Archiv für den Monat: November 2016

„Du musst mir schon sagen, was du mir vorwirfst“, sonst: Einstellung des Bußgeldverfahrens

FragezeichenIch hatte schon länger keine Postings zu straßenverkehrsrechtlichen  Fragen. Da kommt mir der AG Landstuhl, Beschl. v. 24.11.2016 – 2 OWi 4286 Js 12609/16 -, der gerade vom AG Landstuhl übersandt worden ist, gerade recht. Das AG hat ein Verfahren gem. § 206a StPO eingestellt, weil der Bußgeldbescheid das Tatgeschehen nicht konkret genug umschrieben hat:

„Der Betroffene befuhr als Fahrer des Schwertransports, Kz. … der Firma … GmbH am 23./24.08.2016 gegen Mitternacht u.a. die BAB6 bei Landstuhl im Baustellenbereich. Durch Bescheid vom 26.08.2016, As8 ff., war auf S. 14/15/16 des Bescheides als vollziehbare Auflage für den Baustellenbereich ab km 615,838 bis km 622,740 sowie von km 632,463 bis km 636,266 in Fahrtrichtung Saarbrücken angeordnet, dass der Baustellenbereich für den Gegenverkehr durch die Polizei gesperrt werden sollte. Der Betroffene befuhr die Bereiche jedoch, ohne sich mit der Polizei abzustimmen und ohne dass der Gegenverkehr gesperrt worden wäre.

Sowohl im Anhörungsschreiben (AS42) als auch im Bußgeldbescheid (AS46) ist als Tatbeschreibung der Passus enthalten: „Sie befolgten eine vollziehbare Auflage *) einer Ausnahmegenehmigung oder Erlaubnis nicht“, dazu unter „Bemerkungen“ der Satz: „Polizeiliche Begleitung auf Abschnitten der BAB 6 erforderlich“, im Bußgeldbescheid noch „(s. Ausnahmegenehmigung)“.

Die Ausnahmegenehmigung war weder ganz noch in Teilen dem Bußgeldbescheid beigefügt. Eine zeitliche und/oder örtliche Konkretisierung fand abgesehen vom Tattag nicht statt. Eine textliche Ergänzung zu dem Zeichen „*)“ fand nicht statt.
Das Verfahren ist einzustellen. Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betroffenen, § 206a StPO. Es ist vorliegend schon nicht davon auszugehen, dass eine verjährungsunterbrechende Wirkung von Anhörung und Bußgeldbescheid gegeben ist. Denn diese sind sowohl bezüglich der Auflage als auch bezüglich der Örtlichkeit so unkonkret, dass der Betroffene nicht erkennen kann, was ihm wo überhaupt zum Vorwurf gemacht wird (vgl. Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl., 2016, § § 66 Rn. 36).

Darüber hinaus ist der Bußgeldbescheid in der beschriebenen Form aber auch nicht einmal geeignet, Grundlage eines gerichtlichen Bußgeldverfahrens zu sein. Der Bußgeldbescheid stellt schon nicht dar, welchen konkreten Inhalt die vollziehbare Auflage hatte und konkretisiert demzufolge auch nicht, wodurch, wann und wo der Betroffene gegen die Auflagen verstoßen hat. Die Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, ist damit nicht so bezeichnet dass der Betroffene erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet, gegen welchen Vorwurf er daher seine (mögliche) Verteidigung richten muss (OLG Jena, Beschl. V. 18.04.2016 – 1 OLG 121 SsRs 6/16 – Krenberger, jurisPR-VerkR 21/2016 Anm. 5). Hätte dem Bußgeldbescheid als Anlage der Bescheid mit den Auflagen beigelegen, was durchaus zulässig ist (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1992, 39), hätte eine Konkretisierung noch eher angenommen werden können, wenngleich auch dann völlig unklar geblieben wäre, welche Tatzeit und welchen Tatort der Betroffene heranziehen soll, um sich zu verteidigen.“

Recht hat es, das AG.

