Archiv für den Monat: November 2016

Wochenspiegel für die 47. KW., das war Richterscore, R. Wendt, Maas, beA und gebrauchtes Sexspielzeug

© Aleksandar Jocic - Fotolia.com

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Auch in dieser Woche gibt es natürlich wieder einen Wochenspiegel, obwohl ich in (Arbeits)Urlaub auf Borkum war. In dem Überblick berichte ich dann heute über:

  1. Stärke 10 auf Richterscore,
  2. Rainer Wendt mal wieder, dazu passt: Polemischer Dreisprung,
  3. Maas’ Murks – der nächste !,
  4. TraffiStar S 350 als standardisiertes Messverfahren?,
  5. OLG Brandenburg widerspricht der PTB – und diese sich dann auch selbst,
  6. BGH verneint Störerhaftung für passwortgesichertes WLAN,
  7. „Elektronischer Rechtsverkehr und beA“ ein Seminarbericht,
  8. Gewisse Verärgerung,
  9. Ein strafrechtlicher Fallstrick für Anwälte,
  10. und dann war da noch: OLG Hamm: Wer Sexspielzeug kauft muss es behalten.

Fahrradsturz ohne Berührung im Begegnungsverkehr: Beweislast beim Radfahrer

entnommen openclipart.org

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Um eine Schadensersatzklage gegen eine Pkw-Fahrerin ging es im OLG Hamm, Urt. v. 02.09.2016 – 9 U 14/16. Eine 75 Jahre alte Radfahrerin hatte mit ihrem Fahrrad einen (nur) 3 m breiten Weg befahren. Aus entgengesetzter Richtung näherte sich eine Pkw-Fahrerin mit einem 1,70 m breiten Mercedes-Benz. Noch bevor sich die Beteiligten begegneten, stürzte die Geschädigte. Dabei fiel sie mit dem Kopf auf die Fahrbahn. Die Pkw-Fahrerin wich aus und geriet mit ihrem Fahrzeug in den rechtsseitigen Bewässerungsgraben. Bei dem Geschehen berührten sich Pkw und Fahrrad bzw. die Geschädigte nicht. Die Geschädigte erlitt durch den Sturz schwere Kopfverletzungen, durch die sie ins Koma fiel. Sie verstarb im September 2014. Von der Fahrerin, der Fahrzeughalterin sowie der Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs verlangten die für die Geschädigte zuständige Krankenkasse und die Pflegekasse die Erstattung aufgewandter Behandlungs- und Pflegekosten.

Das LG hatte die Klage abgewiesen. Das OLG hat das bestätigt. Stürze ein Radfahrer auf einer schmalen breiten Straße ohne ein entgegenkommendes Fahrzeug zu berühren, müsse der geschädigte Radfahrer beweisen, dass sein Sturz durch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs mit beeinflusst wurde. Die bloße Anwesenheit eines fahrenden Fahrzeugs an der Unfallstelle reiche insoweit nicht aus:

„Wie das Landgericht zutreffend ausführt, setzt das haftungsbegründende Tatbestandsmerkmal „bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ grundsätzlich voraus, dass sich in dem jeweiligen Unfallgeschehen eine von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr realisiert hat und das Schadensgeschehen dadurch insgesamt mitgeprägt wurde (BGH, Urteil vom 26.04.2005, Az.: VI ZR 168/04, zitiert nach juris). Dabei muss die Unfallursache im Betrieb des Kraftfahrzeuges begründet sein, d.h., dieses muss durch seine Funktion als Fortbewegungs- und Transportmittel das Unfallgeschehen in irgendeiner Form mit beeinflusst haben. Bei einem Unfallgeschehen ohne tatsächliche Berührung der Verkehrsteilnehmer, wie es auch vorliegend der Fall ist, setzt der BGH weitergehend voraus, dass das Fahrzeug durch seine Fahrweise zur Entstehung des Unfalls beigetragen haben muss. Die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle reiche hierzu nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 04.05.1976, Az.: VI ZR 193/74, zitiert nach juris). Bei Betrieb des Kraftfahrzeuges geschehe ein Unfall jedoch auch dann, wenn er unmittelbar durch ein Verhalten des Verletzten oder eines Dritten ausgelöst werde, dieses Verhalten aber seinerseits in zurechenbarer Weise durch das Kraftfahrzeug mitverursacht werde. Eine solche weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals entspreche dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG (BGH, Urteil vom 19.04.1988, Az.: VI ZR 96/87, zitiert nach juris). Somit genüge es für die Annahme des Merkmals „bei Betrieb“ grundsätzlich auch, wenn der Unfall sich infolge einer Abwehr- oder Ausweichreaktion der verunfallten Person ereigne, auch wenn diese zwar objektiv nicht erforderlich gewesen sei, jedoch im Zusammenhang des konkreten Verkehrsgeschehens subjektiv vertretbar erscheine (vgl. OLG Celle, Urteil vom 07.06.2001, Az.: 14 U 210/00, zitiert nach juris; vgl. aber weitergehend BGH, U.v. 21.09.2010 – IV ZR 263/09 – NJW 2010, 3713 und U.v. 21.09.2010 – VI ZR 265/09 – SVR 210, 466, wonach auch subjektiv die Ausweichreaktion nicht erforderlich sein muss oder sich für den Fahrer des anderen Fahrzeugs aus seiner Sicht als die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Kollision zu vermeiden.).

