Bei der zweiten „Bewährungsentscheidung“, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.11.2020 – 1 Ws 137/20. Es geht um sog. Kettenverlängerung der Bewährungszeit. Also eine erste Verlängerung und dann später noch eine weitere. Bei dieser Konstellation muss man als Verteidiger immer sehr genau auf die Widerrufsgrundlagen schauen, vor allem, wenn es um „neue“ Straftaten geht. Da stellt sich dann immer die Frage: Sind die auch wirklich neu? Das war hier nicht der Fall:
„Vorliegend hat die Strafvollstreckungskammer Gründe für eine Bewährungszeitverlängerung darin gesehen, dass gegen den Beschwerdeführer durch die vorgenannten Strafbefehle des Amtsgerichts Potsdam vom 9. Juli 2019 und 14. Januar 2020 erneut Geldstrafen verhängt werden mussten und die Tatzeiten in der laufenden Bewährungszeit gelegen hatten.
Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Auf die dem Strafbefehl vom 09. Juli 2019 zugrundeliegenden Taten vom 16. Juni 2018 und 16. August 2018, mithin auf Taten, die der Verurteilte bereits in der ursprünglichen Bewährungszeit begangen hatte, konnte die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung nicht stützen, denn insoweit steht dem der Vertrauensschutz des Verurteilten entgegen.
Zwar werden in der „alten“ Bewährungszeit entstandene Widerrufsgründe durch einen auf Verlängerung der „alten“ Bewährungszeit lautenden Beschluss nach § 56 f Abs. 2 Nr. 2 StGB grundsätzlich nicht „verbraucht“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.09.1990 – 1 Ws 759/90 -, juris). Allerdings kann nach einer Verlängerung der Bewährungszeit (vorliegend durch Beschluss vom 26. Juli 2019) die erneute Verlängerung der Bewährungszeit auf eine vor dem ersten Verlängerungsbeschluss erfolgte Nachverurteilung nur dann gestützt werden, wenn die neue Straftat dem Gericht bei der Entscheidung über die (erste) Bewährungsverlängerung nicht bekannt war (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23. Januar 2018 – 2 Ws 47/18 – NdsRpfl 2018, 112, juris).
Vorliegend war dem Amtsgericht Potsdam bei Erlass des (Verlängerungs-)Beschlusses vom 26. Juli 2019 indes bekannt, dass der Beschwerdeführer am 16. Juni 2018 und am 16. August 2018 erneut straffällig geworden war, denn der Amtsrichter, der am 26. Juli 2019 über die Verlängerung der Bewährungszeit entschieden hat, hatte nur wenige Tage zuvor unter dem 9. Juli 2019 bezüglich dieser Taten selbst den Strafbefehl gegen den Beschwerdeführer erlassen. Auch wenn sowohl das amtsgerichtliche Anhörungsschreiben vom 05. Juni 2019 als auch der Beschluss vom 26. Juli 2019 ausdrücklich nur auf den Strafbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 5. Februar 2019 (82 Ds 10/19) Bezug nehmen, durfte der Beschwerdeführer dennoch darauf vertrauen, dass das Amtsgericht Potsdam alle für die Entscheidung über einen Bewährungswiderruf oder eine Verlängerung der Bewährungszeit maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat und dass sein, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 9. Juli 2019 zugrunde liegendes strafbares Verhalten daher keine weiteren Konsequenzen mehr nach sich ziehen werde (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09. März 2020 – 3 Ws 34/20 -, juris) .
b) Die Strafvollstreckungskammer konnte die Verlängerung der Bewährungszeit auch nicht auf die dem Strafbefehl vom 14. Januar 2020 zugrundeliegende Tat vom 15. Juli 2019 stützen, weil diese Tat zwischen dem Ablauf der ursprünglich bis zum 16. März 2019 festgesetzten Bewährungszeit und vor Erlass des Verlängerungsbeschlusses vom 26. Juli 2019 begangen worden ist und der Beschwerdeführer auch keine Kenntnis von einer (ersten) beabsichtigten Verlängerung der Bewährungszeit hatte (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12. Mai 2009 -2 Ws 176/09-, juris; KG Berlin, Beschluss vom 31. März 2011 -4 Ws 29/11- juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. April 2008 -3 Ws 331/08- juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 Ws 41/07 -, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 06. Juli 2009 -1 Ws 251/09-, juris Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Dezember 2013 -1 Ws 451/13 -, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2004 – 1 Ws 29/04 – juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 06. Oktober 2011 – 1 Ws 151/11 – OLG Bamberg, Beschluss vom 24. März 2015 -22 Ws 19/15-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Januar 2013 -III-3 Ws 19/13- juris; OLG Rostock, Beschluss vom 07. Dezember 2010 -I Ws 335/10-, juris). Eine Zustellung des hierauf bezüglichen gerichtlichen Anhörungsschreibens vom 05. Juni 2019 war mangels Vorhandenseins eines Briefkastens weder auf dem Postwege noch durch persönliche Übergabe durch die Polizei möglich…..“