Archiv für den Monat: August 2020

Sonntagswitz: Heute seit langem mal wieder zu Rechtsanwälten

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Es ist „Sonntagswitzetime“. Und mir ist aufgefallen, dass ich schon länger keine Juristenwitze (und Drumherum) mehr gemacht habe. Das hole ich dann heute mal nach. Und zwar mit:

Rechtsanwalt: “Das Honorar beträgt 300 EUR.”

Mandant (schwerhörig): “Sagten Sie 600 EUR?”

“Nein, 500 EUR”, brüllt der Rechtsanwalt zurück.


Anwalt: „Haben Sie denn Ihrem Schuldner die Rechnung vorgelegt?“

Mandant: „Ja, natürlich.“

Anwalt: „Und was hat er gesagt?“

Mandant: „Ich soll mich zum Teufel scheren.“

Anwalt: „Und was taten Sie dann?“

Mandant: „Ich bin sofort zu Ihnen gegangen!“


Der Staatsanwalt während der Verhandlung zum Pflichtverteidiger: „Herr Verteidiger, das sind ganz billige Argumente!“

Darauf der Anwalt: „Niemand bedauert das mehr als ich, glauben Sie mir, Herr Staatsanwalt!“


Und immer wieder schön.

Der Angeklagte zu seinem Verteidiger: „Wenn ich nur sechs Monate bekomme, zahle ich ihnen das Doppelte.“

Nach der Hauptverhandlung der Verteidiger zum Angeklagten: „Das war wirklich knapp. Die wollten Sie eigentlich freisprechen.“

Wochenspiegel für die 31. KW., das war leider wieder Corona, Corona, Corona, BGH und Diesel, Neues im GwG und Strafanzeige

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Hinter uns liegt die 31. KW., vor uns die 31.KW. Und an der „Schnittstelle“ dann den Wochenspiegel zu Themen, die in der ablaufenden Wpche andere Blogs „bewegt“ haben. Das waren – ein bisschen Corona ist derzeit immer 🙂 . Ich hoffe, dass es nicht (noch) mehr wird – wenn ich mir aber so das Verhalten einiger Mitbürger ansehen, befürchte ich dann doch, dass es wieder (noch) schlimmer werden wird.

  1. Reisen in Zeiten von Corona,

  2. OLG Hamm: Corona-Lockdown – Kein Anspruch auf Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung wenn nicht in Liste der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger aufgelistet,
  3. OVG Münster: Pflicht zum Tragen einer Alltagsmaske bzw. Mund-Nase-Bedeckung beim Einkaufen im Personenverkehr und anderen Situationen weiterhin rechtmäßig ,
  4. Schützt der Mundschutz vor biometrischer Gesichtserkennung?

  5. Vier neue entscheidende Urteile für Diesel-Käufer – Nutzen Sie unseren Schadensersatzrechner!,

  6. Neue Meldepflichten für rechtsberatende Berufe bei Immobilientransaktionen,

  7. LG Osnabrück: Schadensersatzansprüche wegen Herausgabe von Lichtbildern für die Polizeifahndung? ,

  8. Fristlose Kündigung – und zusätzlich Strafanzeige?,

  9. und aus meinem Blog: Strafzumessung III: Nachtatverhalten bei der Geldbußenbemessung, oder: “Corona-Abschlag”.

Aufwendungen für Strafverteidigung des Kindes, oder: Außergewöhnliche Belastungen nach dem EStG?

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Die zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ betrifft mit dem FG Hessen, Urt. v. 11.03.2020 – 9 K 1344/19 – eine steuerrechtliche Problematik. Es geht um die Frage, ob Eltern Aufwendungen von Eltern für ihr (heranwachsendes) Kind als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 EStG  geltend machen können.