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Auswirkung der Betriebsgefahr bei dem Unfallgeschehen bei den Klägerinnen liege.

Es hat insoweit festgestellt, dass die Geschädigte die 3 m breite und asphaltierte Straße aus ihrer Sicht äußerst rechts befahren habe. Sodann sei sie, als sich Pkw und Fahrrad noch in einigem Abstand zueinander befunden hätten, ins Straucheln geraten und gestürzt. Die Beklagte zu 2) habe sodann ihr Fahrzeug in den rechtseitigen Graben gelenkt, um die auf der Straße liegende Geschädigte nicht zu überfahren. An diese Feststellungen ist der Senat grundsätzlich nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gebieten.

Auf der Basis der vom Landgericht getroffenen Feststellungen lässt sich ein Zusammenhang zwischen der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr und dem Sturz der Geschädigten nicht herstellen.

Weder die in der vom Landgericht und vom Senat beigezogenen Ermittlungsakte festgehaltenen Angaben der Beklagten zu 1) und 2) und weiterer Zeugen ergeben einen Anhaltspunkt dafür, dass die Geschädigte dem Fahrzeug der Beklagten zu 2) mit ihrem Fahrrad ausgewichen und auf dem unbefestigten Seitenstreifen in Straucheln geraten ist, noch lässt sich ein derartiges Ausweichmanöver aus der Breite der asphaltierten Fahrbahn oder der Endlage der Geschädigten oder ihres Fahrrades nach dem Sturz herleiten…..“

Pkw-Führer fährt wütendem anderen Verkehrsteilnehmer über den Fuß: Wer haftet wie?

© bluedesign - Fotolia.com

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Bei manchen Sachverhalten von gerichtlichen Entscheidungen frage ich mich: Wirklich passiert? Muss dann aber jeweils wohl, denn sonst gäbe es ja die gerichtliche Entscheidung nicht.

So ist es mir beim LG Karlsruhe, Urt. v. 10.06.2016 – 20 S 16/16. Da ging es um den Streit von zwei Pkw-Führern um das Vorrecht an einer Fahrbahnverengung. Der eine Pkw-Führer hat dann nach Passieren der Verengung den anderen verfolgte und „gestellt“. Es kam an dem Pkw des anderen Pkw-Führers zu einem Disput. Der andere Pkw-Fahrer ist dann schließlich mit seinem Pkw los gefahren und hat – davon geht das LG aus – den Fuß des anderen Pkw-Führers überrollt. Der hat dann auf Schadensersatz geklagt. Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das LG aufgehoben. Es geht von einer überwiegenden eigenen Verantwortung des Klägers aus.

Dazu nur der amtliche Leitsatz des LG Karlsruhe – wegen der umfangreicheren Beweiswürdigung:

„Ein aufgebrachter Verkehrsteilnehmer, der verbal einschüchternd gegenüber einem Fahrzeugführer auftritt und Tätlichkeiten gegenüber dem Pkw verübt, muss mit dessen Flucht aus dieser bedrohlichen Situation rechnen. Kommt es bei dem Fortfahren zu Verletzungen des Verkehrsteilnehmers, kann eine Haftung des Fahrzeugführers aus §§ 823 Abs. 1, BGB 11 S. 2 StVG, 115 VVG aufgrund überwiegender eigener Verantwortlichkeit des Geschädigten entfallen.“

Also: Keep cool 🙂 .

