Archiv für den Monat: Juli 2019

Kein Freibrief für Temposünder im Land, oder: Einfach frech die Baden-Württemberger

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Ich werde gerade auf die heutige Mitteilung des Verkehrsministeriums des Landes Baden-Württemberg gestoßen. Da heißt es unter der Überschrift: „Kein Freibrief für Temposünder im Land“:

„Blitzerdaten bleiben in Baden-Württemberg verwertbar

Das Verkehrsministerium hat heute (29. Juli 2019) die Bußgeldbehörden des Landes darüber informiert, dass das sogenannte Blitzerurteil des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs vom 05. Juli 2019 keine unmittelbare Geltung für das Land Baden-Württemberg entfalte. Laufende Bußgeldverfahren in Baden-Württemberg, denen Messungen mit dem Geschwindigkeitsmessgerät Traffistar S350 des Herstellers Jenoptik zugrunde liegen, seien nicht von der Entscheidung des saarländischen Gerichts betroffen. Dieses Geschwindigkeitsmessgerät könne daher weiterhin zur Geschwindigkeitsüberwachung eingesetzt werden.

Das oberste Gericht des Saarlandes hatte eine Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aufgehoben, weil es das Messergebnis des Messgerätes Traffistar S350 des Herstellers Jenoptik für unverwertbar gehalten hat. Zur Begründung führte das Gericht die unterbliebene Speicherung von Rohmessdaten an, die den Betroffenen in seinem Grundrecht auf effektive Verteidigung verletze.

Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg betonte, dass der Saarländische Verfassungsgerichtshof nicht die Korrektheit der Messung an sich beanstandet habe. Das Messgerät Traffistar S350 ist durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zugelassen und die mit ihm vorgenommenen Messungen sind das Ergebnis eines standardisierten Messverfahrens. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte – auch in Baden-Württemberg – sei in Bezug auf die Speicherung der Rohmessdaten vielfach zu einem anderen Ergebnis als der Saarländische Verfassungsgerichtshof gekommen. Für die Verwaltungspraxis in Baden-Württemberg seien die Entscheidungen der obersten Gerichte des Landes bis hin zum Verfassungsgerichtshof sowie diejenigen der Bundesgerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht maßgeblich. Es bestehe für die Bußgeldbehörden des Landes kein Anlass, von der bisherigen Praxis der Geschwindigkeitsüberwachung abzuweichen. Demzufolge könnten die etwa 160 in Baden-Württemberg eingesetzten Geräte auch weiterhin betrieben werden. „

Für mich einfach nur frech, wie man mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts (!!) eines anderen Bundeslandes umgeht. Das passt zum AG Minden, Beschl. v. 26.07.2019 – 15 OWi -502 Js 2879/18- 504/18 (dazu: AG Minden: Was interessiert uns das VerfG Saarland?, oder: “inhaltlich nicht überzeugend”).

AG Minden: Was interessiert uns das VerfG Saarland?, oder: „inhaltlich nicht überzeugend“

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Nachdem ich in der vergangenen Woche über den AG Bautzen, Beschl. v. 18.07.2019 – 43 OWi 620 Js 24643/18 berichtet habe, der das VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – LV 7/17 (vgl. dazu: OWi I: Paukenschlag II aus dem Saarland, oder: Traffistar S 350-Messungen nicht verwertbar) konsequent umgesetzt und das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt hat, berichte ich heute dann über einen Beschluss „von der anderen Seite“, die zu erwarten war.

Es handelt sich um den AG Minden, Beschl. v. 26.07.2019 – 15 OWi -502 Js 2879/18- 504/18 -, der dem Kollegen Rainer Herrmann aus Neuwied dort entgegengehalten worden ist. Das AG lehnt eine Einstellung des Verfahrens ab. Begründung:

„1. Nur die Gerichte des Saarlandes sind – vorbehaltlich einer abweichenden späteren Entscheidung eines Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts – an die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes gebunden (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 05. Juli 2019 — Lv 7/17).

2. Auch der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes stellt das standardisierte Messverfahren nicht in Frage. Bundesrechtlich vorgegeben und durch den Verfassungsgerichtshof nicht hinterfragbar – und im Übrigen auch ohne Weiteres verständlich – sind die Grundsätze der judikativen Verarbeitung der Ergebnisse standardisierter Messverfahren auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 05. Juli 2019 — Lv 7/17). Zum einen sind — materiell-rechtlich – die Ergebnisse standardisierter Messverfahren einer gerichtlichen Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen, solange und soweit keine substantiierten Einwände gegen ihre Validität erhoben werden (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 05. Juli 2019 — Lv 7/17).
Zum anderen sind formell-rechtlich – Gerichte nicht gehindert, die Ergebnisse standardisierter Messverfahren ihren Entscheidungen ohne nähere Darlegung ihrer Voraussetzungen und ihrer Richtigkeit zugrunde zu legen, solange und soweit keine substantiierten Einwände gegen ihre Korrektheit erhoben werden (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 05. Juli 2019 — Lv 7/17).

