Archiv für den Monat: März 2023

Absprache I: Inhalt der Verständigungsmitteilung, oder: Wer hat mit wem über was gesprochen?

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Heute dann drei StPO-Entscheidungen, die in Zusammenhang mit der Absprache/Verständigung (§ 257c StPO) stehen.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 08.02.2023 – 6 StR 284/22 – zur sog. Verständigungsmitteilung (§ 243 Abs. 4 StPO). Es geht mal wieder um den Inhalt der Mitteilung. Der Angeklagte hatte mit seiner Revision eine Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO gerügt. Und er hatte Erfolg:

„Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 13. Juni 2019 fand auf Initiative des früheren Vorsitzenden der Strafkammer eine mündliche Besprechung statt, in der der äußere Ablauf der Hauptverhandlung im Sinne des § 213 Abs. 2 StPO abgestimmt werden sollte. An dem etwa einstündigen Termin nahmen die damaligen Berufsrichter der Strafkammer, der Verteidiger und ein Oberstaatsanwalt teil. Letzterer wies in dem Gespräch unter anderem darauf hin, der Angeklagte habe seine Vertrauensstellung als Pastor missbraucht; dies könne strafschärfend gewertet werden. Der Vorsitzende gab an, die Strafkammer habe das in anderen Fällen auch so entschieden. Der Oberstaatsanwalt hob weiter hervor, er strebe eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung an, wenn sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige. Dazu erklärte der damalige Vorsitzende, man könne durchaus „goldene Brücken“ bauen, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Der Verteidiger wies auf den Gesundheitszustand des Angeklagten hin und erklärte, dass dieser nur sehr eingeschränkt belastbar sei. In der am 20. Januar 2021 begonnenen Hauptverhandlung stellte die (nunmehrige) Vorsitzende der Strafkammer gemäß § 243 Abs. 4 StPO fest, dass „Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, nicht stattgefunden haben.“ Am 22. Februar 2021 erklärte sie in laufender Hauptverhandlung, sie halte die Sache für eine Verständigung geeignet. Bei einem Geständnis komme die Verhängung einer Strafe in Betracht, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werde und die nicht unter einem Jahr betrage. Der Angeklagte möge sich dies überlegen. Der Verteidiger entgegnete in der Hauptverhandlung vom 9. März 2021, er verstehe die Mitteilung als Anregung für Verständigungsgespräche, diese sei aber noch nicht vollständig, da die Kammer bloß eine Strafuntergrenze benannt habe.

In der Zeit vom 12. Juli bis 4. Oktober 2021 kam es zwischen der Vorsitzenden und dem Verteidiger zu insgesamt vier Telefonaten, in denen sie sich über ein etwaiges Ergebnis der Hauptverhandlung austauschten. So fragte die Vorsitzende den Verteidiger am 12. Juli 2021, welche Möglichkeiten einer Verständigung er sich denn vorstellen könne. Er erwiderte unter anderem, nach seiner Auffassung könne eine Lösung mit dem von ihr in Aussicht gestellten Strafmaß auch bei den 19 vollständig eingestandenen Taten sowie weiteren Urkundenfälschungen sachgerecht sein; ein schlichtes Geständnis weiterer Fälle stünde aber im Widerspruch zum bisherigen Vorbringen des Angeklagten. Die Vorsitzende erklärte, sie könne sich eine solche Lösung nicht vorstellen, und deutete an, dass jedenfalls zehn weitere Fälle eingestanden werden sollten wie auch der Umstand, dass die Unterschriften auf den Quittungen falsch seien. In den nachfolgenden Telefonaten vom 15. und 16. Juli sowie vom 4. Oktober 2021 sprachen beide zudem über ein etwaiges Schuldanerkenntnis des Angeklagten gegenüber dem Kirchengemeindeverband.