Die „nachgereichte“ Anklageschrift, oder: Rechtsverletzung?

© Corgarashu – Fotolia.com

© Corgarashu – Fotolia.com

Im BGH, Beschl. v. 03.08.2016 – 5 StR 289/16 – ging es um eine Problematik, die in der Praxis immer mal wieder anzutreffen ist, nämlich um die erst nach Beginn der Hauptverhandlung ausgehändigte Anklageschrift. Der Angeklagte hatte gerügt, dass eine nach § 207 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 StPO nachzureichende Anklageschrift nicht spätestens mit der Ladung zum Termin zugestellt (§ 215 Satz 2 StPO) worden war, sondern erst nach Beginn der Hauptverhandlung ausgehändigt wurde.

Der BGH sagt dazu in der Entscheidung, dass eine Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO gleichwohl nur dann vorliegt, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht.

„Vorliegend ist ein solcher Zusammenhang auszuschließen, weil eine Beeinträchtigung der Möglichkeiten des Angeklagten, sich ausreichend auf die Verteidigung gegen die noch angeklagten Tatvorwürfe vorzubereiten (Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. b MRK), durch die Ablehnung seines Antrags auf Unterbrechung der Hauptverhandlung um eine Woche nicht vorlag. Denn der Verteidigung war bereits seit Zustellung des – teilweise die Eröffnung des Verfahrens ablehnenden – Eröffnungsbeschlusses am 1. Oktober 2015 bekannt, welche der ursprünglich angeklagten Tatvorwürfe noch Gegenstand des Verfahrens sein werden. Durch die in der Hauptverhandlung vom 2. März 2016 nachgereichte Anklageschrift hat sich hieran nichts geändert, weil lediglich die Tatvorwürfe, hinsichtlich derer das Hauptverfahren nicht eröffnet worden war, nicht mehr aufgeführt waren; das Beweismittelverzeichnis und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen blieben unverändert, so dass eine Beeinträchtigung der Verteidigung.“

Der erschlichene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Rechtsanwalts, oder: Vollendeter Betrug?

© fotomek -Fotolia.com

© fotomek -Fotolia.com

Mit der Frage der Betrugsstrafbarkeit eines An­walt­s durch Be­an­trag­ung eines Pfänd­ungs- und Über­weisungs­be­schluss­es befasst sich der BGH, Beschl. v. 20.09.2016 – 2 StR 497/15. Der Angeklagte war von Beruf Rechtsanwalt. Er hat beim AG den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auf der Grundlage eines Vollstreckungsbescheides beantragt. Dabei hat er allerdings „vergessen“ mitzuteilen, dass der Vollstreckungsbescheid bereits mit landgerichtlichem Urteil aufgehoben worden war. Es ging immerhin um eine Hauptforderung in Höhe von 1.921.451,58 EUR zuzüglich Zinsen.

Das LG hat den Angeklagten wegen vollendeten Betruges verurteilt. Der BGH hat Bedenken wegen der Vollendung:

„2. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen (vollendeten) Betrugs nicht.

a) Wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, hat der Angeklagte zwar mit seinem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 14. August 2012 die zuständige Rechtspflegerin beim Amtsgericht Hildburghausen über das Vorliegen eines vollstreckbaren Schuldtitels gegen die M. GmbH getäuscht und dadurch einen entsprechenden Irrtum bei ihr hervorgerufen. In dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 1. November 2012 ist dem Grunde nach auch eine Vermögensverfügung des Vollstreckungsgerichts zum Nachteil der M. GmbH im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB zu sehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2001 – 1 StR 82/01, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 19 und vom 19. November 2013 – 4 StR 292/13, BGHSt 59, 68, 72 f.), weil dem Drittschuldner die Zahlung an den Vollstreckungsschuldner untersagt (§ 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO), letzterem die Verfügungsbefugnis über die gepfändete Forderung entzogen (§ 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und dem Vollstreckungsgläubiger das Recht verliehen wird, die Forderung im eigenen Namen geltend zu machen und ein-zuziehen (§ 835 Abs. 1, § 836 Abs. 1 ZPO).

