Archiv für den Monat: August 2020

VW-Diesel-Skandal: Schadensersatzanspruch wegen Schummel-Software ja, aber: Deliktszinsen werden ggf. aufgezehrt

entnommen wikimedia.org
Urheber User: High Contrast

Und auch das zweite Posting dient der Abrundung. Und zwar der Abrundung zur Berichterstattung über die Rechtsprechung im VW-Skandal/Diesel-Skandal/Schummel-Software.

Da liegt ja inzwischen eine weitere (abschließende) BGH-Entscheidung vor. Über die ist ja an anderen Stellen (auch) schon viel berichtet worden, so dass ich mich hier auf die Leitsätze beschränken kann/will. Der BGH sagt im BGH, Urt. v. 30.07.2020 -VI ZR 354/19:

1. Der Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung versehenen Fahrzeugs kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen vollständig aufgezehrt werden (Fortführung Senatsurteil vom 25. Mai 2020 -VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 64-77).

2. Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Ge-schädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nut-zungsmöglichkeit des Geldes.

Konkrete Schadensabrechnung, oder: Muss ein Behindertenrabatt berücksichtigt werden?

Im „Kessel Buntes“ dann heuet zweimal der BGH.

Zunächst eine Fortsetzung. Und zwar. Ich hatte im vorigen Jahr über das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 03.06.2019 – 29 U 203/18  – berichtet (vgl. hier:  Unfallschadenregulierung, oder: Was machen wir mit einem Behindertenrabatt bei der Ersatzbeschaffung?“ 

Das Posting hatte ich geschlossen mit: „Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Vielleicht hören wir ja etwas vom BGH.“ Nun, inzwischen kann man sagen: Ja, wir haben etwas gehört. Der BGH hat nämlich im BGH, Urt. v. 14.07.2020 -VI ZR 268/19 – über die Revision gegen das OLG-Urteil entschieden. Er sieht es wie das OLG. Daher gibt es hier nur den Leitsatz, der lautet:

„Der Geschädigte, der im Wege der konkreten Schadensabrechnung Ersatz der Kosten für ein fabrikneues Ersatzfahrzeug begehrt, muss sich einen Nachlass für Menschen mit Behinderung anrechnen lassen, den er vom Hersteller aufgrund von diesem generell und nicht nur im Hinblick auf ein Schadensereignis gewährter Nachlässe erhält (Fortführung von BGH NJW 2012, 50 Rn. 9 f.).“

Ich habe da mal eine Frage: Gibt es für die Nachtragsanklage betreffend § 421 StPO noch „Extragebühren“?

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Und dann noch das Gebührenrätsel. Ganz frisch aus der FB-Gruppe „Strafverteidiger“. Zum Glück war die Frage dort gestellt worden, denn mein „Fragenordner“ war ziemlich leer.

Also hier dann:

„…., ich hab das Gefühl, was übersehen zu haben.

In einem sehr umfangreichen 266a-StGB-Verfahren gab es eine echte Verständigung. Diese sieht vor, dass der Mandant neben den Taten seiner Anklage noch 100 andere Taten von Mitangeklagten „übernimmt“ (pro familia). Die sind dafür raus und ich krieg ne Nachtragsanklage unter Beschränkung auf die Werteinziehung (421 StPO).

Von den 100 neuen Taten werden wieder so gut wie alle nach 154 eingestellt. Verurteilung dann im Rahmen des Deals. Krieg ich neben der Terminsgebühr jetzt noch irgendwas für den Deal oder für die unterbliebene Einziehung (Schaden 900.000 EUR)? Gebühren kann ich einfach nicht.“

Interessante Frage 🙂 .

Haftprüfungstermin, oder: „Verhandelt“?

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Und als zweite Entscheidung des Tages stelle ich den LG Bad Kreuznach, Beschl. v.  2 KLs 1042 Js 12567/18 – vor. Gestritten worden ist um den Anfall der Nr. 4102, 4103 VV RVG. Und zwar ging es wieder mal um den Begriff des „Verhandelns“ bei der Nr. 3.