Im Anschluss an die Hauptverhandlung vom 5. Oktober 2021 fand eine weitere Besprechung der Verfahrensbeteiligten (ohne den Angeklagten) statt. Dabei wurde über den Stand der Beweisaufnahme, insbesondere über die Beweisbedeutung gefälschter Quittungen gesprochen. Der Verteidiger wiederholte seinen Vorschlag aus dem Telefonat vom 12. Juli 2021, das Verfahren auf die vom Angeklagten eingeräumten Taten zu beschränken. Dem stimmte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht zu. Daraufhin erzielten die Beteiligten Einigkeit darüber, dass die Strafkammer einen Vorschlag für eine Verständigung konkretisieren solle.

In der Hauptverhandlung vom 13. Oktober 2021 verlas die Vorsitzende dann eine Erklärung zu „Erörterungen des Verfahrenstands und Verständigungsgespräch zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten“. Darin heißt es: „Neben der Hauptverhandlung wurden (auch) zur Vorbereitung einer Verständigung der Verfahrensstand sowie die Möglichkeit einer einverständlichen Erledigung erörtert. Die Frage der Verständigung wurde am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Kammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert. Es wurde Einigkeit erzielt, dass die Kammer auf der Grundlage ihrer vorläufigen Bewertung des Verfahrensstandes einen Verständigungsvorschlag unterbreitet. Dazu gibt die Kammer die folgende Einschätzung bekannt: (…)“.

II.

Die Mitteilungen der Vorsitzenden genügen nicht den rechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO.

1. Nach dieser Vorschrift ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb einer Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Die Mitteilungspflicht ist Teil der im Verständigungsverfahren geltenden Transparenz- und Dokumentationsregeln, die gewährleisten sollen, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff.; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 mwN). Die Mitteilungspflicht verfolgt zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (vgl. BVerfG und BGH aaO). Zum anderen soll insbesondere § 243 Abs. 4 StPO eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 65, 81, 87 ff.; Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461 Rn. 22 f., 26, 32, 35; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 37 mwN). Hiernach ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Dabei ist regelmäßig anzugeben, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 85; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 339/20, NStZ 2022, 245 Rn. 8).

2. Diesen Anforderungen entsprach die Mitteilung der Vorsitzenden vom 13. Oktober 2021 nicht. Sie beschränkte sich im Wesentlichen auf den Umstand, dass die Frage der Verständigung am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Strafkammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert worden sei und im Ergebnis dessen die Strafkammer einen Verständigungsvorschlag vorlegen solle. Die Vorsitzende informierte hingegen nicht darüber, dass solche Gespräche zunächst allein zwischen ihr und dem Verteidiger geführt worden waren, bereits drei Monate zuvor, nämlich im Juli 2021 begonnen und sich über mehrere Tage hingezogen hatten. Ferner teilte sie nicht mit, dass sie sich mit dem Verteidiger bereits zum Umfang des Geständnisses, insbesondere zur konkreten Anzahl der vom Angeklagten begangenen Taten sowie über eine Schadenswiedergutmachung ausgetauscht hatte. Ebenso wenig lässt sich der Mitteilung entnehmen, wer bei den Erörterungen welche Positionen vertreten hatte.

Angesichts der inhaltlichen Defizite kann offenbleiben, ob die Mitteilung auch deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, weil sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erfolgte. Zwar bestimmt § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO keinen Zeitpunkt, zu der die erforderlichen Angaben in der Hauptverhandlung mitzuteilen sind. Gleichwohl gebieten Sinn und Zweck der Regelung eine möglichst umgehende Mitteilung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. August 2022 ? 5 StR 62/22, NStZ 2022, 761; vom 25. Juni 2020 – 3 StR 102/20, NStZ 2021, 310; vom 6. Februar 2018 – 1 StR 606/17, NStZ 2018, 419, 420).