b) Die Feststellungen belegen aber bislang nicht hinreichend den Eintritt eines Vermögensschadens. Das Landgericht hat eine schadensgleiche Gefährdung des Vermögens der M. GmbH durch den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in Höhe der in dem Vollstreckungsbescheid titulierten 1.921.451,58 € zuzüglich Nebenforderungen angenommen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Ein tatbestandsmäßiger Gefährdungsschaden ist gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit eines endgültigen Verlusts eines Vermögensbestandteils so groß ist, dass dies bereits im Zeitpunkt der Vermögensverfügung eine objektive Minderung des Gesamtvermögenswerts zur Folge hat (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 263 Rn. 159 mwN). Die bloße Möglichkeit des Eintritts eines solchen Schadens genügt nicht. Von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen abgesehen, etwa bei einem ohne Weiteres greifbaren Mindestschaden, muss der Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. BVerfG, Be-schluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 u.a., BVerfGE 130, 1, 47).

bb) Nach diesen Maßstäben ist eine schadensgleiche Vermögensgefährdung durch die Feststellungen nicht hinreichend belegt.

(1) Das Landgericht geht bereits im Ansatz unzutreffend davon aus, dass das Vermögen der M. GmbH durch den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in Höhe der in dem Vollstreckungsbescheid titulierten 1.921.451,58 € zuzüglich Nebenforderungen gefährdet worden sei. Dabei über-sieht es, dass von der titulierten Forderung die zuvor gezahlten 100.000 € in Abzug zu bringen wären.

(2) Aber auch im Übrigen ist eine hinreichend große Verlustwahrscheinlichkeit, die zu einer gegenwärtigen – bezifferbaren – Minderung des Vermögens der M. GmbH hätte führen können, nicht ausreichend festgestellt. Denn der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 1. November 2012 entfaltete keinerlei Rechtswirkungen, weil es bereits im Zeitpunkt seines Erlasses an einem vollstreckbaren Titel und damit an einer schlechthin unerlässlichen Voraussetzung der Zwangsvollstreckung mangelte, nachdem der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Aschersleben vom 14. Dezember 2011 durch das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 29. Mai 2012 aufgehoben worden war (§ 717 Abs. 1 ZPO). Darin liegt ein besonders schwerwiegender Fehler, der für einen mit den Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich, mithin offenkundig ist und somit zur Nichtigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses führt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 – IX ZR 226/91, BGHZ 121, 98, 101 ff.; Beschluss vom 9. Juli 2014 – VII ZB 9/13, NJW 2014, 2732, 2733; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., Grundzüge § 704 Rn. 57; Stöber in Zöller, ZPO, 31. Aufl., vor § 704 Rn. 34, Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., Vorbemerkung zu § 704 Rn. 32; Kindl in Saenger, ZPO, 6. Aufl., vor § 704-945 Rn. 21; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., Vorbemerkung VIII zu § 704 Rn. 58, jeweils mwN). Die Drittschuldnerin, der nach den Feststellungen zudem bereits vor Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch das Amtsgericht Hildburghausen bekannt war, dass der diesem Beschluss zugrundeliegende Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Aschersleben aufgehoben worden war, hätte sich demnach durch Zahlungen an den Angeklagten von vornherein nicht von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der M. GmbH befreien können.