Die UdG hatte die Gebühr zunächst mit Zuschlag festgesetzt, dagegen hatte ich natürlich der Bezirksrevisor gewendet mit der Folge, dass der Zuschlag wieder abgesetzt worden ist. Das LG hat es dann aber gerichtet:

„Mit Festsetzungsentscheidung vom 10.03.2020 (BI. 760 d. A.) setzte die Urkundsbeamtin des Landgerichts Bad Kreuznach die aus der Staatskasse zu, zahlende Vergütung für Rechtsanwalt Scheffler nach seinen Anträgen vom 06.08.2019 (BI. 737 d.A.) und vom 21.01.2020 (BI. 746 d.A) auf insgesamt 3.081,33 Euro (für die erste Instanz 2.339,96 Euro und die zweite Instanz 741,37 Euro) fest.

Gegen diese Festsetzung legte die Bezirksrevisoriri für die Staatskasse am 12.03.2020 Erinnerung (BI. 762 d. A) ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Vergütung für das erstinstanzliche Verfahren und das Ermittlungsverfahren lediglich auf 2.142,42 Euro festzusetzen sei, da die geltend gemachte Gebühr nach Nrn. 4103, 4102 Ziffer 3 VV RVG für den Termin (Haftprüfung) am 21.02.2019 nicht entstanden sei. Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr sei neben der Teilnahme am Termin ein Verhandeln über die Anordnung oder Fortdauer der. Untersuchungshaft. Die hierfür erforderlichen Erklärungen oder Stellungnahmen, die ein solches Verhandeln belegen, seien aber dem Protokoll vom 21.02.2019 nicht zu entnehmen. Dort sei lediglich festgehalten, dass der Verteidiger und der Beschuldigte den Haftprüfungsantrag zurückgenommen haben, was kein Verhandeln im Sinne der Gebührenziffer 4102 Ziffer 3 VV RVG darstelle.

Der Pflichtverteidiger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 06.05.2020 (BI. 770 d.A), dass sich aus dem Protokoll nicht der gesamte Inhalt des Termins ergebe. Im Termin habe er Ausführungen zur fehlenden Fluchtgefahr und zu den festen Bindungen seines Mandanten an seine Frau und die Kinder gemacht. So habe er dargelegt, dass pp1 sich dem Verfahren nicht entziehe, sondern nur zurück zu seiner Familie wolle. Nachdem Staatsanwalt pp. dann jedoch im Termin bekanntgegeben habe, dass sich die Ehefrau samt Kindern nach Tunesien abgesetzt habe und zwischenzeitlich ebenfalls per Haftbefehl gesucht werde, habe er den Haftprüfungsantrag zurückgenommen, weil er vor diesem Hintergrund eine Erfolgsaussicht für sein Anliegen, die Untersuchungshaft zu beenden, nicht mehr zu erkennen vermocht habe.

Im Wege der Abhilfe der Erinnerung setzte die Urkundsbeamtin am 08.06.2020 die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung unter Berücksichtigung der Ausführungen der Bezirksrevisrin auf 2.883,79 Euro fest. Die Abhilfeentscheidung wurde Rechtsanwalt pp. am 22.06.2020 zugestellt.

Mit Schriftsatz, eingegangen bei Gericht am 23.06.2020 legte Rechtsanwalt pp. sodann Erinnerung „gegen die Absetzung der Gebühr für den Haftprüfungstermin“ ein und versicherte den bereits mit Schreiben vom 06.05.2020 geschilderten Ablauf anwaltlich.

Der Erinnerung half die Urkundsbeamtin nicht ab.

