Im zweiten Beitrag des Tages habe ich hier den OLG Hamm, Beschl. v. 11.11.2025 – III-5 ORs 78/25. Er behandelt u.a. eine verfahrensrechtliche Frage, mit der man es in der Praxis häufiger zu tun hat: Nämlich die Frage, ob ein ausdrücklicher Eröffnungsbeschluss durch eine andere gerichtliche Maßnahme „ersetzt“ worden ist.
Das AG hat die Angeklagte wegen Diebstahls in 9 Fällen verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Angeklagten hat sie in der Berufungshauptverhandlung auf den Ausspruch der Rechtsfolgen beschränkt. Auf die Berufung hat kleine Strafkammer dann die Strafe reduziert. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, die sie (nur) mit Sachrüge begründet hat.
Die Revision hatte teilweise Erfolg. Das OLG hat wegen drei Taten das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt. Hinsichtlich der Taten fehl es an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses:
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b) Das insoweit ursprünglich zuständige Amtsgericht Gladbeck hat die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 31.08.2023, die die Taten zu Ziffer III.6.a) und b) der Urteilsgründe des Landgerichts betrifft, mit Beschluss vom 16.11.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren vor dem Strafrichter eröffnet und Hauptverhandlungstermin auf den 19.01.2024 bestimmt. In diesem Termin, zu dem die Angeklagte und ihr Verteidiger aufgrund eines Versehens der Geschäftsstelle mangels Ladung nicht erschienen waren, hat es den Beschluss verkündet, dass die Verfahren 6 Ds 32 Js 1629/23 – 25/24 (betrifft Fall III.5. der Urteilsgründe des Landgerichts), 6 Ds 37 Js 1292/23 – 26/24 (betrifft Fall III.3. der Urteilsgründe des Landgerichts) und 6 Ds 37 Js 1366/23 – 34/24 (betrifft Fall III.4. der Urteilsgründe des Landgerichts) mit dem wegen der Taten zu Ziffer III.6.a) und b) der Urteilsgründe des Landgerichts geführten Verfahren zur gemeinschaftlichen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden. Zugleich hat es beschlossen, dass das Verfahren dem Amtsgericht Dorsten wegen der dort bereits für den 11.04.2024 terminierten Verfahren zur Prüfung der Übernahme übersandt werden soll. Sodann hat es mit Verfügung vom 19.01.2024 die Akten über die Staatsanwaltschaft Essen dem Amtsgericht Dorsten zur Übernahme vorgelegt. In den drei hinzuverbundenen Verfahren war zuvor ein ausdrücklicher Eröffnungsbeschluss nicht erfolgt. Die jeweiligen Anklagen hatte das Amtsgericht Gladbeck der Angeklagten erst mit Verfügungen vom 15.01.2024 bzw. 19.01.2024 jeweils mit einer Stellungnahmefrist von einer Woche im Sinne von § 201 StPO zugestellt. Die Zustellungen sind ausweislich der zur Akte gelangten Zustellungen am 17.01.2024 bzw. 23.01.1024 erfolgt.
Auch wenn ein Eröffnungsbeschluss nicht zwingend ausdrücklich erfolgen muss, sondern auch konkludent erfolgen kann (vgl. dazu KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, § 207 StPO, Rn. 17 m.w.N.), kann angesichts der weiteren Umstände der Verbindungsbeschluss des Amtsgerichts Gladbeck im Termin vom 19.01.2024 nicht als eindeutige Willenserklärung, die mit Sicherheit erkennen lässt, dass das Gericht die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zugelassen und die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat, angesehen werden. Denn insoweit waren zum Zeitpunkt des Termins die Stellungnahmefristen der Angeklagten zu den Anklagen noch nicht abgelaufen. In einem Fall ist sogar erst am Tag des Termins die Zustellung der Anklageschrift verfügt worden. Auf diese Fristen konnte die Angeklagte mangels Anwesenheit im Termin auch nicht verzichten. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Amtsgericht Gladbeck die Angeklagte in ihren Rechten aus § 201 StPO durch einen vorzeitigen Eröffnungsbeschluss beschneiden wollte.
c) Sodann hat das Amtsgericht Dorsten das Verbundverfahren unter dem Aktenzeichen 5 Ds 28/24 mit Verfügung vom 13.02.2024 übernommen und am selben Tag Hauptverhandlungstermin auf den 11.04.2024 bestimmt; ein gesonderter Eröffnungsbeschluss, der hinsichtlich der Anklagen vom 24.11.2023, 02.12.2023 und 19.12.2023 nach dem oben Gesagten noch fehlte, ist nicht ergangen.
Es ist jedoch anerkannt, dass einer Terminsbestimmung grundsätzlich keine Entscheidung über die Eröffnung entnommen werden kann (BGH, Beschl. v. 11.01.2011 – 3 StR 484/10, NStZ-RR 2011, 150, 151; OLG Hamm, Beschl. v. 09.09.1999 – 4 Ss 1038/99, BeckRS 2000, 153, Rn. 9; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 207 StPO, Rn. 17 m.w.N.). Die Terminsverfügung dient allein der Vorbereitung der Hauptverhandlung und setzt einen wirksam gefassten Eröffnungsbeschluss voraus (OLG Hamm, Beschl. v. 09.09.1999 – 4 Ss 1038/99, BeckRS 2000, 153, Rn. 9). Ihr kommt lediglich eine organisatorische Funktion zu. Anderenfalls müsste konsequenterweise jeder Terminsbestimmung der erforderliche Eröffnungswille entnommen werden; ein solches Verständnis ließe allerdings keinen Raum mehr für versehentlich unterlassene Eröffnungsbeschlüsse und leitet daher mangels jeder Möglichkeit zu differenzierter Betrachtung fehl (MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl. 2024, § 207 StPO, Rn. 28). Anhaltspunkte für die Annahme eines Ausnahmefalles ergeben sich im vorliegenden Fall nicht.
