BGH I: „Du warst es“, oder: Die DNA-Spur im Urteil

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So, und dann zum „normalen Programm 🙂 „. Ich eröffne die 20. KW. heute mit zwei Postings zu BGH-Beschlüssen.

Zunächst weise ich auf den BGH, Beschl. v. 24.01.2019 – 1 StR 564/18 – hin, der sich zur Frage der Anforderungen an die Urteilsgründe verhält, wenn Grundlage der Verurteilung eine DNA-Spur ist, die man dem Angeklagten zugeordnet hat.

Im entschiedenen Fall hatte das LG den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen lauerte der Angeklagte am 29. März 2017 gegen 21.30 Uhr seiner Ehefrau, die sich bereits im Dezember 2015 von ihm getrennt hatte und einem neuen Lebenspartner zuwandte, an deren Arbeitsstelle auf. Er wollte sie aus Eifersucht töten, nachdem er ihre Scheidungsabsichten erkannt hatte. Der Angeklagte näherte sich seiner Ehefrau mit einem Messer von hinten, als sie gerade in ihr Fahrzeug steigen wollte, und fügte ihr eine „leicht bogenförmige“ Schnittverletzung an der Kehle zu. Die Ehefrau drehte sich um und versuchte vergeblich, den Angeklagten abzuwehren; eine von ihr aus der Arbeitsstätte mitgebrachte leere Dose des Herstellers Red Bull fiel dabei zu Boden. Insgesamt stach der Angeklagte seiner Ehefrau neunmal in den Oberkörper und durchtrennte Leber, Lunge und Milz; die Ehefrau verblutete noch am Tatort.

Das Landgericht hat sich aufgrund einer Vielzahl von Hilfstatsachen von der Täterschaft des die Tat abstreitenden Angeklagten überzeugt. Dabei hat es einer vom Angeklagten herrührenden DNA-Spur am Boden der Getränkedose „ganz besondere Indizbedeutung“ zugemessen; denn damit könne er nur am Tatort in Kontakt gekommen sein, anders als mit der Jacke der Geschädigten, an deren Kapuze und Kragenseite ebenfalls auf den Angeklagten hinweisende DNA-Spuren – neben einem belastenden Faserspurenbild – gesichert worden seien, und mit dem linken Finger, unter dessen Nagel die Sachverständige vom Landeskriminalamt eine für die Verursachung durch den Angeklagten sprechende „DYS-Spur“ nachgewiesen habe. Daher sei die DNA-Spur an der Dose in der Gesamtschau das „gewichtigste Indiz“, zu welchem der Angeklagte – anders als sonst (etwa zu einem angeblichen Besuch der Ehefrau am Morgen des Tattages, was als „Sinneswandel“ im Einlassungsverhalten und „Anpassung an das Beweisergebnis“zu würdigen sei) – geschwiegen habe, weil ein Erklärungsversuch offensichtlich sinnlos gewesen sei.

Der BGH hat aufgehoben:

„Diese Beweiswürdigung hält wegen eines durchgreifenden Darstellungsmangels der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Sie verhält sich nicht zu den Grundlagen, aus denen abzuleiten ist, dass der Angeklagte das an der Red-Bull-Dose in einer Mischspur gesicherte Material „mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 3,3 Millionen mitverursacht habe“ (UA S. 103).

1. Insoweit gilt:

a) Ist dem Tatrichter mangels Sachkunde eine eigene Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens eines Sachverständigen nicht möglich, so genügt es, dass er sich von der Sachkunde des Gutachters überzeugt und sich danach dem Ergebnis des Gutachtens anschließt. Jedoch muss er in diesem Fall die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergeben, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 5; vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 11 und vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115, 116 mwN). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – 3 StR 46/12, NStZ 2013, 177, 178). Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrunde, wie dies etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 5 und vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10, NStZ 2011, 171 mwN).

b) Für molekulargenetische Vergleichsgutachten gilt nichts anderes. Nach der neueren Rechtsprechung muss in den in der forensischen Praxis gebräuchlichen Verfahren lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden, sofern sich die Untersuchungen auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen (BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, NJW 2018, 3192, 3193, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Diese Vereinfachung gilt demnach nicht für Mischspuren (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 7; Urteil vom 6. Februar 2019 – 1 StR 499/18, juris Rn. 17); solche Spuren weisen mehr als zwei Allele in einem DNA-System auf, mithin Zellmaterial von mehr als einer einzelnen Person.

