Archiv für den Monat: September 2021

StPO III: Das Erstellen eines sog. „Gaffer-Videos“, oder: Anfangsverdacht für eine Durchsuchung?

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Die dritte Entscheidung, die ich vorstelle, ist dann der LG Bonn, Beschl. v. 13.07.2021 – 50 Qs-410 Js 78/21-18/21. Er behandelt u.a. die Frage nach dem Anfangsverdacht für die Anordnung einer Durchsuchung, und zwar in einem „Gaffer-Video-Fall“. Zugrunde lag folgender Sachverhalt:

„Unter dem 22.03.2021 hat das Amtsgericht Bonn einen Durchsuchungsbeschluss in einem gegen den Beschwerdeführer geführten Ermittlungsverfahren erlassen, in dem u.a. die Durchsuchung seiner Wohnräume und sonstiger Räume zum Zwecke der Auffindung von Mobilfunktelefonen mit Videofunktion, Kameras und Computer als Tatwerkzeuge sowie eines X-Videos angeordnet wurde. Zur Begründung hat das Amtsgericht Bonn ausgeführt, dass der Beschuldigte im Verdacht stehe, auf einem von ihm betriebenen X-Kanal eine am pp.2021 gefertigte achtminütige Aufnahme eines schweren Verkehrsunfalls auf der B pp. in P veröffentlicht zu haben, in welchem über eine Sequenz von zwei Minuten die Bergung des schwer verletzten und im PKW eingeklemmten Geschädigten K durch mehrere Einsatzkräfte der Feuerwehr gezeigt werde. Hierbei sei das Gesicht des Geschädigten zwar verpixelt worden, dessen Identifizierung gleichwohl möglich. Den Wunsch der Schwester des Geschädigten nach Löschung des Videos habe der Beschwerdeführer mit Hinweis auf die Pressefreiheit abgelehnt. Hierdurch sei er – so das Amtsgericht Bonn in seiner Begründung – einer Strafbarkeit nach § 201 a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 StGB hinreichend verdächtig. Auf § 201 a Abs. 4 StGB könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen, so das Amtsgericht Bonn weiter, da es sich bei dem Video mangels journalistischredaktionellen Inhalt nicht um Presseberichterstattung handele, sondern das Video lediglich der Meinungsäußerungsfreiheit zuzuordnen sei. Die Staatsanwaltschaft habe zudem das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. pp. ff. d.A., verwiesen.“

Mit seiner Beschwerde hat sich der Beschuldigte darauf berufen, „es habe sich um eine Berichterstattung über „Vorgänge des Zeitgeschehens“ gehandelt, so sei über den Unfall bspw. auch in der Lokalpresse berichtet worden, was dessen Presserelevanz verdeutliche. Deswegen könne er sich auf § 201 a Abs. 4 StGB berufen. Darüber hinaus sei § 201 a StGB eng auszulegen, so dass der Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers in jedem Falle unverhältnismäßig gewesen sei.2

Das hat das LG anders gesehen:

„Die zulässige Beschwerde des Beschwerdeführers hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht Bonn die Durchsuchung der Wohnung und der sonstigen Räume des Beschwerdeführers angeordnet, §§ 102, 105 StPO.

Gemäß § 102 StPO kann bei dem als Täter oder Teilnehmer einer Straftat Verdächtigen eine Durchsuchung dann angeordnet werden, wenn das Auffinden von Beweismitteln zu vermuten ist. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt daher der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG NJW 2007, 1443; 2007, 2749, 2751 m. w. N.; BGH NJW 2000, 84, 85).

Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben liegt ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen gemäß § 201 a StGB vor. Gemäß § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. Die Hilflosigkeit muss durch die Abbildung zur Schau gestellt werden. Erforderlich ist, dass die Hilflosigkeit der Aufnahme selbst zu entnehmen ist. Daran fehlt es, wenn die Gefahrensituation für das Opfer selbst auf der Aufnahme nicht zu erkennen ist (BGH NStZ 2017, 408, Cornelius NJW 2017, 1893). Zudem muss die Hilflosigkeit objektiv in den Fokus gerückt und nicht lediglich völlig „untergeordnetes Beiwerk“ der Aufnahme sein. Darüber hinaus ist die Bestimmungsbefugnis der Person über Informationen ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs als Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Die auf den Bildaufnahmen abgebildete Person muss für Dritte nicht identifizierbar sein. Dies vorweg geschickt, verbreitete der Beschwerdeführer durch das Hochladen des Unfallvideos auf seinem X-Kanal die Bildaufnahmen an eine unbestimmte Anzahl Dritter. Wenngleich der Beschwerdeführer das Gesicht des Geschädigten verpixelt hatte, steht dies nach vorstehenden Ausführungen der Tatbestandserfüllung nicht entgegen. Denn durch die Bildaufnahmen der schweren Verletzung sowie der Bergung des Geschädigten, die mit einer Dauer von zwei Minuten den zentralen Teil des Videos einnehmen, stand der Geschädigte als Person im Fokus der Bildaufnahmen. Trotz der Verpixelung ist eine Identifizierung des Geschädigten – bspw. durch Familienangehörige oder sich selbst – ohne weiteres möglich.

