Ich erinnere: In der Pipeline des Gesetzgebungsverfahrens befindet sich für diese Legislaturperiode noch das „„Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.. Ich habe über dieses Gesetzesvorhaben schon mehrfach berichtet (vgl. Nach der “Effektivierung” und der “Modernisierung” kommt die “Fortentwicklung” der StPO, oder: Warum?und Aktueller Stand der “Fortentwicklung der StPO” oder: “Mehr, mehr, mehr schrie der kleine Häwelmann”.
Stand des Verfahrens war zuletzt, dass im Bundestag am 14.04.2021 im Rechtsausschuss die Anhörung der Experten stattgefunden hatte mit einem Teilverriss der geplanten Neuerungen. Danach war dann Ruhe.
Nun, inzwischen ist dann aber der Gesetzgeber wieder erwacht und hat gemeint, diese „Fortentwicklung“ auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode durchpeitschen zu müssen. Ja, anders kann man m.E. nämlich das, was da in dieser Woche gelaufen ist, nicht nennen. Es hat nach fast acht Wochen Stillstand – zumindest nach außen – am Mittwoch (09.06.2021) dann eine Sitzung des Rechtsausschusses stattgefunden, in der eine Beschlussempfehlung beschlossen worden ist (vgl. BT-Drucks 19/30517). Und dann hat man das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ eben noch im Bundestag beschlossen, und zwar in der vergangenen Nacht (10.06.2021) um 00.20 Uhr als „ZP 24“ der Tagesordnung (ZP = Zusatzpunkt), angesiedelt zwischen der „Rechtsdienstleistung“ und der „Tabaksteuermodernisierung“. Es hat natürlich fulminante Reden gegeben J – Ironiemodus aus. Nein, die hat es natürlich gegeben, sondern die sind zu Protokoll gegeben worden (vgl. die Tagesordnung). Das bedeutet: Die wird wahrscheinlich nie jemand lesen.
Was mich an dem Verfahren so ärgert. Da meint man, die StPO „fortentwicklen“ zu müssen – was m.E. nicht seine. Und das macht man dann aber mal eben so nebenbei nachts um 00.20 Uhr. Das zeigt, welchen Stellenwert das Strafverfahren hat. Nämlich keinen. Denn wie anders soll man es deuten, wenn nachts um 00.20 Uhr die StPO, an der man ja nun schon seit vier Jahren herumdoktert, fortentwickelt. Dafür hatte man doch Zeit genug. Aber nein. Das muss man jetzt noch durchpeitschen. Ebenso wie die Änderungen im Wiederaufnahmerecht der StPO – Stichwort: Wiederaufnahme zu ungusten des Beschuldigten -, die dann noch für heute mal eben auf der Tagesordnung stehen.
In der Sache sind die Änderungen in etwa so gekommen, wie sie in der BT-Drucksache 19/27654 vorgesehen waren. Über einige kleinere Änderungen kann man hinwegsehen. Allerdings wird es eine weitere Änderung geben, die nicht ganz unwesentlich ist. Denn man hate – mal eben so – § 104 StPO noch einmal – über die Defintion der „Nachtzeit“ hinaus – erweitert, nämlich um einen Abs. 2, in dem es dann demnächst heißt:
„1) Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäfts-räume und das befriedete Besitztum nur in folgenden Fällen durchsucht werden:
1.bei Verfolgung auf frischer Tat,
2.bei Gefahr im Verzug,
3.wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt, und ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit die Auswertung des elektronischen Speichermediums, insbesondere in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre oder
4.zur Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen.“
Zur Begründung dieser Erweiterung siehe S. 19 des Entwurfs. Da heißt es u.a.:
„In Deliktsbereichen, die vorwiegend durch die Nutzung von Computern und Ähnlichem begangen werden, stehen die Ermittlungsbehörden vermehrt vor dem Problem, dass die Täter ihre Datenträger durch den Einsatz von Verschlüsselungstechnologien vor dem Zugriff durch die Strafverfolgungsbehörden schützen. Gelingt die Entschlüsselung nicht und zeigt sich der Beschuldigte auch nicht kooperativ, hat dies zur Folge, dass eine digital-forensische Auswertung nicht erfolgen kann. Daher ist es für die Ermittlungsbehörden zur effektiven Aufklärung von Straftaten von großer Bedeutung, Datenträger möglichst dann zu beschlagnahmen, wenn sie sich in unverschlüsseltem Zustand befinden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie während der Durchsuchung vom Beschuldigten genutzt werden. Diese Problematik stellt sich gerade bei Ermittlungen im Bereich der Kinderpornographie und des sexuellen Missbrauchs von Kindern immer wieder. ……
Positiv anzumerken ist, dass es dabei bleibt, dass das in § 163g StPO-E neu geschaffene Instrument der Automatischen Kennzeichenlesesysteme (AKLS) zunächst dann vorrangig nur zu Zwecken der Fahndung geregelt werden soll. Der Bundesrat hatte zwar um Prüfung gebeten, ob der Einsatz von AKLs darüber hinaus in Rahmen von Ermittlungen wegen besonders schwerer Straftaten auf weitere Ermittlungszwecke erweitert werden und insbesondere eine vorübergehende ungefilterte Speicherungsbefugnis von Kennzeichen aller Verkehrsteilnehmer geschaffen werden könne. Dieser Vorschlag war von einigen Sachverständigen in der Anhörung vom 14. April 2021 aus Sicht der staatsanwaltschaftlichen Praxis (sic!!) unterstützt worden. Daran hat man sich dann aber doch wohl wegen des damit verbundenen intensiven Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sämtlicher Verkehrsteilnehmer nicht in einem Schnellverfahren getraut.
Wie geht es weiter? Nun, das Gesetz wird am 25.06.2021 im Bundesrat beraten werden und den passieren. Und dann haben wir sicherlich noch im Juli die StPO „fortentwickelt“.
Und dazu dann: Es wird zu den Änderungen wieder ein Ebook von mir geben. Und zwar wie gehabt zum Download unter dem Titel: „Fortentwicklung der StPO u.a. Die Änderungen in der StPO 2021 – ein erster Überblick“. Das kann man dann ab jetzt hier vorbestellen. Das Buch/PDF kommt dann nach Inkrafttreten des „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ automatisch.
Das Timing überrascht. Vermutlich haben die Jungs in Berlin kein Vertrauen, dass die Nationalmannschaft in die K. O. Phase kommt. Denn sonst hätten sie es uns – wie alle zwei Jahre gerne wieder – im Schatten eines „wichtigen“ Fussballspiels untergemogelt. Da wurde schon so manche Schweinerei Gesetz und wir haben es vor lauter Torjubel nicht mitbekommen…. Wenn es nicht so vorhersehbar wäre, könnte man sich ja ärgern…