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Akteneinsicht I: Der Betroffene „benötigt … zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen…“

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Urheber KarleHorn

Aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Entscheidungen zum Akteneinsichtsrecht im Bußgeldverfahren dann heute mal wieder eine kleine Übersicht. Nur ausgewählte Entscheidungen, man kann nicht alle bringen und es wird auch allmählich langweilig, weil es keine neuen Argumente gibt, sondern die alten/bekannten nur hin und her geschoben werden.

Als erstes dann den AG Daun, Beschl. v. 04.04.2018 – 4a OWi 28/18 -, den mir die Kollegin Redmer-Rupp, Brühl, übersandt hat. Das Ag hat in dem Beschluss – früher hat es – meine ich – mal anders entschieden,  die  Zentrale Bußgeldstelle angewiesen, der Verteidigung  die digitalen Faltdatensätze zur Messserie, der Statistikdatei dazu und der Instandsetzung-, Wartungs- sowie Reparaturnachweise für das Geschwindigkeitsmessgerät seit der letzten Eichung zur Verfügung zu stellen. Begründung:

„Auszugehen ist dabei davon, dass ein Betroffener oder ein Verteidiger bei Ordnungswidrigkeiten im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung nicht pauschal behaupten kann, die Richtigkeit der Messung werde angezweifelt. Er muss vielmehr- da es sich bei dem Geschwindigkeitsmessverfahren mittels Vitronic Poliscan Speed um ein sogenanntes standardisiertes Geschwindigkeitsmessverfahren handelt, bei dem durch die PTB im Wege antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt wurde – in jedem einzelnen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen könnten. Erst wenn ihm das gelingt, bedarf es einer gerichtlichen Beweisaufnahme gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber, ob im konkreten Fall tatsächlich eine richtige Messung stattgefunden hat, die den Bußgeldvorwurf begründet.

Dabei ergibt sich insbesondere aus der Entscheidung des AG Meißen vom 29. Mai 2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 – nichts Anderes. Denn das AG Meißen den dortigen Betroffenen nicht deshalb freigesprochen, weil die Messung unverwertbar gewesen wäre, sondern deswegen, weil der Betroffene aufgrund der schlechten Qualität des Lichtbildes als Fahrer nicht zu identifizieren gewesen ist. („…verbleibt festzustellen, dass letztlich das Fahrerfoto, auf das ebenfalls gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird, nicht geeignet ist, den Betroffenen oder überhaupt einen Fahrer zu identifizieren. Es zeigt nur ein einziges erkennbares Identitätsmerkmal, ein verschwommenes Gesichtsprofil. Hieran kann lediglich mit einer gewissen Sicherheit festgestellt werden, dass am Steuer ein Mann saß. Ein dermaßen verschwommenes Profilbild kann nicht Grundlage einer Fahreridentifizierung sein.“). Es erschließt sich zumindest dem erkennenden Gericht nicht unmittelbar, warum trotz dieser einfachen Erkenntnis zuvor auf über 100 Seiten des Urteils auf mögliche Fehlerquellen der Messung eingegangen wird. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Da aber jedenfalls die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung vom Betroffenen einen detaillierten Vortrag im Hinblick auf etwaige konkrete Mängel des Messverfahrens verlangt, muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger in der Lage sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen. Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen und insbesondere zum Messfilm bzw. zu den kompletten Messdaten der Messserie. Erst die Auswertung dieser Daten – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem Sachvortrag.

Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem zur Überzeugung des Gerichtes nicht entgegen. Dies wird – soweit erkennbar und bereits veröffentlicht – in der Rechtsprechung ebenso beurteilt (Beschluss des OLG Koblenz vom 23.10.2013 – 2 SsRs90/13; Beschluss des AG Landstuhl vom 06.1 1.2015 – 2 OWi 4286 Js 2298/15 Beschluss des AG Heidelberg vom 14.06.2013 – 16 OWi 447/13; Beschluss des AG Schleiden vom 23.10.2012 – 13 OWi 140/12 Beschluss des AG Kassel vom 27.02.2015 – 381 OWi -9673 Js 32833/14 Beschluss des AG Königs Wusterhausen vom 17.03.2015 – 2.4 OWi 282/14 Beschluss des LG Trier vom 14.09.2017 – 1 Qs 46/17 -).