Die als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Eltern/Kläger hatten in ihrer Einkommensteuererklärung 2017 beantragt, Strafverteidigerkosten für ihren 1999 geborenen Sohn in Höhe von 12.495 EUR als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anzuerkennen. Sie haben sich dabei auf die Urteile des BFH vom 23.05.1990 – III R 145/85, BStBl. II 1990, 895 und vom 30.10.2003 – III R 23/02, BStBl. II 2004, 267) gestützt. Das Finanzamt hat das abgelehnt. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Begründung des FG:

„Das Finanzamt hat zu Recht die geltend gemachten Aufwendungen für die Strafverteidigerkosten nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt.

Die Rechtsprechung des BFH zur Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung war vor Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG schwankend. Nach zunächst langjähriger und ständiger Rechtsprechung des BFH seit dem Urteil vom 05.07.1963 VI 272/61 S BStBl. II 1963, 499 stellten die Kosten eines Zivilprozesses grundsätzlich keine außergewöhnliche Belastung dar.

Eine Ausnahme wurde dann gemacht, wenn die Existenz des Steuerpflichtigen bedroht oder der Kernbereich menschlichen Lebens berührt war. Sodann änderte der BFH seine Rechtsprechung und erkannte Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung grundsätzlich an (BFH-Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10 BStBl. II 2011, 1015). Diese Rechtsprechung wurde erneut dahingehend geändert, dass Zivilprozesskosten nur unter den zunächst in der früheren Rechtsprechung genannten Ausnahmen anzuerkennen seien (BFH-Urteil vom 18.06.2015 VI R 17/14 BStBl. II 2015, 800; zum Vorstehenden vgl. Loschelder in Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 36. Aufl. § 217 § 33 Tz. 35 Stichwort „Prozesskosten“ und Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuergesetz § 33 Tz. 209).

Der zum 01.01.2013 eingefügte § 33 Abs. 2 S. 4 EStG regelt nunmehr gesetzlich die Frage der Abzugsfähigkeit von Prozesskosten.

Diese Norm betrifft grundsätzlich jedes gerichtliche Verfahren, somit auch Strafverfahren (Loschelder in Schmidt, Kommentar zum EStG 38. Aufl. 2019, § 33 Tz. 67; BFH-Urteil vom 18.05.2017 VI R 9/16 BStBl. II 2017, 988). Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 16.04.2013 IX R 5/12 BStBl. II 2013, 806 m.w.N.) stellen Strafverteidigerkosten eines rechtskräftig Verurteilten keine außergewöhnliche Belastung dar, da es an einer Unausweichlichkeit der Aufwendungen fehlt; Prozesskosten entstehen nur bei sanktionierten Straftätern, wobei die Straftat nicht unausweichlich war.

Vorliegend wurde der Sohn der Kläger wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte im erschwerten Fall tateinheitlich mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, tateinheitlich mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort verwarnt (neben Erteilung weiterer Auflagen). Dieser Strafausspruch ist der Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes – JGG – geschuldet. Der Sohn der Kläger wurde jedoch nicht freigesprochen, was im Rahmen der Anwendung des § 33 EStG von Bedeutung ist – wobei im Falle eines Freispruchs ohnehin keine Prozesskosten angefallen wären.

Der Sohn der Kläger hätte daher diese Kosten nicht als außergewöhnliche Belastung in Ansatz bringen können.

Nichts Anderes kann für den Fall gelten, dass – wie vorliegend – die Eltern die Kosten übernommen haben.

Die Kläger können sich nach Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG nicht (mehr) auf die BFH-Urteile vom 23.05.1990 III R 145/85 und vom 30.10.2003 III R 23/02 berufen. Zwar hat der BFH im Urteil III R 145/85 entschieden, dass die Kosten für die Strafverteidigung eines eines Verbrechens beschuldigten Kindes für die Eltern aus sittlichen Gründen zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG sein können und dies im Urteil III R 23/02 bei Jugendlichen und Heranwachsenden bejaht, bei Volljährigen jedoch offengelassen. Die Urteile stammen jedoch aus einer Zeit deutlich vor Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG und sind somit zu einer anderen Gesetzeslage ergangen und können nicht ohne weiteres auf die Gesetzeslage im vorliegend streitigen Zeitraum 2017, somit nach Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG, übertragen werden.

