Archiv für den Monat: Mai 2018

Privat-SV-Gutachten führt zur Einstellung des OWi-Verfahrens, oder: Dann Kostenerstattung

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So, und zum Abschluß bringe ich heute dann den AG Eisleben, Beschl. v. 25.04.2018 – 12 OWi 284/16, den mir der Kollege Ratzka aus Eisleben geschickt hat. Es geht mal wieder um die Erstattung von Kosten eines Sachverständigengutachtens nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitun, wozu das Gutachten beigetragen hat. Die Bußgeldbehörde hatte die Erstattung abgelehnt, und zwar mit der immer wieder kehrenden Begründung: Die Einholung eines Privatgutachtens könne immer nur dann notwendig sein, wenn Mängel vorliegen, die zur Einholung des Gutachtens drängen, d.h., wenn die bisher geführten Ermittlungen unzureichend waren. Allerdings sei es den Betroffenen auch in diesen Fällen zuzumuten, die Behebung solcher Ermittlungslücken durch das Gericht oder die Ermittlungsbehörden zu beantragen.

Das AG hat das zu Recht anders gesehen:

„Die von der Betroffenen geltend gemachten Auslagen für das Gutachten der VUT i.H.v. 1.061,41 € hingegen wurden von der Bußgeldbehörde zu Unrecht nicht festgesetzt. Gemäß § 464a StPO sind die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Hierbei verkennt das Gericht nicht die überwiegend vertretene Ansicht, dass die Einholung eines Privatgutachtens im Rahmen eines Bußgeldverfahrens zwar zweckmäßig erscheinen mag, jedoch nicht notwendig ist (vergleiche hierzu Meyer-Gossner, § 464 Buchst. a, Rn. 16). Auch die Rechtsprechung des Landgerichts Halle (Beschluss vom 11.02.2016 Az. 3 QS 20/16) hat das Gericht nicht außer Acht gelassen. Allerdings weicht der vorliegende Sachverhalt deutlich von dem durch das Landgericht Halle zu entscheidenden Fall ab. Im vorliegenden Fall nämlich hat die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid auf Grundlage einer Messung erlassen, die ersichtlich nicht den Auswertekriterien des Herstellers entsprach. Die Betroffene konnte daher auch aus der Sicht ex ante nicht darauf vertrauen, dass die Bußgeldbehörde von Amts wegen, also aus eigenem Antrieb, ihren Bußgeldbescheid wieder zurücknehmen werde, wenn ihr nicht aufgrund gutachterlicher Tätigkeit Veranlassung hierzu gegeben worden wäre, das Verfahren zu weiteren Aufklärung und Stellungnahme der hierfür zuständigen Stelle im Hause vorzulegen. Bei einer aufmerksamen Prüfung des Messfotos hätte die Bußgeldstelle bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides Veranlassung gehabt, diese Erklärung herbeizuführen, da sie dies nicht getan hat, war es aus Sicht der Betroffenen nicht nur zweckmäßig, sondern auch notwendig, die Messung mittels eines von ihr eingeholten Gutachtens überprüfen zu lassen. Sie kann also nun nicht darauf verwiesen werden, durch das Stellen entsprechender Anträge bei der Bußgeldbehörde hätte ein Privatgutachten vermieden werden können. Da letztlich auch ex post betrachtet das Sachverständigengutachten entscheidungserheblich geworden ist, da es letztlich zur Einstellung des Verfahrens geführt hat, sind der Betroffenen die durch die Einholung des Gutachtens entstandenen Kosten auch zu erstatten.“

Fahrverbot nach Rotlichtverstoß an einer Baustellenampel, oder: Passt

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Und als zweite Entscheidung am heutigen Tag kommt der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 08.03.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 107/18. Thematik? Fahrverbot nach einem qualifizierten Rotlichtverstoß, allerdings an einer Baustellenampel, auf der Grundlage folgenden Sachverhalts

„Der Betroffene befuhr am 3. März 2017 um 7:18 Uhr in 66999 Hinterweidenthal, die Alte B10, Kaltenbach Höhe Shell-Tankstelle als Fahrer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen pp. und missachtete das Rotlicht der Lichtzeichenanlage einer damals dort bestehenden Baustelle, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde dauerte. Die Lichtzeichenanlage schaltete auf Rotlicht um und der PKW vor dem Betroffenen hielt bis zum Stillstand an. Der ca. 10 m dahinter fahrende Betroffene verlangsamte zunächst seine Geschwindigkeit, scherte dann aber nach links aus und fuhr an dem stehenden PKW vorbei in den Baustellenbereich trotz deutlichem Rotlicht.“