Soweit der Beschwerdeführer sich auf die Voraussetzungen des § 201 a Abs. 4 StGB beruft, dringt er mit seinem Vorbringen nicht durch. Gemäß § 201 a Abs. 4 StGB gilt u.a. § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen. Zu Recht hat das Amtsgericht Bonn ausgeführt, dass das auf dem X-Kanal des Beschwerdeführer gezeigte Video des Geschädigten nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Tätigkeit als Pressevertreter gerecht wird, da der Kanal keinen journalistischredaktionellen Inhalt aufweist, da es sich um eine reine unbearbeitete Übermittlung und Aneinanderreihung von Informationen ohne redaktionelle Aufbereitung oder journalistischer Herangehensweise handelt. Es fehle insoweit an einer pressemäßigen „Vermittlungsleistung“. Diesen Ausführungen schließt das Beschwerdegericht sich vollumfänglich an. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob es sich um „Vorgänge des Zeitgeschehens“ – wie der Beschwerdeführer meint – handelt.

Die Durchsuchung war schließlich auch verhältnismäßig.

Durchsuchungen stellen regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dar. Wohnungsdurchsuchungen sind stets ein tiefgreifender Grundrechtseingriff (vgl. BVerfG NJW 2006, 976). Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist daher bei der Anordnung und Durchführung der Maßnahme besondere Beachtung zu schenken. Die Maßnahme muss in Hinblick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sowie gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Das ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen, die den Ermittlungszweck nicht gefährden. Schließlich muss der jeweilige Eingriff im angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachtes stehen (BVerfG NJW 2011, 2275; Beschl. v. 26.10.2011, 2 BvR 1774/10, Abs. 22 = BeckRS 2011, 56244; NJW 2008, 1937).

Die Durchsuchung war zur Auffindung von Beweismitteln geeignet. Es war anzunehmen, dass sich auf den aufzufindenden Datenträgern die vom Beschwerdeführer gefertigten Aufnahmen – auch im unbearbeiteten Zustand – befinden und diese als Beweismittel zur Überführung in einer Hauptverhandlung in Betracht kommen können. Die Durchsuchungsanordnung stand schließlich auch im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachtes. Der Anordnung lag -wie gezeigt- ein begründeter Verdacht einer Strafbarkeit wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen nach § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB zugrunde. Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer war – und ist es noch – hinreichend begründet und übersteigt deutlich das Maß an Verdachtsgründen für einen Anfangsverdacht. Ausweislich des gesamten Inhalts der Akte ergeben sich zahlreiche Anhaltspunkte, dass die Tat durch den Beschwerdeführer begangen wurde, wobei dieser dies ohnehin nicht abstreitet. Wenngleich hier das geringere Strafmaß zu berücksichtigen ist, ändert dies nichts an der Angemessenheit der Durchsuchung. Der Gesetzgeber unterscheidet in der Vorschrift des § 102 StPO gerade nicht zwischen einem Verbrechen und einem Vergehen. Vielmehr gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die durchzuführende Durchsuchung im Einklang mit den schutzbedürftigen Interessen des Beschwerdeführers und des Strafverfolgungsinteresse gebracht werden. Die so bezeichneten Interessen des Beschwerdeführers stehen dahinter zurück. Denn in der Abwägung zu berücksichtigen ist – neben dem starken Verdachtsgrad – auch, dass der Beschwerdeführer das Video durch die Veröffentlichung in seinem X-Kanal und Verbreitung im Internet einer unbegrenzten Anzahl von Personen zur Verfügung gestellt hat, der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten sich vor diesem Hintergrund mithin als besonders schwerwiegend darstellt. Die dagegen abzuwägenden Grundrechte des Beschwerdeführers überwogen nicht derart, dass der Erlass des Beschlusses als unverhältnismäßig im engeren Sinne anzusehen ist.“

StPO II: Dauerbrenner Akteneinsicht Nebenkläger?, oder: Wann ist der Untersuchungszweck gefährdet?