3. Auch die Mitteilung vom 20. Januar 2021 gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, dass bis dahin keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen seien, stattgefunden hätten, war unzutreffend. Zwar weist der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht darauf hin, dass die Besprechung vom 13. Juni 2019 in erster Linie der Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung diente. Ebenso wenig stellte die Erklärung des Oberstaatsanwalts, der Missbrauch der Vertrauensstellung als Pastor könne strafschärfend gewertet werden und er strebe eine unbedingte Freiheitsstrafe an, falls sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige, schon eine „Erörterung“ im Sinne des § 243 Abs. 4 StPO dar. Denn niemand kann und darf dem Gericht mitteilungsbedürftige Verständigungsgespräche aufzwingen (so zutreffend KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 43). Zu einer mitteilungspflichtigen Erörterung erwuchs diese zunächst einseitige Aussage jedoch durch die daran anknüpfende Äußerung des Vorsitzenden, man könne durchaus „goldene Brücken bauen“, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Damit wollte der Vorsitzende offenkundig nicht nur allgemein auf die strafmildernde Wirkung von geständigen Einlassungen hinweisen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 – 1 StR 92/21, NStZ-RR 2021, 317; vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535). Vielmehr gab er insbesondere dem Verteidiger unmissverständlich zu erkennen, dass er – ebenso wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft – bei einer geständigen Einlassung eine Strafobergrenze von zwei Jahren und auch eine Strafaussetzung zur Bewährung als angemessen erachte.

Die Pflicht, den Inhalt dieses Gesprächs mitzuteilen, entfiel schließlich nicht dadurch, dass es nachfolgend zu einer Änderung der Besetzung der Strafkammer gekommen ist und insbesondere die spätere Vorsitzende nicht an der Erörterung teilgenommen hatte. Denn mit der Zielsetzung des § 243 Abs. 4 StPO, den Angeklagten und die Öffentlichkeit über verständnisbezogene Erörterungen umfassend zu informieren, wäre es unvereinbar, die spruchkörperbezogene Mitteilungspflicht davon abhängig zu machen, dass sich die Besetzung des Gerichts im Nachhinein noch ändert (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 ? 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221; KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 47). Eine zutreffende Mitteilung war zu Beginn der Hauptverhandlung auch noch möglich. Zwar hatte der frühere Vorsitzende die verständigungsbezogenen Inhalte der Unterredung vom 13. Juni 2019 entgegen §§ 202a, 212 StPO nicht aktenkundig gemacht. Doch hatte einer der beiden Berufsrichter der Strafkammer sowohl an der Erörterung als auch an der Hauptverhandlung teilgenommen.

4. Jedenfalls die defizitäre Mitteilung vom 13. Oktober 2021 zwingt zur Aufhebung des materiell-rechtlich fehlerfreien Urteils. Unter Berücksichtigung der – strafprozessual freilich nicht bedenkenfreien – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 97 f.; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172, 173 f.; kritisch dazu Niemöller NStZ 2015, 489) kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch auf dieser Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2021 – 6 StR 558/21, NStZ 2022, 246; vom 5. Juli 2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355).“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wer ist für die Kostenentscheidung zuständig?

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Und dann noch die Lösung zu der Gebühren-/Kostenfrage vom vergangenen Freitag Ich habe da mal eine Frage: Wer ist für die Kostenentscheidung zuständig?:

Ich habe kurz und knapp 🙂 geantwortet:

„Ich denke, das ist das AG (BGHSt 12, 217).

Und dann wird der Kampf um die Gebühren losgehen. ich weiß jetzt schon, was kommen wird 🙂 .“

Volksverhetzung II: Feststellungen beim Freispruch, oder: Auslegung einer mehrdeutigen Äußerung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2023 – 3 Ss 123/22. Das AG hatte vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Das OLG hat aufgehoben. Ihm haben die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht gereicht. Dazu hier nur der Leitsatz:

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum das Gericht die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Denn weird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde.