Insofern ist schon fraglich, ob der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hier nicht gerade von den ”durch ihn nicht hinterfragbaren“ Grundsätzen der judikativen Verarbeitung der Ergebnisse standardisierter Messverfahren auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen ist. Zumindest de facto wird die Verwertung der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens verhindert, indem eine zusätzliche Anforderung – Speicherung der Rohmessclaten zur möglichen nachträglichen Überprüfbarkeit der Messung — gestellt wird.

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes geht dabei davon aus, dass diese, den Entscheidungen (des Saarländischen Oberlandesgerichts und des Amtsgerichts Saarbrücken) zugrunde liegenden und von ihnen beachteten bundesrechtlichen und bundesgerichtlichen Grundsätze – soweit ersichtlich – durchweg für Fälle entwickelt worden sind, „in denen Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang zur Verfügung standen“. Fehle es an den Rohmessdaten und „vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener wie hier,- selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wend6t und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt“.

Bereits diese Voraussetzung — das standardisierte Messverfahren sei durchweg für Fälle entwickelt, „in denen Rahmessdaten für den konkreten Messvorgang zur Verfügung standen — ist aber falsch.

a) Dem Beschluss des BGH vom 19. August 1993 4 StR 627/92 BGHSt 39, 291-305, lässt sich das angewendete Messverfahren nicht entnehmen, ebenso wenig wie dem im Verfahrensgang vorhergehenden Vorlagebeschluss des OLG Köln vom 27.10.1992 – Ss 327/92 (B), NZV 1993, 79. Dass in diesem Verfahren Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang zur Verfügung standen, ist damit zumindest nicht positiv feststellbar und dürfte im Übrigen — bei einer Messung vor dem Jahr 1993 ¬unwahrscheinlich sein.

Bei diesem Beschluss handelt es sich um eine der einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, BGHSt 39, 291 ff. und 43, 277 ff., zum standardisierten Messverfahren (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – IV-1 RBs 50114).

b) Der BGH hat mit Beschluss vom 311 Oktober 1997, 4 StR 24/97, festgestellt, dass die Geschwindigkeitsermittlung mit dem Lasermessgerät LTI 20/20 auf einem anerkannten und weithin standardisierten Messverfahren beruht, wobei bei diesem Lasermessgerät nicht einmal eine fotografische Dokumentation erfolgt. Dass bei diesem Verfahren im Jahr 1997 gespeicherte und überprüfbare Rohmessdaten angefallen sind, kann ausgeschlossen werden. Es dürfte sich um ein Lasermessverfahren ohne fotografische oder elektronische Dokumentation, vergleichbar mit dem Lasermessgerät Riegl. FG 21 bzw. LR 90-235 handeln. Trotzdem war nach dem Beschluss des BGH eine erweiterte tatrichterliche Darlegungspflicht bei Geschwindigkeitsmessungen mit Lasermesssystemen nicht zu rechtfertigen. Es- galt weiterhin, dass der Tatrichter nur dann gehalten ist, die Zuverlässigkeit von Messungen, die mit einem anerkannten und weitgehend standardisierten Messverfahren gewonnen worden sind, zu überprüfen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler bestehen. Ergänzend hat der BGH darauf hingewiesen, dass „der in der Entscheidung vom 19. August 1993 verwendete Begriff „standardisiertes (Mess-)Verfahren“ (vgl. BGHSt 39, 297, 299, 302) nicht bedeutet, dass die Messung in einem voll automatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfinden muss“. Vielmehr ist hierunter ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH Beschluss vom 30. Oktober 1997, 4 StR 24/97). Diesen Anforderungen werden grundsätzlich auch Lasermessverfahren gereäht, bei denen die Geschwindigkeitsmessung von besonders geschultem Messpersonal unter Beachtung der Betriebsanleitung des Geräteherstellers und der Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt durchgeführt wird (BGH Beschluss vom 30. Oktober 1997, 4 StR 24/97).