Schon rein tatsächlich ist insoweit festzustellen, dass zwar ein Verteidiger und/oder ein privater Sachverständiger bei Einsicht in die gesamte Messreihe zwangsläufig auch andere Fahrzeuge sehen, welche eine Messung ausgelöst haben. Ob hierbei tatsächlich Erkenntnisse gewonnen werden, deren Missbrauch gegenüber den anderen Fahrzeugführern zu befürchten ist, dürfte bezweifelt werden. Mindestvoraussetzung dürfte sein, dass der Einsicht nehmende spontan ein Fahrzeug bzw. einen Fahrzeugführer erkennt. Dies ist aber äußerst unwahrscheinlich. Erst recht ist nicht zu erkennen, welche (unzulässigen) Informationen bzw. Schlussfolgerungen diese hieraus ziehen könnten. Dies gilt umso mehr, als der aufgezeichnete und feststellbare Lebens Sachverhalt aus einer derartigen Maßnahme nur einen äußerst kurzen Zeitraum betrifft.

Wägt man das Interesse des Betroffenen an einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung mit dem Interesse anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer ab, hat das Interesse der anderen abgebildeten Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Einsichtsrecht zurückzustehen. Hierbei ist insbesondere die Erwägung von Bedeutung, dass die anderen abgebildeten Personen sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt haben. Dann kann es für diese Personen auch keinen überragenden Persönlichkeitseingriff darstellen, wenn sie im Zusammenhang mit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahme bzw. im Zusammenhang mit der Überprüfung derselben sich mit einer äußerst geringen, gegen null gehenden Wahrscheinlichkeit dem Risiko ausgesetzt sehen, zufällig erkannt zu werden. Die Bußgeldstelle war also antragsgemäß zur Herausgabe der Daten der gesamten Messserie zu verpflichten. Gleiches gilt für die Statistikdatei.

3. Auch hinsichtlich des Antrages auf Übermittlung der Wartungs- und Instandsetzungsnachweise seit der letzten Eichung besteht ein entsprechender Anspruch der Verteidigung. Eine Aufbewahrungspflicht für Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät ergibt sich bereits aus § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG zumindest für die zwischen den Eichungen durchgeführten Wartungen, Reparaturen und sonstigen Eingriffen. Hierdurch sollen die Eichämter anlässlich der Vorstellung des Messgerätes zur Eichung einen Überblick über die Reparatur- und Wartungsmaßnahmen seit der letzten Eichung erhalten. Werden dem Betroffenen solche Unterlagen nicht zugänglich gemacht, hat er keine Möglichkeit, konkrete Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der letzten Eichung entgegenstehende Reparatur oder einen sonstigen Eingriff in das Messgerät aufzufinden. Auf den Beschluss des Landgerichts Trier vom 14.09.2017 – 1 Qs 46/17 – wird Bezug genommen. Die Bußgeldstelle war daher antragsgemäß zur Herausgabe zu verpflichten.

 

Trunkenheitsfahrt, oder: 0,64 BAK und Unfall beim Ausparken reichen nicht….

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Ich hatte neulich über den LG Darmstadt, Beschl. v. 12.03.2018 – 3 Qs 112/18 berichtet (vgl. dazu: Trunkenheitsfahrt, oder: 0,54 BAK, Vorfahrtsverstoß und Nervosität reichen nicht….). Dazu passt ganz gut der AG Mönchengladbach, Beschluss vom 19.02.2018 – 59 Gs 151/18

„Die für die beantragte Entscheidung erforderliche Voraussetzung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit ist nicht ausreichend dargelegt oder aus dem Sachverhalt ersichtlich:

Die Höhe der BAK lag wurde mit 0,60 o/oo ermittelt. Der Beschuldigte hat allerdings bereits bei seiner ersten Befragung angegeben, ein Bier gegen Mittag und ein Bier nach der Rückkehr vom Bäcker gegen 16.00 Uhr getrunken zu haben; Nachtrunk kann insoweit nicht ausgeschlossen werden.

Die ärztlichen Feststellungen ergaben keine Auffälligkeiten. Allein der Hinweis darauf, dass der Beschuldigte einen Unfall verursacht hat, reicht zur Begründung seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit nicht aus. Der Unfall ereignete sich beim rückwärtigen Ausparken. Dass eine dabei erfolgte Kollision auf die – eher geringgradige – Alkoholisierung zurückzuführen ist, kann nicht festgestellt werden.“

Panne bei der Pannenhilfe, oder: Abschleppkosten des ADAC

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Autor: Maschinenjunge

Und als zweite Entscheidung dann das OLG Jena, Urt. v. 31.01.2018 – 2 U 105/17. Es hat – zumindest ein wenig – auch mit Abschleppen zu tun. Allerdings, nur ein wenig 🙂 .