Der Senat vermag auch nicht der Rechtsauffassung der Kläger zu folgen, dass die neue Gesetzeslage insoweit unbeachtlich sei, da der Gesetzgeber die allgemeinen Grundsätze der früheren Rechtsprechung nicht habe wieder verändern oder einschränken wollen. Eine Gesetzesbegründung zu § 33 Abs.2 S.4 EStG liegt nicht vor (vgl. zur Entstehungsgeschichte Heim, DStZ 2014, 165). Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber angesichts des Wortlauts der Norm an die „alte“ Rechtsprechung des BFH anknüpfen wollte. Die (umstrittene) Problematik „Prozesskosten“ ist nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch nunmehr abschließend gesetzlich geregelt worden. Dass über die im Gesetz genannten

Einschränkungen hinaus noch weitere Ausnahmen, etwa bezogen auf Strafprozesskosten für Heranwachsende, vorgesehen werden sollten, ist nicht erkennbar. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig und umfasst somit sowohl eigene Prozesskosten auch als auch solche für Dritte (so auch Frotscher, Kommentar zum EStG, Lfg. 6/2018 § 33 Tz 101; Blümich, Kommentar zum EStG, § 33 EL. 5/2019 Tz. 242). Soweit Mellinghoff in Kirchhof, Kommentar zum EStG, 18. Aufl. § 33 Tz. 47c die Auffassung vertritt, dass Aufwendungen der Eltern für die Strafverteidigung ihres volljährigen Kindes als außergewöhnliche Belastung nur dann steuermindernd zu berücksichtigen sei, wenn es sich um ein innerlich noch nicht gefestigtes, erst heranwachsendes Kind handele, dessen Verfehlung strafrechtlich noch nach dem Jugendstrafrecht geahndet werden konnte, vermag der Senat dem aufgrund des neu eingefügten § 33 Abs. 2 S. 4 EStG, der – wie oben dargestellt – die Problematik „Prozesskosten“ abschließend und umfassend regelt, nicht zu folgen.

Da vorliegend nicht ersichtlich ist, dass die Kläger durch die Zahlung der Strafverteidigerkosten für Ihren Sohn Gefahr liefen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren und ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu konnten, ist ein Abzug dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nicht möglich, was vom Finanzamt zutreffend erkannt wurde.

Die Kläger können die Kosten auch nicht als Unterhaltsaufwendungen gemäß § 33 a EStG geltend machen, da diese Norm nur typische Unterhaltsaufwendungen (etwa Ernährung, Kleidung, Wohnung, Hausrat, notwendige Versicherungen) betrifft (Loschelder in Schmidt, Kommentar zum EStG, 38. Aufl. § 33 a Tz. 9 m.w.N.) und in § 33 Abs.2 S.4 EStG die vorliegende Konstellation – wie dargestellt – abschließend geregelt ist.“

Die Revision ist beim BFH München unter dem Aktenzeichen VI R 29/20, anhängig. Ich glaube, der BFH wird seine Rechtsprechung nicht ändern (können).

Ermittlungsverfahren von 3 Jahren 8 Monaten zu lang, oder: Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung

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Heute wird es im „Kessel Buntes“ ganz bunt.

Zunächst berichte ich nämlich über ein Urteil des OLG Schleswig. Es behandelt die mit der Entschädigung nach einem überlange Verfahren (§§ 198, 199 GVG) zusammenhängenden Fragen. Auf das OLG Schleswig, Urt. v. 26.06.2020 – 17 EK 2/19 – bin ich vor einiger Zeit von der Klägerin, der Landesbeauftragten für Datenschutz Schleswig-Holstein, Marit Hansen, hingewiesen worden. Gegen die wurde 2015 bis 2019 ein Ermittlungsverfahren geführt, nachdem ein gekündigter Mitarbeiter Strafanzeige erhoben hatte. Mit dem Verfahrensgang war die Landesbeauftragte nicht zufrieden und sie hat nach Einstellung des Verfahrens Entschädigungsklage eingereicht.

