„Geschwindigkeitsmessung mit Laserscanner TraffiStar S350: Update zur geplanten Umrüstung
Als Hersteller des Messgerätes TraffiStar S350 informieren wir zur Weiterentwicklung und Bewertung der aktuellen Lage.
1. August 2019
Am 9. Juli 2019 veröffentlichte der Saarländische Verfassungsgerichtshof sein Urteil vom 5. Juli 2019 zu einer Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit einem Geschwindigkeitsverstoß sowie mit der Frage nach Messdaten, die das Jenoptik-Messgerät TraffiStar S350 bei Verstößen gegen Tempolimits speichert.
Zwar ist das Urteil nur im Saarland rechtlich bindend, es verunsichert aber Kommunen in anderen Bundesländern, wie sie weiterhin gerichtlich sicher verwertbar gegen Temposünder vorgehen können. Unabhängig von unserer Bewertung des Urteils halten wir deshalb daran fest, mit einem Software-Update die Kritikpunkte aus dem Urteil zu sog. Rohmessdaten zu adressieren.
Ergänzend zu unserer Stellungnahme vom 9. Juli 2019 informieren wir als Hersteller des Messgerätes TraffiStar S350 zur Weiterentwicklung und Bewertung der aktuellen Lage.
Technische Entwicklung
Das für Juli angekündigte Software-Update umfasste die zusätzliche Speicherung von Daten der Geschwindigkeitsmessungen und war im technischen Ansatz vergleichbar mit anderen Lösungen im Markt.
Die Software-Entwicklung und interne Testphase war am 22. Juli abgeschlossen. Allerdings haben die weitere Entwicklung im Saarland sowie Einschätzungen von internen Experten und externen Branchenbeobachtern gezeigt, dass ein Risiko besteht, dass dieser Umfang der Umrüstung nicht dauerhaft bzw. im Saarland nicht die nötige Akzeptanz finden würde. Denn auch Anlagen anderer Hersteller mit einem technisch ähnlichen Ansatz wurden im Saarland abgeschaltet.
Das änderte die Entscheidungsgrundlage für Jenoptik maßgeblich: Statt dass wir eine kurzfristig realisierbare, aber aus juristischer Sicht womöglich nicht hinreichende Umrüstung unserer Anlagen starten, haben wir uns entschieden, die Software-Entwicklung fortzusetzen und eine andere, umfangreichere Option in den Markt zu bringen, die die zentrale Forderung des Urteils des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes eindeutig adressiert.
Die Weiterentwicklung der Software ist zum einen technisch deutlich komplexer: Gespeichert werden sollen weitere Daten, die zum Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung entstehen und somit als Messdaten zum jeweiligen Vorfall existieren. Das erhöht die Komplexität der Datensätze und folglich auch den Speicherumfang je dokumentiertem Geschwindigkeitsverstoß.
Zum anderen erfordert die Weiterentwicklung nicht nur zeitlich, sondern auch personell mehr Aufwand. Wir arbeiten an den Jenoptik-Standorten Monheim und Hildesheim mit höchster Priorität an der Software-Entwicklung für TraffiStar S350. Deshalb gehen wir aktuell davon aus, dass die Neuentwicklung und der anschließende Jenoptik-interne Test innerhalb weniger Wochen noch im dritten Quartal abgeschlossen werden kann.
Im Anschluss folgt die Prüfung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, mit der wir selbstverständlich im regelmäßigen Informationsaustausch stehen. Erst nach der Zulassung kann das Software-Update auf die Anlagen in Deutschland übertragen und eine neue Eichung der Anlagen durchgeführt werden.