Bei dem Beschluss handelt es sich um eine der einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, BGHSt 39, 291 ff, und 43, 277 ff., zum standardisierten Messverfahren (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – IV-1 RBs 50/14).

c) Mit Beschluss vom 03. April 2001 4 StR 507100 —, BGHSt 46, 358-373, hat der BGH entschieden, dass bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration im Sinne von § 24a Abs. 1 StVG unter Verwendung eines Atemalkoholmessgerätes, das die Bauartzulassung für die amtliche Überwachung des Straßenverkehrs erhalten hat, der gewonnene Messwert ohne Sicherheitsabschläge verwertbar ist, wenn das Gerät unter Einhaltung der Eichfrist geeicht ist und die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren gewahrt sind. Dabei war die gerätetechnische Zuverlässigkeit des geeichten Geräts Dräger Alcotest Evidential MK III von dem vorlegenden Oberlandesgericht nicht in Zweifel gezogen worden. Es ist in Übereinstimmung mit dem Bayerischen Oberlandesgericht davon ausgegangen worden, dass die Messung mit Hilfe dieses Geräts auf einem standardisierten Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruht, weshalb sich der Richter, wie auch in Fällen sonstiger technischer Messungen, mit Fragen der Messgenauigkeit in den Urteilsgründen nicht näher auseinanderzusetzen brauche, wenn keine konkreten Zweifel an der ordnungsgemäßen Messung naheliegen.

Bei dem Messgerät Dräger Alcotest 7110 Evidential MK III werden im Abstand von zwei Minuten Atemalkoholproben durchgeführt, die zwei Messwerte ergeben, aus denen das Gerät einen Mittelwert bildet. Dokumentiert wird dies durch einen Ausdruck der Ergebnisse der Messung. Rohmessdaten in dem Sinne, dass einem Sachverständigen eine nachträgliche Überprüfung der Messung an sich möglich wäre, sind nicht vorhanden. Neben dem Messergebnis werden auf dem Ausdruck zur Messung selbst nur Atemvolumen, Atemzeit und Atemtemperatur dokumentiert.

3. Auch inhaltlich überzeugt die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes nicht.

Er stützt seine Entscheidung auf das Recht, sich – gegebenenfalls konfrontativ – mit den von Strafverfolgungs- und Bußgeldbehörden aufgeführten Beweismitteln auseinandersetzen und „Waffengleichheit“ zwischen Strafverfolgungs- und Bußgeldbehörden und Verteidigung einfordern zu dürfen. Daraus folge, dass der Verteidiger eines von einem Straf- oder Bußgeldverfahren Betroffenen nicht nur die Möglichkeit haben müsse, sich mit den rechtlichen Grundlagen des gegen seinen Mandanten erhobenen Vorwurfs auseinanderzusetzen, sondern auch dessen tatsächliche Grundlagen auf ihr Vorliegen und ihre Validität prüfen zu dürfen. Sei ein Gericht – im Rahmen von Massenverfahren – befugt, sich auf standardisierte Beweiserhebungen zu stützen, ohne sie anlasslos hinterfragen zu müssen, so müsse zu einer wirksamen Verteidigung gehören, etwaige Anlässe, sie in Zweifel zu ziehen, recherchieren zu dürfen, sich also der Berechtigung der Beweiskraft der dem Gericht vorliegenden Umstände zu vergewissern.

Das Recht auf ein faires Verfahren zählt zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, insbesondere des Strafverfahrens mit seinen möglichen einschneidenden Auswirkungen auf den Beschuldigten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03, m.w.N.). Er darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03, m.w.N.). Dieses allgemeine Prozessgrundrecht setzt verfahrensrechtliche Vorkehrungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts voraus, ohne die das Schuldprinzip nicht verwirklicht werden kann, sowie einen Mindestbestand an verfahrensrechtlichen Mitwirkungsbefugnissen des Angeklagten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03). Das Recht auf ein faires Verfahren als eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält (aber) keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote; es bedarf der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 2 BvR 1071/03). Erst wenn sich bei .Berücksichtigung aller Umstände und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten unzweideutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können aus diesem allgemeinen Prozessgrundrecht selbst konkrete Folgerungen für die Ausgestaltung des Strafverfahrens im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens gezogen werden (BVerfG, Kammerbeschluss vorn 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03).
Dementsprechend geht es beim Recht auf ein faires Verfahren nicht darum dem Betroffenen einen maximal möglichen Bestand an verfahrensrechtlichen Mitwirkungsbefugnissen zu sichern und in allen Einzelheiten bestimmte Gebote und Verbote festzulegen. Zudem müsste sich unzweideutig ergeben, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind.

Bereits die Vielzahl der Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum standardisierten Messverfahren, von denen – soweit ersichtlich — keine einzige die Verpflichtung postuliert hätte, dem Betroffenen Rahmessdaten zur Verfügung zu stellen, wenn deren Speicherung auch nur technisch möglich gewesen wäre, dürfte aufzeigen, dass eine Unzweideutigkeit nicht gegeben ist. Ansonsten müsste man davon ausgehen, dass all diese Entscheidungen der Oberlandesgerichte unzweideutig verkannt hätten, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, wenn Rohmessdaten bei einem Messverfahren nicht zur Verfügung gestellt bzw. gar nicht erst gespeichert werden.