Die Erinnerung ist statthaft. Die angefochtene Entscheidung betrifft die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 RVG. Diesbezügliche Beschlüsse des Urkundsbeamten sind zunächst mit der Erinnerung anfechtbar, über die — im Fall der Nichtabhilfe — das Ursprungsgericht zu befinden hat (§ 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 4 Satz 1, Abs. 7, Abs. 8 RVG). Die auf eine Erinnerung der Bezirksrevisorin ergangene Abhilfeentscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle stellt sich als (abgeänderte) Festsetzung der Pflichtverteidigergebühr dar und ist als solche — erneut — mit der Erinnerung anfechtbar (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.02.2010 -111-1 Ws 700/09). Der Erinnerung von Rechtsanwalt pp. vom 23.06.2020 hat die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen (Vermerk vom 09.07.2020, Bl. 781R d.A.), so dass nunmehr die Strafkammer über das Rechtsmittel zu entscheiden hat……………..

………………Die Erinnerung ist zudem begründet, die Terminsgebühr nach Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG ist angefallen. Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG sieht eine Terminsgebühr für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung vor, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird. Zwar mag das vorausgesetzte Verhandeln über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft mehr als die bloße Erklärung einer Antragsrücknahme voraussetzen (LG Osnabrück, Beschluss vom 28.06.2018 — 15 KLs 35/16 -, juris; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 25.06.2015 — 1 Ws 85/14 -), nach gebotener Sachaufklärung hat sich jedoch herausgestellt, dass über die nicht wortgetreue Dokumentation im Protokoll hinaus, der Antragsrücknahme eine Erörterung der Fortdauer der Untersuchungshaft im Hinblick auf das Fortbestehen des Haftgrundes der Fluchtgefahr vorangegangen war. Diese Vorgänge, die der Erinnerungsführer bereits in seinem Schreiben vom 06.05.2020 ausgeführt und sodann mit Erinnerungsschreiben vom 23.06.2020 durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, hat auch Staatsanwalt pp. nach telefonischer Rückfrage der Unterzeichnerin bestätigt. Mit diesen Erklärungen oder Stellungnahmen des Erinnerungsführers, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden, hat eine Verhandlung im Sinne der Gebührenziffer Nr. 4102 Ziffer 3 VV RVG stattgefunden.“

Warum braucht man dafür ein LG?

Zusätzliche VG im Rechtbeschwerdeverfahren, oder: Nicht bei Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG

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Heute ist dann „Gebührentag“. Und den eröffne ich mit dem LG Saarbrücken, Beschl. v. 29.06.2020 – 8 Qs 69/20. Es geht um das Erstehen der Nr. 5115 VV RVG. Die Kollegin Zimmer-Gratz, die mir den Beschluss geschickt hat, hat die Betroffene im Bußgeldverfahren verteidigt. Sie hat nach Einstellung des Verfahrens durch das OLG Saarbrücken im Hinblick auf die Rohmessdatenentscheidung des VerfGH Saarland nach § 47 Abs. 2 OWiG im Rechtsbeschwerdezulassungsverfahren auch die Festsetzung der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG beantragt. Die hat das AG nicht festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

„b) Sofern die Verteidigerin die „Befriedungsgebühr“ Nr. 5115 RVG VV (gestützt auf Abs. 1 Nr. 1) beantragt, schließt sich die Kammer der Stellungnahme der Bezirksrevisorin und der dort in Bezug genommenen Rechtsprechung der 2. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken (Beschluss vom 18.03.2015, 2 Qs 16 / 15, vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht vom 02.06.2006, 1 Ws 58/06 m.w.N,) an. Die Voraussetzungen der Nr. 5115 RVG VV, wonach eine zusätzliche Gebühr entsteht, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird, liegen nicht vor.

Sinn der eine Erfolgsgebühr regelnden Vorschrift ist es, den Rechtsanwalt zu belohnen, der an einer Verfahrensbeendigung ohne Hauptverhandlung mitwirkt und einer Terminsgebühr verlustig geht (Krumm in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, Rn. 1; AG Bad Kreuznach, AGS 2017, 322). Nach der Ratio ist der Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 RVG-VV (ebenso wie bei Nr. 4141 RVG-VV) deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrenserledigung konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre (OLG Rostock, Beschluss vom 06. März 2012 – 1 Ws 62/12).

