Archiv für den Monat: März 2016

Konsum von „After Dark“ endet mit einem Fahrradfahrverbot

Germany_After_Dark_Horror_FestivalDer Konsum der Kräutermischung „After Dark“ endete für einen Bürger in Rheinland-Pfalz mit einem Fahrradfahrverbot. Ihm ist nämlich das Führen von Fahrzeugen (z.B. Mofa, Fahrrad) untersagt worden, weil er sich geweigert hat, nach dem Konsum der Kräutermischung „After Dark“ ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung beizubringen. Dazu gibt es dann den VG Neustadt/NW, Beschl. v. 21.01.2016 – 3 L 1115/15. Danach war der Antragsteller seit 2007 im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B. Am 09.04.2014 hatte er mehrfach eine Kräutermischung „After Dark“ geraucht. Anschließend war er mit dem E-Bike in Ludwigshafen unterwegs und verfiel in einen Wahnzustand, zog sich aus, rannte über die Straße, zog sich wenige Minuten später wieder an und fuhr mit seinem E-Bike davon, was durch herbeigerufene Rettungssanitäter beobachtet worden war. Danach wurde dem Antragsteller eine Blutprobe entnommen und sein Führerschein präventiv für die Dauer von vier Stunden sichergestellt. Der Vorfall führte zu einem Verwaltungsverfahren, in dessen Verlauf der Antragsteller auf seine Fahrerlaubnis verzichtete und ihm (zusätzlich) das Führen von Fahrzeugen (z. B. Mofas und Fahrräder) untersagt wurde, weil ein MPU-Gutachten nicht beigebracht worden ist. Der dagegen gerichtete Eilantrag hatte keinen Erfolg.

„…Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist im Hinblick auf Betäubungsmittel, Arzneimittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin Betäubungsmittel, Arzneimittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt. Die Vorschrift schreibt bei Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen zwingend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vor. Dem Wortlaut nach reicht für die Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, dass in der Vergangenheit ein Konsum von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder eine missbräuchliche Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel oder anderer psychoaktiv wirkender Stoffe erfolgt ist, wie dies die Antragsgegnerin auch in der Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 22. Juli 2015 dargelegt hat.

So hat der Antragsteller hier nachweislich am 9. April 2014 dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende psychoaktiv wirkende Stoffe konsumiert. So ergab die Untersuchung der ihm am 9. April 2014 um 21:49 Uhr entnommenen Blutprobe ausweislich des toxikologischen Befundes des Instituts für Rechtsmedizin bei der Universitätsmedizin M., Prof. Dr. Dr. U., vom 4. August 2014 neben dem positiven Ergebnis auf Cannabis (THC: 1,7 ng/mL; Hydroxy-THC: 0,8 ng/mL; THC-Carbonsäure: 27 ng/mL) auch den Nachweis der Aufnahme von Stoffen nach dem Betäubungsmittelgesetz – BtMG –. So wurde in der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe auch die Aufnahme von synthetischen Cannabinoiden nachgewiesen, die in Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes als Betäubungsmittel aufgeführt sind. Im Einzelnen handelt es sich um JWH-018, EAM-2201, 5F-APINACA, ADB-FUBINACA sowie AB-PINACA. Ausweislich der gutachterlichen Stellungnahme im toxikologischen Befund vom 4. August 2014 wirken diese Substanzen im Gehirn an Cannabinoid-Rezeptoren und rufen somit eine ganz ähnliche Beeinflussung wie der Cannabiswirkstoff THC hervor. Die Wirkung dieser Substanzen ist nach der gutachterlichen Stellungnahme in der Regel sogar noch deutlich ausgeprägter als bei THC selbst.