Ich habe da mal eine Frage: Sind ein Strafverfahren und eine zivilrechtliche Abmahnung „dieselbe Angelegenheit“?

© AllebaziB - Fotolia

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Während meines letzten Urlaubs erreichte mich die Anfrage eines Kollegen, der hier ungenannt bleiben möchte. Ich darf aber seine Anfrage anonym einstellen, was ich dann hiermit tue:

„Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff,

ich bin Mitglied im ppppp. Anwaltsverein und habe von dort netterweise den Hinweis auf Ihr Forum bekommen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob meine Frage in das Forum passt.

Mir stellt sich gerade eine Frage, die Sie vielleicht schon einmal behandelt haben oder bei der Sie sonst einen kollegialen Hinweis geben können, wofür ich dankbar wäre.

Sind ein Strafverfahren und eine zivilrechtliche Abmahnung in Bezug auf denselben Lebenssachverhalt (Rechtswidriges zur Schau stellen von Nacktbildern meiner Mandantschaft im Internet)  „dieselbe Angelegenheit“ im Sinne von § 12 BORA (Umgehungsverbot), d.h. muss die zivilrechtliche Abmahnung dem Kollegen übersandt werden, der den Täter im Strafverfahren vertritt oder kann die zivilrechtliche Abmahnung ohne Berufsrechtsverstoß an den Täter gesendet werden ?

Die Frage stellt sich mir auch wegen der Kostenerstattung: Wenn der Kollege nicht zuständig ist und dann direkt eine Unterlassungserklärung vom Täter abgegeben wird, könnte ggf. die Kostenerstattung nach RVG für die Abmahnung verweigert werden ?

In den mir vorliegenden Kommentierungen im Feuerich/Weyland und Hartung findet sich dazu nichts.“

M.E. sowohl gebührenrechtlich als auch berufsrechtlich interessant, oder?

Der BGH und die „unvertretbar niedrige“ Strafe, oder: Aufhebung

© eyetronic Fotolia.com

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Das LG hat die Angeklagten „wegen vielfacher, teils banden- und gewerbsmäßig begangener Betrugstaten und (banden- und gewerbsmäßiger) Urkundendelikte schuldig gesprochen. Es hat deswegen verurteilt die Angeklagten G. und L. jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten,  die Angeklagten K. und Ki. jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und den Angeklagten H. unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten.“ Zum Teil sind die Strafen zur Bewährung ausgesetzt worden.

Dem BGH passt im BGH, Beschl. v. 25.10.2016 – 5 StR 162/16 – die Strafhöhe nicht. Sie ist nach seiner Auffassung zu niedrig. Die Revision der StA hatte daher Erfolg:

„1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn sich beispielsweise die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs soweit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraumes liegt (st. Rspr. vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 6/15; dort nicht abgedruckt; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. Rn. 833).

Gemessen hieran ist die Entscheidung des Landgerichts nicht mehr hinnehmbar. Die banden- und gewerbsmäßig handelnden Angeklagten haben pro-fessionell mit hohem Organisationsgrad (UA S. 57 f.), unter Nutzung von Gesellschaften und Fälschung zahlreicher Unterlagen eine Vielzahl von Straftaten mit einem Schaden von etwa 400.000 Euro zum Nachteil der Berliner Sparkasse begangen (Fälle 1 bis 3). Darüber hinaus haben sie sich mit einer Beuteerwartung von weiteren mehreren hunderttausend Euro zu Straftaten ähnlichen Charakters verabredet oder haben versucht, sie zu begehen (Fälle 4 bis 7). Angesichts dessen sind die verhängten Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafen auch unter Berücksichtigung der vom Landgericht zugunsten der Angeklagten angeführten Gesichtspunkte unvertretbar niedrig. Es ist dabei – ausgenommen die erste Gesamtfreiheitstrafe betreffend den Angeklagten H. – zu besorgen, dass das Landgericht nicht nur die Bemessung der Gesamtstrafen, sondern auch bereits der Einzelstrafen so vorgenommen hat, dass die Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 134; vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 321; zum Ganzen Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO Rn. 189). Auf die durch den Generalbundesanwalt erhobenen Einzeleinwendungen kommt es daher nicht mehr an.“