Dem OLG reichen zwar an sich diese Feststellungen nicht, aber:

bb) Das Amtsgericht hat zwar über die Mitteilung, dass es sich um die Lichtzeichenanlage einer Baustelle gehandelt habe, keine näheren Feststellungen zu den örtlichen und in sonstiger Weise verkehrsrelevanten Umständen getroffen. Dies ist hier indes unschädlich, weil die Annahme eines Regelfalls schon aufgrund des Fahrverhaltens des Betroffenen gerechtfertigt ist.

(a) Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Bußgeldkatalogs ist, dass überhaupt einer der dort bezeichneten Regelfälle vorliegt, dass also die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder subjektiv noch objektiv Besonderheiten aufweist. Der Annahme eines Regelfalls können daher besondere Umstände in der Person des Betroffenen und/oder der konkreten Begehungsweise des Verkehrsverstoßes entgegenstehen (Gübner in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 771 m.w.N.). Der Normgeber hat eine schärfe Ahndung der Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase im Hinblick darauf für angezeigt gehalten, dass dieses Verhalten als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.09.1994 – 5 Ss (OWi) 299/94, NZV 1995, 35; s.a.: BGH, Beschluss vom 24.06.1999 – 4 StR 61/99, juris Rn. 13 = BGHSt 45, 134). Der Anwendungsbereich der Bestimmung beschränkt sich jedoch nicht auf den Schutz des Querverkehrs. Auch wenn ein Wechsellicht allein dem Schutz des Gegen- oder Diagonalverkehrs dient, sind ohne weiteres Gefährdungen bevorrechtigter Verkehrsteilnehmer, die auf das eigene Grünlicht vertrauen, möglich. (BayObLG, Beschluss vom 16.10.1996 – 1 ObOWi 611/96, NZV 1997, 242; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.07.1999 – 2a Ss (Owi) 197/99, juris Rn. 17). Das Entstehen einer konkreten Gefährdungslage ist – wie auch sonst (vgl. Senat, Beschluss vom 13.12.1993 – 1 Ss 202/93, NZV 1994, 160) – nicht erforderlich (BayObLG, Beschluss vom 6.3.2003 – 1 ObOWi 58/03, juris Rn. 9). Mit Blick auf die Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bestimmte Verhaltensformen als regelmäßig besonders gefährlich und deswegen als grundsätzlich verboten einzustufen, reicht es aus, wenn eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayObLG, Beschluss vom 30.12.1996 – 2 ObOWi 940/96, juris Rn. 16 f.). Besteht aber noch nicht einmal eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, so kann – sofern nicht andere gewichtige Gesichtspunkte vorliegen – die Indizwirkung des Regelbeispiels hierdurch entkräftet sein. Sind im konkreten Fall Umstände ersichtlich, die einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer entgegenstehen können, bedarf es hierzu näherer Feststellungen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Annahme eines typischen qualifizierten Rotlichtverstoßes gleichwohl gerechtfertigt erscheint (BayObLG, Beschluss vom 16.10.1996, NZV 1997, 242; OLG Dresden, Beschluss vom 02.08.2002 – Ss (OWi) 631/02, juris Rn. 14 f.). Ein solcher Umstand, der nähere Feststellungen zu den konkreten örtlichen und in sonstiger Weise verkehrsrelevanten Umständen erforderlich macht, ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung das Vorliegen einer einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.09.1994 – 5 Ss (OWi) 299/94, NZV 1995, 35; OLG Dresden aaO. sowie die Nachweise bei Deutscher in Burhoff aaO. Rn. 1617).

(b) Feststellungen etwa zum Vorliegen einer einspurigen Verkehrsführung sowie zur Länge und Übersichtlichkeit des betroffenen Fahrbahnbereichs hat das Amtsgericht nicht getroffen. Anlass hierzu bestand aber bereits deshalb, weil nach der Wertung des Zeugen S, bei dem es sich offenkundig um einen für die Beurteilung von Verkehrssituationen sachkundigen Polizeibeamten handelt, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht eingetreten ist. Ob dies lediglich dem Umstand geschuldet war, dass kein Gegenverkehr herrschte, oder ob wegen der Übersichtlichkeit der Baustelle und/oder eines Kolonnenverkehrs (hierzu: OLG Köln, Beschluss vom 26.08.1993 – Ss 327/93, NZV 1994, 41) ein Einfahren des Gegenverkehrs in den vom Betroffenen befahrenen Straßenbereich von vornherein auszuschließen war, bleibt danach offen.