Die Klägerin ist ein Sachversicherer, der u.a. anderem Schutzbriefe anbietet, die u.a. auch Pannendienstleistungen erfassen. Die Beklagte ist ein Abschleppunternehmen, das u.a. im Rahmen der Pannenhilfe des ADAC tätig wird. Die Beklagte hatte sich von Havaristen, die bei der Klägerin mit einem Schutzbrief versichert und zugleich Mitglieder des ADAC gewesen sind, Formulare unterzeichnen lassen, die u.a. eine Abtretung von Ersatzansprüchen gegen die Klägerin beinhaltet haben. Die Beklagte hatte daraufhin entsprechende Beträge bei der Klägerin eingezogen. Hiergegen hat die Klägerin sich nunmehr gewehrt und Rückzahlungsansprüche sowie Unterlassungsansprüche geltend gemacht.

Das LG hatte die Beklagte als Abschleppunternehmen zur Rückzahlung verurteilt. Das OLG hat die Entscheidung gehalten. Der Anspruch würde sich auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ergeben, da die Zahlungen der Klägerin an die Beklagte ohne Rechtsgrund erfolgt wären.

Dazu die (amtlichen) Leitsätze:

  1. Die Leistung für eine Unfall- oder Pannenhilfe ist durch das Abschleppunternehmen mit demjenigen abzurechnen, der diese Leistung bestellt hat.
  2. Hat das Mitglied eines Automobilclubs sich nach einem Unfall oder einer Panne an seinen Automobilclub gewandt mit der Bitte um Leistung der benötigten Hilfe im Rahmen der bestehenden Mitgliedschaft, und beauftragt der Automobilclub einen als Straßendienstpartner tätigen Dritten mit der benötigten Hilfe, so ist der Automobilclub Besteller der vom Dritten erbrachten Werkleistung.
  3. Lässt der Straßendienstpartner das havarierte Clubmitglied vor Ort einen Abtretungsvertrag unterzeichnen, so wird dieses Clubmitglied dadurch nicht Besteller der vom Straßendienstpartner erbrachten Werkleistung. Das Clubmitglied bzw. dessen Versicherer ist nicht verpflichtet, den Werklohn zu bezahlen.
  4. Bereits gezahlte Leistungen der Unfall- oder Pannenhilfe kann der Versicherer im Wege der Durchgriffskondiktion vom Abschleppunternehmen zurückfordern.
  5. Der Kfz-Versicherer kann vom Dritten verlangen es zu unterlassen, sich von den havarierten Clubmitgliedern vermeintliche Erstattungsansprüche gegen deren Schutzbrief- oder Kaskoversicherung abtreten zu lassen, wenn diese ihren Automobilclub nach einer Panne oder einem Unfall um Hilfeleistung gebeten haben.

Wohnungsdurchsuchung, oder: Wenn mehrere das Hausrecht inne haben

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Heute eröffne ich dann mit einem weiteren Beschluss des OLG Köln. Dazu vorab (noch einmal). In dem gestrigen Posting: Vermögensabschöpfung neu, oder: Rechtsmittelbeschränkung und Rückwirkung hatte ich ja das OLG Köln, Urt. v. 23.01.2018 – 1 RVs 274/17 – vorgestellt und im Ursprungspost zwei – m.E. vorhandene – Zitatfehler angesprochen. Die hatte ich am Dienstagabend beim OLG Köln – 1. Strafsenat – „hinterfragt“, wobei der eine klar auf der Hand lag. Da hatte man sich mit OLG Celle und Und OLG Stuttgart vertan. Der zweite war nicht so leicht aufzulösen. Das OLG Köln hat es dann aber in Turbogeschwindigkeit getan, so dass der Beschluss jetzt „passt“. Besten Dank nach Köln

Und hier dann der weitere Beschluss des OLG Köln. Es ist der OLG Köln, Beschl. v. 26.01.2018 – 1 RVs 3/18. Er behandelt eine Durchsuchungsproblematik in einem BtM-Verfahren. Das AG hatte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln  verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts wurde ein Teil der Betäubungsmittel bei einer im Anschluss an eine Verkehrskontrolle durchgeführten Durchsuchung der Wohnung sichergestellt, mit der sich der Angeklagte zuvor gegenüber dem Polizeibeamten pp. einverstanden erklärt hatte. Der Verteidiger legt Revision ein. Mit der Verfahrensrüge beanstandet er, das AG habe sich bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise gestützt, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei einer unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt, § 105 StPO, erfolgten Durchsuchung gewonnen worden seien. Das AG sei insofern zu Unrecht von einer „freiwilligen Zustimmung“ zur Wohnungsdurchsuchung ausgegangen als nicht alle Grundrechtsträger in die Maßnahme eingewilligt hätten, namentlich allein eine entsprechende Erklärung des Angeklagten, indes nicht der Mieterin der Wohnung vorgelegen habe. Dass die Freundin des Angeklagten Mieterin der verfahrensgegenständlichen Wohnung sei, habe sich für den Zeugen pp. auch eindeutig „aus dem Klingelschild“ ergeben. Die Rüge hatte keinen Erfolg. Das OLG meint: Nicht ausreichend im Sinn des § 344 Abs. 2 StPO begründet:

„Träger des Grundrechts nach Art. 13 Abs. 1 GG ist jeder Inhaber oder Bewohner eines Wohnraums, unabhängig davon, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des Wohnraums beruht. Insoweit steht bei mehreren Bewohnern einer Wohnung das Grundrecht auch jedem Einzelnen zu (BVerfG NJW 2004, 999, 1005). Auch ist im Ausgangspunkt zutreffend, dass eine Disposition des Einzelnen nur dann in Betracht kommt, wenn er alleiniger Träger des Grundrechts ist; andernfalls ist grundsätzlich ein Konsens mit den anderen Grundrechtsträgern – etwa den weiteren Hausrechtsinhabern – erforderlich. Diese Grundsätze bestehen indes nicht vollständig losgelöst von der Eingriffsintensität und der Frage, inwieweit der Kernbereich des geschützten Rechtsguts überhaupt berührt ist. Insoweit ist nicht ausgeschlossen, dass Familien- oder Wohngemeinschaftsangehörige nach Maßgabe einfachen Rechts eine gegen einen anderen gerichtete, anhand der Schranken des Art. 13 GG zu rechtfertigende Maßnahme gegen sich wirken lassen müssen (von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 5. Auflage, Rn. 21). Die im Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht aus Art. 13 GG und einer funktionierenden Strafrechtspflege erforderliche Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers liegt den §§ 102f. StPO zugrunde, welche festschreiben, unter welchen Voraussetzungen ein Eingriff bei verdächtigen, aber auch unverdächtigen Personen in Betracht kommt. Die Frage, wessen freiwillige Unterwerfung in eine Wohnungsdurchsuchung erforderlich ist, damit eine andernfalls nach § 105 StPO erforderliche richterliche bzw. in Eilkompetenz ergangene Anordnung entbehrlich wird, ist insoweit im Kontext mit der nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles einschlägigen Ermächtigungsgrundlage zu beantworten.

Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Durchsuchung einer Wohnung, die neben dem Verdächtigen von einer oder mehreren weiteren Personen bewohnt wird, zu stellen sind – namentlich, ob diese allein nach § 102 StPO oder auch nach § 103 StPO zu beurteilen ist – bedarf es der Differenzierung. Im Ausgangspunkt ist dabei festzuhalten, dass Wohnungen und Räume im Sinne des § 102 StPO alle Räumlichkeiten sind, die der Verdächtige tatsächlich innehat, gleichgültig  ob er Allein-  oder Mitinhaber ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 102 Rdn. 7). § 102 StPO verliert deshalb nicht seine Bedeutung als Eingriffsgrundlage, wenn weitere Personen Mitinhaber der tatsächlichen Herrschaft über Räumlichkeiten sind, die der Verdächtige bewohnt (so  BGH, Beschluss vom 15.10.1985 – 5 StR 338/85 -, juris; zugrunde lag die Konstellation, dass das Zimmer des Verdächtigen in der elterlichen Wohnung durchsucht wurde). Dagegen sind jedenfalls dann, wenn allein einer unbeteiligten Person zuzuordnende Räumlichkeiten (ebenfalls) Gegenstand der Durchsuchung sind, die engeren Anforderungen des § 103 StPO maßgeblich (s. auch LG Heilbronn, Urteil v. 16.12.2004 – 5 Ns 41 Js 26937/02 – juris).  

Ausgehend von diesem Maßstab ist schon im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO nicht ausreichend dargetan, dass die vorliegende Maßnahme (auch) nach § 103 StPO zu beurteilen ist und insoweit – in Ermangelung einer richterlichen Anordnung sowie einer vorliegenden Eilkompetenz – der „Einwilligung“ der Zeugin bedurfte. Hierzu hätte die Revisionsbegründung jenseits des Umstandes, wo konkret die Betäubungsmittel aufgefunden wurden, zumindest konkret vortragen müssen, dass die Durchsuchung überhaupt Räume umfasste, die der Zeugin im dargestellten Sinne zuzuordnen sind.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass auch solche Umstände, die einen schweren, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstoß – als Voraussetzung eines aus einem Beweiserhebungsverbot folgenden Beweisverwertungsverbots (s. dazu BVerfG NStZ 2011, 103; BVerfG NJW 2006, 2684) – zu begründen geeignet wären, nicht hinreichend dargetan sind. Soweit die Revisionsbegründung hinsichtlich einer positiven Kenntnis des Zeugen pp. von den Besitzverhältnissen allein auf den Inhalt des Klingelschildes verweist, trägt dies die Annahme einer tatsächlichen Kenntnisnahme des Zeugen nicht. Vielmehr ist – soweit nach den Urteilsgründen die Durchsuchung der Wohnung „anschließend“ an die am Mülheimer Ring durchgeführte Kontrolle des Angeklagten erfolgte – nicht dargetan, dass eine Notwendigkeit, die Klingel zu nutzen und sie in diesem Zusammenhang näher zu beachten, überhaupt bestand. Insoweit sind auch die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot nicht hinreichend vorgetragen. 

