„Der Richtertisch ist kein Familientisch“, oder Besorgnis der Befangenheit

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Der Richtertisch ist kein Familientisch – so etwa könnte man den OLG Jena, Beschl. v. 15.08.2016 – 1 Ws 305/16 – kurz zusammenfassen. Es geht um eine große Strafvollstreckungskammer, in der die Vorsitzende Richterin und einer der Beisitzer verheiratet sind, aber unter Führung  verschiedener Nachnamen, so dass der Umstand der Heirat nicht sofort auffällt. Die Strafvollstreckungskammer hat in der Besetzung über die Strafaussetzung aus einem Urteil entschieden und hat die abgelehnt. Dagegen die Beschwerde. Das OLG Jena hat aufgehoben. Es geht von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aus:

„Durch die nicht offen gelegte Mitwirkung zweier miteinander verheirateter Richter an der (mündlichen Anhörung, Beratung und) Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer (zumindest) das rechtliche Gehör der Betroffenen nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und hierdurch gleichzeitig die Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte bei der Gewährleistung der Entscheidung durch den gesetzlichen Richter in einem wesentlichen Punkt von vornherein für den Instanzenzug vereitelt. Die neben der weiteren beisitzenden Richterin an der Entscheidung beteiligte Vorsitzende Richterin und der beisitzende Richter, deren Ehe im vorliegenden Beschwerdeverfahren als gerichtsbekannte Tatsache von Amts wegen zu berücksichtigen ist, haben es unterlassen, den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem auswärtigen und mit den Verhältnissen am Landgericht Gera mutmaßlich nicht vertrauten Verteidiger nach § 30 StPO anzuzeigen, dass sie – ungeachtet ihrer unterschiedlichen Nachnamen – miteinander verheiratet sind.“

Interessant in dem Zusammenhang die Ausführungen des OLG zur Besorgnis der Befangenheit:

„cc) Bei Anlegung dieser Maßstäbe stellt der – für Außenstehende nicht (ohne Weiteres) erkennbare – Umstand, dass die Vorsitzende Richterin mit einem der beisitzenden Richter der im vorliegenden Fall nach § 78b Abs. 1 GVG zur Entscheidung berufenen „großen“ Strafvollstreckungskammer (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 78b GVG, Rn. 5 m. w. N.) verheiratet ist, jedenfalls eine i. S. d. § 30 StPO anzeigepflichtige Tatsache dar.

Zwar enthält § 22 StPO, der u. a. die Ausschließung eines mit dem Beschuldigten oder Verletzten verheirateten oder (näher) verwandten Richters von der Ausübung des Richteramtes regelt, keinen Ausschließungstatbestand für den Fall der Ehe bzw. Verwandtschaft des Richters mit einem anderen mitwirkenden Richter oder Staatsanwalt etc.; jedoch ist anerkannt, dass in einem solchen Fall ggf. die Befangenheit des Richters zu besorgen sein kann (vgl. Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 22 Rdnr. 15; Schneider, JR 2012, 188ff; s. a. Feiber, NJW 2004, 650 „Ehen im Gericht“). Dass der Fall der gleichzeitigen Mitwirkung eines Richterehepaars in derselben Spruchgruppe (an derselben Entscheidung) in den Verfahrensordnungen keine ausdrückliche (Ausschluss-)Regelung gefunden hat, mag darauf beruhen, dass eine solche Konstellation regelmäßig nicht auf unvorhersehbaren bzw. nicht steuerbaren Lebenssachverhalten beruht, sondern nahezu ausnahmslos bereits durch eine entsprechende gerichtsinterne Geschäftsverteilung vermieden werden kann (und offenbar im Allgemeinen auch vermieden wird). Jedenfalls rechtfertigt dies weder den Umkehrschluss auf die grundsätzliche Unbedenklichkeit einer solchen „Ehegattenrechtsprechung“ noch auf die Unanwendbarkeit der §§ 24 ff StPO.

In der Rechtsprechung ist weiter anerkannt, dass besonders enge (auch dienstliche) Beziehungen bzw. ein enges persönliches Verhältnis zu einem Verfahrensbeteiligten die Besorgnis der Befangenheit begründen können (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14.12.2012, 2 StR 391/12, bei juris).