Zulassung
Wie bereits Anfang Juli gemeldet, verweisen wir als Hersteller darauf, dass
die PTB-Zulassung für das Messgerät durch das Urteil nicht aufgehoben wird;
die Messtechnik zuverlässig und korrekt funktioniert;
TraffiStar S350 alle bestehenden gesetzlichen Regelungen für eichpflichtige Messgeräte nach dem Mess- und Eichgesetz (MessEG) sowie der Mess- und Eichverordnung erfüllt;
die im Einsatz befindlichen Messgeräte vom TraffiStar S350 über eine gültige Baumusterprüfbescheinigung der PTB verfügen und gültig konformitätsbewertet sind;
Geschwindigkeitsmessungen mit TraffiStar S350 ein standardisiertes Messverfahren darstellen.
Es gibt deshalb aus unserer Sicht keine Veranlassung, die Anlagen in anderen Bundesländern abgesehen vom Saarland abzuschalten.
Entwicklungen im Markt
In Baden-Württemberg hat das Verkehrsministerium entschieden, dass das Messgerät TraffiStar S350 weiterhin eingesetzt wird. Die Bußgeldbehörden des Landes wurden informiert, dass das o.g. Urteil des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes „keine unmittelbare Geltung für das Land Baden-Württemberg entfalte. Laufende Bußgeldverfahren in Baden-Württemberg, denen Messungen mit dem Geschwindigkeitsmessgerät Traffistar S350 des Herstellers Jenoptik zugrunde liegen, seien nicht von der Entscheidung des saarländischen Gerichts betroffen. Dieses Geschwindigkeitsmessgerät könne daher weiterhin zur Geschwindigkeitsüberwachung eingesetzt werden.” […] „Es bestehe für die Bußgeldbehörden des Landes kein Anlass, von der bisherigen Praxis der Geschwindigkeitsüberwachung abzuweichen. Demzufolge könnten die etwa 160 in Baden-Württemberg eingesetzten Geräte auch weiterhin betrieben werden.“
(Quelle: Pressemitteilung des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg vom 29. Juli 2019, „Kein Freibrief für Temposünder im Land“)
Entscheidungen lokaler Behörden in einzelnen Bundesländern kommentieren wir als Hersteller nicht. Unabhängig davon wollen wir die Betreiber der Messplätze in ihrer Arbeit für die Verkehrssicherheit weiterhin unterstützen und bleiben deshalb im engen Kontakt mit unseren Kunden.
Standardisiertes Messverfahren
Die Frage der Erforderlichkeit einer Speicherung von Rohmessdaten wird in der Rechtsprechung von Oberlandesgerichten mehrfach ausdrücklich verneint und damit klar anders als vom Saarländischen Verfassungsgerichtshof bewertet, darunter OLG Düsseldorf, Braunschweig, Oldenburg, Bamberg. Darüber hinaus begründet das OLG Celle die Entscheidung sehr nachvollziehbar, warum ein standardisiertes Messverfahren nur in begründeten Fällen einer Nachprüfung bedarf.
OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 10.1.2019 und 27.2.2019 und 8.4.2019
OLG Braunschweig, Beschluss vom 5.11.2018
OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.7.2018
OLG Koblenz, Beschluss vom 17.7.2018
OLG Bamberg, Beschluss vom 13.6.2018
Das TraffiStar S350-System erfüllt sowohl die gesetzlichen Vorgaben als auch die der PTB, was von der obergerichtlichen Rechtsprechung auch so bestätigt worden ist, zum Beispiel:
OLG Celle, Beschluss vom 12.12.2018
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.1.2017
OLG Schleswig, Beschluss vom 11.11.2016
OLG Bamberg, Beschluss vom 4.4.2016
Angesichts der OLG-Rechtsprechung ist die Beweissicherung zu einem Geschwindigkeitsverstoß im standardisierten Messverfahren weiterhin rechtssicher möglich. Ausgenommen ist davon aktuell das Saarland.