Soweit die Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts rechtlichen Bedenken unterliegt, weil sie die einzuziehenden Gegenstände entgegen den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen (vgl. (BGHSt 8, 295, 211; BGH NJW 1994, 1421;  BGH NStZ 2007, 713) nicht so konkret bezeichnet hat, dass für die Beteiligten und die Vollstreckungsorgange Klarheit über Gegenstand und Umfang besteht, kann der Senat diese in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Konkretisierung zuführen, da die Urteilsgründe die erforderlichen Angaben enthalten.“

42. StV-Tag in Münster: “Räume der Unfreiheit“, die Ergebnisse, oder: Augsburg, wir kommen

So, und hier dann die Ergebnisse des 42. Strafverteidigertages in Münster am vergangenen Wochenende. Gibt es – soweit ich es sehe – sonst noch nicht online. Ich habe sie mir vom Kollegen Uwer vom Orga-Büro besorgt und von der Strafverteidigervereinigung NRW e.V.

Vorab: Es war ein schönen Strafverteidigertag. Natürlich vor allem, weil es für mich in Münster ein Heimspiel war. Münster hat sich auch von seiner besten Seite gezeigt. zwar recht kalt, aber trocken und sonnig. Und die Veranstaltung war mit rund 800 Strafverteidigern auch gut besucht.

Und wie immer: Man trifft eine Menge Kollegen wieder, die man sonst nicht so häufig sieht. Wir hatten dann von der Facebokk-Gruppe „Strafverteidiger“ am Donnerstag ein „Warm-Up“. Auch das war eine runde Sache.

So genug des Lobes. Hier dann die Ergebnisse:

Ergebnisse der AG 1

Die Haftanstalt als gefährlicher Ort

1. Auch wenn das Vollzugsziel ‚Resozialisierung‘ als Verfassungsprinzip verankert ist, gibt es erheblichen Handlungsbedarf, um den Anspruch des Einzelnen auf Wiedereingliederung durchzusetzen. Die Einführung von Resozialisierungsgesetzen, die dem Einzelnen einen Rechtsanspruch auf Wiedereingliederung geben und die »Lücke« zwischen Justizvollzug und Bewährungshilfe schließen, müssen in allen Bundesländern eingeführt werden.

2. Auch wenn eine völlige Abschaffung der Freiheitsstrafe insgesamt nicht möglich erscheint, solange keine Abschaffung des geltenden Schuldstrafrechts erfolgt, müssen die Strafverteidiger weiterhin kritisch diskutieren, ob (Freiheits-)Strafe dauerhaft als Reaktionsmöglichkeit auf strafrechtliche Verfehlungen in unserer Strafrechtsordnung bestehen bleiben muss oder alternative Reaktionen zur Verfügung stehen.

3. Bestrebungen einzelner Bundesländer, den Schutz der Allgemeinheit als Ziel des Strafvollzugs unter Zurückdrängung des Resozialisierungsgedankens zu etablieren, lehnen wir ab. Die Strafverteidiger lehnen ein solches »Marketing« mit nur angeblicher Resozialisierung im Vollzug ab.

4. Politische Bestrebungen jedweder Art, den Anwendungsbereich des offenen Strafvollzugs zurückzudrängen, lehnen wir ab. Angesichts der bundesweit extrem geringen Missbrauchsquoten bei Vollzugslockerungen besteht dazu kein Anlass. Im Gegenteil muss eine Erweiterung des offenen Vollzugs erfolgen.

5. Der Vollzug von Freiheitsstrafen muss auf ein Mindestmaß reduziert werden. In Sinne eines solchen reduktionistischen Ansatzes müssen folgende Maßnahmen durch den Gesetzgeber umgesetzt werden:

– Stärkung der Verwarnung mit Strafvorbehalt;

– Vermeidung der Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen, Ersetzung von Freiheitsstrafe bis 1 J. durch gemeinnützige Arbeit;

– Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe, hilfsweise deren Vermeidung durch gemeinnützige Arbeit;

– generelle Halbstrafentlassung bei Ersttätern, § 57 Abs. 2 StGB, und Regelaussetzung bei neutraler oder unsicherer Prognose, § 57 Abs. 1, 2 StGB);

– Einschränkungen des Widerrufs bei Strafaussetzung zur Bewährung bei bloßen Weisungs- und Auflagenverstößen.

