Archiv für den Monat: Oktober 2022

StGB III: Sexueller Missbrauch durch einen Arzt, oder: Missbrauch auch bei Einverständnis der Patientin?

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Urheber Rieser Bauernmuseum Maihingen

Und als dritte Entscheidung stelle ich das OLG Hamm, Urt. v. 27.09.2022 – 5 RVs 60/22 – vor. Es geht noch einmal um sexuellen Missbrauch, und zwar der sexuelle Missbrauch eines Arztes – also § 174c StGB -, allerdings in der „Sonderform“: Mit Einverständnis der Patientin.

Das AG hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte Rechtsmittel und die Staatsanwaltschaft Berufung zu seinen Ungunsten eingelegt. Im Berufungshauptverhandlungstermin hat die Staatsanwaltschaft die Berufung zurückgenommen. Das LG hat dann das AG-Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Dagegen nun die Revisionen der Nebenklägerin und der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatten.

Die Feststellungen des LG lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen – wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext: Die Nebenklägerin befand sich wegen eines Frozen-Shoulder-Syndroms sowie diffuser Schmerzen im linken Oberschenkel in der Behandlung des Angeklagten, welcher als Orthopäde und Osteopath eine Privatpraxis betreibt. Die ganzheitlich ausgerichtete Behandlung fand an über 30 Terminen statt und umfasste in etwa zur Hälfte der Behandlungseinheiten auch ein Persönlichkeitscoaching der Nebenklägerin. Nach Besserung der Beschwerden brachte die Nebenklägerin dem Angeklagten immer mehr Zuneigung entgegen; es entstand zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin eine sexuelle Anziehung. Bei einer Behandlung griff der Angeklagte unter dem Slip der Nebenklägerin mit deren Einverständnis an deren Vagina. Bei zwei weiteren Terminen führte er seinen erigierten Penis in ihren Mund, wobei in einem Fall die Nebenklägerin nach einer Nachricht mit sexuellem Kontext sich zu der mittlerweile geschlossen Praxis des Angeklagten begab. Bei nächster Gelegenheit küssten sich beide in Form eines Zungenkusses, nachdem sich die Nebenklägerin beschwert hatte, er küsse sie nicht.

Die getroffenen Feststellungen hat das Landgericht vor allem auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt. Der Aussage der Nebenklägerin, dass sie sich bei der ersten Behandlung lediglich wegen Schmerzen an das Bein des Angeklagten gekrallt habe und weder ihre eigenen Handlungen eine sexuelle Komponente besessen hätten noch das weitere Vorgehen mit ihr abgesprochen gewesen sei, hat das Landgericht keinen Glauben geschenkt.

In rechtlicher Hinsicht liege – so das LG – kein Missbrauch eines Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses nach § 174c StGB vor, da der Angeklagte nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht seine Autoritäts- und Vertrauensstellung ausgenutzt habe. Die Annäherung an den Angeklagten sei von der Nebenklägerin ausgegangen. Diese sei nicht von seiner Autorität als behandelndem Orthopäden eingeschüchtert und eingenommen gewesen, sondern habe selbstbestimmt eine weitergehende Vertiefung der Beziehung gesucht.

Das OLG hat aufgehoben. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Zu der Entscheidung gibt es folgende Leitsätze:

    1. Auch wenn die Patientin oder der Patient mit den sexuellen Handlungen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses ausdrücklich einverstanden ist, versteht es sich in den meisten Fällen von selbst, dass ein Arzt, der sexuelle Handlungen an einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses vornimmt, dieses besondere Verhältnis i.S.v. § 174c StGB missbraucht. An einem Missbrauch fehlt es hingegen ausnahmsweise dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat.
    2. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen. Wesentlicher Maßstab ist, ob sich Art und Patient/Patientin auf „Augenhöhe“ begegnet sind. Hierzu ist ggf. eine umfassende Darstellung der Kommunikation und der Beziehung der Beteiligten innerhalb und außerhalb von Behandlungsvorgängen, der Initiative zu sexuellen Handlungen und der Hintergründe der Fortsetzung der Behandlung nachdem es zu ersten sexuellen Handlungen gekommen ist, erforderlich.

StGB II: Ist eine „Jacke“ ggf. ein gefährliches Werkzeug?, oder: Yes, she can –> gefährliche Körperverletzung

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Als zweite Entscheidung kommt dann hier das KG, Urt. v. 25.07.2022 – (3) 161 Ss 93/21 (34/22).