Der Schuldspruch kann auch nicht deswegen bestehen bleiben, weil – wie das Landgericht meint – der M. GmbH die Durchsetzung ihrer Forderungen gegenüber der Drittschuldnerin „erheblich erschwert“ worden sei, weil sich diese „auf eine angeblich schuldbefreiende Zahlung an den Angeklagten beruft und die Forderungen wahrscheinlich gerichtlich geltend gemacht werden müssen“. Zwar kann ein nicht unerhebliches Prozessrisiko unter dem Gesichtspunkt der schadensgleichen Vermögensgefährdung einen Betrugsschaden begründen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1990 – 1 StR 52/90, BGHGR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 24; Beschluss vom 8. Juni 2011 – 3 StR 115/11, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 75 mwN). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG aber erforderlich, eigenständige Feststellungen zum Vorliegen des Vermögensschadens zu treffen, um so dieses Tatbestandsmerkmal von den übrigen Tatbestandsmerkmalen des § 263 Abs. 1 StGB sowie die Fälle des versuchten von denen des vollendeten Betrugs hin-reichend deutlich abzugrenzen, mithin den Schaden der Höhe nach zu beziffern und seine Ermittlung in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteils-gründen darzulegen (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 211 f.; Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 u.a., BVerfGE 130, 1, 47).

Daran fehlt es hier. Weder ist ersichtlich, nach welchen wirtschaftlich nachvollziehbaren Maßstäben ein bezifferbarer Vermögensschaden allein in dem Bestehen eines – hier zudem nicht ohne Weiteres ersichtlichen, jedenfalls nicht näher festgestellten – zivilrechtlichen Prozessrisikos liegen kann, noch werden Parameter für die Berechnung der Höhe eines solchen Schadens erkennbar (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 3 StR 115/11, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 75).“

„Der Richtertisch ist kein Familientisch“, oder Besorgnis der Befangenheit

entnommen openclipart.org

entnommen openclipart.org

Der Richtertisch ist kein Familientisch – so etwa könnte man den OLG Jena, Beschl. v. 15.08.2016 – 1 Ws 305/16 – kurz zusammenfassen. Es geht um eine große Strafvollstreckungskammer, in der die Vorsitzende Richterin und einer der Beisitzer verheiratet sind, aber unter Führung  verschiedener Nachnamen, so dass der Umstand der Heirat nicht sofort auffällt. Die Strafvollstreckungskammer hat in der Besetzung über die Strafaussetzung aus einem Urteil entschieden und hat die abgelehnt. Dagegen die Beschwerde. Das OLG Jena hat aufgehoben. Es geht von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aus:

„Durch die nicht offen gelegte Mitwirkung zweier miteinander verheirateter Richter an der (mündlichen Anhörung, Beratung und) Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer (zumindest) das rechtliche Gehör der Betroffenen nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und hierdurch gleichzeitig die Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte bei der Gewährleistung der Entscheidung durch den gesetzlichen Richter in einem wesentlichen Punkt von vornherein für den Instanzenzug vereitelt. Die neben der weiteren beisitzenden Richterin an der Entscheidung beteiligte Vorsitzende Richterin und der beisitzende Richter, deren Ehe im vorliegenden Beschwerdeverfahren als gerichtsbekannte Tatsache von Amts wegen zu berücksichtigen ist, haben es unterlassen, den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem auswärtigen und mit den Verhältnissen am Landgericht Gera mutmaßlich nicht vertrauten Verteidiger nach § 30 StPO anzuzeigen, dass sie – ungeachtet ihrer unterschiedlichen Nachnamen – miteinander verheiratet sind.“

Interessant in dem Zusammenhang die Ausführungen des OLG zur Besorgnis der Befangenheit:

„cc) Bei Anlegung dieser Maßstäbe stellt der – für Außenstehende nicht (ohne Weiteres) erkennbare – Umstand, dass die Vorsitzende Richterin mit einem der beisitzenden Richter der im vorliegenden Fall nach § 78b Abs. 1 GVG zur Entscheidung berufenen „großen“ Strafvollstreckungskammer (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 78b GVG, Rn. 5 m. w. N.) verheiratet ist, jedenfalls eine i. S. d. § 30 StPO anzeigepflichtige Tatsache dar.