6. Um die Suizidrate in den Justizvollzugsanstalten zu senken, muss die Kontaktmöglichkeit zwischen JVA und Anwalt verbessert werden. Die Bereitschaft dazu wird nur wachsen, wenn in jeder JVA geeignete Suizidpräventionsräume vorhanden sind, die »besonders gesicherte Hafträume« ersetzen, in denen ein menschenwürdiger Strafvollzug unmöglich ist. Auch der Kontakt zum Haftrichter aus der JVA heraus muss zwecks Suizidprävention in der Untersuchungshaft verbessert werden (kurzfristige Aufhebung von Beschränkungen, sofern erforderlich)

Ergebnisse der AG 2

Führungsaufsicht

Führungsaufsicht hat positive Potentiale, wenn sie ihre Funktion zu helfen und zu begleiten mit angemessener Ausstattung erfüllen kann.

Besorgnis bereitet, dass die repressiven Ziele der Führungsaufsicht überhand nehmen und somit das eigentliche Ziel zu helfen und zu begleiten in den Hintergrund tritt.

Es ist eine Entwicklung zu beobachten, dass im Einzelfall ein Weisungscocktail gemixt wird, der rechtlich nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren ist. Kriminologisch setzt dieser die Mitwirkungsbereitschaft der Probanden herab und führt zu Überforderungssituationen.

Die Rolle der Polizei ist im Zusammenspiel zwischen Führungsaufsicht und Überwachungskonzepten der Länder (zB HEADS oder KURS) vollkommen ungeregelt. Die Führungsaufsicht muss als gesetzlich geregelte Maßregel den als bloße Verwaltungsvorschrift ausgestalteten Überwachungskonzepten vorgehen. Die Führungsaufsicht darf nicht durch polizeiliche Entscheidungen konterkariert werden.

Die Führungsaufsicht darf nicht durch Ausgestaltungen als Hausarrest zur kleinen Schwester der Sicherungsverwahrung verkommen.

Vergleichbar zur Regelung des § 67e StGB ist auch bei der Führungsaufsicht eine regelmäßige Überprüfung des Fortbestands im Rahmen einer gerichtlichen Anhörung erforderlich. Das ist ein Fall der notwendigen Verteidigung.

Die Wirkungsweise und Berechtigung der Strafvorschrift des § 145a StGB ist nicht belegt und bedarf einer wissenschaftlichen Überprüfung. Hinsichtlich der Legitimierung bestehen erhebliche Zweifel.

Ergebnisse der AG 3

Die Wirklichkeit lebenslanger Freiheitsstrafen

Die lebenslange Freiheitsstrafe kommt einer Vernichtungsstrafe gleich, die in ihrer Absolutheit einen Fremdkörper im System des Strafzumessungsrechts darstellt. Die notwendige Reform erscheint dabei mit einer ebenfalls zwingend notwendigen Reform des Mordtatbestandes untrennbar verknüpft.

Die »Lebenslänglichen« bilden trotz relativ geringer Verurteilungszahlen eine vergleichsweise große Gruppe im Strafvollzug. Mehr als zehn Prozent der »Lebenslänglichen« versterben im Vollzug, viele werden zum Sterben entlassen.

Der Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe führt in der Regel zu einer irreparablen Schädigung der Persönlichkeit oder der Gesundheit der Gefangenen. Bei sogenannten Langzeitgefangenen ist ein körperlicher und seelischer Verfall festzustellen; insbesondere die unbestimmte Dauer der absoluten Strafe hat schwerwiegende psychische Auswirkungen auf die von einer solchen Strafe Betroffenen.

Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe findet keine rechtspolitische oder kriminologische Rechtfertigung. Sie zerstört die Verurteilten eher, als sie auf ein Leben ohne Straftaten nach Verbüßung des Freiheitsentzugs vorzubereiten.

Die lebenslange Freiheitsstrafe gehört daher abgeschafft.

Ergebnisse der AG 4

Pre-Crime, Crime und Überwachung

In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme digitaler Ermittlungs- und Überwachungsmethoden in- und außerhalb des Strafverfahrens festzustellen. Die Bestrebungen der Sicherheitsbehörden gehen dahin, Straftaten mit Hilfe von technischen Mitteln nicht nur im Nachhinein zu verfolgen, sondern bereits im Vorfeld zu verhindern. In diesem Zusammenhang werden immer neue Rechtsgrundlagen für erweiterte Grundrechtseingriffe geschaffen, die technische Ausstattung der Sicherheitsbehörden aufgerüstet und immer mehr Daten gesammelt und verarbeitet.