Dass eine Hauptverhandlung vorliegend im Zulassungsverfahren durch die Mitwirkung der Verteidigerin entbehrlich wurde, ist jedoch fernliegend. Denn eine Hauptverhandlung über den Zulassungsantrag findet nicht statt (Hadamitzky in KK-OWiG, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 54). Die Anberaumung einer Hauptverhandlung vor Zulassung der Rechtsbeschwerde ist vielmehr nicht statthaft, da die Hauptverhandlung über die Rechtsbeschwerde nur stattfinden kann, nachdem ihre Zulässigkeit bejaht worden ist, was vorliegend nicht erfolgt war. Dass – wie die Verteidigerin meint -ausnahmsweise eine zeitlich nach dem Zulassungsverfahren liegende Hauptverhandlung, etwa „eine Hauptverhandlung über eine Divergenzvorlage (§ 121 Abs. 2 GVG) vor dem Bundesgerichtshof‘ (vgl. zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Divergenzvorlage zuletzt Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 06. April 2020 – 1 SsRs 10/20 sowie Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom selben Tag – 201 ObOWi 291/20) stattfinden kann, ist eine rein spekulative, rechtstheoretische Betrachtung und alles andere als wahrscheinlich.

c) Da hiernach schon keine Hauptverhandlung durch die Verfahrensbeendigung entbehrlich wurde, kann daher offenbleiben, ob die Verteidigerin einen die Befriedigungsgebühr auslösenden Beitrag im Sinne der RVG-VV 5115 im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens entfaltet hat. Denn nach RVG-VV 5115 ist erforderlich, dass „durch die anwaltliche Mitwirkung“ eine Hauptverhandlung entbehrlich wird.

Denn die Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG im Rechtsmittelverfahren erfolgte ausschließlich auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch das Saarländische Oberlandesgericht von Amts wegen (vgl. AG Viechtach, Beschluss vom 18. Januar 2006 – 7 II OWi 00029/06) in Folge einer Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs in dem Verfahren Lv 7/17. Der Verteidigerin, die eine solche Einstellung im Verfahren nach Aktenlage auch nicht angeregt hatte, wurde zwar vor der Einstellung rechtliches Gehör gewährt (BI. 240 d.A.), wobei sie mitteilte, dass sie sich dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft anschließe („schließe ich mich dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft an“). In dieser nicht konstitutiv wirkenden Zustimmung zur Einstellung eine die Gebühr RVG VV 5115 auslösende Tätigkeit zu erblicken, könnte bereits deshalb nicht gerechtfertigt sein, da § 47 Abs. 2 OWiG gerade kein Zustimmungserfordernis des Betroffenen (und auch nicht des Verteidigers) vorsieht und nicht einmal die Opportunitätseinstellungen nach § 153 Abs. 2, § 153a Abs. 1, Abs. 2 StPO eine hier ausschließlich erfolgte Zustimmung des Verteidigers, sondern eine solche des Beschuldigten, vorsehen. Dass eine gesetzlich nicht geforderte, nicht konstitutiv wirkende und zudem im eigenen Namen abgegebene „Zustimmung“ zu der Einstellung aus Opportunitätsgründen die Gebühr auslösen soll, könnte daher auch als keine die Befriedigungsgebühr auslösende Beteiligung gewertet werden, bei welcher eine Hauptverhandlung nicht „durch die anwaltliche Mitwirkung“ sondern allein von Amts wegen obsolet wurde (vgl. AG Bad Kreuznach, a.a.O.: „Der Erfolg muss […] gerade durch die Mitwirkung des Verteidigers eingetreten sein. Der Verteidiger soll für eine Mitwirkung an der Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens gesondert honoriert werden [Nachweis] nicht aber für eine dem Betroffenen besonders günstige Verteidigungsstrategie.“),

Nun ja, wenn man den ganzen Beschluss liest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man über den Erfolg der Verfassungsbeschwerde „not so amused“ ist. Und jetzt bloß nicht auch noch zuästzliche Gebühren usw.