Im Gegenteil sind bereits Oberlandesgerichte einer früheren Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes (VerfGH Saarbrücken, Beschluss vorn 27. April 2018, 1 Lv 1/18) ausdrücklich entgegengetreten, obwohl diese einen Fall betraf, in dem Rahmessdaten sogar tatsächlich gespeichert, aber nicht zur Akte beigezogen wurden). OLG Bamberg, Beschluss vom 13. Juni 2018 -.3 Ss OVVi 626/18: „Die Ablehnung eines Antrags des Betroffenen auf Beiziehung, Einsichtnahme oder Überlassung digitaler Messdateien oder weiterer nicht zu den Akten gelangter Messunterlagen verletzt weder das rechtliche Gehör noch das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren. Es handelt sich um einen Beweisermittlungsantrag, über den der Tatrichter unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) zu befinden hat (Festhaltung u.a. an OLG Bamberg, Beschlüsse vom 4. April 2016, … entgegen VerfGH Saarbrücken, Beschluss vorn 27. April 2018, 1 Lv 1/18).“

OLG Oldenburg (Oldenburg) Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 23.07.2018, 2 Ss (OWi) 197/18: „Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 13.3.2017 (ZfSch 2017, 469 ff.) ausgeführt hat, verletzt ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe einer Kopie der Messdatei einschließlich etwaiger sogenannter Rahmessdaten, weder den Anspruch des Betroffenen auf. rechtliches Gehör, noch die Grundsätze des fairen Verfahrens. Hierauf wird zunächst verwiesen. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27. April 2018 (Lv 1/18) gibt dem Senat keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Der Senat folgt vielmehr dem OLG Bamberg (3 Ss OVVi 626/18, Beschluss vom 13.6.2018, juris), das sich ausführlich mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes auseinandergesetzt hat.

Die Grundsätze des fairen Verfahrens werden durch die in der Hauptverhandlung erfolgte Ablehnung eines Antrages auf Herausgabe der Rohmessdaten nämlich nicht verletzt.
Soweit der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes einen Anspruch auf Herausgabe nicht bei der Akte befindlicher Messdaten annimmt und hierzu ausführt, dass sich ablehnende Stimmen nur „vereinzelt“ finden würden, weist das OLG Bamberg in seinem Beschluss vom 13.6.2018 zunächst zutreffend auf eine ganze Reihe von Entscheidungen der Oberlandesgerichte hin, die die Auffassung des OLG Bamberg teilen. Auch der Senat ist mit seinem Beschluss vom 13.3.2017 (a.a.O.) von seiner vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes mehrfach zitierten Entscheidung vom 6.5.2015 (DAR 2015, 406 – dieser Entscheidung lag, ebenso wie derjenigen des Verfassur4sgerichtshofes des Saarlandes, die besondere Konstellation zugrunde, dass sich auch das Gericht gegenüber der Verwaltungsbehörde vergeblich um Herausgabe der Daten bemüht hatte) abgerückt, soweit es die Ablehnung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Beiziehung von Rohmessdaten betrifft.

Wenn der Verfassungsgerichtshof von einer Beibringungs- bzw. Darlegungsäst spricht, dürfte damit gemeint gewesen sein, dass es aus Sicht eines Betroffenen für seine Verteidigung hilfreich sein kann, wenn er -unabhängig von der Aufklärungspflicht des Gerichtes- Anhaltspunkte für mögliche Messfehler darlegen kann.

Wenn der Verfassungsgerichtshof hieraus folgernd einen Anspruch auf Herausgabe der Rohmessdaten unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen -Verfahrens,für gegeben hält, bedeutet das im Ergebnis letztlich nichts anderes, als dass er das standardisierte Verfahren als unfair ansieht.“

Auch der Vergleich mit anderen Beweismitteln zeigt, dass es bei der Anforderung dem Betroffenen Rohmessdaten zur Verfügung zu stellen, wenn deren Speicherung auch nur technisch möglich gewesen wäre, nicht um den „Mindestbestand an verfahrensrechtlichen Mitwirkungsbefugnissen des Angeklagten“ nach BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03, geht, sondern eher um das maximal Mögliche.

So kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch abgelehnt werden, wenn durch das Erstgutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits ‚erwiesen ist: Diese Begrenzung des Einflusses, den der Angeklagte auf Inhalt und Umfang der gerichtlichen Sachaufklärung nehmen kann, ist verfassungsrechtlich hinnehmbar (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03). Müsste das Gericht allen Anträgen des Angeklagten auf weitere Sachaufklärung nachgehen, gewänne der Angeklagte einen Einfluss auf Dauer und Umfang des Verfahrens, der über das zu seiner Verteidigung Gebotene hinausginge und dazu führen könnte, dass die rechtsstaatlich geforderte Beschleunigung des Strafverfahrens ernstlich gefährdet wäre (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03).