Das AG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Berufung hat das LG verworfen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte. Das KG hat das landgerichtliche Urteil wegen eines Fehlers in der Strafzumessung – insoweit komme ich auf das Urteil demnächst noch einmal zurück – aufgehoben. Das KG gibt dem LG aber eine m.E. ganz interessante Überlegung mit auf den Weg, auf die ich hier verweisen möchte.

Das AG und damit auch das LG waren von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen schlug und würgte der Angeklagte die Geschädigte, seine damalige Lebensgefährtin, die sich zuvor von ihm getrennt hatte, in deren Wohnung bis zur Bewusstlosigkeit. Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, trat er mit seinen mit Sportschuhen beschuhten Füßen auf Kopf, Bauch und Unterleib der Geschädigten ein. Da Nachbarn an die Wohnungstür klopften, verließ der Angeklagte zunächst die Wohnung, kehrte aber etwa 50 Minuten später wieder zurück, verschaffte sich mit dem entwendeten Wohnungsschlüssel Zutritt zur Wohnung und schlug der Geschädigten so wuchtig in das Gesicht, dass mehrere Gesichtsknochen brachen. Als sie um Hilfe rief, presste der Angeklagte seine Jacke auf ihr Gesicht, wodurch sie abermals für kurze Zeit das Bewusstsein verlor. Daraufhin ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab und verließ die Wohnung. Durch die Misshandlungen erlitt die Geschädigte neben den Knochenbrüchen im Gesicht, die operativ durch Einsetzen eines Metallimplantats behandelt werden mussten, ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, punktförmige Hauteinblutungen im Augenbereich sowie diverse Hämatome.“

In seiner „Segelanweisung“ führt das KG dazu aus:

„Den Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts lässt sich nicht nur mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass es bezüglich der ersten Tat eine gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) als gegeben angesehen hat, sondern auch bezüglich der zweiten Tat, wenn dies auch der Paragraphenkette nicht eindeutig zu entnehmen ist. Diesen Umstand wird das Landgericht bei der erneut vorzunehmenden Strafzumessung ebenfalls in seine Überlegungen einzustellen haben.

Als gefährliches Werkzeug wird ein Gegenstand bezeichnet, der unter Berücksichtigung seiner objektiven Beschaffenheit und Art seiner Benutzung konkret geeignet ist, erhebliche körperliche Verletzungen herbeizuführen (vgl. für viele BGH NStZ 2012, 563). Für die ganz h.M. kommt es maßgeblich auf den gefährlichen Gebrauch eines solchen Werkzeuges und nicht auf dessen objektive Beschaffenheit an (vgl. BGH NStZ 2015, 213, Kissen als Tatwerkzeug; Beschluss vom 5. November 2014 – 1 StR 503/14 -, juris; NStZ 2011, 275, 366, zu § 177 Abs. 4 StGB a.F.; Grünewald a.a.O. Rdn. 16 m.w.N.; Hardtung in Münchner Kommentar StGB 4. Aufl., § 224 Rn. 20; Sternberg-Lieben in Schönke-Schröder StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 4.). Daran gemessen ist auch eine Jacke in der im amtsgerichtlichen Urteil festgestellten Verwendung als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren. Fehlende Feststellungen zur objektiven Beschaffenheit der Jacke stehen dem nicht entgegen. Denn nach den Urteilsausführungen war ihr Gebrauch (festes Drücken auf das Gesicht der Geschädigten) geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (Atemnot und kurzfristiger Verlust des Bewusstseins).“

StPO I: Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, oder: War das Mädchen „möglicherweise“ 14 Jahre alt?

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Ich stelle heute dann noch einmal StGB-Entscheidungen vor.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 27.09.2022 – 5 StR 261/22 – zur Frage des Vorsatzes beim sexuellen Missbrauch. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte weitgehend Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen vollzog der 36-jährige Angeklagte an der damals 13-jährigen Geschädigten den ungeschützten Oral- und Vaginalverkehr, wobei er es – ungeachtet ihrer Angabe, 15 Jahre alt zu sein – für möglich hielt, dass sie noch keine 14 Jahre alt war. Nach Auffassung des Landgerichts „konnte“ sich der Angeklagte auf die Altersangabe der Geschädigten wegen ihres (kindlichen) Gesamteindrucks nicht verlassen. Als Tätowierer sei ihm bekannt gewesen, dass junge Mädchen sich häufig älter darstellten, als sie sind. Er habe daher, als er den Geschlechtsverkehr mit ihr ausübte, zumindest billigend in Kauf genommen, dass sie noch ein Kind war.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern kann keinen Bestand haben. Die Annahme bedingten Vorsatzes des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellung, dass er das kindliche Alter der Geschädigten im Tatzeitpunkt billigend in Kauf genommen hat, ist nicht beweiswürdigend unterlegt (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1952 – 4 StR 440/52, NJW 1953, 152 f.; Beschluss vom 29. Oktober 2002 – 3 StR 358/02 Rn. 4).