Diese Stoffe wurden wegen der beschriebenen Wirkstoffintensität und der hierauf beruhenden in besonderer Weise gesteigerten Gefahren der Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes zugeordnet und sind daher Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG). Wegen des bei der Einnahme dieser Stoffe gegebenen starken Risikopotentials verbietet sich von vornherein eine Gleichbehandlung derartiger synthetischer Drogen mit THC. Von solchen Stoffen geht für den Straßenverkehr ein signifikant höheres Risiko aus, was regelmäßig nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV den Verlust der Fahreignung zur Folge hat, ohne dass es darauf ankäme, ob der Fahrerlaubnisinhaber unter dem Einfluss eines Betäubungsmittels am Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25.Juli 2008 – 10 B 10646/08.OVG –, juris; BayVGH, Beschluss vom 24. März 2009 – 11 CS 08.2881 –, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 14. Mai 2008 – 1 B 191/08 – juris; OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 – 16 B 332/07 –, juris; VGH BW, Beschluss vom 19. Februar 2007
10 S 3032/06 –, juris; OVG Nds, Beschluss vom 14. August 2002 – DAR 2002, 471; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2009 – 1 S 97.09 –, juris; VG Neustadt/Wstr., Beschluss vom 7. Mai 2009 – 3 L 315/09.NW –, juris). Dabei ist es rechtlich irrelevant, in welcher Konzentration diese Drogen jeweils aufgenommen wurden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. Oktober 2010 11 ZB 09.2973 – m. w. N., juris).“

Manipulierter Verkehrsunfall? Ja, denn hier passt fast gar nichts….

© Thaut Images Fotolia.com

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Ich habe länger nichts zum „manipulierten Unfall“ gebracht. Da passt es ganz gut, dass ich auf das – schon etwas ältere – OLG Köln, Urt. v. 08.05.2015 – 19 U 47/13 – gestoßen bin, das sich mit den damit zusammenhängenden Fragen auseinander setzt. Es geht um Schadensersatz von rund 7.000 €, die die Klägerin nach Beschädigung ih­res Fahrzeugs verlangt. Behauptet wird, dass der Pkw der Beklagten das ge­park­te Fahrzeug der Klägering im Vorbeifahren ge­streift haben soll. Der Beklagte erklärtm dass zum Zusammenstoß gekommen ist, als das Fahrzeug der Beklagten versehentlich nach links ge­lenkt wurde. Das OLG hat einen Sachverständigen beauftragt, der dann allerdings zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Er geht nämlich davon aus, dass die Spuren an bei­den Fahrzeugen nicht auf ein ein­zi­ges Unfallereignis zu­rück­ge­führt wer­den kön­nen, sondern dass meh­rere Anstöße mit un­ter­schied­li­chen Relativgeschwindigkeiten statt­ge­fun­den ha­ben. Und das findet dann Eingang in die „Indizienkette“ des OLG Köln, dass von einem manipulierten Unfall ausgeht, u.a. weil:

  • „…Für eine Unfallmanipulation spricht besonders deutlich der Umstand, dass die Schäden an den beiden beteiligten Kraftfahrzeugen P und D nicht mit dem von dem Beklagten zu 3 als Fahrer des PKW D sowie der Klägerin geschilderten Hergang des Geschehens in Einklang zu bringen sind und auch im Übrigen nicht durch ein Unfallgeschehen aus dem Verkehrsfluss heraus resultieren können. ….Eine mehrfache Kollision des Schädigerfahrzeugs gegen ein geparktes Fahrzeug, die nach Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen nicht als unabsichtlich zu erklären ist, spricht deutlich für das Einverständnis des Geschädigten und die Feststellung eines manipulierten Unfalls (vergleiche KG Berlin, Urteil vom 08.12.2005, 12 U 201/05, zitiert nach juris).
  • „….Beschädigt wurde mit dem PKW P A ein zum Zeitpunkt des angeblichen Unfalls etwa viereinhalb Jahre altes (Erstzulassung: 25.10.2006) durchaus werthaltiges Fahrzeug (Wiederbeschaffungswert gemäß Schadensgutachten: 13.200 €) mit einer schon erheblichen Laufleistung (am 30.03.2011: 91.501 km). Das Fahrzeug wurde nur wenige Monate vor dem Schadensfall auf die Klägerin angemeldet (Eintragung in der Zulassungsbescheinigung am 03.01.2011). Es handelt sich mithin um ein für manipulierte Unfallgeschehen typischerweise verwendetes Fahrzeug (vergleiche OLG Schleswig, Urteil vom 24.07.2010, 7 U 102/09, zitiert nach juris).“
  • „….Dasselbe gilt für das von dem Beklagten zu 3 geführte Fahrzeug D. Dieses war seinerzeit ca. 16 Jahre alt (Erstzulassung Mai 1995), wies eine Laufleistung von ca. 237.000 km auf und hatte erhebliche Vorschäden. Dies steht aufgrund der Angaben in dem beklagtenseits vorgelegten Gutachten der E vom 18.05.2011 fest. Es entspricht der typischen Vorgehensweise, einen derart wertlosen PKW bei einem gestellten Unfall als Schädigerfahrzeug einzusetzen (vergleiche Senat, Urteil vom 25.03.1994, 19 U 168/93; OLG Schleswig, a.a.O.).“
  • „….Hinzu kommt hier noch, dass der Beklagte zu 3 den von ihm geführten Pkw von einem Dritten geliehen hatte, der nach Erwerb des Fahrzeugs dieses noch nicht umgemeldet hatte……Dass der Beklagte zu 3 bei seiner Anhörung vor dem Landgericht nicht einmal den Namen desjenigen nennen konnte, von dem er den PKW D geliehen hatte, lässt das Geschehen erst recht dubios erscheinen….“
  • …Ein weiterer Umstand, der für eine Unfallmanipulation spricht, ist die schlechte wirtschaftliche Lage des Beklagten zu 3, über dessen Vermögen am 05.01.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war (Amtsgericht Köln, 74 IN 380/10). Finanzielle Bedrängnis eines oder beider an einem gestellten Unfall Beteiligten ist keineswegs außergewöhnlich (vergleiche OLG Köln, Urteil vom 02.03.2010, 9 U 122/09, zitiert nach juris ; OLG Schleswig, a.a.O.).“
  • Auch die Umstände des Vorfalls vom 29.03.2011 sprechen deutlich für eine Unfallmanipulation. …..Typisch für die Konstellation eines gestellten Unfalls ist zudem die Zeit des Geschehens, nämlich spät abends (22:00 Uhr), wenn üblicherweise keine Zeugen zugegen sind (vergleiche OLG Schleswig, a.a.O.; OLG Koblenz, Urteil vom 13.03.1989, 12 U 434/88; OLG Köln, Urteil vom 02.03.2010, 9 U 122/09; jeweils zitiert nach juris).

Ist wirklich ein wenig viel, oder?

Ich habe da mal eine Frage: Muss ich mir Erstattungen vom DB-Fahrpreis anrechnen lassen?

© AllebaziB - Fotolia

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Schon etwas länger schlummert in meiner „RVG-Rätsel“-Datei die Frage einer Kollegin, die sich in der Praxis wahrscheinlich gar nicht so selten stellen wird. Vor allem für die Strafverteidiger, die mit der Bahn zu Gerichtsterminen anreisen und dann unter der notorischen Unzuverlässigkeit der DB leiden. Wenn die zu groß wird, macht die DB ja dann die Schatuelle auf – zumindest ein wenig – und zahlt – 25 bzw. 50 % des Reisepreises. Ja und um die Euros geht es in der Frage, die lautete:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

ich wende mich mit einer Frage zum Gebührenrecht an Sie.
 
Ich reise mit der Bahn 1. Klasse, um einen HVT als Pflichtverteidigerin wahrzunehmen. Aufgrund der Verspätung erhalte ich 25% des Fahrpreises, den ich von der Staatskasse erstattet bekommen werde, zurück. Ist dieser Betrag anzurechnen? Es ist ja keine Erstattung des Fahrpreises, sondern eine Entschädigung für die Verspätung.

Ich hoffe, Sie können mir helfen.“

Ich bin gespannt auf die Antworten, Lösungen, aber vielleicht auch Praxisberichte 🙂 .

Hier geht es zum 40. StV-Tag, oder: „Ich bin 40 – Bitte helfen Sie mir über die Strasse!“…..