Da das Urteil mit rund 15 Seiten recht lang ist, eignet es sich nicht so gut dafür, hier Teile einzustellen. Ich muss also beschränken und wegen der Einzelheiten auf den Volltext verweisen. Hier will ich mich im Wesentlichen mit der PM des OLG Schleswig v. 26.06.2020 begnügen, die auch das Verfahren gegen den Mitarbeiter der ULD betrifft. In der heißt es:

„Dauer des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Kiel gegen die Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz

Die Dauer des gegen die Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) Marit Hansen und einen Mitarbeiter des ULD geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Kiel ist unangemessen lang gewesen. Dies hat der 17. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts heute entschieden.

Zum Sachverhalt: Die Leiterin und ein Mitarbeiter des ULD begehren gegenüber dem Land Schleswig-Holstein die Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer und eine geldwerte Entschädigung. Hintergrund der Klagen auf Wiedergutmachung ist ein gegen beide gerichtetes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel, das den Verdacht des Betruges bei der Abrechnung von Förderprojekten zum Gegenstand hatte. Das Ermittlungsverfahren wurde nach drei Jahren und acht Monaten im Juni 2019 eingestellt. Zu einer Rückforderung von Fördergeldern kam es nicht. Der 17. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat festgestellt, dass dieses gegen beide Kläger geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren unangemessen lange gedauert hat.

Aus den Gründen: Das Ermittlungsverfahren ist sowohl zeitlich als auch nach seiner inhaltlichen Ausgestaltung in mehrfacher Hinsicht unangemessen lang. Dies verletzt die Kläger in ihrem Anspruch auf eine effektive und der Unschuldsvermutung gerecht werdende Verfahrensgestaltung. Schon die Dauer des Verfahrens von drei Jahren und acht Monaten ist nach Art und Umfang der Vorwürfe eine deutliche Überschreitung dessen, was zeitlich noch eine als rechtsstaatlich anzusehende Verfahrensdauer darstellt. Zudem fehlte es an einer frühzeitigen und zielgerichteten Planung des Verfahrens, die sich am Nachweis strafbaren Verhaltens orientierte. Dadurch ist es zu absehbaren Verzögerungen gekommen, obwohl das Verfahren aufgrund der frühzeitig erfolgten Durchsuchung zu beschleunigen war. Gerade eine „prioritäre“ Behandlung hatte die Behördenleitung nach der ersten Verzögerungsrüge auch
zugesagt. Auch haben organisatorische Mängel in Form wiederholter Wechsel der zuständigen Staatsanwälte jedenfalls ab dem Jahr 2018 zu weiteren vermeidbaren zeitlichen Verzögerungen geführt. Es ist davon auszugehen, dass das Ermittlungsverfahren bei planvoller und effektiver Ausgestaltung und mit dem erforderlichen Personaleinsatz bis Ende 2017 hätte abgeschlossen werden können. Mit der gerichtlichen Feststellung der überlangen Verfahrensdauer und dem Verfahren vor dem Senat hat die Leiterin des ULD hinreichende Genugtuung erfahren. Sie konnte dort sowie im Vor- und Nachgang ihr Anliegen angemessen und medial beachtet darstellen. Anders liegt es im Fall des Mitarbeiters des ULD, dem aufgrund erlittener und noch andauernder beruflicher Nachteile zusätzlich eine Entschädigung von 1.800,00 € zu gewähren war.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteile vom 26. Juni 2020, Az. 17 EK 2/19 und 17 EK 3/19)“

Darüber hinaus will ich aus dem Urteil vom 26.06.2020 hier nur die allgemeinen Erwägungen des OLG zitieren, und zwar wie folgt:

1. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist die Dauer eines justiziellen Verfahrens dann als unangemessen lang anzusehen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Verfahrensgestaltung und die hierdurch bewirkte Verfahrensdauer das Ausmaß eines den Gerichten zuzubilligenden Gestaltungsspielraumes derart überschreiten, dass die Verfahrensgestaltung auch bei voller Würdigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege nicht mehr verständlich ist (BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 -, NJW 2014, 1816 ff., bei juris, Rn. 32, 34; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 -, WM 2014, 528 ff., bei juris, Rn. 36 ff.; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 -, NJW 2014, 789 ff., bei juris, Rn. 41 ff.).