a) Zwar obliegt die Würdigung der Beweise dem Tatgericht. Seine tatsächlichen Schlüsse müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741 f. mwN). Ein Rechtsfehler liegt jedoch vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, unklar oder widersprüchlich ist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht, sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (vgl. BGH aaO), oder wenn sie sich auf nicht existierende Erfahrungssätze stützt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 270/16 Rn. 15 mwN).

b) Solche Rechtsfehler liegen hier in Bezug auf die Feststellungen zum Vorsatz vor.

Den Urteilsgründen lassen sich keine Belege entnehmen, wonach der Angeklagte das kindliche Alter der Geschädigten billigend in Kauf nahm. Auch wenn die Strafkammer sich selbst vom kindlichen Aussehen der Geschädigten zur Tatzeit auf der Grundlage eines Lichtbildes und des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung überzeugt haben mag, besagt dieser Umstand für sich genommen nichts zur Vorstellung des Angeklagten bei Tatausführung. Er hatte die Geschädigte vor der Tat nach ihrem Alter gefragt, woraufhin sie ihm „15“ geantwortet hatte. Dass damit mögliche Zweifel an einem jüngeren Alter der Geschädigten nach Auffassung der Strafkammer nicht auszuräumen waren, weil der Angeklagte sich auf die Altersangabe der Geschädigten nicht habe verlassen können, begründet nicht den Vorwurf eines (bedingten) Vorsatzes, sondern lediglich den der Fahrlässigkeit.

Soweit die Strafkammer zudem darauf abgestellt hat, dem Angeklagten sei „als Tätowierer (…) bekannt (gewesen), dass junge Mädchen sich häufig älter darstellen, als sie sind“, stützt sie sich auf einen Erfahrungssatz, der weder allgemein gültig noch durch eine etwaige dahingehende persönliche Erfahrung des Angeklagten belegt ist.“

StGB III: Fremdenfeindliches Bild bei WhatsApp, oder: Ist das strafbar oder von der Meinungsfreiheit gedeckt?

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Autot WhatsApp

Und als dritte Entscheidung zu der Thematik stelle ich dann noch den OLG Celle, Beschl. v. 11.10.2022 – 2 Ss 127/22 – vor. Hier haben AG und LG den Angeklagten wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a STGB) verurteilt. Nach den Feststellungen des LG

„postete der Angeklagte am 3. Juni 2019 gegen 12:27:04 Uhr (Tat 1) in einer zu diesem Zeitpunkt aus jedenfalls 60 Personen bestehenden WhatsApp-Gruppe namens „B. H.“ ein Farbbild, das einen weißen Mann zeigt, der auf einem blauen Fahrrad fahrend ein dunkelhäutiges Kleinkind verfolgt. Dabei hält er in der rechten Hand eine Schusswaffe, mit der er auf das Kind zielt. Über dem Foto befindet sich der Schriftzug: „wenn beim Grillen die Kohle abhaut.“

Am 21. August 2019 postete der Angeklagte erneut in der weiter aus mindestens 60 Personen bestehenden Gruppe „B. H.“ binnen weniger Sekunden drei Bilder. Nach den Feststellungen des Landgerichts zeigt das erste dieser Bilder zwei offensichtlich als Bäcker oder Konditoren bekleidete Männer, die eine große Torte präsentieren, auf der sich in der Mitte ein Hakenkreuz sowie der Text: „Unserem Führer zum Geburtstag“ befinden (Bild 1). Das zweite Bild beinhaltet die Überschrift „Jung, Brutal, Gutaussehend“ und zeigt A. H. in Hakenkreuz-Uniform mit einer Sonnenbrille, wobei unten rechts der Slogan „Reich-Ban, Genuine Since 1933“ abgebildet ist. Auf dem dritten Farbbild ist schließlich eine Eule zu sehen, die eine Armeemütze der Reichswehr trägt, auf der vorne in der Mitte ein Totenkopf-Symbol angebracht ist. Das Bild weist unten in fetter weißer Schrift die Textzeile „Der Holokauz kommt dich holen“ auf (Bild 3).

Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Angeklagten bei Weiterleitung der Bilder, die früher von anderen Gruppen-Mitgliedern bereits einmal in die Gruppe eingestellt und dem Angeklagten so zugänglich geworden waren, der fremdenfeindliche und herabwürdigende Charakter des bzgl. Tat 1 geposteten Bildes ebenso bewusst wie der Umstand, dass die Bilder zu Tat 2 nationalsozialistische Symbole verherrlichten. Er wusste, dass die Mitglieder der Gruppe „B. H.“ derartigem Gedankengut positiv gegenüberstanden und ausländerfeindliche Gedanken hegten.“

Das OLG hat die dagegen eingelegte Revision verworfen:

„Der weiteren Erörterung bedarf mit Blick auf die Begründung der Revision lediglich Folgendes:

1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen hinsichtlich Tat 1 den Schuldspruch wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Es steht außer Frage, dass der Angeklagte durch das Hochladen des Bildes Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht und deren Menschenwürde angegriffen hat. Die Tathandlung war entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

§ 130 Abs. 1 StGB setzt gerade nicht voraus, dass die Tat öffentlich begangen wird (Fischer, StGB 69. Auflage 2022, § 130, Rn. 13a). Als wesentliches Kriterium für die friedensstörende Eignung ist vielmehr die bloße Öffentlichkeitsfähigkeit des Angriffs ausreichend (OLG Celle, Urteil vom 06.06.1997 – 23 Ss 35/97; NStZ 1998, S. 88f.). Maßgeblich ist, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalles damit zu rechnen ist, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird (BGH Urteil vom 20. 6. 1979 – 3 StR 131/79, NJW 1979, 1992; BGH, Urteil vom 02-04-1987 – 4 StR 55/87, NJW 1987, 1898). Die Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 1 StGB setzt dabei nicht voraus, dass der Täter den Angriff auf die Menschenwürde im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB selbst der Öffentlichkeit zugänglich macht; vielmehr kann selbst die Zuschrift gegenüber einer Einzelperson genügen, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der Angriff hierdurch einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird (BGH a.a.O.; Hörnle, Aktuelle Probleme aus dem materiellen Strafrecht bei rechtsextremistischen Delikten, NStZ 2002, S. 113ff.).

Hieran gemessen kommt dem durch die Berufungskammer festgestellten Hochladen des Bildes in die Whats-Gruppe namens „B. H.“ mit jedenfalls 60 Personen eine friedensstörende Eignung zu, denn der Angeklagte adressierte das Bild keineswegs an einige wenige Personen, auf deren Diskretion er vertrauen konnte. Nach den Feststellungen des Urteils waren dem Angeklagten die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe zwar nicht näher bekannt; es sei dem Angeklagten indes bewusst gewesen, dass die Gruppen-Mitglieder rechte und ausländerfeindliche Tendenzen gehabt hätten. Vor diesem Hintergrund war im Zeitpunkt der Tathandlung eindeutig damit zu rechnen, dass das von dem Angeklagten hochgeladene Bild über die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe hinaus einer Vielzahl weiterer Personen zugänglich gemacht werden würde. Dies ergibt sich schon aus dem allgemeinkundigen Umstand der massenhaften, über den Instant-Messaging-Dienst vorgenommenen Weiterverbreitung dort ausgetauschter Bild-Dateien. Vorliegend tritt entscheidend hinzu, dass insbesondere aufgrund der festgestellten ausländerfeindlichen Gesinnung der Mitglieder der Gruppe sowie des fremdenfeindlichen und dunkelhäutigen Menschen herabwürdigenden Charakters des hochgeladenen Bildes mit einer Weiterverbreitung an eine unbekannte Vielzahl weiterer Personen zu rechnen war.