Nichts anderes gilt für den Zeugenbeweis. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage eines erwachsenen Zeugen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, die er ohne Hilfe eines Sachverständigen erfüllen kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht (BGH, Beschluss vom 08. Januar 2013 —1 StR 602/12). Auch die selbst veranlasste Begutachtung des Zeugen dürfte einem Angeklagten bzw. Betroffenen verwehrt sein, da der Zeuge nicht gezwungen werden kann, sich einer von diesem veranlassten Begutachtung zu unterziehen.

Auch die aussagepsychologische Beurteilung einer Zeugenaussage durch einen Gutachter lässt sich zum Vergleich heranziehen. Dabei ist der zu überprüfende Sachverhalt an Hand von anerkannten Realkennzeichen auf einen realen Erlebnishintergrund untersuchen und das erlangte Ergebnis ist durch die Bildung von Alternativhypothesen zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 — 1 StR 582/99). Mit dieser Hypothesenbildung soll überprüft werden, ob die im Einzelfall vorfindbare Aussagequalität durch sogenannte Parallelerlebnisse oder reine Erfindung erklärbar sein könnte (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 — 1 StR 582/99). Die Nullhypothese sowie die in der Aussagebegutachtung im wesentlichen verwendeten Elemente der Aussageanalyse (Qualität, Konstanz, Aussageverhalten), der Persönlichkeitsanalyse und der Fehlerquellen – bzw. der Motivationsanalyse sind gedankliche Arbeitsschritte zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage (BGH, Beschluss vorn 30. Mai 2000 — 1 StR 582/99).

Ob eine solche aussagepsychologische Beurteilung dem standardisierten Messverfahren durch von der PTB zugelassene Systeme zur Geschwindigkeitsmessung grundsätzlich überlegen ist, kann bezweifelt werden. Das — normierte — Prüfverfahren vor der eigens hierfür mit Sachmitteln und Fachpersonal ausgestatteten PTB bietet nämlich die bestmögliche Gewähr dafür, dass ein neu entwickeltes System zur Geschwindigkeitsmessung die in der Eichordnung (EO) festgelegten Anforderungen erfüllt, also die in Anlage 18, Abschnitt 11 zu § 33 EO festgelegten Verkehrsfehlergrenzen einhält und eine korrekte Zuordnung der Messwerte zu den jeweils abgelichteten Fahrzeugen gewährleistet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – IV-1 RBs 50/14). Wie sich aus der im Internet (www.ptlide/cms/fachabteilungen/abt1/fb-13/stellungnahme.html, letzte Änderung: 26. August 2013) veröffentlichten Stellungnahme der PTB zum Urteil des AG Aachen vom 10. Dezember 2012 (DAR 2013, 218) ergibt, liegt speziell im Fall des Messgerätes PoliScan Speed der Prüfumfang bei bislang mehr als 20.000 Einzelmessungen; die ausnahmslos im laufenden Straßenverkehr, also unter
realen Bedingungen, erfolgt sind (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – RBs
50/14). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch im Stadium nach der Bauartzulassung eines Messgerätes eine weitere laufende Kontrolle gewährleistet bleibt, denn die PTB als zuständige technische Oberbehörde hat im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags Hinweisen auf Messfehler nachzugehen, für das Abstellen der Fehler zu sorgen und — wenn notwendig — die erteilte Bauartzulassung zurückzunehmen, § 25a E0 (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – RBs 50/14).

Die Formulierung, dass andernfalls der Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wäre, ist dabei wenig hilfreich.

Genauso gut könnte man bei einer Beweisführung durch Zeugen formulieren, dass der Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der Zuverlässigkeit der Bekundungen des Zeurgen und dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 261 StPO ausgeliefert wäre, ohne dass deswegen der Zeugenbeweis abgeschafft werden müsste.“

Dazu könnte man viel schreiben, aber was bringt es? Es ist schon ein „juristischer Treppenwitz“ nun gerade die Entscheidung des OLG Bamberg vom 13.06.2019 – die m.E. – wenn auch nicht bei anderen OLG – höchst umstritten ist und andere – m.E. falsche – OLG-Entscheidungen zum „Einsichtsrecht“ als Beleg dazu anzuführen, dass das Urteil des VerfG Saarland falsch. Es ist aber auch immer wieder erfrischend zu lesen, wenn ein AG einem VerfG mal so richtig die Leviten liest. Das OLG Bamberg und der OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 (vgl. dazu: Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt). lassen grüßen.