(c) Dieser Darstellungsmangel wirkt sich aber nicht aus. Denn die Annahme eines groben Verkehrsverstoßes, der in seinem Gewicht den vom Regelfall erfassten üblichen Begehungsweisen entspricht, ist hier auch dann noch gerechtfertigt, wenn trotz des Rotlichtverstoßes eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen wäre. Denn der Betroffene ist, obwohl die Lichtzeichenanlage schon Rotlicht zeigt, an einem vor der Ampel anhaltenden Fahrzeug vorbeigefahren. Dies stellt bereits ein grob verkehrswidriges Verhalten dar, welches in der Gesamtschau die Annahme des Regelbeispiels rechtfertigen kann (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.07.1999 – 2a Ss (OWi) 197/99, juris Rn. 19; s.a. Deutscher aaO. Rn. 1617).“

Und drei Stunden Verkehrstherapie reichen natürlich auch nicht für ein Absehen vom Fahrverbot. „Passt also“.

Messung mit Messverfahren M5 RAD2 (VDS) ist standardisiert, oder: Auf den Altar

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Heute dann der zweite OWi-Tag. Und zu Beginn eine weitere Entscheidung zu Messverfahren, und zwar der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.04.2018 – IV 2 RBs 59/18. Der hebt ein weiteres Messverfahren – das Verfahren M5 RAD2 (VDS) – auf den Altar der OLG. Das Verfahren wird vom OLG nämlich – soweit erichtlich zum ersten Mal in der Rechtsprechung – zum standardiserten Messverfahren „ernannt“.

„Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Betroffene erhebt – jedenfalls ausdrücklich – nur die Rüge der Verletzung des materiellen Rechts. Diese Rüge ist nicht begründet.

Entgegen der Ansicht des Betroffenen weisen die Erwägungen des Amtsgerichts, die den Feststellungen zu der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit zugrunde liegen, einen Rechtsfehler nicht auf. Das Amtsgericht gelangt rechtsfehlerfrei ausgehend von der Annahme, dass hier ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen sei, zu der Überzeugung von der Fehlerfreiheit der Messung.

a) Bei dem hier zum Einsatz gekommenen Verfahren M5 RAD2 (VDS) handelt es sich um ein sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung (BGHSt 39, 291). Allerdings ist zu diesem speziellen Messverfahren, soweit ersichtlich, bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung ergangen. Der Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 25. Januar 2017 (Az. IV-2 RBs 10/17, veröffentlicht bei NRWE und juris) zu dem Messverfahren M5 Speed desselben Herstellers geäußert gehabt.

Unter einem standardisierten Messverfahren ist ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277, 284).

Die Geschwindigkeitsüberwachungsanlage M5 RAD2 des Herstellers VDS Verkehrstechnik GmbH ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) unter dem Zulassungszeichen 18.11/14.01 zur Eichung zugelassen worden (vgl. https://www.ptb.de/cms/ptb/fachabteilungen/abt1/fb-13/ag-131/geschwindigkeits-ueberwachungsgeraete.html).

Die Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt als antizipiertes Sachverständigengutachten enthebt das Tatgericht, soweit das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden ist, grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgerätes. Die Zulassung ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei den Massenverfahren in Bußgeldsachen nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss. Die Überprüfung und Zulassung des Messgerätes durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt bietet grundsätzlich eine ausreichende Gewähr dafür, dass die Messung bei Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen für den Einsatz auch im Einzelfall ein fehlerfreies Ergebnis liefert (vgl. OLG Düsseldorf [1. Senat für Bußgeldsachen], BeckRS 2014, 15458; BeckRS 2015, 19880; OLG Frankfurt DAR 2015, 149; OLG Zweibrücken DAR 2017, 399; KG Berlin VRS 131, 308).