Soweit die Revision geltend macht, durch das erneute Hochladen des bereits früher in der Gruppe „B. H.“ geposteten Bildes habe der Angeklagte nicht die zur Erfüllung des Tatbestandes erforderliche eigene Äußerung vorgenommen, sondern Äußerungen Dritter wiedergegeben, geht der Einwand fehl. Insoweit macht die Revision zwar im Ansatz zutreffend geltend, dass es sich bei der Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB um ein persönliches Äußerungsdelikt handelt und das Verbreiten fremder Erklärungen nur dann den Tatbestand erfüllt, wenn der Täter sich den volksverhetzenden Inhalt erkennbar zu eigen macht (vgl. Fischer, a.a.O., § 130, Rn.  11; BGH, Beschl. v. 14.4.2015 ? 3 StR 602/14; NStZ 2015, 512). Nach den Urteilsfeststellungen besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sich das (erneute) Hochladen des Bildes als Ausdruck eigener Missachtung und Feindseligkeit und damit als eigene Äußerung darstellt. Denn das Landgericht hat explizit festgestellt, dass der Angeklagte sich des herabwürdigenden Charakters des Bildes bewusst war, diesen begrüßte und das Bild in einer Gruppe teilte, deren Mitglieder in der Vergangenheit ähnliche Bilder und Texte gepostet hatten und deren Gedankengut er als „rechts“ und „ausländerfeindlich“ eingestuft habe. Mit dem Hochladen eines Bildes in einer WhatsApp-Gruppe, deren Ansichten man teilt, kommt stets eine sympathisierende Grundeinstellung zum Inhalt des Bildes zum Ausdruck. Jede andere Annahme würde den Sinngehalt von Äußerungen in den sozialen Netzwerken verkennen. Dementsprechend hat der Angeklagte sich auch eingelassen: Er habe die Bilder gut gefunden und sie deshalb gepostet.

2. Darüber hinaus ist hinsichtlich Tat 2 auch der Schuldspruch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. nicht zu beanstanden.

Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers ist ein „Verbreiten“ im Sinne der Norm durch die von dem Angeklagten hochgeladenen weiteren Bilder in der WhatsApp-Gruppe „B. H.“ gegeben, denn dieses setzt entweder voraus, dass Kennzeichen der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und 4 oder Absatz 2 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen einem größeren, nicht bestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erwerber in dieser Weise verfahren wird (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1959 – 5 StR 384/59 –, BGHSt 13, 257-259; OLG Bremen, Beschluss vom 03. 12. 1986 – Ws 156/86, NJW 1987, S. 1427).

Hieran gemessen liegt ein Verbreiten i.S.d. Norm vor, denn der Angeklagte machte auch die der Tat 2 zugrundeliegenden Bilder jedenfalls 60 Personen zugänglich, hinsichtlich derer er es nach den Urteilsfeststellungen angesichts ihrer politischen Einstellung für möglich hielt, sie würden die hochgeladenen Bilder über WhatsApp an Dritte und damit einen größeren, nicht bestimmbaren Personenkreis weiterleiten.

Überdies greift der Einwand, die Tathandlung des Angeklagten sei durch die Kunstfreiheit gedeckt, nicht durch.

Dabei kann der Senat offenlassen, ob das mit der Überschrift „Jung, Brutal, Gutaussehend“ überschriebene Bild, das A. H. in Uniform mit einer Sonnenbrille zeigt und mit dem Slogan „Reich-Ban“ versehen ist, jedenfalls auch einer satirischen Interpretation zugänglich sein könnte, so dass eine Strafbarkeit ausscheiden würde, wenn nicht das eigentliche Ziel der Darbietung die Werbung für die verfassungswidrige Organisation ist (BVerfG, Beschluss vom 03.04.1990 – 1 BvR 680, 681/86, NJW 1990, S. 2541).

Denn hinsichtlich der beiden weiteren in engem zeitlichen Zusammenhang hiermit hochgeladenen Bilder ist der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG von vornherein nicht betroffen, weil sie unzweifelhaft keinen satirischen Charakter aufweisen (Bild 1) bzw. das eigentliche Ziel der Darbietung eindeutig die Werbung für die verfassungswidrige Organisation ist (Bild 2). Da das Landgericht angesichts der Tatsache, dass die Bilder binnen Sekunden hochgeladen wurden, zutreffend von Idealkonkurrenz ausgegangen ist und dem Umstand, dass der Angeklagte nicht nur ein Bild mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verbreitet hat, keinerlei strafschärfende Wirkung beigemessen hat (vgl. UA S. 15), kann der Senat ausschließen, dass die Berufungskammer zu einer milderen Einzelstrafe gelangt wäre, wenn sie das Bild zu Ziffer 2 unberücksichtigt gelassen hätte.“

StGB II: Unverändertes Hakenkreuz bei Facebook, oder: Ist das strafbar oder von der Meinungsfreiheit gedeckt?

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Bei der zweiten Entscheidung zu der heutigen Thematik handelt es sich um das OLG Braunschweig, Urt. v. 05.10.2022 – 1 Ss 34/22. Auch in der Entscheidung geht es um das Vorliegen des (objektiven) Tatbestandes des § 86a StGB bei öffentlicher Verwendung des Hakenkreuzes durch Posten auf einer sozialen Internetplattform, in diesem Fall bei Facebook.

Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) freigesprochen. Die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hatte das LG verworfen. Dagegen dann jetzt die Revision der Staatsanwaltschaft, die zur Aufhebung geführt hat.

Das LG hatte folgenden Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagte ist Nutzer des sozialen Netzwerks „Facebook“ und unterhält dort unter dem Namen „B. W.“ ein privates Profil, auf dem sie diverse Beiträge postet. Da die Angeklagte beruflich in der Altenpflege tätig ist, aus gesundheitlichen Gründen sich jedoch nicht gegen „Corona“, also das SARS-Cov-2-Virus, impfen lassen kann oder will und deshalb um den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchtete, hat sie die politische Debatte und Entscheidungsfindung über die Einführung einer allgemeinen oder der sogenannten einrichtungsbezogenen Impfpflicht intensiv verfolgt und mit diversen kritischen, eine Impfpflicht ablehnenden Beiträgen auch in ihrem Facebook-Profil kommentiert.

Insoweit postete sie unter anderem am 14.5.2021 um 16:19 Uhr die nachfolgende Abbildung:

Die Angeklagte, die sich durch eine ihre Berufsgruppe betreffende Impfpflicht diskriminiert sieht, weil ihr hierdurch „Türen verschlossen“ werden, hatte diese Abbildung zuvor an anderer Stelle im Internet gefunden und auf ihr Facebook-Profil übernommen. Mit ihrem Post bezweckte sie, anderen im Sinne einer „Warnung“ ihre Meinung kundzutun, dass Geschichte sich wiederhole, nämlich ihrer Auffassung nach der bundesdeutsche Staat mit Blick auf die Corona-Impfung seine Macht ähnlich rücksichtslos einsetze und die Rechte seiner Bürger missachte wie seinerzeit die nationalsozialistische Diktatur.

Beiträge, die sich inhaltlich an ideologisches Gedankengut der NS-Diktatur anlehnten oder dieses gar ausdrücklich befürworteten oder sonst den Eindruck erwecken konnten, die Angeklagte sympathisiere mit der nationalsozialistischen Ideologie oder deren Protagonisten, hatte die Angeklagte auf ihrem genannten Facebook-Profil nicht eingestellt. Vielmehr lehnt die Angeklagte, die bislang in keiner Weise polizeilich oder gar staatsschutzpolizeilich aufgefallen ist, rechtsradikales Gedankengut nachdrücklich ab.“

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat die Kammer sodann unter Ziff. IV. des Urteils ausgeführt, dass diese Feststellungen einen Schuldspruch der Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht trügen.

Zwar bestünde zunächst kein Zweifel daran, dass das auf dem unteren Gesundheitspass abgebildete Hakenkreuz ein Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 StGB sei, da dieses das Parteiabzeichen der NSDAP und damit einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB sei, auf welchen § 86a Abs. 1 StGB verweise. Auch sei der von der Angeklagten gepostete Beitrag ein Inhalt, der dieses Kennzeichen enthalte, und die Angeklagte habe das Kennzeichen in einem von ihr verbreiteten Inhalt verwendet, da das Facebook-Profil der Angeklagten, das diesen Inhalt umfasse, für eine unbestimmte größere Anzahl von Facebook-Nutzern einsehbar gewesen sei, so dass die festgestellte Handlung zumindest objektiv dem Wortlaut des Tatbestandes des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfalle.