Diese Entwicklung erfordert eine kritische Begleitung und eine breite gesellschaftliche Diskussion. Es gilt zu verhindern, dass die Freiheitsrechte zugunsten eines vermeintlichen Mehr an Sicherheit immer weiter eingeschränkt werden. Der Weg zu anlasslos erfolgenden oder flächendeckend durchgeführten Maßnahmen der automatisierten Erfassung und Auswertung von Daten muss weiterhin versperrt bleiben.

Für den Anwendungsbereich der Online-Durchsuchung ist zu fordern:

  • Ziel muss eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Norm sein;
  • Beschränkung des Katalogs der Straftaten, die eine Online-Durchsuchung ermöglichen sollen auf die Vorgaben des BVerfG;
  • strikte Beachtung der gesetzlichen Vorgaben wie Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips;
  • keine umfassende Untersuchung des informationstechnischen Systems,
  • Beschränkung der gewonnenen Daten auf diejenigen, die für das jeweilige Strafverfahren relevant sind;
  • Sicherstellung durch eine vorgelagerte Prüfung, dass die Erfassung von »kernbereichsrelevanten Informationen« ausgeschlossen ist;
  • deutliche Ausweitung der Protokollierungspflicht bezüglich der Durchführung der Maßnahme

Für die Anwendung der Quellen-TKÜ ist zu fordern:

Für die Vorratsdatenspeicherung ist zu fordern:

  • Die durch das Gesetz zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung ermöglichte Massenerfassung sämtlicher Kontakte und Bewegungen der gesamten Bevölkerung ist nicht mit den Grundrechten vereinbar und verstößt eklatant gegen europäisches Recht. Das Gesetz ist deshalb aufzuheben.

Für den Anwendungsbereich des Predective Policing ist festzustellen:

  • Die Wirksamkeit der aktuell bereits in mehreren Bundesländern angewendeten Systeme ist fraglich. Die Gefahr einer immer weiteren Ausweitung der Methoden des Predictive Policing unter Einbeziehung auch von personenbezogenen Daten in diesen Systemen drängt sich im Sicherheitsstaat auf.
  • Ein Blick in die USA zeigt, dass diese Systeme geeignet sind, massive Eingriffe in Freiheitsrechte einer Vielzahl von Personen zu bewirken und sich einer normativen Kontrolle entziehen.
  • Abweichendes Verhalten kann nicht mit Algorithmen beantwortet werden, sondern bedarf eines verantwortungsbewussten Umgangs der Gesellschaft mit den sozialen Ursachen der Kriminalität.

Ergebnisse der AG 5

Die Aufweichung des Erziehungsprinzips im Jugendstrafrecht durch schuld- und feindstrafrechtliche Tendenzen

  1. Der Zurückdrängung des Erziehungsgedankens bei der Verhängung von Jugendstrafen wegen Schuldschwere ist entschieden entgegenzutreten. Die insoweit uneinheitliche und widersprüchliche höchstrichterliche Rechtsprechung sollte auf ein einheitliches und nachvollziehbares Konzept des Erziehungsgedankens rekurrieren. Die Regelung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG, durch den das Höchstmaß verhängbarer Jugendstrafe auf 15 Jahre angehoben wurde, ist abzuschaffen, da die Regelung verfassungsrechtlich bedenklich ist und die Gefahr einer Sogwirkung im Hinblick auf die weitere Eskalation der Höhe verhängter Jugendstrafen birgt.
  2. Für straffällig gewordene jugendliche und heranwachsende Flüchtlinge sind ihrer Situation angemessene ambulante Maßnahmen zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen, um auch für diese Gruppe den Erziehungsgedanken effektiv zur Geltung zu bringen.
  3. Für die Umsetzung der Richtlinie EU 2016/800 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, ist in erster Linie zu fordern, dass die einzuführenden Verfahrensrechte unterschiedslos auf Jugendliche und Heranwachsende Anwendung finden. Im Hinblick auf die umzusetzende Ausweitung der Voraussetzungen der Pflichtverteidigung und die Vorverlegung des Bestellungszeitpunkts auf das Ermittlungsverfahren ist sicherzustellen, dass jugendstrafrechtlich spezifisch qualifizierte Verteidiger bestellt werden. Die Anwaltschaft muss diesbezüglich Verantwortung übernehmen und ein Konzept zur Bereitstellung entsprechend qualifizierter Verteidiger entwickeln, welches auch die Transparenz der Auswahlentscheidung sicherstellt.
  4. Unbedingte Jugendstrafen dürfen erst dann verhängt werden, wenn alle anderen Reaktionsmöglichkeiten auf strafrechtliches Verhalten vollständig ausgeschöpft sind. Jugendstrafvollzug kann dabei nur dann zielführend sein, wenn die Qualität der erzieherischen Angebote im Strafvollzug kontinuierlich erhöht wird und den individuellen Bedürfnissen der straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden Rechnung trägt.
  5. Die in den letzten Jahrzehnten in das Jugendstrafverfahren implementierten Opferschutzrechte bedürfen der einschränkenden Interpretation und sind in ihrer Geltung dem Maßstab des § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 JGG zu unterwerfen. Sie müssen endlich kritisch empirisch evaluiert und gegebenenfalls revidiert werden. Die Einziehung von Wertersatz ist mit dem Erziehungsgedanken unter keinem Gesichtspunkt in Einklang zu bringen, weshalb diese aus dem Jugendstrafrecht zu entfernen ist.

