits die Senate des Oberlandesgerichts sowie dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – entschieden, dass das den drei Beschuldigten vorgeworfene Verhalten nicht als Bestechlichkeit von Abgeordneten nach § 108e Abs. 1 StGB (Beschuldigte N. und S.) oder Bestechung von Abgeordneten (Beschuldigter L.) strafbar ist. Er hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Tatbestände des § 108e Abs. 1 und 2 StGB setzen unter anderem eine (erstrebte bzw. getroffene) Unrechtsvereinbarung zwischen dem Bestechenden und dem bestochenen Parlamentsmitglied mit dem Inhalt voraus, dass dieses „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornimmt oder unterlässt. Die Beschuldigten N. und S. nahmen indes, indem sie die Gegenleistungen für die Gewinnbeteiligungen erbrachten, nicht ihr Mandat im Sinne dieses Strafgesetzes wahr; die Übereinkunft der Beteiligten war hier von vorneherein nicht auf ein derartiges Verhalten gerichtet.

Das Merkmal der Wahrnehmung des Mandats ist dahin zu verstehen, dass die Mandatstätigkeit als solche, nämlich das Wirken im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Abgeordneten besetzten Kommissionen, erfasst ist. Allein die Vereinbarung zwischen den Beteiligten, dass sich der Mandatsträger bei außerparlamentarischen Betätigungen auf seinen Status beruft, um im Interesse eines Privatunternehmers Behördenentscheidungen zu beeinflussen, erfüllt dieses Merkmal nicht. Ebenso wenig genügt es, wenn das Parlamentsmitglied dazu die in dieser Funktion geknüpften Beziehungen zu Entscheidungsträgern der Exekutive ausnutzen oder sich seiner Amtsausstattung bedienen soll.

Dieses Verständnis des Strafgesetzes ist – wie in den Beschlussgründen im Einzelnen dargelegt ist – Ergebnis der Anwendung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung, namentlich nach dem Wortlaut des § 108e StGB, dessen systematischem Kontext, dem Willen des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck dieser Strafnorm. Dabei kam der Begründung des – der maßgeblichen Fassung des Straftatbestandes zugrundeliegenden – Gesetzesentwurfs sowie der hierzu abgegebenen Stellungnahme des Ausschusses des Bundestages für Recht und Verbraucherschutz eine erhebliche Bedeutung zu. Diese Materialien sind dahin zu verstehen, dass der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, rein außerparlamentarische Betätigungen des Mandatsträgers zu erfassen. Das Korruptionsdelikt der missbräuchlichen Einflussnahme, das in zwei von der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen völkerrechtlichen Abkommen vorgesehen ist, hat er nicht in das deutsche Recht überführt.

Der 3. Strafsenat hat darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber obliegt zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es hingegen verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Im Hinblick auf den vom Wortlaut des § 108e StGB gedeckten eindeutigen gesetzgeberischen Willen, das außerparlamentarische Wirken des Mandatsträgers durch diese Norm nicht zu erfassen, kommt eine diese Intention missachtende Auslegung nicht in Betracht, selbst wenn die hier zu beurteilenden Handlungen ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das vom Gesetz pönalisierte Verhalten. Falls der Gesetzgeber eine Strafbarkeitslücke erkennen sollte, ist es seine Sache, darüber zu befinden, ob er sie bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will.

3. Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs bleiben der gegen den Beschuldigten L. erlassene Haftbefehl sowie die gegen alle drei Beschuldigten angeordneten Vermögensarreste über insgesamt ca. 3,6 Mio. € aufgehoben. Insoweit ist keine weitere Anfechtung mehr statthaft.“