Gleichwohl sei die festgestellte Handlung keine tatbestandsmäßige Verletzung der genannten Strafnorm. Denn es sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der (zu) weit gefasste Tatbestand einer aus Sinn und Zweck der Norm erwachsenden Begrenzung bedürfe, da die Strafnorm grundsätzlich weder einer inhaltlichen Zustimmung des Täters zu dem von dem Kennzeichen verkörperten Gedankengut noch die konkrete Gefahr einer identifizierenden Wirkung der Verwendung des Kennzeichens voraussetze. Als tatbestandsmäßig würden daher nur Handlungen angesehen, die im Einzelfall geeignet seien, bei objektiven Beobachtern den Eindruck einer Identifikation des Handelnden mit den Zielen der verbotenen Organisation, deren Kennzeichen er verwende, zu erwecken; nicht tatbestandsmäßig seien demgegenüber solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm erkennbar nicht zuwiderliefen. Im vorliegenden Fall erscheine es geradezu ausgeschlossen, dass ein Betrachter des festgestellten Posts annehmen könne, die Angeklagte sympathisiere mit den Parteizielen der NSDAP, der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik oder dem Nationalsozialismus im Allgemeinen. Die Nebeneinanderstellung des Musters eines modernen Gesundheitspasses, der ausschließlich bezwecke, den Inhaber als „Corona-negativ“ auszuweisen, und des Gesundheitspasses aus der NS-Zeit mit dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ könne niemand als Befürwortung des mit dem Hakenkreuz verbundenen Symbolgehalts ansehen, schon gar nicht vor dem Hintergrund der aus dem Facebook-Profil im Übrigen eindeutig erkennbaren Gegnerschaft der Angeklagten zu der gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik. Vielmehr werde eindeutig der NS-Gesundheitspass als abschreckende, negative Parallele dargestellt, um die vermeintliche Verwerflichkeit der gegenwärtigen Gesundheitspolitik zu brandmarken. Diese Meinung möge weit überzogen und geradezu geschichtsvergessen sein, dies ändere aber nichts daran, dass für einen neutralen Betrachter das mit dem Hakenkreuz versehene Dokument in der hiesigen Veröffentlichung klar für diejenige Haltung bzw. Politik stehe, gegen die sich die Angeklagte wenden wolle. Nach Auffassung der Kammer könne selbst nur ein flüchtiger Betrachter nicht zu dem Eindruck gelangen, der Verfasser des Posts solidarisiere sich in irgendeiner Weise mit nationalsozialistischer Ideologie; warum demgegenüber die Staatsanwaltschaft meine, dass nicht erkennbar sei, ob der Beitrag eine Distanzierung von Methoden der NS-Zeit enthalte, sei für die Kammer rätselhaft. Die vorliegende Fallgestaltung – Impfgegnerin, die öffentlich ein Dokument mit Hakenkreuz abbildet, um gegen vermeintlich „nazi-ähnliches“ Vorgehen der aktuellen (Gesundheits-) Politik zu protestieren – unterscheide sich in keinem wesentlichen Punkt von derjenigen – Linksdemonstrant, der in der Öffentlichkeit einem Polizeibeamten den Hitlergruß zeige und „Sieg Heil!“ rufe, um gegen „nazistische Methoden“ der Polizei zu protestieren –, der der Entscheidung BGHSt 25, 30 zugrunde gelegen habe und in der der BGH es für zumindest naheliegend erachtet habe, dass kein Verstoß gegen § 86a StGB gegeben sei.“

Diese Auffassung teilt das OLG nicht. Es führt zur „Restriktion“ aus – Rest bitte im verlinkten Volltext lesen:

„….

Die obergerichtliche Rechtsprechung differenziert vor dem Hintergrund des oben genannten dritten Schutzzweckes (Verhinderung der Wiedereinbürgerung) danach, ob das Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild getreten ist und keine Nachwirkung anzunehmen ist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1972, a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 28. November 1985, Ss 575/18, NJW 1986, 1275).

Im vorliegenden Fall steht der Schutzzweck, das Kennzeichen aus dem politischen Leben zu verbannen, einer teleologischen Reduktion entgegen.

Denn es handelt sich keineswegs um eine nur flüchtige Verwendung des Kennzeichens. Nach den Feststellungen der Kammer hat die Angeklagte den Gesundheitspass mit dem aufgedruckten – und unveränderten – Hakenkreuz in ihr Facebook-Profil eingestellt. Zwar fehlt es an einer Feststellung, wie lange der Post dort sichtbar gewesen ist; jedoch kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er zumindest einige Zeit dort – jedenfalls für die Facebook-„Freunde“ oder sonstige Personen oder Gruppen, die der Angeklagten auf Facebook folgen – sichtbar gewesen ist. Darüber hinaus besteht bei der Veröffentlichung des Hakenkreuzes im Internet auf der sozialen Plattform Facebook die Gefahr einer zahlenmäßig nicht zu kontrollierenden Verbreitung der Abbildung. So hatten die „Freunde“ bzw. „Follower“ der Angeklagten die Möglichkeit, ihren Post zu „liken“ bzw. ihrerseits wiederum zu posten, mit der Folge, dass das Hakenkreuz dann für deren „Freunde“ und „Follower“ sichtbar gewesen wäre. Schon darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, auf die sich die Kammer gestützt hat (Urteil vom 18. Oktober 1972, 3 StR 1/71 I, BGHSt 25, 30 – 35). In jenem Fall hatte der Angeklagte die Kennzeichen (Zeigen des sogenannten „Hitlergrußes“ und „Sieg Heil“-Ruf) nur einmalig verwendet, so dass die Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild traten und damit eine Nachwirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt dieser Kennzeichen entsprechenden Richtung von vorneherein ausgeschlossen war.