Der Tatrichter muss sich nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (BGHSt 39, 291, 301). Die bloß denkbare Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit des Messergebnisseserfordert seine Nachprüfung nicht.

b) Solche Anhaltspunkte für Zweifel lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Der Betroffene leitet seine Einwendungen – im Übrigen urteilsfremd – allein aus Hinweisen in einem von ihm dem Amtsgericht vorgelegten Privatgutachten ab, nach denen der Privatsachverständige bestimmte Prüfungen nicht vornehmen konnte, weil ihm die zugehörigen Informationen (Konformitätsbescheinigung, originale Messdatei)gefehlt hätten. Allein die fehlende Überprüfung oder Nachprüfungsmöglichkeit für einen Privatsachverständigen ist aber nicht geeignet, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung zu wecken.“

Das sind sie wieder die sattsam bekannten Formulierungen: Antizipiertes Sachverständigengutachten – finde ich übrigens nicht in der StPO den Begriff – usw.

Nachträgliche Einspruchsbeschränkung, oder: Dafür braucht der Verteidiger eine „ausdrückliche Ermächtigung“

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So, und zum Schluss dann heute der OLG Bamberg, Beschl. v. 03.04.2018 – 3 Ss OWi 330/18. Es geht um die nachträgliche Einspruchsbeschränkung . Nach dem OLG-Beschluss stellte sich folgender Sachverhalt:

„Nach Einspruchseinlegung beschränkte der vom damaligen Verteidiger mit einer „Terminsvollmacht“ beauftragte Unterbevollmächtigte in der ohne den Betr. stattfindenden Hauptverhandlung am 03.08.2017 ohne zusätzliche Erklärung zum Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigung den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch. Nachdem der Unterbevollmächtigte eine Rücknahme des Einspruchs bis spätestens 04.10.2017 „zugesichert“ hatte, setzte das AG die Hauptverhandlung aus. Entgegen der „Zusicherung“ wurde der Einspruch in der Folgezeit jedoch nicht zurückgenommen. Aufgrund dessen verurteilte das AG den Betr. am 11.12.2017 zu einer Geldbuße von 320 € und verhängte gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot. Das von der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung ausgehende AG hat keine Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen.“

Das OLG Bamberg hat aufgehoben:

„2. Die vom unterbevollmächtigten Verteidiger der ersten Instanz in der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betr. erklärte Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch nach § 67 II OWiG ist unwirksam. In der nachträglichen Beschränkung des zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruchs liegt eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs, die durch den Verteidiger gem. § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO nur mit ausdrücklicher Ermächtigung des Betr. erklärt werden konnte. Eine solche lag indes nicht vor.

a) Die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs stellt eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs dar (vgl. auch LR/Jesse StPO 26. Aufl. [2014] § 302 Rn. 44), weil hierdurch der Prüfungsumfang des Gerichts reduziert wird. Dem steht nicht entgegen, dass im Falle einer Revision deren Beschränkung auf bestimmte Beschwerdepunkte, die mit der Revisionsbegründung vorgenommen wird, nicht als Teilrücknahme in diesem Sinne, sondern lediglich als Konkretisierung des zunächst offen gebliebenen Anfechtungsumfangs anzusehen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 13.06.1991 – 4 StR 105/91 = BGHSt 38, 4 = NStZ 1991, 501 = MDR 1991, 979 = BGHR StGB § 64 Ablehnung 4 = BGHR StPO § 302 II Beschränkung 2 = AnwBl. 1991, 599 = wistra 1991, 348 = NJW 1991, 3162 = StV 1992, 7; Urt. v. 23.10.1991 – 3 StR 321/91 = StV 1992, 10 = NStZ 1992, 126 = BGHR StGB § 24 I 1 Versuch, unbeendeter 25 = BGHR StGB § 46 I Kronzeuge 1 = BGHR StPO § 260 III Freispruch 3 = BGHR StPO § 302 I Konkretisierung 1 = MDR 1992, 393 = NJW 1992, 989 = JZ 1992, 536). Dieser Grundsatz, von dem dann eine Ausnahme gemacht wird, wenn die Beschränkung der Revision erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erfolgt (BGH, Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 100/13 = NStZ-RR 2013, 352 = BGHR StPO § 302 I Rücknahme 7), kann auf den Einspruch nicht übertragen werden. Denn er beruht allein auf der Besonderheit des Revisionsrechts, wonach der Bf. gem. § 344 I StPO die Erklärung abzugeben hat, inwieweit er das Urteil anfechten will (KG, Beschl. v. 19.02.1999 – 2 Ss 419/985 Ws (B) 717/98 [bei juris]). Dagegen wird durch den Einspruch, der nach der gesetzlichen Regelung gerade keiner Begründung bedarf, der Bußgeldbescheid in vollem Umfang angefochten, sofern er nicht bereits mit der Einlegung nach 67 II OWiG auf einen bestimmten Beschwerdepunkt beschränkt ist (KG a.a.O.; i.E. ebenso für die Berufung OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2010 – 2 Ss 618/10 = Justiz 2011, 104 = OLGSt StPO § 302 Nr. 10 und für den Einspruch gegen den Strafbefehl OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.06.2010 – 1 RVs 71/10 = NStZ 2010, 655 sowie LR/Jesse § 302 Rn. 44).