Außerdem hat das OLG aber für die neue Hauptverhandlung eine „Segelanweisung“ gegeben, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, soweit sie sich aus dem (freisprechenden) Urteil zu erschließen vermögen, die Verwirklichung einer Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB noch nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Die Äußerungen des Angeklagten richten sich, soweit sie für den Senat angesichts der Urteilsgründe einer Entscheidung mit dem in § 267 Abs. 5 S. 1 StPO genannten Tenor greifbar sind, nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe. Dies können neben den in § 6 VStGB genannten Personenmehrheiten zwar auch Bevölkerungsteile sein, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung als besondere Gruppe erkennbar sind (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 4).

Da sich die Äußerungen des Angeklagten ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin richten, sondern gegen eine Gruppe von von ihm als „Zionisten“ bezeichneter Menschen, deren Abgrenzung ihm selbst ersichtlich schwerfällt, wird ein Schwergewicht der erneuten tatrichterlichen Feststellung und Erörterung auch darauf liegen müssen, ob sich die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen richten. Insoweit darf sich die Kammer einerseits nicht mit dem bloßen Wortlaut der Äußerungen zufriedengeben. Denn entscheidend ist der objektive Sinngehalt. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten und Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern „die“ Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein.

Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfGE 82, 43 50 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310 [311] – Wahlkampfplakat „Zionismus stoppen – Israel ist unser Unglück!“ neben einer Synagoge; AG Essen, Urt. v. 30.1.2015 – 57 Cs 631/14, juris Tz. 17 – Aufruf „Tod und Hass den Zionisten“).

Volksverhetzung I: Auslegung einer Äußerung auf FB, oder: Recht auf freie Meinungsäußerung beachten

entnommen wikimedia.org
Urheber Munhuu94 – Own work

In die neue Woche starte ich heute mit zwei Entscheidungen zum StGB-Entscheidungen. Es handelt sich um Verstöße gegen § 130 StGB – „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022- 3 Ss 131/22. Das hatte etwa betreffend den Vorwurf „Volksverhetzung“ folgenden Sachverhalt:

Angeklagt war ein hessischer Kommunalpolitiker. Dem ist das Teilen einer Bild-Text-Collage auf Facebook vorgeworfen worden. Auf dem einen Bild waren mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet waren, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten schienen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter waren mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei gesprochen. Das LG hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Revision hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Soweit die Revision mit der Darstellungsrüge Beweiswürdigungsfehler bei der Verneinung der Voraussetzungen eines den öffentlichen Frieden zu stören geeigneten Angriffs auf die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe durch Beschimpfen sowie eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhaltes (§ 11 Abs. 3 StGB), der die Menschenwürde von diesen genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft werden, gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB rügt, zeigt sie keine revisiblen Rechtsfehler auf.

a) Die Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer beanstandeten Äußerung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 54, 15, 18 Tz. 8 f.; BGHSt 64, 252, 259 Tz. 23).

Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretende Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG jedoch nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (zu diesen Prüfungsmaßstäben der st. Rspr. vgl. BVerfGE 82, 236, 267; BVerfG, NJW 1994, 2943; BGH, NStZ 2017, 146).

b) Nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich eingeschränkten Zugriffs auf die Darstellung in den Urteilsgründen verstoßen die getroffenen Feststellungen im Ergebnis nicht gegen Erfahrungssätze oder sind lückenhaft.

aa) Das Berufungsgericht hat mit – noch – tragfähigen Gründen eine von mehreren alternativen Deutungen der Text-Bild-Kombination dergestalt dargelegt, dass ein Zusammenhang zu Einreisen, Grenzübertritten und dem Passwesen, allgemein also eine polemisch-kritische Betrachtungsweise der Migrationspolitik besteht, da drei der abgebildeten Männer ein gelbes Dokument vorzeigen, welches mutmaßlich ein Ausweisdokument darstellen soll. Auf dieser Grundlage kommt es zu der noch vertretbaren Deutung, dass allein nach Flucht, Vertreibung, Verfolgung oder aus sonstigem Grund eingereiste, nichteuropäische dunkelhäutige Menschen, nicht zugleich oder ausschließlich auch dunkelhäutige Menschen, die bereits die Staatsangehörigkeit eines Staates der EU innehaben, gemeint sind. Dies wird damit begründet, dass hier lebende dunkelhäutige Personen mit einer Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates keine Veranlassung haben, irgendwelche Ausweispapiere kollektiv für ein Foto zu präsentieren.