Dabei hat das AG m.E. verkannt, worum es dem VerfG Saarland geht – nämlich eine Überprüfbarkeit der Messverfahren, die m.E. auch nach der Rechtsprechung des BGH gegeben sein muss. Aber das haben wir ja alles schon tausend Mal erörtert. Man will es einfach nicht verstehen. Ich hoffe, dass nur „man nicht will“. Wenn „man es nicht kann“, wäre es schlimmer.

Interessant auch das Prozedere in Minden: Der Kollege – so seine Info – bringt in der Hauptverhandlung den Beschluss des VerfG Saarland ins Spiel gebracht. Daraufhin unterbricht der Richter die Hauptverhandlung, kommt nach gut 15 Minuten wieder und verkündet den o.a. Beschluss. Ohne Aktenzeichen. Das und der Umfang des Beschlusses legen die Vermutung nahe, dass der Beschluss bereits fertig in der Schublade gelegen hat. Hauptsache der Richter hat ihn dort auch selbst hingelegt. :-). Kann natürlich auch sein, dass er sich die rund acht Seiten mal eben so aus dem Ärmel geschüttelt hat.

Fazit: Der Kampf geht weiter, was micht nicht überrascht. das war zu erwarten.Was ganz hoffnungsvoll stimmt, sind die Berichte in der Presse, dass in einigen Bundesländern – also nicht nur im Saarland – die entsprechenden Messgeräte nicht mehr verwendet werden. Ganz so blöd, wie das AG Minden meint, sind die Verfassungsrichter im Saarland dann offenbar doch nicht.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Sind auch die Auslagen für den HVT ohne den Angeklagten festzusetzen?

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Am Freitag hatte ich die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Sind auch die Auslagen für den HVT ohne den Angeklagten festzusetzen?, die in der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ zur Diskussion gestellt worden war, hier eingestellt.

Bei FB hatte ich darauf kurz und knapp geantwortet: “

„Burhoff/Volpert, RVG, Teil A Rn. 1347“

Der kundige Leser weiß: Das ist der Hinweis auf „Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Auflage“. Leider hatte der Kollege den Kommentar nicht zur Hand 🙂 , so dass ihm eine Kollegin mit einem Scan der Fundstelle ausgeholfen hat. Und mich hatte sie gefragt, ob ich, wenn ich die Frage zum Rätsel mache, darauf hier ebenso kurz antworte. 🙂

Ja, das tue ich, allerdings: Ich möchte nicht heute zig Anfragen bekommen, was denn dort nun steht, daher stelle ich das hier dann – ausnahmsweise – mal online. Also: An der zitierten Stelle heißt es.

„Eine Einschränkung des Grundsatzes der Erstattungsfähigkeit der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts besteht auch dann, wenn der Rechtsanwalt zwar eine zulässige, aber zwecklose Tätigkeit erbracht hat. Das soll z.B. der Fall sein, wenn der Verteidiger zu einem wegen schuldhafter Abwesenheit des Angeklagten abgesagten Termin erscheint (LG Krefeld, JurBüro 1986, 1539; LG Osnabrück, Nds.Rpfl. 1997, 312; LG Trier, Rpfleger 1977, 106; LG Wuppertal, Beschl. v. 20.10.1988 – 23 Qs 430/88; AG Koblenz, NStZ-RR 2007, 327; Meyer-Goßner/Schmitt, § 464a Rn 10; kritisch OLG Düsseldorf, JurBüro 2012, 358 = Rpfleger 2012, 463 = RVGreport 2013, 232 = StRR 2012, 397; vgl. zur Terminsgebühr für einen geplatzten Termin Vorbem. 4 VV Rdn 93 ff.). Da im Kostenfestsetzungsverfahren gem. § 464b StPO über die Notwendigkeit von Kosten zu entscheiden ist, ist auch die Prüfung der Notwendigkeit von Terminswahrnehmungen umfasst (vgl. auch vgl. auch Teil A: Kostenfestsetzung und Erstattung in Bußgeldsachen, Rdn 1299 ff.).

Hiergegen wird zutr. eingewandt, dass bei schuldhafter Säumnis des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin eine Kürzung des Erstattungsanspruchs nur vorgenommen werden kann, wenn der Erstattungsanspruch bereits entsprechend in der Kostengrundentscheidung beschränkt worden ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.3.1988 – 1 Ws 193/88; OLG Zweibrücken, Rpfleger 1979, 344; LG Mühlhausen, StraFo 2003, 435; LG Wuppertal, JurBüro 1984, 1059).“

Und der kundige Leser weiß auch, was jetzt kommt 🙂 , nämlich <<Werbemodus an>>: Den o.a. Kommentar kann man hier auf der Bestellseite meiner Homepage bestellen.>> Werbemodus aus. Hat man das Werk im Haus, kann man sich schnell und gut selbst informieren 🙂 .