Plausibilisierung von Messwerten
Zur Debatte um eine nachträgliche Plausibilisierung von Messwerten, die mit einem staatlich zugelassenen Messgerät ermittelt wurden, verweisen wir auf zwei Experten-Beiträge:
Dr. Robert Wynands, Leiter des PTB-Fachbereiches Geschwindigkeit: „Vom Nutzen der Schätzung, oder was bringt uns eine nachträgliche Plausibilisierung?“
Dr. Dirk Teßmer, Richter am OLG Frankfurt am Main: „Plausibilisierung – eine Betrachtung aus juristischer Sicht“
Beide Artikel wurden veröffentlicht in den PTB-Mitteilungen Nr. 2/2019 vom 12. Juli 2019 mit dem Titel „60 Jahre ‚Blitzer‘ in Deutschland – der aktuelle Stand“. Die PDF ist per Download über den PTB-Link verfügbar.
Rechtliches Gutachten
Die Kanzlei GÖRG Rechtsanwälte Partnerschaft mbB kommt in ihrem Gutachten vom 19. Juli 2019 zu folgender Erkenntnis:
„Die Begründung dieses Urteils hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand:
Es gibt kein verfassungsrechtliches Gebot der vollständigen Datenspeicherung für Zwecke einer effektiven Verteidigung.
Zudem sind die Rohmessdaten kein vergleichsweise effektiveres Verteidigungsmittel, denn der SaarVerfGH hat selbst festgestellt, dass die Rohmessdaten das Messergebnis nicht nachvollziehbar machen, sondern lediglich Plausibilitätseinschätzungen erlauben.
Das Urteil ist seinerseits ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot, soweit der SaarVerfGH die Verwertbarkeit des Messergebnisses gänzlich verneint und die Verurteilung aufgehoben hat. Denn das Rechtsstaatsgebot verlangt im Interesse einer funktionierenden Strafrechtspflege eine restriktive Handhabung von Beweisverwertungsverboten. Hiermit ist es nicht vereinbar, dass das Messergebnis eines amtlich zugelassenen Messgerätes trotz einer erheblichen Geschwindigkeitsübertretung von 27 km/h (innerorts) überhaupt nicht verwertet wird und der Führer des Fahrzeuges straffrei ausgeht.
Das Urteil verstößt auch gegen Bundesrecht, weil es die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zum standardisierten Messverfahren außer Kraft setzt. Nach diesen Grundsätzen sind Messergebnisse standardisierter Verfahren grundsätzlich verwertbar und bedürfen keiner näheren Überprüfung, wenn der Betroffene keine konkreten Zweifel am Messergebnis geltend machen kann. Solche Zweifel waren im Ausgangsfall weder vorgetragen noch ersichtlich. Gleichwohl hat der SaarVerfGH den Betroffenen im Ergebnis freigesprochen, trotz einer innerörtlichen Geschwindigkeitsübertretung von 27 km/h.
Wegen der vorgenannten Mängel und weil die Rechtsprechung schon frühere Entscheidungen des SaarVerfGH mit ähnlicher Tendenz sehr kritisch aufgenommen und zum Teil deutlich zurückgewiesen hat, gehen wir nicht davon aus, dass eine Mehrzahl von Gerichten der Entscheidung des SaarVerfGH folgen wird.“
Schon „interessant“, was da zunächst als Software-Update zunächst geplant war und was man jetzt machen will. Geht also doch offenabr. Dann fragt man sich natürlich: Warum nicht eher?
Zu den beiden o.a. „Experten-Beiträgen“: Kein Kommentar 🙂 .
Und das sog. „Rechtsgutachten“. Warum verstößt das Urteil der VerfG Saarland gegen Bundesrecht? Es hat das standardisierte Messverfahren ausdrücklich anerkannt. Es verlangt u.a. nur – wie namhafte Stimmen in der Literatur auch – die Möglichkeit der (Vorab)Überprüfung. Über „Teufelskreis“ und „Black-Box“ haben wir ja nun schon genug geschrieben. Im Übrigen: Aus BGHSt 39, 291 folgt m.E. nichts anderes. Das gilt vor allem dann, wenn man den Hinweis des BGH auf BGHSt 28, 235 sieht.