Das ist tragfähig, mag auch eine andere Deutung aus der Sicht eines Tatrichters vertretbar sein. Denn die Bildunterschrift „Wir sind EU-Bürger“ stellt die Abbildung in einen gesamteuropäischen Kontext unter Hervorhebung der Freizügigkeit, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Raum für nicht strafbare Interpretationen zulässt, während dies beispielsweise bei einer Formulierung wie „Wir sind Deutsche“ möglicherweise anders wäre. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, eigene, möglicherweise auch politisch gefärbte Deutungen an die Stelle der dem Tatgericht obliegenden rational begründeten tatsachengestützten Beweisführung zu stellen (vgl. BGH NStZ 2007, 720; BGH NStZ 2009, 468 Rn. 12). Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein.

bb) Ein Rechtsfehler kann zwar darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen (vgl. BGH StV 2012, 711, 713 Rn. 4) oder aber andere naheliegende Möglichkeiten erst gar nicht erörtert. Das Tatgericht muss sich daher mit allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. wenn sich ihre Erörterung aufdrängt (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 57, 58; BGH, Urt. v. 08.03.2018 – 3 StR 571/17 Rn. 6, juris).

Diese Voraussetzungen erfüllt das angegriffene Urteil jedoch, da es auf mehrere naheliegende Deutungsmöglichkeiten eingeht. So verschweigt das Urteil unter anderem nicht, dass die Abbildung vordergründig in als rassistisch interpretierbarer Weise auszudrücken vermag, dass genauso wenig wie Löwen Vegetarier seien, Männer, wie sie dort – jeder mit dunkler Hautfarbe – beispielhaft abgebildet, „EU-Bürger“ sein könnten oder dürften. Gleichwohl kommt es in vom Senat revisionsrechtlich noch hinzunehmender Weise zu der nicht völlig auszuschließenden Deutungsmöglichkeit einer kritischen Betrachtungsweise der Migrationspolitik.

2. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft deshalb auch das Vorhandensein revisionsrechtlich rechtsfehlerhafter Spekulationen zugunsten des Angeklagten und auch, dass die Feststellung von Äußerungsinhalten mit dem objektiven Sinngehalt und Kontext der Äußerung nicht in Übereinstimmung zu bringen seien.

3. Die Revision vermag zuletzt auch mit der Rüge fehlender Feststellungen zur subjektiven Seite nicht durchzudringen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts und es obliegt ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149 [151]). Dem Tatgericht kann nicht vorgegeben werden, unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmten Folgerung kommen muss (BGHSt 29, 18 [20]). Ein beachtlicher Rechtsfehler liegt lediglich dann vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, weil nicht erschöpfend ist (BGHSt 29, 18 (20); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06 Rn. 13, juris). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, ist auch dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 189).

Angesichts dieses eingeschränkten Maßstabes sind entgegen der Auffassung der Revisionsführerin die Feststellungen zur subjektiven Seite tragfähig begründet. Denn ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte den Beitrag im ersten Impuls, ohne ihn weitergehend zu reflektieren, im Sinne „satirischer Zuspitzung“ als „witzig“ empfunden und sich gedacht, „irgendwie trifft es das“, was er mit dem von ihm kritisierten „gegenwärtigen“ Zustand der EU und der „zu Grunde liegenden deutschen Migrationspolitik“ verbunden hat. Dass das Tatgericht diese Feststellungen mit der Einlassung des Angeklagten begründet, der es Glauben schenkt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn Feststellungen zu der Frage, welchen Sinngehalt der Angeklagte der von ihm geteilten Text-Bild-Kombination konkret beimaß, unterblieben sind. Denn dem Senat ist es aus Gründen der Arbeitsteilung mit der Tatsacheninstanz in der Ordnung des Revisionsverfahrens verwehrt, die Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208 [210]).