Insoweit ist nach wie vor grundsätzlich in den Urteilsgründen mitzuteilen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergaben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ob dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war. Bei Mischspuren können je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles strengere Anforderungen gelten (BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 12 f. und vom 19. Januar 2016 – 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118, 119; Urteil vom 6. Februar 2019 – 1 StR 499/18, juris Rn. 18), auch in Bezug auf die Vergleichspopulation (BGH, Urteil vom 24. März 2016 – 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 492); gegebenenfalls ist es notwendig, ergänzende molekulargenetische Untersuchungen durchzuführen (BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477, 479). Regelmäßig wird sich die Angabe empfehlen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welchen Typ von Mischspur es sich handelt (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 13 mwN).

c) Die tatrichterlichen Ausführungen genügen diesen Anforderungen nicht. Sie teilen nur mit, dass als weitere Spurenverursacherin – ebenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 3,3 Millionen – eine Besucherin der Tagungsstätte, die die Dose dort zurückließ, in Betracht kommt. Insoweit ist bereits der Typ der Mischspur – etwa Spur ohne klaren Hauptverursacher – nicht hinreichend genau herausgearbeitet. Im Übrigen fehlt es – wie auch bei den anderen DNA-Spuren – völlig an der Darstellung der Systeme und der Wahrscheinlichkeitsberechnung (vgl. zu Letzterem BGH, Urteil vom 7. November 2012 – 5 StR 517/12, NStZ 2013, 179); auf die für den Angeklagten relevante Vergleichspopulation wird nicht eingegangen.

2. Da sich das Landgericht festgelegt hat, dass von der Vielzahl der Indizien die DNA-Spur an der Getränkedose für seine Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) den Ausschlag gegeben hat, kann das Beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO) nicht ausgeschlossen werden. Diese Würdigung des Landgerichts darf das Revisionsgericht nicht durch eine eigene ersetzen.“

4 Gedanken zu „BGH I: „Du warst es“, oder: Die DNA-Spur im Urteil

  1. Pyrrhussieg

    Ein aktuelles Beispiel dafür, dass ein Urteil nicht (immer) deshalb aufgehoben wird weil es „falsch“ ist, sondern auch deshalb, weil das (mutmaßlich korrekte) Urteil „falsch“ begründet wurde.

    Es ehrt den BGH ja prinzipiell, hier so genau zu arbeiten. Andererseits wird dabei jetzt dank guter Segelanweisung wohl kaum mehr als eine Ehrenrunde rumkommen. Alle Beteiligten haben erneute Arbeit, bzw. die Auffangkammer, es kostet alles nochmal Geld und Zeit und am Ende steht mit großer Wahrscheinlichkeit doch wieder lebenslang. Und das in Zeiten wahrhaft knapper Ressourcen.

    Letztlich ein Jahr länger U-Haft (mit all ihren Einschränkungen) für den Angeklagten.

    Am Ende fangen die Kammern jetzt dann doch wieder an, seitenweise Gutachten abzupinseln – weil „sicher ist sicher“ :-/

  2. WPR_bei_WBS

    Mal zwei „physische“ Fragen bzgl. des LG-Urteils:

    1) Bedeutet die Wahrscheinlichkeit von 1:3,3 Millionen sowohl für den Angeklagten als auch für „eine Besucherin der Tagungsstätte“, dass es im Prinzip 50:50 steht, wer von den beiden jetzt die Dose kontaminiert hat? Dann halte ich die Dosa als Hauptindiz auch schon für sehr gewagt

    2) Ist die Wahrscheinlichkeit von 1:3,3 Millionen eine typische (zur Verurteilung Verurteilung führende) Wahrscheinlichkeit in der Praxis? Ich meine, auf die BRD gerechnet heißt das, dass es ca. 25 andere Personen gibt, von denen die Spur sein könnte.

  3. RiAG

    Nun für sich genommen wäre die Chance sicher für eine Verteilung nicht genug. In Zusammenschau mit anderen Indizien kann es aber natürlich reichen. Denn die Chance dass auch die DNA-Alternativperson diese Indizien mitbringt, summiert sich dann doch irgendwann in einen Bereich, der „vernünftigen Zweifel Einhalt gebietet“ (vgl. Ständige Rspr. des BGH zum Beweismaßstab des Tatgerichts)

  4. WPR_bei_WBS

    Danke für die Antwort! Das es letzten Endes auf die Gesamtlage ankommt ist natürlich klar. Aber das LG hat der ‚Dosen-DNA‘ ja eine „ganz besondere Indizienbedeutung“ beigemessen hat, und gerade das finde ich doch schon sportlich, wenn am Ende der Rechnung eine physiologische Wahrscheinlichkeit von 50% rauskommt (und augenscheinlich scheinen wir das Urteil in Bezug darauf gleich zu verstehen) steht, ob es der Angeklagte denn nun war. Und von dem was ich im BGH-Urteil lesen kann, verstehe ich auch die Schlußfolgerung des LG, nur der Angeklagte könne mit der Dose in Berührung gekommen sein, nicht nachvollziehen. So ’ne Dose ist schließlich schnell angefasst bzw. mit verschleppter DNA kontaminiert, eben auch von der anderen Teilnehmerin.

    Nun, wie dem auch sei: Ich möchte den Angeklagten jetzt auch garnicht frei sprechen – ich möchte nur der Aussage von Pyrrhussieg widersprechen, dass es am Ende *mit großer Wahrscheinlichkeit* wieder zu einer Verurteilung komme.

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