StPO I: Aus dem Richter-Laptop ertönten bild.de-Töne, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Und heute dann StPO-Entscheidungen, und zwar zweimal etwas zur Ablehnung und ein Posting zu EncroChat usw.

Ich beginne mit der Ablehnung und dann gleich mit einem „Schmankerl“, das ja auch bereits die Tagespresse beschäftigt hat (vgl. hier).

Hintergrund des OLG München, Beschl. v. 18.03.2025 – 9 St 7/23 – ist folgender Vorfall in einem sog. „Reichsbürgerprozess“: Während der Stellungname einer Staatsanwältin ertönten aus dem Laptop eines Ergänzungsrichters des Verfahrens „eine Tonfolge sowie daran anschließend wenige von einer männlichen Stimme gesprochene Worte, darunter das Wort „Tagesschausprecher“. Das ist von Verteidigern des Verfahrens zum Anlass genommen worden, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Man ging, was offensichtlich richtig war, davon aus, dass die gehörten Töne von „bild.de“ stammten und sich mit der Verletzung des Tagesschausprechers Torsten Schröder befassten.

Der Ergänzungsrichter hat dann zwar versucht, in zwei dienstlichen Stellungnahmen das „Gehörte“ zu erklären. Das hat den Senat aber nicht überzeugt. Auch eine Entschuldigung hat ihn nicht gerettet. Das Ablehungsgesuch hatte vielmehr beim OLG Erfolg:

„2. Die Ablehnungsanträge sind begründet.

a) …..

b) Im vorliegenden Fail ertönten während der laufenden Hauptverhandlung aus dem Dienstlaptop des Ergänzungsrichters RiOLG Pp. eine Tonfolge sowie daran anschließend wenige von einer männlichen Stimme gesprochene Worte, darunter das Wort „Tagesschausprecher“

Dieser Sachverhalt konnte von allen Verfahrensbeteiligten wahrgenommen werden und bedarf daher keiner gesonderten Glaubhaftmachung.

Mit den Ablehnungsanträgen glaubhaft gemacht wurde, dass es sich bei der wahrnehmbaren Sequenz um den Beginn eines am 11.03.2025 veröffentlichten Videos auf „bild,de“ handelte, das sich mit einer Verletzung des Tagesschaumoderators Thorsten Schröder befasste. Hiervon konnte sich der Senat auch durch eigene Wahrnehmung nach Aufruf des Videos überzeugen.

c) Dieser Vorfall ist jedenfalls geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn RiOLG Pp. sich während der Hauptverhandlung willentlich mit verfahrensfremden Inhalten beschäftigt hat und infolgedessen uneingeschränktes Interesse nicht der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallenden Beweisaufnahme bzw. der Kenntnisnahme von damit im Zusammenhang stehenden Erklärungen der Prozessbeteiligten galt. Denn ein derartiges Verhalten kann im Sinne der oben genannten Rechtsprechung die Befürchtung der Angeklagten nähren, der Richter habe sich bereits auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt, und ist daher geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

d) Die angebrachten Ablehnungsgesuche machen den vorgenannten Ablehnungsgrund im Sinne des § 26 Abs. 2 S. 1 StPO hinreichend glaubhaft.

(1) Für die Glaubhaftmachung bedarf es nicht der vollen Uber-zeugung des Gerichts von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen; es reicht vielmehr aus, dass durch die beigebrachten Beweismittel in einem hinreichenden Maße die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan wird (BGH, Urteil vom 30.10.1990 – 5 StR 447/90, NStZ 1991, 144).

(2) Zwar hält der Senat ein unabsichtliches Anlaufen des Videos nicht für ausgeschlossen. Dies ist jedoch nach den dienstlichen Stellungnahmen, die hierfür keine plausible Erklärung liefern und an entscheidenden Stellen vage bleiben, unwahrscheinlich. Hinweise auf eine technische Fehlfunktion des Laptops liegen nicht vor.

RiOLG Pp. führte in seinen Stellungnahmen vom 1 1.03,2025 und 13.03.2025 aus, dass er „selbst völlig überrascht“ vom Anlaufen des Nachrichtenbeitrags gewesen sei und er nicht wisse, „welche konkrete Fehlbedienung meinerseits dies auslöste“. Sein sodann geschildertes Vorgehen bzw. seine Vermutung, wie es versehentlich zum Starten des Beitrags gekommen sein könnte, sind nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Zwar können Browser so eingestellt werden, dass bei deren öffnen eine zuvor durch Schließen beendete Sitzung wiederhergestellt und damit durch einen (Fehl-)Klick auf das Browsersymbol in der Taskleiste ein angesehenes Video erneut abgespielt wird. Weder ergibt sich aber aus der dienstlichen Stellungnahme, dass RiOLG Pp. das angespielte Video in der Pause angeschaut hat, noch dass sein Browser entsprechend eingestellt ist. Auch ist unklar und wurde von diesem trotz Ausführungen von Rechtsanwältin Pp. hierzu in der dienstlichen Stellungnahme zu den Ablehnungsgesuchen nicht ausgeführt. Über welche konkreten Bedienschritte RiOLG Pp. das Word-Dokument speichern und minimieren wollte, wobei es zu einem Bedienfehler gekommen sein soll.

(3) Die Ablehnungsgesuche nennen auch darüber hinaus Umstände, warum durch die von RiOLG Pp. geschilderten bzw. vermuteten Bedienschritte ein Anlaufen des Nachrichtenbeitrags mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausgelöst werden konnte. Auch wenn in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass die in den Ablehnungsanträgen genannte Zeit der angeblich erstmaligen Veröffentlichung des Videos auf „bild.de“ um 17.05 Uhr nicht zutreffend sein kann, da der Vorfall bereits gegen 16.50 Uhr, jedenfalls deutlich vor 17.05 Uhr, passierte, tragen die Gesuche Umstände vor, die geeignet sind. die Richtigkeit des Vorbringens in den dienstlichen Stellungnahmen nachhaltig zu erschüttern (BGH, Beschluss vom 08.06.2016 – 5 StR 48/16, BeckRS 2016, 12690).

(4) Die dienstlichen Stellungnahmen des abgelehnten Richters vermochten das aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage berechtigt erscheinende Misstrauen gegen ihn letztlich nicht auszuräumen. In diesen geht er auf viele der in den Ablehnungsgesuchen angesprochenen Vorwürfe und Themen nicht ein. Ob auf ihren Inhalt allein oder in der Gesamtschau eine Ablehnung gestützt werden könnte, kann dahinstehen.

(5) Auch die von RiOLG Pp. in seiner Stellungnahme vom 13.03.2025 vorgebrachte Entschuldigung ist vorliegend nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit auszuräumen, denn sie bezieht sich nicht auf ein im Sinne des erweckten Anscheins unbedachtes Fehlverhalten (vgl. BGH, Urteil v. 17.06.2015, a.a.O.), sondern auf die durch den Vorfall verursachten Irritationen und Umstände. Den Ablehnungsgesuchen vom 12.03.2025 war damit stattzugeben.“

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