Soweit gerügt wird, die Kammer habe auf eine abwägende und kritische Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten verzichtet und sich im Ergebnis auf fernliegende Behauptungen des Angeklagten gestützt, so vermag dies im Ergebnis genauso wenig einen Rechtsfehler aufzudecken wie das Vorbringen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen versierten, (parlaments-)erfahrenen und langjährigen Partei1-Politiker, bei dem sich das Tatgericht hätte gedrängt sehen müssen, zumindest kritisch zu hinterfragen, ob das von ihm behauptete völlige Verkennen des volksverhetzenden Sinngehalts der Text-Bild-Abbildung tatsächlich zutrifft.

Denn das Berufungsgericht hat sich auch mit dem politischen Engagement des Angeklagten und dessen Nachtatverhalten in vertretbarer Weise auseinandergesetzt. Letzteres wird insbesondere durch die Feststellungen deutlich, wonach der Angeklagte erst durch einen Anruf eines Journalisten auf die Kritikwürdigkeit aufmerksam gemacht wurde, er den Beitrag aus seiner Facebook-Chronik entfernt, sich öffentlich entschuldigt und versucht hat, klarzustellen, dass das Teilen des Beitrags weder rassistisch gemeint noch gegen Personen, Menschen oder Ethnien gerichtet gewesen ist, sondern die von ihm kritisierte Einwanderungspolitik mit der satirisch überzeichneten Abbildung habe darstellen sollen. Angesichts dieses Nachtatverhaltens und des dem Tatgerichts zustehenden Spielraums bei der Würdigung der Beweise rechtfertigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte politisch langjährig erfahren ist, nicht die Annahme lückenhafter Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Insoweit erfolgte eine abwägende, kritische Würdigung der Vorstellungen des Angeklagten. So ist neben dem Tatzeitpunkt, – es handelte sich ausweislich der Feststellungen um den …abend des XX.XX.2019, bei dem der Angeklagte seinen Sohn im Kleinkindalter zu Bett brachte und versuchte ihn zum Schlafen zu bringen – der aus Sicht der Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar indiziell für eine situative Unreflektiertheit spricht, zu berücksichtigen, dass das Tatgericht den Aussagegehalt kritisch gewürdigt hat, indem es u.a. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe unter dem Einfluss seiner kritischen Einstellung zur Flüchtlingspolitik kurzentschlossen und bedenkenlos einen Post mit geschmackloser Pointe, deren rassistischer Gehalt augenfällig sei, geteilt.“

Sonntagswitz: Von Borkum aus ist das nicht schwer – natürlich Ostfriesenwitze

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Ich bin auf Borkum. Dann ist es ja nie schwer, die Thematik für den sonntagswitz zu bestimmen. Die liegt dann auf der Hand: Ostfriesenwitze – hoffentlich hatte ich die noch nicht:

Warum rennen die Ostfriesen vor dem Einschlafen zehnmal ums Haus?

Damit sie Vorsprung vor dem Einbrecher haben.


Warum hängen Ostfriesen vor dem Baden immer die Tür aus?

Damit keiner durch’s Schlüsselloch gucken kann.


Warum tragen Ostfriesen beim Zeitungslesen einen Sturzhelm?

Weil sie Angst vor den Schlagzeilen haben!


Was macht ein Ostfriese, wenn er ein Loch im Boot hat?

Er bohrt ein zweites Loch, damit das Wasser ablaufen kann!