Dass der Post – mag dies auch ohne Zutun der Angeklagten geschehen sein – tatsächlich Breitenwirkung erzielt hat, lässt sich im Übrigen allgemein zugänglichen Quellen entnehmen. So ist der Antwort der Sächsischen Staatsregierung vom 29. November 2021 auf eine kleine Anfrage (Drs. 7/8055) zu entnehmen, dass ein gleicher Post vom 16. Mai 2021 zu einem Ermittlungsverfahren geführt hat. Und in dem Verfassungsschutzbericht 2021 des Landes Baden-Württemberg wird ausgeführt, dass der historische Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen gegen Juden mit – hauptsächlich online verbreiteten – Äußerungen wie „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ relativiert würde (Seite 70).

Hinzu kommt, dass sich die Angeklagte in dem tatgegenständlichen Post gerade nicht offensichtlich von der NSDAP oder der dieser zugrundeliegenden Ideologie distanziert hat. Der Bundesgerichtshof hat dies bislang in Fällen angenommen, in denen eine Distanzierung zum Beispiel mittels Durchstreichungen des Kennzeichens, Darstellungen der Zerstörung des betreffenden Kennzeichens oder dessen Kombination mit der üblichen Symbolik aus dem Bereich der Abfallentsorgung („Umweltmännchen“) erfolgt und damit die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck gebracht wird (BGH, Urteil vom 15. März 2007, 3 StR 486/06, juris; weitere Nachweise aus der Rechtsprechung bei Anstötz in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 86a, Rn. 21). Eine solche optische Distanzierung ist der tatgegenständlichen Abbildung des Hakenkreuzes indes gerade nicht zu entnehmen.

Aber auch die Wertung der Kammer, „die Nebeneinanderstellung des Musters eines modernen Gesundheitspasses, der ausschließlich bezwecke, den Inhaber als „Corona-negativ“ auszuweisen, und des Gesundheitspasses aus der NS-Zeit mit dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ könne niemand als Befürwortung des mit dem Hakenkreuz verbundenen Symbolgehalts ansehen, schon gar nicht vor dem Hintergrund der aus dem Facebook-Profil im Übrigen eindeutig erkennbaren Gegnerschaft der Angeklagten zu der gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik“, ist keineswegs so eindeutig, wie die Kammer meint. Wie sich die Einstellung der Angeklagten zu den Werten und Zielen der NSDAP verhält, ob sie diese ablehnt oder befürwortet, ergibt sich aus dem Post selbst nicht. Das Hakenkreuz ist unverändert dargestellt. Aus dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ kann nicht nur – wie die Kammer meint – der Schluss gezogen werden, dass damit der mit dem Hakenkreuz verbundene Symbolgehalt abgelehnt werde. Diese Wertung setzt zum einen das Wissen voraus, dass die Angeklagte Impfgegnerin bzw. Gegnerin der aktuellen Coronapolitik ist. Zum anderen erfordert sie die Kenntnis, dass die Angeklagte die Ideologie der Nationalsozialisten sowie deren Symbole ablehnt. Beide Umstände ergeben sich aus dem Post selbst nicht. Die Worte „immer billiger“ implizieren auch, dass das damalige Drehbuch (im Dritten Reich) weniger billig, mithin nicht ganz so schlecht wie heute war. Die Kammer hat nicht bedacht, dass für die Freunde und Follower der Angeklagten auf deren Facebook-Startseite im sogenannten „Feed“ zunächst nur der fragliche Post der Angeklagten – zusammen mit weiteren neuesten Nachrichten und Posts anderer Personen – angezeigt wird. Um nachzuvollziehen, welcher Art die weiteren Posts der Angeklagten sind – aus denen sich nach den Feststellungen der Kammer ihre Gegnerschaft zur gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik ergibt –, bedarf es eines Aktivwerdens des Betrachters, indem er das Profil der Angeklagten aufruft, um deren „timeline“ (früher: Facebook-Chronik) zu sehen. Die Feststellung der Kammer, die Angeklagte grenze sich von nationalsozialistischem Gedankengut ab, ergibt sich weder aus dem Post selbst noch aus den weiteren Posts in ihrer „timeline“, sondern beruht offenbar auf ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung.“