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Als zweite StPO-Entscheidung „aus der Instanz“ dann der LG Kiel, Beschl. v. 02.08.2021 – 10 Qs 45/21. Er befasst sich mit der Frage des Umfangs der Akteneinsicht für den Nebenkläger/Verletzten, auch ein „Dauerbrenner“.

Das LG hat in einem Verfahren mit dem Vorwurf u.a. der wegen Körperverletzung nur teilweise Akteneinsicht gewährt, und zwar: Keine Akteneinsicht, soweit die Akten zeugenschaftliche Angaben der Nebenklägerin enthalten, aber wohl hinsichtlich des übrigen Akteninhalts:

„Nach § 406e Abs. 2 S. 2 StPO kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint. Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 II StPO) zu besorgen ist (vgl. nur BT-Drucks. 10/5305, S. 18).

So liegt es hier.

Zur Sicherstellung einer unbefangenen, zuverlässigen und wahren Aussage der Nebenklägerin in einer eventuellen späteren Hauptverhandlung ist es unerlässlich, ihr jede Möglichkeit der vorherigen -Kenntnisnahme vom Inhalt ihrer kriminalpolizeilichen Aussage zu nehmen. Für die Beweisführung steht – abgesehen von den vorliegenden Textnachrichten und den die Verletzungen dokumentierenden Lichtbildern – nämlich ausschließlich die Zeugenaussage der Nebenklägerin zur Verfügung, da sich der Angeschuldigte bislang nicht zur Sache eingelassen hat.

Die weiteren Zeugen haben zum Kerngeschehen keine Angaben machen können. Soweit Verletzungsbilder vorliegen, dokumentieren diese zwar die Folgen der Auseinandersetzung, vermögen aber keinen Aufschluss über Vorgeschehen und konkreten Hergang zu geben.

An einer solchen Verfahrenskonstellation ist – ebenso wie in der Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage – regelmäßig das durch § 406e Abs. 2 S. 2 StPO eingeräumte Ermessen dahingehend auf Null reduziert, dass die beantragte Akteneinsicht zu versagen ist (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 21. März 2016, BeckRS 2016, 7544).

Anderenfalls könnte nämlich später nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass mit der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung – bewusst oder unbewusst – nicht etwas tatsächlich Erlebtes wiedergegeben wird, sondern lediglich der Akteninhalt reproduziert wird. Auch besteht die Gefahr, dass hierdurch bei den Verfahrensbeteiligten der falsche Eindruck einer Aussagekonstanz entsteht.

Der Umstand, dass der Angeschuldigte keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt, steht der Annahme einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nicht entgegen (vgl. BGH v. 06.12.2012, NStZ 2013, 180).

Dass die Nebenklägervertreterin versichert hat, der Mandantin die Ermittlungsakte nicht zugänglich zu machen, erlaubt keine andere Entscheidung. Denn zum einen ist die Einhaltung einer solchen Versicherung nicht mit der erforderlichen Sicherheit kontrollierbar (vgl. dazu und zum folgenden OLG Hamburg, Beschl. v. 24. Oktober 2014, NStZ 2015, 105). Und zum anderen ist eine solche Versicherung auch nicht durchsetzbar (vgl. dazu OLG Braunschweig, Beschl. v. 3. Dezember 2015, NStZ 2016, 629).

Der vielfach vertretenen Auffassung, dass die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger den Angeklagten nicht beschwere, sondern im Gegenteil für diesen günstig sei, weil einer in der Hauptverhandlung gegebenen Aussagekonstanz infolgedessen nur eine erhebliche reduzierte Beweiskraft beigemessen werden könne (vgl. dazu OLG Schleswig, Beschluss vom 17. April 2018, Az. 1 Ws 195/18 (123/18), zitiert nach juris; OLG Braunschweig a.a.O.), kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil es mit dem im Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich angelegten Grundsatz der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege unvereinbar ist, wenn das Gericht durch die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger schon vorab dafür sorgt, dass das Verfahren faktisch nur noch mit einem Freispruch enden kann (vgl. dazu OLG Hamburg, Beschl. V. 21. März 2016, a.a.O.). Im Übrigen ist aber auch durchaus zweifelhaft, dass die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger quasi naturgesetzlich einen Freispruch zur Folge hat. Vielmehr besteht durchaus auch die Gefahr, dass das Gericht es unterlässt, sich näher mit einer möglichen Verursachung der Aussagekonstanz allein durch vorherige Akteneinsicht auseinanderzusetzen, und auf dieser Grundlage zu Unrecht zu einem Schuldspruch gelangt (vgl. dazu und zum folgende OLG Hamburg, Beschl. v. 23. Oktober 2018, BeckRS 2018, 28084). Diese Gefahr ist umso größer einzuschätzen, als es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich nicht geboten ist, im späteren Urteil eine etwaige Kenntnis des Nebenklägers vom Inhalt der Verfahrensakten im Zusammenhang mit der Aussageanalyse zu erörtern, sondern nur dann, wenn Hinweise auf eine konkrete Falschaussagemotivation des Nebenklägers oder Besonderheiten in seiner Aussage dazu Anlass geben (vgl. BGH, Beschl. v. 5. April 2016, NStZ 2016, 367). Der Angeklagte kann also infolge einer Akteneinsichtsgewährung sogar einem erhöhten Risiko unterliegen, zu Unrecht verurteilt zu werden.