Spätfolgen des G20-Gipfel in HH, oder: Belehrung vor Identitätsfeststellung

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Und von ganz oben – dem BVerfG – nach ganz unten 🙂 , nämlich zu einer AG-Entscheidung. Das AG Hamburg hat im AG Hamburg, Beschl. v. 28.05.2019 -1171 Gs 436/18 jug. – zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Identiätsfeststellung Stellung genommen.

In der Sache geht es um die Rechtmäßigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung und die damit verbundene Freiheitsentziehung des Betroffenen. Hintergrund ist ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs im Zusammenhang mit Ausschreitungen während des G20-Gipfels Anfang Juli 2017. Der POK pp. hatte am 25.10.2017 gegen 08.00 Uhr vor dem AG Hamburg-Altona innerhalb einen 14-köpfigen Gruppe, in der sich auch der Betroffene befand, jemanden erkannt, der dem bereits verurteilten pp. ähnelte. Es werden dann Maßnahmen der Identitäötsfeststellung durchgeführt. Dagegen der Antrag nach 3 98 Abs. 2 StPO analog.

Das AG sagt: Anfangsverdacht ja, aber:

„2. Die Maßnahme wurde jedoch unter Verstoß gegen § 163b Abs.1 2.Hs StPO i.V.m. § 163a Abs.4 S.1 StPO durchgeführt. Danach ist der Betroffene bei Beginn der ersten Maßnahme darüber zu belehren, welcher Straftat er anfangsverdächtig sein soll.

Aus dem polizeilichen Einsatzbericht vom 25.10.2017 ergibt sich lediglich folgender Hinweis (BI. 5 in Soko-SB/5K/0686869/2017): „Nach Zusprache durch den Beamten pp. konnten in dem Lokal pp. insgesamt 14 Personen unter Darlegung des Grundes angehalten und überprüft werden.“ Weitere Hinweise auf eine Belehrung ergeben sich auch nicht aus den Einzelprotokollen zu den jeweiligen Identitätsfeststellungen. In der Anhaltemeldung bezüglich des Betroffenen (BI. 8 In Soko-SB/5K/0686869/2017) sind lediglich Anhalteort und Sachdaten nebst kurzer Personenbeschreibung aufgeführt. Die Stellungnahme vom 11.12.2018 enthält insofern auch keinen vom Beschwerdevorbringen abweichenden Sachvortrag. Die Formulierung „unter Darlegung des Grundes“ lässt allenfalls erkennen, dass die Zielrichtung der Maßnahme, nämlich das Fertigen von Fotos mitgeteilt wurde, nicht aber, dass es zu einer weitergehenden Belehrung über die zur Last gelegten Straftaten gekommen ist.

In rechtlicher Hinsicht führt eine zu Beginn unterlassene vorschriftsmäßige Belehrung dazu, dass die Maßnahme insgesamt nicht rechtmäßig ist (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 10.05.2012, III-3 RVs 33/12, 3 RVs 33/12, Leitsatz 2, Rn. 9 – zitiert nach juris). Diese Belehrungspflicht soll nach obergerichtlicher Rechtsprechung sogar eine wesentliche Förmlichkeit darstellen, deren Nichtbeachtung die Diensthandlung sogar unter dem restriktiveren Rechtmäßigkeitsbegriffs des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB unrechtmäßig erscheinen lässt (a.a.O.).

Ausnahmen sollen dann bestehen, wenn der Grund der Personalienfeststellung für den Betroffenen offensichtlich ist oder die Belehrung den Vollstreckungszweck gefährden würde (a.a.O., Rn. 10-11). Davon wird man im vorliegenden Falle jedoch nicht ausgehen können. Allein aus dem Umstand, dass sich in der Gruppe um den Betroffenen auch der strafrechtlich in Erscheinung getretene pp. befand, musste es für den Betroffenen nicht „offensichtlich“ sein, dass auch gegen ihn ein Anfangsverdacht einer Straftat bejaht wurde. Gleichfalls lässt sich nicht erkennen, warum die Mitteilung eines konkreten Anfangsverdachts die weiteren Ermittlungsmaßnahmen gefährdet haben sollte. Denn diese dienten ersichtlich zur Gewinnung von Bildmaterial, das mit dem bereits gesicherten Videobildmaterial abgeglichen werden sollte. Letzteres war aber bereits vorhanden und der Einflussmöglichkeit des Betroffenen entzogen, sodass dieser eine Bestätigung des Anfangsverdachts nicht weiter hätte verhindern können. Im Übrigen ist aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 163a Abs.4 S.1 StPO von etwaigen Ausnahmen nur höchst zurückhaltend auszugehen.

3. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass § 163b Abs.1 S.2 StPO keine Rechtsgrundlage dafür ist, den Betroffenen – nur weil er sich in einer Personengruppe aufgehalten hat – so lange festzuhalten, bis die Maßnahme gegenüber allen Gruppenmitgliedern abgeschlossen ist. Gegen das Vorbringen des Betroffenen, dass die Maßnahme gegen ihn persönlich bereits um ca. 10.20 Uhr abgeschlossen gewesen sei, hat die Antragsgegnerin inhaltlich keine Einwendungen erhoben. Da Akten regelmäßig chronologisch geordnet sind und sich die Anhaltemeldung des Betroffenen bereits auf BI. 8 (Soko-SB/5K/0686869/2017) befindet und er somit an Position 2 von 14 bearbeitet wurde, findet das Vorbringen des Betroffenen auch einen Anknüpfungspunkt in der Aktenlage. § 163c Abs.1 S.1 StPO enthält dazu die ausdrückliche Regelung, dass die betroffene Person in keinem Fall länger festgehalten werden darf, als zur Feststellung der Identität unerlässlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.07.2006, 2 BvR 1255/04, Rn. 21-23 – zitiert nach juris). Zur Identitätsfeststellung des Betroffenen war es aber nicht unerlässlich, ihn in einem separaten Raum festzuhalten, bis auch die übrigen Gruppenmitglieder bearbeitet waren. Wenn sich für die Polizei aus präventiv-polizeilichen Gesichtspunkten Gründe dafür ergeben, den Betroffenen von einer bestimmten Örtlichkeit fernzuhalten, so muss ggf. auf polizeirechtlicher Grundlage nach Gefahrenabwehrrecht eine gesonderte Entscheidung getroffen werden.“

BVerfG: Diebstahl oder Hehlerei, oder: Wahlfeststellung verfassungsgemäß

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In die 31. KW. starte ich dann heute mit etwas schwerer Kost, nämlich mit dem BVerfG, Beschl. v. 05.07.2019 – 2 BvR 167/18. Das ist die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung.

Das LG hatte die Angeklagten alternativ wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) oder gewerbsmäßiger Hehlerei (§ 259 Abs. 1, § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in 19 beziehungsweise 15 Fällen zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Revision gegen dieses Urteil hatte der BGH mit BGH, Urt. 25.10.2017 – 2 StR 495/12 – verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, mit der geltend gemacht worden ist, dass die echte Wahlfeststellung gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße, weil die Verurteilung in der Wahlfeststellungssituation nicht auf einer gesetzlichen, sondern auf einer dritten, ungeschriebenen Norm beruhe. Des Weiteren verletze die gesetzesalternative Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet angesehen und dazu im Wesentlichen folgende Kernaussagen getroffen.

  • Die Wahlfeststellung zwischen (gewerbsmäßig begangenem) Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei verletzt nicht das Bestimmtheitsgebot. Denn: Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze bestimmen in dieser besonderen Beweissituation die Voraussetzungen, unter denen das Tatgericht trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel eine Verurteilung auszusprechen hat. Die Regeln zur Wahlfeststellung dienen nicht dazu, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, was allein Aufgabe des Gesetzgebers ist; sie ermöglichen ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken.
  • In der Wahlfeststellungssituation kommt auch keine außergesetzliche Norm zur Anwendung. Der Angeklagte wird ausschließlich wegen der Verletzung alternativ in Betracht kommender – gesetzlich bestimmter – Einzelstraftatbestände (wahldeutig) verurteilt.
  • Die ungleichartige Wahlfeststellung verletzt nicht den von Art. 103 Abs. 2 GG erfassten Grundsatz „nulla poena sine lege“, der das Gebot der Gesetzesbestimmtheit auch auf die Strafandrohung erstreckt. Das Tatgericht entnimmt Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand, genauer dem Gesetz, das für den konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulässt.
  • Die gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen trägt der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung hinreichend Rechnung. Denn: Zwar kann dem Angeklagten in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung eine konkrete, schuldhaft begangene Straftat nicht nachgewiesen, insoweit ein eindeutiger Tat- und Schuldnachweis nicht geführt werden. Andererseits steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte sicher einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen schuldhaft verwirklicht hat. Zweifelhaft ist nicht, ob sich der Angeklagte nach einem bestimmten Tatbestand strafbar gemacht hat, sondern aufgrund der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts, welches Strafgesetz verletzt ist.
  • Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage zur Vermeidung der Gerechtigkeit widersprechender Ergebnisse ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen eine eindeutige Tatfeststellung und ein eindeutiger Tatnachweis nicht möglich sind. Die Möglichkeit einer Wahlfeststellung darf nicht dazu führen, dass die weitere Aufklärung des Tatsachenstoffs unterbleibt.

Das Vorstehende beruht(e) auf der PM des BVerfG. Die Einzelheiten bitte im Beschluss des BVerfG selbst nachlesen.