d) Schließlich ist die Eröffnungsentscheidung auch nicht zu Beginn oder während der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Dorsten nachgeholt worden (vgl. hierzu BeckOK-StPO/Ritscher, 57. Ed., § 207 StPO, Rn. 16 m.w.N.). Zwar hat das Amtsgericht Dorsten zu Beginn der Hauptverhandlung vom 11.04.2024 beschlossen und verkündet, dass die Verfahren 5 Ds 32 Js 466/23 – 58/23, 5 Ds 32 Ds [sic!] 898/23 – 125/23, 5 Ds 36 Js 1123/23 – 28/24, 5 Ds 42 Js 132/24 – 61/24 und 5 Ds 42 Js 174/24 – 62/24 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden. Dieser Verbindungsbeschluss kann jedoch im vorliegenden Fall ebenfalls nicht als konkludente Eröffnungsentscheidung angesehen werden. Es ist nicht erkennbar, dass das Amtsgericht Dorsten insoweit die in § 203 StPO vorgeschriebene Prüfung des hinreichenden Tatverdachts vorgenommen hätte (vgl. dazu KG, Beschl. v. 16.03.2015 – (4) 161 Ss 20/15 (27/15), BeckRS 2015, 15921, Rn. 11; BGH, Beschl. v. 05.02.1998 – 4 StR 606/97, NStZ-RR 1999,14). Dagegen spricht insbesondere, dass das Amtsgericht Dorsten den Pflichtverteidiger der Angeklagten im führenden Verfahren 5 Ds 58/23 bereits mit Verfügung vom 27.07.2023 darauf hingewiesen hatte, dass beabsichtigt sei, im Falle eines Eröffnungsbeschlusses im Verfahren 5 Ds 125/23 beide Verfahren – gegebenenfalls im Termin – zu verbinden. Dies zeigt, dass sich der Amtsrichter des grundsätzlichen Erfordernisses eines gesonderten Eröffnungsbeschlusses bewusst war. Im Verfahren 5 Ds 125/23 ist sodann am 10.08.2023 ein Eröffnungsbeschluss erfolgt. Dies spricht dafür, dass der fehlende Eröffnungsbeschluss hinsichtlich der Fälle III.3. bis III.5. der Urteilsgründe hier schlicht übersehen worden ist. Ein Wille des Gerichts, zu diesem Zeitpunkt über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden, liegt vor diesem Hintergrund fern.
e) Im Berufungs- oder Revisionsverfahren ist eine Nachholung des Eröffnungsbeschlusses nach allgemeiner Meinung nicht mehr möglich (BGH, Beschl. v. 04.04.1985 – 5 StR 193/85, NJW 1985, 1720; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.08.2008 – 1 Ss 35/08, NStZ-RR 2009, 287; KG, Beschl. v. 16.03.2015 – (4) 161 Ss 20/15 (27/15), BeckRS 2015, 15921 Rn. 12 f.). Das Fehlen eines Eröffnungsbeschlusses stellt daher ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des gerichtlichen Verfahrens nach § 206a Abs. 1 StPO zur Folge hat (BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 5 StR 136/23, BeckRS 2023, 13804, Rn. 9; Beschl. v. 18.07.2019 – 4 StR 310/19, BeckRS 2019, 15979, Rn. 3; Beschl. v. 16.08.2017 – 2 StR 199/17, BeckRS 2017, 125852, Rn. 10; KG, Beschl. v. 16.03.2015 – (4) 161 Ss 20/15 (27/15), BeckRS 2015, 15921 Rn.). Für eine Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor der Anklageerhebung ist kein Raum (MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl. 2024, § 207 StPO, Rn. 56). Für eine erneute Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf es daher einer von der Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht erneut zu erhebenden Anklage.
Zugleich war das im Schuldspruch rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Dorsten, soweit es die genannten Taten betrifft, aufzuheben, da bereits seinem Erlass insoweit das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses entgegenstand und der Schuldspruch wegen dieser drei Taten daher schon durch das Berufungsgericht nach § 328 Abs. 1 StPO hätte aufgehoben werden müssen (verbunden mit der Teileinstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO). Dies gilt ungeachtet der durch die wirksame Berufungsbeschränkung eingetretenen horizontalen Teilrechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils; denn diese entbindet die Gerichte im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht von der Prüfung und Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen, die – wie vorliegend der fehlende Eröffnungsbeschluss – zu einem Befassungsverbot führen (vgl. zum Ganzen KG, Beschl. v. 16.03.2015 – (4) 161 Ss 20/15 (27/15), BeckRS 2015, 15921 Rn. 14 m.w.N.; OLG Bamberg, Beschl. v. 16.06.2016 – 3 OLG 8 Ss 54/16, BeckRS 2016, 12144 Rn. 3 f.).
f) Die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der genannten drei Taten hat den Wegfall der für diese Taten festgesetzten Strafen von acht Monaten, zehn Monaten und sieben Monaten zur Folge. Angesichts des Wegfalls insbesondere der Einsatzstrafe bedingt dies die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler indes nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.“