Die Kammer verkennt nicht, dass das Informationsrecht der Nebenklägerin sowie deren Recht auf Fürsorge, Gleichbehandlung und Menschenwürde durch die Versagung der Akteneinsicht nicht unerheblich eingeschränkt werden, doch ist dies von ihr im vorliegenden Einzelfall zur Sicherstellung der Wahrheitsfindung hinzunehmen, an der auch sie ein alles überragendes Interesse haben muss.“

StPO I: EncroChat beim KG, oder: „das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung“

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Heute dann der nächste StPO-Tag. Aber heute dann keine Entscheidungen vom BGH, sondern von den Instanzgerichten.

An der Spitze der Postings setze ich die Bericherstattung zu EncroChat fort. Nachdem ich gerade erst am Montag über den OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.08.2021 – 2 Ws 102/21 –
und den OLG Celle, Beschl. v. 12.08.2021 – 2 Ws 250/21 – berichtet habe (vgl. Nachtrag II: EncroChat – OLG Brandenburg u. OLG Celle, oder: Wir machen es wie alle anderen OLG) hier dann jetzt der KG, Beschl. v. 30.08.2021 – 2 Ws 79/21 – zum LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21).

Ja, das war die bisher einzige Entscheidung, die die gewonnenen Erkenntnisse als unverwertbar angesehen hat (vgl. dazu EncroChat: Ein rechtsstaatlicher Lichtblick aus Berlin, oder: Beweisverwertungsverbot endlich bejaht mit den Verweisen auf weitere OLG-Rechtsprechung). Das KG hat nun also endlich über die Nichteröffnung entschieden. Und wen wundert es – mich nicht: Es sieht die Erkenntnisse in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen OLG als verwertbar an und hat das Verfahren vor dem LG eröffnet. In der Argumentation m.E. nichts wesentliche Neues. Der Satz:

„…. Die Nichtverwertung von legal durch Behörden der Republik Frankreich — nicht nur eines Gründungsmitgliedes der europäischen Union, sondern auch eines der Mutterländer des modernen Menschenrechtsverständnisses — beschaffter Informationen über derart schwerwiegende Straftaten, verstieße auch in erheblicher Weise gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung….“

irritiert mich allerdings. Heißt das, das diejenigen, die die Erkenntnisse als unverwertbar ansehen, nicht „rechtstreu“ sind?

Im Verfahren hat das KG den Weg eingeschlagen, den ich ja auch schon als möglich angekündigt hatte. Es hat den Beschluss des LG Berlin aufgehoben und das Hauptverfahren vor eröffnet, aber vor einer anderen Strafkammer des LG Berlin:

„Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, das Hauptverfahren vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Berlin zu eröffnen (§ 210 Abs. 3 Satz 1 StPO). Mit ihrer ausführlich begründeten Rechtsansicht in dem angefochtenen Beschluss, die nicht nur im Widerspruch zur Ansicht des Senats, sondern auch der Oberlandesgerichte Bremen, Hamburg, Rostock, Schleswig, Düsseldorf und Brandenburg steht, hat sich die 25. Strafkammer in einer Weise festgelegt, die besorgen lässt, dass sie sich die Auffassung des Senats nicht innerlich zu eigen machen kann (vgl. BGH NStZ 2017, 420). Mithin steht zu befürchten, dass sie im Hinblick auf ihre ursprünglich abweichende Bewertung außer Stande ist, das Verfahren mit der gebotenen Objektivität fortzuführen (vgl. KK-StPO/Schneider 8. Aufl., § 210 Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 64. Aufl., § 210 Rn. 10).“

Das ist vom Standpunkt des KG ausgesehen konsequent.

Im Übrigen: damit ist nun m.E. unterhalb der Zuständigkeit des BGH „die Messe gelesen“ bzw. die Musik spielt nicht mehr bei den OLG, sondern demnächst beim BGH und dann ggf. beim BVerfG/EGMR. Da werden die Fragen entschieden, nicht bei einem OLG.