Geht man davon aus, dass ein engeres persönliches Verhältnis als eine – nach dem gesetzlichen Leitbild auf Lebenszeit geschlossene und die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtende (§ 1353 BGB) – Ehe kaum vorstellbar ist, kann der Umstand des Zusammentreffens eines Richterehepaars in einem aus insgesamt drei Richtern bestehenden Spruchkörper auch aus der Sicht einer ruhig und vernünftig abwägenden Partei zumindest Anlass zu der Besorgnis geben, dass die betreffenden Richter aufgrund ihres ehelichen Verhältnisses im Rahmen der Kammerberatung jeweils die für die Entscheidungsfindung in einem Kollegialgericht unerlässliche innerliche Unabhängigkeit und professionelle Distanz von (eigenen) persönlichen Befindlichkeiten (oder denen des Ehegatten) nicht mehr aufbringen können oder sich u. U. von sachfremden, aus ihrer engen persönlichen Beziehung resultierenden wechselseitigen Rücksichtnahmen, Abhängigkeiten etc. leiten lassen könnten (vgl. auch Feiber a. a. O. zu dem Fall des Aufeinandertreffens von Ehegatten im Rechtsmittelzug: „Lebenserfahrung und Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie machen es in hohem Maße wahrscheinlich, dass üblicherweise der Richter bei der Beurteilung von Handlungen, Meinungen, Leistungen eines ihm so eng verbundenen Angehörigen ´’befangen‘ ist, dass also aus der Sicht der ablehnenden Partei mindestens unbewusst seine rechtliche Überprüfung und damit unter Umständen sogar seine Entscheidung und deren Begründung von Erwägungen beeinflusst werden können, die mit der Sache nichts zu tun haben“).

Zwar lässt dies allein (noch) keine „Parteilichkeit“ der betreffenden Richter im Sinne eines Zuneigens zu der einen oder anderen „Seite“ bzw. zu dem einen oder anderen Verfahrensbeteiligten befürchten, die im Regelfall die Besorgnis der Befangenheit eines Richters begründet. Auch wird man im Allgemeinen davon ausgehen können, dass die betroffenen Richter nicht nur gehalten, sondern grundsätzlich auch in der Lage sind, mit einer solchen ihnen zugemuteten Situation professionell umzugehen, und dass der Umstand ihrer persönlichen/häuslichen Gemeinschaft sich auf die Beurteilung des Einzelfalles nicht auswirken wird. Jedoch beeinträchtigt schon die bloße Gefahr des Fehlens der innerlichen Unabhängigkeit eines an der Entscheidungsfindung beteiligten Richters (i. S. einer – wie auch immer gearteten – Einflussnahme ehelich/familiär bedingter Aspekte/Rücksichtnahmen auf das Beratungs- und Abstimmungsverhalten) gerade bei einer nach dem Willen des Gesetzgebers von drei unabhängigen Richtern in gemeinsamer Beratung zu treffenden Entscheidung die Gewährleistung des gesetzlichen – also auch des unabhängigen, unparteilichen und neutralen – Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und somit das „Schutzgut“ der gesetzlichen Vorschriften der §§ 24 ff. StPO. Schon deshalb dürfte es naheliegen, in der Ehe zweier unmittelbar an derselben Entscheidung beteiligter Richter einen Befangenheitsgrund zu sehen. Dies nicht zuletzt auch mit Blick darauf dass der Gesetzgeber mit der Übertragung von Entscheidungen auf einen mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörper im allgemeinen – namentlich bei Angelegenheiten von besonderem Gewicht, besonderer Schwierigkeit oder grundsätzlicher Bedeutung – eine höhere Richtigkeitsgewähr gerade durch die Mitwirkung mehrerer Richter sicherstellen will (vgl. für § 78b GVG: BT-Drs. 7/3990, S. 49; 12/1217, S. 48). Mit dieser gesetzgeberischen Intention, schwierige Sachverhalte von drei unabhängig voneinander wertenden Richtern beurteilen zu lassen, ist eine Besetzung der „großen“ Strafvollstreckungskammer mit zwei – als „Ehepaar“ über die Stimmenmehrheit verfügenden – Ehegatten schwerlich vereinbar. In jedem Fall darf eine so ungewöhnliche Konstellation den Verfahrensbeteiligten nicht einfach vorenthalten, sondern muss ihnen zumindest rechtliches Gehör und damit die Möglichkeit gewährt werden, eine Entscheidung nach §§ 24ff StPO herbeizuführen.“

Die Konstellation wird nicht so häufig sein, man wird sie aber sicherlich immer mal wieder antreffen.

3 Gedanken zu „„Der Richtertisch ist kein Familientisch“, oder Besorgnis der Befangenheit

  1. Maste

    Es wäre mein persönlicher Alptraum mit meiner Frau in einer Strafkammer zu arbeiten:-) Aber gut jeder so wie sie/er will….

  2. Thorsten

    Interessant wäre es, wie der Senat es sähe, wenn zwei Geschwister als Richter tätig sind, Mutter und Sohn o. ä. In diesen Fällen liegt nämlich in der Regel nicht die persönliche / häusliche Gemeinschaft der beiden Richter vor. Das Ergebnis müsste aber trotzdem dasselbe sein. Jeder Richter soll unabhängig entscheiden. Es soll gerade kein „Team“ bestehen, das zusammen aus Prinzip an einem Strang zieht (jaja, die Praxis ist dann normalerweise wieder etwas anderes). Es sollen umgekehrt auch keine zwei Zankäpfel dabei sein, die sich aus Prinzip stets widersprechen.

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