Zwar enthält § 22 StPO, der u. a. die Ausschließung eines mit dem Beschuldigten oder Verletzten verheirateten oder (näher) verwandten Richters von der Ausübung des Richteramtes regelt, keinen Ausschließungstatbestand für den Fall der Ehe bzw. Verwandtschaft des Richters mit einem anderen mitwirkenden Richter oder Staatsanwalt etc.; jedoch ist anerkannt, dass in einem solchen Fall ggf. die Befangenheit des Richters zu besorgen sein kann (vgl. Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 22 Rdnr. 15; Schneider, JR 2012, 188ff; s. a. Feiber, NJW 2004, 650 „Ehen im Gericht“). Dass der Fall der gleichzeitigen Mitwirkung eines Richterehepaars in derselben Spruchgruppe (an derselben Entscheidung) in den Verfahrensordnungen keine ausdrückliche (Ausschluss-)Regelung gefunden hat, mag darauf beruhen, dass eine solche Konstellation regelmäßig nicht auf unvorhersehbaren bzw. nicht steuerbaren Lebenssachverhalten beruht, sondern nahezu ausnahmslos bereits durch eine entsprechende gerichtsinterne Geschäftsverteilung vermieden werden kann (und offenbar im Allgemeinen auch vermieden wird). Jedenfalls rechtfertigt dies weder den Umkehrschluss auf die grundsätzliche Unbedenklichkeit einer solchen „Ehegattenrechtsprechung“ noch auf die Unanwendbarkeit der §§ 24 ff StPO.

In der Rechtsprechung ist weiter anerkannt, dass besonders enge (auch dienstliche) Beziehungen bzw. ein enges persönliches Verhältnis zu einem Verfahrensbeteiligten die Besorgnis der Befangenheit begründen können (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14.12.2012, 2 StR 391/12, bei juris).

Geht man davon aus, dass ein engeres persönliches Verhältnis als eine – nach dem gesetzlichen Leitbild auf Lebenszeit geschlossene und die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtende (§ 1353 BGB) – Ehe kaum vorstellbar ist, kann der Umstand des Zusammentreffens eines Richterehepaars in einem aus insgesamt drei Richtern bestehenden Spruchkörper auch aus der Sicht einer ruhig und vernünftig abwägenden Partei zumindest Anlass zu der Besorgnis geben, dass die betreffenden Richter aufgrund ihres ehelichen Verhältnisses im Rahmen der Kammerberatung jeweils die für die Entscheidungsfindung in einem Kollegialgericht unerlässliche innerliche Unabhängigkeit und professionelle Distanz von (eigenen) persönlichen Befindlichkeiten (oder denen des Ehegatten) nicht mehr aufbringen können oder sich u. U. von sachfremden, aus ihrer engen persönlichen Beziehung resultierenden wechselseitigen Rücksichtnahmen, Abhängigkeiten etc. leiten lassen könnten (vgl. auch Feiber a. a. O. zu dem Fall des Aufeinandertreffens von Ehegatten im Rechtsmittelzug: „Lebenserfahrung und Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie machen es in hohem Maße wahrscheinlich, dass üblicherweise der Richter bei der Beurteilung von Handlungen, Meinungen, Leistungen eines ihm so eng verbundenen Angehörigen ´’befangen‘ ist, dass also aus der Sicht der ablehnenden Partei mindestens unbewusst seine rechtliche Überprüfung und damit unter Umständen sogar seine Entscheidung und deren Begründung von Erwägungen beeinflusst werden können, die mit der Sache nichts zu tun haben“).