20160228_124322„Ich bin 40 – Bitte helfen Sie mir über die Strasse!“…..nein, dass ist nicht das Motto, unter dem der 40. StV-Tag 2016 in Frankfurt am Main steht, aber das steht als „Überschrift“ auf der Eintrittskarte zur Eröffnungsveranstaltung am heutigen Abend in der Paulskirche. Dort wird um 18.30 Uhr der 40. Strafverteidigertag eröffnet – und da ist dann die Verbindung zur „40“, also runder Geburtstag. Das Motto lautet in diesem Jahr: „Bild und Selbstbild der Strafverteidigung“. Und wenn dieser Beitrag online geht, bin ich auf dem Weg nach Frankfurt, um in diesem Jahr mal wieder teil zu nehmen. Ich freue mich, vor allem, weil man auch den ein oder anderen Kollegen, den man länger nicht gesehen hat, mal wieder trifft und nach der Eröffnungsveranstaltung bei dem ein oder anderen Bier „klönen“ kann. Meist wird es später 🙂 .

Die neun Arbeitsgruppen am morgigen Samstag dann zu folgenden Themen:

  • AG 1: StPO-Reform
  • AG 2: Verlorene Unschuld(svermutung). Opferrechte vs. Beschuldigtenrechte
  • AG 3: Polizeizeugen
  • AG 4: Das Weltbild des Strafríchters. Ist die Unabhängigkeit der Richter unabdingbar?
  • AG 5: Mindeststandards der Strafverteidigung
  • AG 6: 40 Jahre Terrorismusstrafrecht
  • AG 7: Rassismus im Strafverfahren
  • AG 8: Das neue Korruptionsstrafrecht
  • AG 9: Hören-Sehen-Verstehen. Rollenverhalten in der Hauptverhandlung (Teil 4)

Interessant sind alle, besonders interessant für mich die AG 1, die AG 3, die AG 4 und die AG 5. Anmeldet haben ich mich für die AG 1. Da erhoffe ich mir Informationen, ob und wann und wie die StPO-Reform denn nun kommt. Hoffen wir, dass die MDin Marie Luise Graf-Schlicker aus dem BMJV das weiß und vor allem auch etwas dazu sagt (vgl. zu den Fragen der StPO-Reform dann auch schon:  Unbemerkt, oder: Kommt eine große StPO-Reform zur „Effektivierung unseres Strafverfahrens?) , Kommt jetzt eine große StPO-Reform zur „Effektivierung unseres Strafverfahrens?,  auch noch „Richtervorbehaltsgötterdämmerung“, oder: Finger weg vom Richtervorbehalt bei der Blutentnahme!!!!) und „Strafkammertag“ – ein „Aufrüstungstag“? oder: Strafverfahren quo vadis?). Bitte nicht nur allgemeines „Ministeriums-Blabla“. 🙂

Bis nachher/gleich in Frankfurt….

Pflichtverteidigung, oder: Der überwiegend abwesende Pflichtverteidiger fliegt raus

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Vor dem Start ins Wochenende dann eine Entscheidung zur Entpflichtung des Pflichtverteidigers in einem Umfangsverfahren. Es ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 – 2 Ws 203/15 – mit folgendem Sachverhalt: Es handelt sich um ein Verfahren, in dem StA in der Anklage dem Angeklagten Vergehen des gemeinschaftlichen Betruges im besonders schweren Fall zum Nachteil von insgesamt 568 Geschädigten zur Last. Der verursachte Gesamtschaden soll ca. 20 Millionen EUR betragen. Die 185-seitige Anklageschrift benennt insgesamt 645 Zeugen und Sachverständige. Aufgrund des Verfahrensumfangs mit 327 Stehordnern Ermittlungsakten und 118 Kartons Beweismitteln sowie elektronischen Dateien im Umfang von circa sechs Terabyte erfolgte am 11. 06. 2013 die Bestellung von Rechtsanwältin J. N. als weitere Pflichtverteidigerin des Angeklagten P. Auch dem Mitangeklagten wurde ein zweiter Pflichtverteidiger beigeordnet. Die zunächst am 26. 07.2013 begonnene Hauptverhandlung musste aufgrund Schwangerschaft einer Richterin der Strafkammer am 04.02.2014 ausgesetzt werden. In der nunmehr seit dem 25.03.2014 andauernden neuen Hauptverhandlung haben bis zum 19.11.2015 insgesamt 113 Sitzungstage stattgefunden. Weitere Hauptverhandlungstermine sind bereits bis zum 30.06.2016 bestimmt.