b) Die demnach gem. § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO für die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch erforderliche ausdrückliche Ermächtigung durch den Betr. lag nicht vor.

aa) Aus den Vollmachtsurkunden, die für den Verteidiger der ersten Instanz sowie den Unterbevollmächtigten ausgestellt worden waren, ergibt sich eine solche Befugnis nicht. Ungeachtet dessen, dass eine in der schriftlichen Vollmachtsurkunde enthaltene Ermächtigung nur dann ausreichend wäre, wenn die Vollmacht gerade zu dem Zweck der Einlegung des Rechtsbehelfs erteilt worden wäre (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 31.08.2016 – 2 StR 267/16 [bei juris] m.w.N.), ist in den vorgelegten Vollmachtsurkunden ohnehin eine ausdrückliche Ermächtigung zur Rücknahme oder Beschränkung des Rechtsbehelfs gerade nicht aufgenommen.

bb) Da allerdings für die nach § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung, die im Zeitpunkt der Erklärung der Einspruchsbeschränkung vorgelegen haben muss, keine besondere Form vorgeschrieben ist und der Nachweis auch nachträglich, etwa durch eine anwaltliche Versicherung, erbracht werden kann (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 06.12.2016 – 4 StR 558/16 = NStZ-RR 2017, 185; 04.2015 – 1 StR 112/15 = NStZ-RR 2016, 24; 05.02,2014 – 1 StR 527/13 [bei juris]; Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 100/13 = NStZ-RR 2013, 352 = BGHR StPO § 302 I Rücknahme 7), hat der Senat entsprechende Ermittlungen durchgeführt. Hiernach ist indes nicht davon auszugehen, dass der Betr. seine in erster Instanz für ihn tätigen Verteidiger ausdrücklich zur Beschränkung seines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ermächtigt hatte. Der Hauptbevollmächtigte hat sich mit dem Hinweis, dass ihm weder das Sitzungsprotokoll noch das Urteil der ersten Instanz zur Verfügung stehen, „außerstande gesehen“, die ihm gestellte Frage, ob er vom Betr. zur Beschränkung des Einspruchs ermächtigt war und ob er den Unterbevollmächtigten entsprechend ermächtigt hat, zu beantworten. Der Betr. hat erklärt, er habe seinem Verteidiger gegenüber zwar durchaus zum Ausdruck gebracht, dass sein „Hauptanliegen“ das Entfallen des Fahrverbots sei, eine ausdrückliche Besprechung zur „prozessualen Vorgehensweise“ habe jedoch seiner Erinnerung nach nicht stattgefunden. Die Einholung einer Stellungnahme des Unterbevollmächtigten war bei dieser Sachlage nicht mehr geboten, zumal er seine Befugnis zur Rechtsmittelbeschränkung allenfalls vom Hauptbevollmächtigten ableiten konnte, dieser aber schon nicht über eine entsprechende Ermächtigung verfügte.“

Traffistar S 350, oder: Keine Urteilsgrundlage

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Urheber Sebastian Rittau

Als zweite Entscheidung heute dann das AG Heidelberg, Urt. v. 18.01.2018 – 17 OWi 540 Js 21713/17, auf das der Kollege Gratz im VerkehrsRechtsblog ja schon hingewiesen hat. Auch in der Entscheidung geht es um eine Geschwindigkeitsmessung, und zwar mit TraffiStar S 350. Das AG hat den Betroffenen frei gesprochen. Begründung: Die Geschwindigkeitsmessung mit TraffiStar S 350 ist unverwertbar, weil das Gerät weder Rohmessdaten noch Zusatzdaten zu den Messungen in der Falldatei zur nachträglichen Überprüfung abspeichert und die Messung daher nicht überprüft werden kann:

Wie dem Gericht aus vorangegangenen Verfahren mit dem Messgerät TraffiStar S350 bekannt ist, beruht die Messung hierbei auf einer digitalen Geschwindigkeitsmessung mittels Laserimpuls-Laufzeitmessung. Die Messung erfolgt mittels Lichtimpulsen, die vom Gerät ausgesendet und von getroffenen Objekten reflektiert werden. Diese werden vom Gerät wieder empfangen, durch den Zeitunterschied von ausgesendetem und empfangenem Impuls wird über die konstante Lichtgeschwindigkeit der Impulse die Entfernung zum Objekt bestimmt. Bei einem sich bewegenden Objekt wird dann aus der Änderung der Entfernung die Geschwindigkeit ermittelt. Bei einer geräteintern gültigen Messung löst das Gerät gemäß der Bedienungsanleitung spätestens 5 m nach Messende ein Foto aus. Hierfür berechnet das Gerät aus der gemessenen Geschwindigkeit des jeweiligen Fahrzeugs die Fotoposition. Hierbei wird außerdem die Position einer Auswertehilfe bestimmt, die der Zuordnung des Messwerts zu einem bestimmten Fahrzeug dient und die in das Messfoto eingeblendet wird.

Das Messgerät erlaubt allerdings in der hier verwendeten Softwareversion, im Gegensatz zur Vorgängerversion, keine Plausibilitätskontrolle mehr. Sofern Rohmessdaten noch abgespeichert werden, haben Sachverständige hierauf keine Zugriffsmöglichkeit mehr. Damit ist einem unabhängigen Sachverständigen eine Rückrechnung der gefahrenen Geschwindigkeit tatsächlich nicht mehr möglich. Vielmehr ist man bei diesem Messgerät gehalten, sich auf die eingeblendete Datenleiste im Tatfoto (vgl. AS 9) blind zu verlassen. Die dort aufgeführte Geschwindigkeit lässt sich allerdings in keiner Weise nachvollziehen. Eine Weg-Zeit-Berechnung ist anhand der vorliegenden Daten nicht möglich. Ein tatsächlicher Grund, warum die entsprechenden Rohmessdaten bei dieser Version nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, ist nicht zu erkennen und auch nicht nachvollziehbar.

Im Gegenteil, vielmehr wurde bei dem Messsystem poliscan-speed mittlerweile erreicht, dass mit der Speicherung von „nur“ 5 Messdaten in einer xmi-Datei zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglicht wurde. Damit wird vor dem Gedanken des „fair-trail“ der Betroffene nicht mehr darauf verwiesen, einem Gerät zu glauben, dass es die Geschwindigkeit, mit der er gemessen wurde, richtig berechnet hat; ihm wurde die Möglichkeit eröffnet, diese Geschwindigkeitsmessung nachzuvollziehen.

Durch den Wegfall dieser Möglichkeit wurde eine Überprüfung der Messung schlicht unmöglich gemacht. Allein die Zulassung dieses Gerätes durch die PTB reicht demgegenüber nicht zur richterlichen Überzeugungsbildung, dass es sich um eine ordnungsgemäße, nicht zu beanstandende Messung handelt.

Das Amtsgericht Stralsund hat mit Urteil vom 07.11.2016 (Az. 324 OWi 554/16) bereits entschieden, das das Messgerät TraffiStar S350 von vornherein die Möglichkeit ausschließe, die Zuverlässigkeit der Messung etwa durch Sachverständigenbeweis zu überprüfen und somit die Amtsermittlungsmöglichkeit quasi standardisiert beschnitten sei, eine Anerkennung als standardisiertes Messverfahren somit nicht mehr in Betracht käme. Hierbei stützt sich das Amtsgericht auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Kassel vom 24.08.2016, welches ebenfalls Messwerte mit diesem Messgerät als Beweismittel im standardisierten Verfahren verworfen hat, weil die eingesetzte Technik die Weg-Zeit-Berechnung nicht nachvollziehbar mache. Dementsprechend ging vom Regierungspräsidium Kassel mit Schreiben vom 29.08.2016 eine Empfehlung an alle hessischen Kommunen, keine Anzeigen mit derartigen Messungen mehr an das Regierungspräsidium weiterzuleiten, da sie vorerst keine Verfahren mehr mit diesem Messsystem einleiten werden.

Bei dieser Sachlage fehlt es nach wie vor an einem tauglichen Beweismittel, um die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung nachvollziehen zu können.

Hier geht es zum erwähnten: AG Stralsund, Urt. v. 07.11.2016 – 324 OWi 554/16 …….