Zwar lässt dies allein (noch) keine „Parteilichkeit“ der betreffenden Richter im Sinne eines Zuneigens zu der einen oder anderen „Seite“ bzw. zu dem einen oder anderen Verfahrensbeteiligten befürchten, die im Regelfall die Besorgnis der Befangenheit eines Richters begründet. Auch wird man im Allgemeinen davon ausgehen können, dass die betroffenen Richter nicht nur gehalten, sondern grundsätzlich auch in der Lage sind, mit einer solchen ihnen zugemuteten Situation professionell umzugehen, und dass der Umstand ihrer persönlichen/häuslichen Gemeinschaft sich auf die Beurteilung des Einzelfalles nicht auswirken wird. Jedoch beeinträchtigt schon die bloße Gefahr des Fehlens der innerlichen Unabhängigkeit eines an der Entscheidungsfindung beteiligten Richters (i. S. einer – wie auch immer gearteten – Einflussnahme ehelich/familiär bedingter Aspekte/Rücksichtnahmen auf das Beratungs- und Abstimmungsverhalten) gerade bei einer nach dem Willen des Gesetzgebers von drei unabhängigen Richtern in gemeinsamer Beratung zu treffenden Entscheidung die Gewährleistung des gesetzlichen – also auch des unabhängigen, unparteilichen und neutralen – Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und somit das „Schutzgut“ der gesetzlichen Vorschriften der §§ 24 ff. StPO. Schon deshalb dürfte es naheliegen, in der Ehe zweier unmittelbar an derselben Entscheidung beteiligter Richter einen Befangenheitsgrund zu sehen. Dies nicht zuletzt auch mit Blick darauf dass der Gesetzgeber mit der Übertragung von Entscheidungen auf einen mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörper im allgemeinen – namentlich bei Angelegenheiten von besonderem Gewicht, besonderer Schwierigkeit oder grundsätzlicher Bedeutung – eine höhere Richtigkeitsgewähr gerade durch die Mitwirkung mehrerer Richter sicherstellen will (vgl. für § 78b GVG: BT-Drs. 7/3990, S. 49; 12/1217, S. 48). Mit dieser gesetzgeberischen Intention, schwierige Sachverhalte von drei unabhängig voneinander wertenden Richtern beurteilen zu lassen, ist eine Besetzung der „großen“ Strafvollstreckungskammer mit zwei – als „Ehepaar“ über die Stimmenmehrheit verfügenden – Ehegatten schwerlich vereinbar. In jedem Fall darf eine so ungewöhnliche Konstellation den Verfahrensbeteiligten nicht einfach vorenthalten, sondern muss ihnen zumindest rechtliches Gehör und damit die Möglichkeit gewährt werden, eine Entscheidung nach §§ 24ff StPO herbeizuführen.“

Die Konstellation wird nicht so häufig sein, man wird sie aber sicherlich immer mal wieder antreffen.

„wenn du Eier hast, komm runter“, oder: Schwere Beleidigung?

© Dan Race Fotolia .com

© Dan Race Fotolia .com

Im BGH, Beschl. v. 08.09.2016 – 1 StR 372/16 – geht es um die Frage der Annahme eines minder schweren Falles (§ 213 StGB) des Totschlags (§ 212 StGB). Das LG hatte das verneint, der BGH hat hingegen die Voraussetzungen des § 213 StGB auf der Grundlage des folgenden Sachverhalts als grundsätzlich vorliegend angenommen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts konnte der Angeklagte deswegen nicht schlafen, weil der Geschädigte mit dessen Lebensgefährtin deren Mutter besucht hatte und diese sich ab 23.30 Uhr vor der Haustür laut unterhielten. Nachdem sie der im ersten Stock des Hauses wohnende Angeklagte gegen 24 Uhr durch das Schlafzimmerfenster aufgefordert hatte, leise zu sein, weil er am nächsten Tag früh zur Arbeit müsse, kam es alsbald zu gegen-seitigen Beleidigungen. Dann forderte ihn der Geschädigte wie folgt auf: „Wenn du Eier hast, komm runter!“ Weil seine Ehefrau diese Äußerung mitbekommen hatte, fühlte sich der Angeklagte in seiner Ehre gekränkt und rief nach unten, dass er runterkomme und sie alle umbringe. Auf diesem Weg nahm er eine an der Wand des Wohnungsflures zu Dekorationszwecken hängende Axt mit einer Gesamtlänge von ca. 27 cm mit und lief nach unten vor das Haus. Er lief auf den Geschädigten zu und rief, dass er diesen nun umbringen werde, worauf dieser ihn mit seinem Körper zur Seite drückte, ohne dass er die in der rechten Hand nach unten gehaltene Axt bemerkte. Der Angeklagte hob daraufhin den Arm und schlug mit der Axt mindestens zweimal in Richtung Kopf-/Halsbereich, wobei er den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf nahm. Dieser konnte den Schlägen jedoch ausweichen und zudem den rechten Arm des Angeklagten so fixieren, dass sich die Axt hinter dessen Rücken befand. Der An-geklagte wollte daraufhin dem Geschädigten mit der anderen Hand an den Hals fassen, was dieser jedoch ebenfalls abwehren konnte. Kurz darauf erschien die Ehefrau des Angeklagten, nahm ihm die Axt weg, und ging mit dem Angeklag-ten zurück in die Wohnung, wo er von der alsbald eintreffenden Polizei festge-nommen wurde. Der Geschädigte erlitt durch den Angriff des Angeklagten eine 6 cm lange Schnittwunde am linken Arm, welche im Krankenhaus ambulant behandelt wurde, sowie Kratzer im Hals- und Brustbereich.“