Mit Verfügung vom 13. 02. 2015 bestellte der Vorsitzende der Strafkammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Rechtsanwalt T. V. als zusätzlichen Pflichtverteidiger. Dem Mitangeklagten wurde ebenfalls ein dritter Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies wurde mit der unzureichenden Teilnahme der ursprünglichen Verteidiger an der Hauptverhandlung begründet. Am 27.04.2015 teilte Rechtsanwalt V. mit, seine Einarbeitung in den Verfahrensstoff sei abgeschlossen. Daraufhin nahm der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger des Angeklagten H. P. sowie von Rechtsanwalt O. W. als Pflichtverteidiger des Mitangeklagten L. B. durch Verfügung vom 27.04.2015 mit sofortiger Wirkung zurück. Auf die Beschwerden der beiden Angeklagten wurde diese Entscheidung mit Beschluss des OLG vom 21.05.2015 aufgehoben, da keine ausreichende Abmahnung des Fehlverhaltens der Pflichtverteidiger erfolgt war. Durch Verfügung des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer vom 23. November 2015 wurde die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger dann erneut mit sofortiger Wirkung zurückgenommen.

Hiergegen die Beschwerde – und dieses Mal hat das OLG die Entpflichtung gehalten. Begründung: Es liegt eine gewichtige Pflichtverletzung des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Dr. E. liegt vor. Denn zusammengefasst:

  • Der Verpflichtung zur Teilnahme an der Hauptverhandlung ist der Pflichtverteidiger im vorliegenden Fall nur ungenügend nachgekommen. Die Anwesenheitszeiten des Pflichtverteidigers betragen nur 50,09%.
  • Seit Beginn des Verfahrens ist eine nur fragmentarische Anwesenheit der beiden ursprünglichen Pflichtverteidiger, insbesondere jedoch von Rechtsanwalt Dr. E., in der Hauptverhandlung zu verzeichnen.
  • Rechtsanwalt Dr. E. hat ausgeführt, „dass er auch anlässlich von Familienfeiern oder einem jährlich stattfindenden Stammtischausflug nicht gedenke, an der Hauptverhandlung vor dem LG Stuttgart teilzunehmen. Zwar ist insoweit die „Empfehlung“, die Staatsanwaltschaft möge seine Ehefrau oder ein namentlich benanntes Mitglied seines Stammtisches nach den entsprechenden Daten befragen, ironisch überspitzt, ändert jedoch nichts an der Aussage, private Belange über die Verpflichtungen aus dem Pflichtverteidigermandat zu stellen. Dies zeigt sich auch in einer eigenmächtigen Urlaubsabwesenheit während vier Hauptverhandlungsterminen zwischen dem 11. und 21. August 2015, obwohl für die Zeit zwischen dem 21. August und dem 21. September 2015 eine Sitzungsunterbrechung zur Sommerpause angekündigt war und auch stattfand.“
  • Das OLG hat auch „berücksichtigt, dass die eingeschränkte Anwesenheit in der Hauptverhandlung zumindest teilweise auch auf einer krankheitsbedingten Verhinderung beruhen mag, die der Pflichtverteidiger nicht zu vertreten hat. Führt letztere jedoch wie im vorliegenden Fall zu einer längerfristigen gravierenden Einschränkung der Verteidigertätigkeit, so kann sie ebenfalls eine Abberufung gebieten. Dies insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des für den Angeklagten nicht disponiblen Beschleunigungsgebots in Haftsachen, das einer – auch den Mitangeklagten treffenden – Verkürzung der Verhandlungsdauerdauer pro Sitzungstag entgegensteht. Die Entpflichtung eines Verteidigers stellt nämlich keine Sanktion für ein pflichtwidriges Verhalten in der Vergangenheit dar, sondern dient ausschließlich dazu, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand sowie einen geordneten Prozessablauf für die Zukunft zu sichern. Auf ein Verschulden des Pflichtverteidigers kommt es mithin – zumindest im vorliegenden Fall – nicht an.“