Ergebnisse der AG 7

StPO – nach der Reform ist vor der Reform

  1. Ein „gesetzgeberischer Handlungsbedarf einer Rechtsgrundlage für die Tatprovokation“ (vgl. Koalitionsvertrag) besteht nicht – für ein gesetzliches Verbot der Tatprovokation dagegen aber sehr wohl. Ein gedanklicher Einstieg könnte hier die Regelung des § 5 Abs. 3 öStPO sein.

  2. Die durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens erfolgte Einführung des (ab 1.1.2020) geltenden § 136 Abs. 4 StPO kann nicht mehr sein als ein „Einstieg“ in ein umfassendes gesetzliches Programm zur Dokumentation des Ermittlungsverfahrens [und der Hauptverhandlung].

  3. Die Regelung greift mit der Beschränkung auf „vorsätzlich begangene Tötungsdelikte“ deutlich zu kurz; offensichtlich soll hier nur ein „Experimentierfeld“ etabliert werden, dieses muss ausgeweitet werden (mindestens auf alle Verbrechenstatbestände).

  4. Art und Umfang der audiovisuellen Aufzeichnung sind gesetzlich näher auszuformulieren.

  5. Die Tatbestände zur Einschränkung („und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen“) sind eng zu interpretieren. Dem Einwand einer fehlenden Aufzeichnungsmöglichkeit als „äußerer Umstand“ ist bspw. der (geplante) flächendeckende Einsatz von sog. „bodycams“ bei der Polizei entgegenzuhalten.

  6. § 136 Abs. 4 StPO ist als harte Beweiserhebungsregelung zu interpretieren und stellt keine bloße „Ordnungsvorschrift“ dar. Jede andere Kategorisierung wäre dem Wesen des § 136 StPO (inzwischen) wesensfremd.

  7. § 136 Abs. 4 StPO ist zu erweitern um konkrete Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote. Insbesondere ist ein Umgehungsverbot („Vernehmung“) vorzusehen.

  8. Mit dem fortgeschrittenen Verlust einer Trennung von Ermittlungs- und Hauptverfahren und verstärkten Transfers ist die Qualitätssicherung und Dokumentation der im Ermittlungsverfahren erfolgenden Beweiserhebungen geboten. Diese zwingt zur audiovisuellen Dokumentation der Beschuldigten- als auch Zeugenvernehmungen verbunden mit einem umfassenden Akteneinsichtsrecht des Verteidigers.

  9. Zu der durch § 148 StPO geschützten Kommunikation zwischen Verteidiger und Beschuldigtem gehören auch die Anbahnungsgespräche. Hierzu bedarf es einer klarstellenden gesetzlichen Regelung in § 148 StPO [und § 160a StPO].

  10. Das Recht auf umfassende Einsicht in den elektronischen Datenbestand und damit in den gesamten Metadatenstamm, um die Vollständigkeit zu prüfen. Hierfür muss die Stellung eines Beweisantrags ohne konkreten Verdacht („ins Blaue hinein“) zulässig sein, um eine etwaige Manipulation oder sonstige Veränderung des Datenstamms nachweisen zu können.

  11. Insbesondere die diskutierten ersten drei Forderungen des zweiten Strafkammertages 2017 werden zurückgewiesen. Die Dichotomie für mehr Effizienz kann nicht mit der Beschneidung prozessualer Beschuldigtenrechte einhergehen. Die Grenzen des Rechtsstaats werden andernfalls überschritten.

Ich war übrigens in der Gruppe 7. Eine recht lebhafte Diskussion über das, was ggf. kommt oder kommen soll. Man muss ja immer auf dme laufenden sein.

Nach dem StV-Tag ist dann ja immer auch vor dem StV-Tag. Und der findet im Jahr 2019 dann in Bayern statt. Und zwar in Augsburg, also für mich wieder ein „Quasi-Heimspiel“. Und nein, ich habe da nicht meine Finder drin – wie gestern schon auf Twitter vermutet wurde. Aber ich finde die Wahl natürlich gut 🙂 .