Daher verbietet sich die Ausrichtung der Betrachtung an statistischen Durchschnittswerten (BGH a.a.O., ferner SchlHOLG, Urteil vom 8. April 2013 – 18 SchH 3/13 – SchlHA 2013, 248 ff., bei juris, Rn. 14). Vielmehr sind – mögen auch Auffälligkeiten im Verhältnis zum Durchschnitt vergleichbarer Verfahren erste Anhaltspunkte liefern – stets die einzelnen Verfahren gesondert zu untersuchen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28. März 2013 – 16 EntV 5/12, bei Juris), wobei allerdings wiederum in Rechnung zu stellen ist, dass im Gesamtverfahren Phasen von Verzögerung durch Phasen beschleunigter Verfahrensgestaltung kompensiert werden können (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 -, NJW 2014, 220 ff., bei juris, Rn. 30; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 -, WM 2014, 528 ff., bei juris, Rn. 37 f.). Auch kommt es bei der inhaltlichen Beurteilung einzelner Verfahrensschritte ähnlich der Situation im Amtshaftungsprozess nach Maßgabe des § 839 Abs. 2 BGB nicht auf die Richtigkeit, sondern auf die bloße Vertretbarkeit des Handelns an (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 -, NJW 2014, 789 ff., bei juris Rn. 45 f. an).

Zudem hat das Entschädigungsgericht bei der Bewertung eine ex-ante-Betrachtung vorzunehmen, die sich nicht an der inhaltlichen Ausgestaltung des Verfahrens, sondern allein an dessen objektivem Verlauf orientiert, denn es kommt nicht darauf an, ob die Verzögerung auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen oder ob der verfahrensführenden Behörde ein anderweitiger Vorwurf zu machen ist. Der Entschädigungsanspruch aus § 198 GVG ist ein staatshaftungsrechtlicher, verschuldensunabhängiger Anspruch, der es dem Anspruchsgegner auch verwehrt, sich auf systembedingte Umstände – wie zum Beispiel Personalknappheit und Arbeitsdichte – zu berufen (Graf in BeckOK § 198 GVG Rn.16, Rn.16; Krauß in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl.; Rn. 32 Nachtr § 198 GVG).

2. Bei Anlage dieses Maßstabes erweist sich das Ermittlungsverfahren 590 Js 55233/15 StA Kiel sowohl zeitlich als auch in seiner inhaltlichen Ausgestaltung in mehrfacher Hinsicht als unangemessen lang. Dies verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf eine effektive und der Unschuldsvermutung gerecht werdende Verfahrensgestaltung….“

 

Zunächst stellt schon die Dauer des Verfahrens von drei Jahren und acht Monaten im Hinblick auf Inhalt und Umfang der Tatvorwürfe eine deutliche Überschreitung der zeitlich noch als rechtsstaatlich anzusehenden Verfahrensdauer dar (hierzu unter a.). Aber auch organisatorische Mängel auf Seiten des Beklagten haben jedenfalls ab dem Jahr 2018 zu vermeidbaren zeitlichen Verzögerungen geführt (hierzu unter b.). Zudem hat der Beklagte – auch unter Berücksichtigung des der Staatsanwaltschaft Kiel als Herrin des Ermittlungsverfahrens zustehenden Gestaltungsspielraums – durch die anfängliche Ausgestaltung des Verfahrens erheblich dazu beigetragen, dass dieses schon in seiner Anlage wesentliche Ursachen für später eingetretene Verzögerungen aufwies, obwohl es aufgrund der frühzeitig erfolgten Durchsuchung bestmöglich zu beschleunigen war (hierzu unter c.). Schließlich zeigen sich – insbesondere im späteren Verlauf der Ermittlungen ab Ende 2016 / Anfang 2017 – wiederholt Phasen, in denen nur wenige bis keine zielführenden Ermittlungen mehr erfolgten, die auf einen Abschluss des Verfahrens gerichtet waren (hierzu unter d.).