Dazu der BGH:

Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB hat das Schwurgericht die Worte des Geschädigten „wenn Du Eier hast, komm runter“ als ’schwere Beleidigung‘ angesehen. Es hat § 213 Alt. 1 StGB aber nicht angenommen, weil nach seiner Auffassung der Angeklagte nicht „auf der Stelle zur Tat hingerissen“ worden sei, denn er habe zunächst die an der Wand hängende Axt an sich nehmen, die Wohnung verlassen und nach unten gehen müssen, bevor er auf den Geschädigten traf. Indem das Schwurgericht allein auf die Zeitdauer zwischen der provozierenden Aussage des Geschädigten und dessen durchgeführten Angriff abstellte, hat es einen falschen Maßstab angewandt. Maßgebend ist vielmehr, ob der bei einem Täter durch die Provo-kation hervorgerufene Zorn noch angehalten und ihn zu seiner Tat hingerissen hat (BGH, Beschlüsse vom 28. September 2010 – 5 StR 358/10, NStZ-RR 2011, 10 und vom 26. Juli 1994 – 1 StR 286/94, NStZ 1995, 83) und als nicht durch rationale Erwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 16. April 2007 – 5 StR 134/07, NStZ-RR 2007, 200). Nach den Feststellungen des Schwurgerichts hat der Angeklagte auf die Bemerkung des Geschädigten sofort reagiert und ist nach unten auf die Straße gegangen, wobei er im Vorbeigehen die an der Wand hängende Axt erfasste und mitnahm. Damit liegt eine spontane Reaktion des Angeklagten vor, welche insoweit die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB erfüllt.“

allerdings mit dem „Hinweis“:

„Ob die Äußerung des Geschädigten „wenn Du Eier hast, komm runter“ als schwere Beleidigung zu verstehen ist, hat der Tatrichter neu zu beurteilen, wobei die Anforderungen nicht zu niedrig anzusetzen sind (BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582, Fischer, StGB, 63. Aufl., § 213 Rn. 5). Dabei kommt es nicht darauf an, wie der Angeklagte die Kundgebung des Geschädigten aufgefasst hat, sondern darauf, ob sie objektiv als schwer beleidigend zu beurteilen ist (BGH, Urteil vom 13. Mai 1981 – 3 StR 42/81, NStZ 1981, 300). Maßgebend ist der konkrete Geschehensablauf unter Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebenskreis der Beteiligten (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 213 Rn. 5) der konkreten Beziehung zwischen Täter und Opfer (BGH, Urteil vom 12. Mai 1987 – 1 StR 43/87, NStZ 1987, 555) sowie der tatauslösenden Situation (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2004 – 1 StR 170/04, NStZ 2004, 631). Auch wird zu berücksichtigen sein, welche weiteren Beleidigungen im Vorfeld der Tat zwischen den Beteiligten gewechselt wurden und inwieweit der Geschädigte hierbei unmittelbar beteiligt war.“